Die 10 besten Protest-Songs?

Versuch einer vorläufigen Liste

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Peter Rothberg, einer der Chefs von The Nation (ein traditionsreiches links-liberales amerikanisches Wochenblatt), befragte verschiedene Kollegen. Welchen Song, wollte er wissen, empfanden die Journalisten als den besten Protest-Song, den sie kannten? Beziehungsweise als den besten aller Zeiten?

Die Antworten variierten. Es kamen natürlich mehr als 10 wirklich wichtige Songs dabei heraus. Genannt wurde The Peat Bog Soldiers (deutsch, Die Moorsoldaten), bekannt, in Amerika, als antifaschistischer Song aus dem spanischen Bürgerkrieg und als Hymne der Resistance im Zweiten Weltkrieg. Wer nur die deutschen Original-Versionen, etwa von Hannes Wader oder Ernst Busch, kennt, sollte sich, als Kontrastprogramm, vielleicht einmal die zweisprachige Fassung von Paul Robeson geben.

Paul Robeson. Foto: Gordon Parks, U.S. Office of War Information.

Eine kurze, knappe Variante, nur die Melodie, ohne Text, dargeboten auf der elektrischen Ukulele, kann man hier hören. Gerade diese Instrumentalfassung erinnert ein wenig an Tanzmelodien der Dreißigerjahre, so wie man auch in Eislers Einheitsfrontlied noch das Echo eines Tangos erhaschen kann. Diesen Song als Tango zu spielen, das ist natürlich auch schon eine Art, diesen Klassiker gegen den Strich zu bürsten. Und wahrscheinlich sogar notwendig, wenn man die festbetonierten Noten solcher alten Lieder zum tanzen bringen will. Aber eben, auch die ehrwürdigsten oder erhabensten Songs sind nicht gefeit gegen mögliche falsche Töne, und nicht immer kann man sie vor Missbrauch schützen. Sie erweisen ihre Stärke vermutlich genau darin, dass sie trotz ihrer Schwächen Bestand haben.

Genannt wurden weiterhin Sinead O’Connors Black Boys on Mopeds, Bob Dylans Masters of War, und John Lennons Gimme Some Truth. Und: Sam Cookes Change is Gonna Come, Woody Guthries Vigilante Man, Steve Earles Jerusalem, Bruce Springsteens Live-Version von Ghost of Tom Joad, Bob Dylans Chimes of Freedom und Louis Armstrongs Black and Blue. Sowie Leonard Cohens Democracy, Billy Braggs Fassung von Beethovens Ode an die Freude(Text: Friedrich Schiller) und Neil Youngs Shock and Awe.

Klassenkampf mit Toten, USA. Woody Guthries Vigilante Man.

Es ist gut möglich, dass man den Film-Clip, der zu Guthries Song dazu gehört, überhaupt erst heute auf Youtube zu sehen bekommt. Der Song wirkt also erst jetzt, mit jahrzehntelanger Verspätung.

Leonard Cohens Democracy spricht die Hoffnung aus, dass Demokratie irgendwann einmal durch irgendein Loch in der Luft, oder einen Riss in der Wand nach Amerika gelangen könnte. Es ist, wie er selber sagt, ein kleiner Blumenstrauß, den er den Amerikanern überreicht, und der poetisch (d.h., enigmatisch, etwas verwischt) gehaltene Text erschwert das unmittelbare Verständnis. Man kann dem Dichter deshalb gar nicht böse sein, aber er versucht trotzdem (etwa bei diesem Live-Auftritt) seine Botschaft etwas deutlicher rüberzubringen. Everybody Knows von Cohen ist dagegen, wie mir scheint, rein als Protest-Song, weitaus tauglicher.

Nun, die Liste der Nation-Befragten brachte noch andere Songs ins Gespräch, so Steve Goodmans My Name is Peggy Evans, Bob Marleys Redemption Song, Patti Smiths Radio Baghdad und Dropkick Murphys Which Side Are You On. Barry McGuires Eve of Destruction wurde ebenfalls erwähnt.

Gerade dieser Song, den McGuire nicht einmal selber geschrieben, und dessen Text er ("... ah ... ich kann das hier nicht lesen ...") in einem einzigen Take aufgenommen hatte, gilt heute als ultimativer Protest-Song und fehlt auf keiner Oldie-Kompilation aus den Sechzigern. Wirklich schön ist allerdings die Version der Pogues die man einfach mal gehört haben muss.

Der Nation-Mann kommt schließlich auf seine eigenen 10 Songs zu sprechen - und diese Liste, samt den dazugehörigen YouTube-Clips enthält auch einen faszinierenden Auftritt des jungen Bob Dylan im amerikanischen Fernsehen, den man sich nicht entgehen lassen sollte. The Lonesome Death of Hattie Carroll ist ein etwas weniger bekannter Song aus Dylans Protest-Phase (und sicherlich keines seiner Meisterwerke), aber er spricht reale Gegebenheiten an: die Klassenjustiz der USA. In Dominick Dunnes Roman, Zeit des Fegefeuers wird ein ganz ähnlicher Fall aus dem Umfeld der Kennedy-Familie behandelt, der erst nach über 20 Jahren vor Gericht abgeurteilt wird. Die Brisanz des Stoffes geht allerdings, wie man sehen und hören kann, bei Dylans TV-Auftritt verloren.

Protest-Song im Fernsehen. Das Publikum klatscht und versteht offenbar gar nichts.

Johnny Cash, Oscar Brown und Violetta Parra

Es dauerte nicht lange, und weit über 100 Leser der Nation hatten der Liste stapelweise andere Songs hinzugefügt, die sie ebenfalls als Protest-Songs ansahen. Auch bei Telepolis stellte Peter Mühlbauer spontan seine persönliche Auswahl zusammen, die ich hier kurzerhand zitiere:

  1. Johnny Cash - Man in Black
  2. Tony Mason - Take Good Care
  3. Phil Ochs - 10 Cents a Coup
  4. Bob Miller - 11 Cent Cotton, 40 Cent Meat
  5. Pete Seeger - A Dollar ain't a Dollar anymore
  6. Weavers - Peekskill Story
  7. Leadbelly - Bourgeois Blues
  8. Impressions - Keep on Pushing
  9. Morry Goodson & Sonny Vale - The Elephant & the Ass
  10. Pete Seeger - The Farmer is the Man who feeds them All

Johnny Cash erklärt beispielsweise in Man in Black, warum er immer nur schwarz trägt und nie ein fröhliches Gesicht aufsetzt. Eben, weil er mit der übrigen leidenden Menschheit mit=leidet. Bei einem der Fernsehauftritte, bei denen Cash diesen Song vortrug, schnitten die Produzenten die Gesichter mitfühlender Zuhörerinnen in seinen Vortrag hinein. An einer anderen Stelle gab es hier auch spontanen Beifall, als Cash die 100 jungen Männer erwähnte, deren Leben täglich ausgelöscht wurde. Man merkt, er sang diesen Song live im öffentlichen Fernsehen, 1971, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges. Es war also ein echter Protest. Dazu gehörte sicherlich persönlicher Mut, denn er hätte mit Leichtigkeit auf einer der zahlreichen schwarzen Listen landen können, ähnlich wie Eartha Kitt oder Nina Simone, die in Amerika keine Auftrittsmöglichkeiten mehr bekamen. Die anderen Songs der Liste gibt es alle bei YouTube. Mir persönlich gefiel eine Seven Cent Cotton-Variante von Lew Dite, der sich selbst auf einem Ukulele-Banjo begleitet, besonders gut.

"Wie um alles auf der Welt kann ein armer Mensch sich was zu essen leisten?" - Berechtigte Frage, noch dazu, wenn er sich auf einem musikalischen Blechnapf begleitet.

Meine eigene Liste werde ich an dieser Stelle drastisch verkürzen, um wenigstens noch die Namen anzuhängen, die mir selber unerlässlich erscheinen, aber die sind sicher für jeden Leser und jede Leserin ohnehin verschieden. Als erstes möchte ich daher Oscar Brown Jr. vorstellen, den ich als einen echten Protest-Sänger bezeichnen würde. Das Thema seiner Songs ist der Protest an sich. Seine ersten beiden Alben erschienen Anfang der Sechzigerjahre bei Columbia, damals sicher die wichtigste Talentschmiede der USA (zeitgleich erschienen dort auch die ersten Platten des jungen Bob Dylan.) Oscar Brown war ein Schwarzer, und seine Songs reflektierten Themen, die von besonderer Relevanz für ein afro-amerikanisches Publikum waren. Brown war ein großartiger Songschreiber, aber einige seiner Sachen waren entschieden "nicht rundfunktauglich", und gerade diese Nummer, die man heute relativ problemlos bei YouTube findet, hörte damals niemand - jedenfalls auf keinem öffentlichen Medium.

Oscar Brown Juniors Sklaven-Auktion, der erste Rap-Song.

Ungefähr einmal im Jahr höre ich mir Universal Soldier noch einmal an, einen Song von Buffy Sainte-Marie, den auch Donovan in den Sechzigerjahren gecovert hat. Buffy war deutlich erkennbar eine Sängerin mit einer Message, und Donovan brachte 1965, eben mal 19 Jahre alt, gleich drei Anti-Kriegs-Lieder heraus, und hielt dabei (anders als Dylan) Vietnam einer eigenen, spezifischen Erwähnung für wert. Seine damalige LP, Fairy Tale, später mit den EP-Tracks zu einer CD angedickt, hält auch heute noch dem Vergleich mit allen Beatles oder Dylan-Scheiben jener Zeit stand. Trotzdem möchte ich hier Buffys Version vorstellen, in einer späteren Aufnahme. Zunächst erläutert sie die Zeitumstände, dann singt sie ihren Song.

"Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich." Auch Wolf Biermann schrieb zeitgleich mit Soldat Soldat einen Anti-Kriegs-Song.

Die Frage: "Wer war eigentlich die wichtigste Sängerin und Komponistin von Protest-Songs mit eindeutiger, politischer Thematik?" -- lässt sich, in meinen Augen sehr einfach beantworten. Es war Violeta Parra, eine Chilenin.

Obwohl sie bereits 1967 durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende setzte, ist sie heute in ganz Lateinamerika bekannt und wird (um es mal so auszudrücken) "wie eine Heilige" verehrt. Ihr Lied, Gracias a la Vida ist international bekannt geworden. Die Beschäftigung mit ihr lohnt die Mühe. Ihre Songs und Gedichte, ihre gesamte Diskographie, sind im Internet einsehbar.

"Ich danke dem Leben, das mir so viel gegeben." Eine deutsche Übersetzung gibt es hier.

Ich möchte noch Peter Hammills - Porton Down erwähnen, Rio Reiser und die wunderbaren Ton Steine Scherben mit Macht kaputt, was euch kaputt macht, und und und - aber zum Schluss muss hier einfach der wichtigste deutsche Protest-Song der letzten zehn Jahre stehen, und das ist, in meinen Augen, Guten Tag (Ich will mein Leben zurück) von Wir sind Helden. Für mich klingt dies wie die Hymne der Ex-DDR, eine Absage an die Zwangsbeglückung durch die "alten Bundesländer." Ein Protest-Song.

"Ich gebe zu, ich war am Anfang beglückt ..."

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