Die Bundesregierung und die 5.400 Staatsfeinde der Ukraine
Die mit dem ukrainischen Sicherheitsapparat verbandelte Webseite veröffentlicht Namen und Adressen, darunter auch von deutschen "Staatsfeinden", das Auswärtige Amt gibt sich hilflos
Was haben ein Ex-Kanzler (Gerhard Schröder), ein Mitglied des Bundestages (Andrej Hunko von der "Linken") und der Vorsitzende der baden- württembergischen West-Ost-Gesellschaft (Jörg Tauss, Ex-MdB) gemeinsam? Üblicherweise wenig. Allesamt sind sie aber mit über 5.400 anderen Personen, Journalistinnen, Journalisten, Politikern und oppositionellen Ukrainern auf einer Liste von "Staatsfeinden" des politisch instabilen Nachbarn im Osten geführt (Andrej Hunko: Skandal ohne Konsequenzen seitens der Bundesregierung). Neben der offiziellen Bezeichnung "Mirotworez" kursieren mit "Fegefeuer", "Friedensstifter" noch andere Begriffe zu dieser "exklusiven" Datensammlung, in der die "Feinde" des nach Landeskennern wohl korruptesten Staates in Europa aufgeführt sind (Gerhard Schröder wird als Feind der Ukraine gelistet).
Der Hauptvorwurf lautet in der Regel: "Propaganda" für Russland und "Kollaboration mit separatistischen Kräften, Mördern und Kriegsverbrechern im Donbass", also den zu Russland gelegenen aufständischen Regionen. Zumindest rein rhetorisch stellen die Veröffentlichungen selbst nach Auffassung unseres sonst so zurückhaltenden deutschen Bundespräsidialamts "einen Verstoß gegen internationale Standards des Datenschutzes" dar. Wenn es denn allein "nur" ein "Datenschutzverstoß" wäre.
"Peacemaker", so lautet eine weitere englische Umschreibung für die Liste, ist die landläufige Bezeichnung für einen gar nicht so friedlichen und häufig gebrauchten Colt in den USA. Nun könnte man die entsprechend benannte paranoide Auflistung belächeln, hätte sie nicht für viele Personen bereits bedrohliche Ausmaße angenommen. In zwei Fällen ukrainischer Regierungskritiker, Oles Busyna und Oleh Kalaschnikow, sogar tödliche. Kallaschnikow wurde vor seiner Wohnungstür erschossen, Busnya aus einem fahrenden Auto heraus. Die Mörder sind auf freiem Fuß (Ukraine: Der Kampf gegen Journalisten geht weiter).
Selbst die UNO, die in Sachen Ukraine sonst so wohlwollende EU und gegenüber den Machthabern in Kiew stets gutwillig auftretende deutsche Bundesregierung fanden schon harsche Worte zu "Mirotworez". "Völlig inakzeptabel", soll höchstselbst die Kanzlerin die Vorgänge bewertet und sie laut Staatsminister Michael Roth (Auswärtiges Amt, SPD) in einem Telefonat gegenüber Präsident Poroschenko so auch entsprechend deutlich angesprochen haben.
Verquickung zwischen staatlichen Stellen und "Mirotworez"
Man könnte also meinen, dass Bundesregierung oder EU nach dem Motto "Löschen statt sperren" aktiv wären, um die Betroffenen, darunter eine unbekannte Zahl deutscher Staatsbürger, vor den Machenschaften des Seitenbetreibers, einer dubiosen "Nichtregierungsorganisation", zu schützen. Doch leider, so die Meinung im Auswärtigen Amt, könne man aber so gar nichts tun. Denn zum einen, so Roth vor dem Deutschen Bundestag gegenüber MdB Hunko, könne die ukrainische Regierung nach der dortigen "Rechtslage" nichts unternehmen.
Merkwürdig: Selbst nach ukrainischem Recht dürfte Mord nicht zu den akzeptablen Umgangsformen in einem demokratischen Staat gehören. Doch nach Auffassung unseres Auswärtigen Amts hätte die ukrainische Regierung ohnehin nichts mit den "Friedenstiftern" zu tun. Deren Inhalt liefe auf einem Server, der nicht in Kiew, sondern andernorts, "vermutlich in Kanada" registriert sei. In der gemeinsamen Ablehnung von Mirotworez seien sich die Regierungen in Berlin und Kiew bis hin zur G 7 aber dessen ungeachtet natürlich einig.
Und ganz so eindeutig, wie auch vom Auswärtigen Amt wiederholt behauptet, distanziert sich die ukrainische Regierungsseite von "Mirotworez" nicht. Im Gegenteil. Der ukrainische Innenminister Awakow lobte die scheinbaren Aktivitäten der "NGO" über den grünen Klee. Auch Informationsminister Stets attackierte schon dessen Stellvertreterin, weil sie nur die Herausnahme von Journalisten aus der Liste verlangte. Die Dame ist nun auch nicht mehr im Amt.
Eine recht eindeutige Verquickung zwischen staatlichen Stellen und "Mirotworez" ist auch sonst unübersehbar. Die Liste ist für den "Dienstgebrauch" sogar an Grenzstellen, für das Innenministerium, Geheimdienst und Streitkräfte einsehbar. Eine "Nichtregierungsorganisation" könnte kaum über die Passdaten tausender Ukrainer verfügen. Die sind darüber hinaus mit allen Daten, sogar mit Verwandtschaft, Wohnorten und Handynummern, aufgeführt.
Gefährdung der guten Beziehungen zur Ukraine
Forscht man weiter nach, stößt man auf immer mehr solcher Ungereimtheiten zwischen offiziellen Äußerungen der Bundesregierung zum von ihr selbst schon so bezeichneten "Skandal" und zu den tatsächlichen Vorgängen. Eine Anfrage von mir als Ex-MdB Tauss dem Informationsfreiheitsgesetz an das Auswärtige Amt zu Bemühungen gegen die Liste brachte nach über einjährigem Hin und Her und einem Gebührenbescheid über 185 Euro vor allem eine Vielzahl teilweise bis vollständig geschwärzter Seiten ans Licht. Die Begründung an mindestens zehn Stellen hierfür: Eine Offenlegung der Information "gefährdeten die guten Beziehungen zur Ukraine", Quellen der deutschen Botschaft in Kiew oder gar die "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit der dortigen Regierung.
Offensichtlich gefährden aber schon die dürftigen offiziellen Äußerungen der Bundesregierung diese "guten Beziehungen". Denn plötzlich erschienen interessante Ausführungen Roths in der erwähnten Bundestagsfragestunde gar nicht mehr im Plenarprotokoll. Aus dem Wort "bedrohlich" wurde das harmlosere "gefährdet". Die Erwähnung Kanadas als Registrierungsland, nach dem ausdrücklich gefragt worden war, erschien überhaupt nicht mehr.
Aus "ukrainischen Dienststellen" wurden nicht mehr näher benannte Dienststellen. Aus der "dortigen Regierung" irgendeine Regierung. Normalerweise werden in Bundestagsprotokollen bestenfalls Versprecher oder grammatikalische Ungereimtheiten geglättet. Hier aber weicht das Protokoll zur großen Verwunderung Hunkos auch inhaltlich in erheblicher Form vom tatsächlich Gesagten ab.
Wäre die Empörung über Mirotworez, bis hin zu Kanzlerin und Bundespräsident tatsächlich so groß wie dargestellt, könnte die Bundesregierung natürlich mehr wissen. Wenn sie denn wollte. Denn "die völlig inakzeptable Liste" läuft über den nicht unbekannten US-amerikanischen Anbieter "Cloudflare" beziehungsweise dessen Ableger OVH- Hosting Inc.
Und über den wiederum wickelte selbst der Deutsche Bundestag schon seinen gesamten Mailverkehr bis hin zum Einblick in die Plenarprotokolle ab. Das aber widerlegt die Legende vom unbekannten Dritten. Kündigte Cloudflare/OVH Hosting, mit deutscher Niederlassung im saarländischen Dudweiler, auf Druck deutscher Regierungsstellen die Zusammenarbeit mit "Mirotworez", wäre der Zugriff auf die Seiten bereits erheblich erschwert. International sogar unmöglich.
Weitere entsprechende parlamentarische Anfragen dürften also folgen. Denn so geht "im Interesse der guten deutschen Beziehungen zur Ukraine" eben weiter konkrete Gefahr für das Leben von Menschen aus. Und nicht "nur" für das Leben von Journalistinnen und Journalisten, die über die tatsächlichen Zustände im Land bis hin zur Halbinsel Krim berichten.
Auch Schröder-Ehefrau Kim fürchtet ums Leben des Gatten und ist laut RedaktionsNetzwerkDeutschland (RND) enttäuscht darüber, dass "ein sozialdemokratischer Außenminister nicht den Mut findet", gegenüber der Ukraine deutlicher zu werden. Dies allerdings verwundert nicht nur die gebürtige Südkoreanerin.