Die Bundeswehr, Kinderrechte und Stephanie zu Guttenberg
Die Ausbildung Minderjähriger an der Waffe und die Anwerbung von Kindern in Schulen für den Kriegsdienst - der "Schattenbericht Kindersoldaten 2011"
Mitte Februar stellte das Deutsche Bündnis Kindersoldaten ihren Schattenbericht Kindersoldaten 2011 vor. Der neue Schattenbericht konzentriert sich besonders auf zwei Themen: die Rekrutierung von 17-Jährigen für die Bundeswehr und die Öffentlichkeitsarbeit sowie Nachwuchswerbung der Bundeswehr an Schulen.
Der Bericht wurde im Rahmen des „Staatenberichtsverfahrens zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes und zum Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“ herausgegeben. Autor des Schattenberichts ist der renommierte Völkerrechtler Dr. Hendrik Cremer, der für das Deutsche Institut für Menschenrechte tätig ist. Auftraggeber sind die deutsche Sektion des internationalen Kinderhilfswerks terre des hommes, die Kindernothilfe, die deutsche Abteilung der christlichen Organisation missio sowie UNICEF.
In der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) von 1989 wurde festgelegt, dass alle Kinder unter 18 Jahren besonderen Schutz und besondere Rechte genießen und das Wohl des Kindes immer Vorrang haben muss. Dennoch erlaubt Artikel 38 der KRK, Kinder, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet haben, als Soldaten für das Militär einzuziehen.
Um diese eklatante Schutzlücke zu schließen wurde im Dezember 2004 ein Zusatzprotokoll zur schon bestehenden Kinderrechtskonvention ratifiziert. Das Zusatzprotokoll sollte die Lücke schließen und die Altersgrenze für die Rekrutierung auf 18 Jahre anheben - dies ist, auch wegen des Drucks westlicher Länder, darunter auch Deutschland, nur teilweise gelungen: bewaffnete, nichtstaatliche Gruppen müssen die Altersgrenze einhalten.
Aber staatliche Armeen dürfen weiterhin auch 16-jährige Freiwillige werben. Davon machen die Länder, die für diese erneute Lücke plädierten, auch Gebrauch, darunter Deutschland: In der Bundesrepublik werden jedes Jahr mehrere hundert 17-Jährige in die Bundeswehr aufgenommen. Damit ist Deutschland eines von nur 26 Ländern weltweit die unter 18-Jährige in ihre Streitkräfte aufnehmen. Da bei den Vereinten Nationen alle Personen unter 18 Jahren als Kinder gelten, hat Deutschland - so skurril es sich anhören mag - Kindersoldaten in den eigenen Reihen.
Kritik an Deutschland wegen Altersgrenze
Die deutsche Rekrutierungspraxis wird von Kinder- und Menschenrechtsorganisationen seit Jahren kritisiert. Und auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat Deutschland zuletzt 2008 aufgefordert, das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre zu erhöhen, „um den Schutz des Kindes durch insgesamt höhere gesetzliche Standards zu fördern“. Auch die Bundeswehr-Reform bringt keine Besserung in dem Bereich mit sich. Wie Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes bei der Vorstellung des Schattenberichts im Februar 2011 in Berlin erklärte:
Wie der Schattenbericht darlegt, ist im aktuellen Gesetzesentwurf für den neu geschaffenen freiwilligen Wehrdienst bisher gar keine Altersgrenze vorgesehen.
Minderjährige könnten sogar schon nach derzeitiger Gesetzeslage nach dem Wehrstrafgesetz vor Gericht gestellt werden, wenn sie die Bundeswehr wieder verlassen wollten. „Dies zeige“, so Willinger weiter, „dass auch die vom Zusatzprotokoll geforderte Freiwilligkeit nicht gewährleistet ist. Deutschland verstößt damit gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen im Zusatzprotokoll.“ Er fordert das Wehrpflichtgesetz und das Soldatengesetz entsprechend zu ergänzen.
Kritik an Bundeswehr wegen Werbung an Schulen
Neben der Rekrutierung Minderjähriger kritisiert Dr. Hendrik Cremer, Autor des Schattenberichts 2011, vor allem die Werbung der Armee in Schulen. Jugendoffiziere der Bundeswehr haben bei ihren Schul-Veranstaltungen 2010 über 138.000 Schülerinnen und Schüler erreicht. Meist halten die jungen, rhetorisch-didaktisch geschulten Jugendoffiziere Vorträge zu militärischer Sicherheitspolitik und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr: „Dass sie dabei für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan werben, lässt sich in öffentlichen Dokumenten der Bundeswehr nachverfolgen“, schreibt Dr. Hendrik Cremer im Schattenbericht der Kinderrechtsorganisationen.
Es sei sowohl mit Kinderrechten als auch mit den Richtlinien für die politische Bildung in Deutschland „nicht vereinbar, wenn im Schulunterricht durch die nationalen Streitkräfte Werbung für ihre eigene Einsatzpolitik im Ausland betrieben wird“, heißt es im Schattenbericht weiter.
Seit 2008 wurden in acht der 16 deutschen Bundesländer Kooperationsabkommen zwischen der Bundeswehr und dem jeweiligen Landesschulministerium unterzeichnet. Den bundesweit 94 hauptamtlichen Jugendoffizieren sowie Wehrdienstberatern soll der Gang in die Schulen damit erleichtert werden.
Einseitige Soldatenbesuche im Schulunterricht seien aber „mit den menschenrechenrechtlichen Vorgaben der Kinderrechtskonvention nicht in Einklang zu bringen“, so Dr. Hendrik Cremer. Politische Bildung im Schulunterricht dürfe nicht von Mitgliedern der Streitkräfte ausgehen und vermittelt werden. Die Politik habe dafür Sorge zu tragen, dass die einseitige „Einflussnahme der Bundeswehr durch den Auftritt von Jugendoffizieren in Klassenzimmern unterbunden wird“, fordert der Jurist.
„Die Schule ist der richtige Ort, an dem wir junge Menschen erreichen“
Adressiert ist die Kritik besonders an das Verteidigungsministerium und den Minister Karl-Theodor zu Guttenberg – er kann entscheiden, wer in den Reihen der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet wird und wo der Nachwuchs mit welchen Mitteln geworben werden soll. Bisher machte zu Guttenberg jedoch keine Anstalten, die bisherige Praxis zu ändern. Ganz im Gegenteil plant der Verteidigungsminister sogar, die Werbung der Armee in Schulen auszuweiten, um den Nachwuchsbedarf der Bundeswehr nach Wegfall der Wehrpflicht decken zu können: „Die Schule ist der richtige Ort, an dem wir junge Menschen erreichen“, erklärte der Karl-Theodor zu Guttenberg Ende Oktober 2010 auf die Frage wo denn nun der Bundeswehr-Nachwuchs herkommen solle.
Werbung in Schulen empfiehlt auch der Vorsitzende der Strukturkommission für die Bundeswehr-Reform, Dr. Franz-Jürgen Weise: „Wichtig ist […], dass man das Thema Bundeswehr verstärkt in die Schulen trägt“, so der Oberst der Reserve und Vorstandsvorsitzender der deutschen Bundesagentur für Arbeit kurz nach Veröffentlichung des Berichts seiner Kommission im Herbst 2010. Zum einen soll in den Schulen neuer Nachwuchs für die Bundeswehr gewonnen werden, zum andern geht es bei den Werbeeinsätzen der Armee in Schulen auch immer darum die junge Leute langfristig vom deutschen Militär und ihren Auslandseinsätzen zu überzeugen - Militärinterventionen sollen den jungen Leuten als normales Mittel der Politik vorgestellt werden.
Das Schweigen der Guttenbergs
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg schwieg bisher zu den im neuen Schattenbericht Kindersoldaten hervorgebrachten Vorwürfen. Und auch seine Gattin, die sich ansonsten öffentlichkeitswirksam für die Rechte von Kindern einsetzt (siehe "Weil ich halt niemanden gehabt hab', dem ich vertrau"), scheinen die Kritikpunkte an der Rekrutierungs- und Werbepraxis der Bundeswehr nicht zu interessieren.
Dabei ist Stephanie zu Guttenberg sogar selbst Präsidentin einer Kinderrechtsorganisation: Innocence in Danger setzt sich besonders gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und die Verbreitung von Kinderpornographie ein. Die Antwort auf eine schriftliche Anfrage an die Präsidentin von Innocence in Danger zum Schattenbericht 2011 ließ eine Woche auf sich warten und fiel negativ aus. Die Pressestelle der Organisation: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ein schriftliches Interview mit Innocence in Danger bzw. Stephanie zu Guttenberg und die Beantwortung der von Ihnen gestellten Fragen nicht möglich ist.“ Weiter heißt es in der Antwort:
So sehr wir auch einen Einsatz für Kinderrechte befürworten, sind Innocence in Danger und Frau zu Guttenberg nicht die richtigen Ansprechpartner zur Stellungnahme in Bezug auf Kindersoldaten.
Kurz: Stephanie zu Guttenberg engagiert sich – was sehr ehrenwert ist – gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie, dass ihr Gatte Minderjährige im Umgang mit Waffen ausbilden und Kinder in Schulen für Kriegseinsätze begeistern lässt, darüber schweigt sie aber lieber. Immerhin muss man kein Experte sein, um eine Stellungnahme zum Thema „Kindersoldaten“ sowie der Begeisterung von Kindern und Jugendlichen in Schulen für Militär und Kriegseinsätze machen zu können.
Die Auftraggeber des Schattenberichts 2011 hoffen statt auf die Ministergattin auf den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Dieser solle Deutschland empfehlen; nur noch Volljährige in den Streitkräften dienen zu lassen und die Werbung in Schulen aufzugeben. Da der UN-Ausschuss mit der Bearbeitung der Länderberichte zur Kinderrechtskonvention und den Zusatzprotokollen allerdings völlig überlastet ist, wird die Behandlung des deutschen Schattenberichts Kindersoldaten vermutlich erst 2013 stattfinden.