Die Abenteuer von Max und Moritz - einmal anders

Quasi als Countdown zum Jahrestreffen des World Economic Forum veröffentlicht der Schriftsteller Daniel de Roulet einen Roman im Internet

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Davos Terminus - Die Abenteuer von Max und Moritz in 34 Episoden. - unter diesem Titel hat sich der westschweizer Romancier Daniel de Roulet das World Economic Forum vorgeknöpft. Veröffentlicht wird der Roman vorerst nur im Internet. Pro Woche erscheinen drei Kapitel, in der Originalsprache Französisch und übersetzt auf Deutsch und Englisch.

"Literatur ist immer Dissens, nicht Konsens." Welche Szenerie eignete sich nicht besser für schriftstellerischen Widerspruch, als die Ansammlung von Hunderten von Staatschefs, CEOs und Wissenschaftler, die sich mehrmals jährlich im Rahmen des sogenannten World Economic Forum treffen? Der Genfer Schriftsteller Daniel de Roulet hat sich der Thematik angenommen und quasi als Countdown zum nächsten Meeting, das am 31. Januar 2001 in New York (Vgl.Von den Bergen in die Stadt) beginnen wird, einen Roman geschrieben. Dreimal die Woche veröffentlicht er ein neues Kapitel im westschweizer Online-Magazin Largeur, die englische Übersetzung erscheint auf dem alternativen Medienportal Autonomedia. Die deutschsprachige Publikation geschieht in einer Kooperation zwischen dem Limmat-Verlag , der die und der Züricher Buchhandlung Paranoia-City die auch für die Bereitstellung der Texte im Internet verantwortlich zeichnet. Mit dem html-Code scheint der Paranoia-Webmaster allerdings seine liebe Mühe zu haben. Während des vergangenen Wochenendes waren die Kapitel 1 bis 10 nicht zugänglich, erst auf Intervention von Telepolis ist es inzwischen wieder möglich de Roulets Internet-Roman zu lesen. Wers bequem haben will, lässt sich die Kapitel nach Erscheinen direkt per Mail zustellen.

Obwohl der Autor bewusst das Internet seiner Geschwindigkeit wegen als Distributionskanal für seine aktuelle Literaturproduktion einsetzt, hat er die kurzfristige Verlegung des WEF-Jahrestreffen von den Schweizer Bergen nach New York nicht in seine Story aufgenommen und lässt seine Figuren im winterlichen Davos, dem bisherigen Austragungsort der WEF-Jahrestreffen, auftreten. Dem Sprachwitz nicht abgeneigt, nennt der Autor seine Hauptpersonen Max und Moritz, die übrigens den Untertitel des Romans abgeben.

Funkstille

Max vom Pokk, Architekt und gealterter 68er ist als Referent beim WEF geladen und erweckt aufgrund eines Vorfalls den Verdacht von Kommandant Moritz, dem Sicherheitschef der Veranstaltung. Zeitpunkt der Handlung ist die Nacht vor Beginn des Treffens, und vor der angekündigten Demonstration der Globalisierungsgegner. Ein dritte Figur, der 30jährige Japaner Tsutsui sorgt für das handlungsübergreifende Spannungsmoment. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Mobilkommunikation in Davos lahmzulegen, indem er einen Funkmasten sprengt.

Tsutsui stellt sich vor, wie die Forumsgäste versuchen, ihresgleichen anzurufen. Ihr genervtes, dann drohendes und schliesslich lächerliches Grinsen. Es ist die Lächerlichkeit, die sie am wenigsten ertragen, sie weckt alte Kinderängste. Er stellt sich vor, wie Max vom Pokk, den er am späten Nachmittag jenseits der Polizeiabsperrung erkannt und beschimpft hat, seinen Bankier anruft: ‚Ihre Verbindung kann nicht hergestellt werden'.

Auszug aus dem 1. Kapitel

Was es genau mit der Bekanntschaft zwischen vom Pokk und dem japanischen Saboteur auf sich hat und ob der Handyverkehr zu Beginn des Elitetreffens tatsächlich ruhen wird, erfährt man in den nächsten Wochen.

Wie bereits im autobiografischen Roman "Double", spielen auch im aktuellen Werk Parallelen zum Leben des Autors eine wichtige Rolle. Die Hauptfigur Max vom Pokk ist Architekt, ein Beruf der Daniel de Roulet auch einst erlernt hatte. Ebenfalls die andere nicht-schriftstellerische Tätigkeit des Autors kommt nicht zu kurz: Die Kenntnisse als Informatiker inspirieren de Roulet insbesondere bei den Schilderungen der elektronischen Sicherheitsmassnahmen im Umfeld des WEF-Treffens; sie nehmen ab und an allerdings ein bisschen gar paranoide Züge an. Neben der beruflichen Biografie, ist es auch das politische Selbstverständnis de Roulets, das in "Davos Terminus" nicht zu überlesen ist. Zum Thema des Referats ("Vom Mai 68 bis September 2001"), das die Hauptfigur Max vom Pokk vor versammelter WEF-Prominenz halten wird, hört man de Roulet referieren. Obwohl der Autor dazu wohl einiges anders zu sagen hätte als vom Pokk, der den Idealen der Jugendrevolte zwar nicht abgeschworen, so doch eine beträchtliche Distanz zum Mai vor 34 Jahren entwickelt hat.

De Roulet sagte von seinem ersten Buch "Höllenroutine", es handele sich um engagierte Literatur und reiht sich damit in die Tradition jener Schweizer Autoren ein, die mit Kritik an den herrschenden Verhältnissen und ihrem Land nicht knauserten. Eine Haltung, die in der Schweiz nicht gerade auf fruchtbaren Boden zu fallen pflegt; die beiden grossen Namen der helvetischen Gegenwartsliteratur, Frisch und Dürrenmatt, galten etwa als Nestbeschmutzer, nachdem sie es - beide kurz vor ihrem Tod - gewagt hatten, an den Mythen des Landes zu kratzen und zu tagesaktuellen politischen Angelegenheiten Stellung zu nehmen. De Roulet pflegt wie die beiden "Grossen" ins politische Geschehen einzugreifen und verhehlt seine Sympathien zu den sogenannten Globalisierungsgegnern auch nicht - im Gegenteil. So überreichte er einst die Preissumme einer Auszeichnung für sein Schaffen kurzerhand den Schweizer WEF- und WTO-Gegnern.