"Die CDU braucht mehr junge Köpfe in Spitzenpositionen"

Angela Merkel bei der Vorstellung der designierten Minister. Bild: Foto: Laurence Chaperon/CDU

Christoph Ploß, der jüngste Hamburger Abgeordnete, der je direkt in den Bundestag gewählt wurde, über die Modernisierung seiner Partei, schmerzhafte Kompromisse im Koalitionsvertrag und die parteiinterne Kritik an Kanzlerin Merkel

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Herr Ploß, wie erneuert man eine Volkspartei?

Christoph Ploß: Da gibt es grundsätzlich unterschiedliche Ansätze. Zunächst sollte man sich darüber im Klaren sein, in welcher Lage die Partei sich gerade befindet. Hier gilt es, genau hinzuschauen und nichts schönzureden. Erst dann ergibt es Sinn, über eine inhaltliche oder personelle Erneuerung zu diskutieren.

Und in welcher Lage befindet sich die CDU?

Christoph Ploß: Ich würde von einer Übergangsphase sprechen.

Gehören Sie zu jenen CDU-Abgeordneten, die einen klaren Kurswechsel fordern?

Christoph Ploß: Ich glaube schon, dass wir inhaltlich in vielen Bereichen gut aufgestellt sind. Wir haben vor der Bundestagswahl ein umfangreiches Regierungsprogramm erarbeitet; das war ein monatelanger Kraftakt.

Im Koalitionsvertrag...

Christoph Ploß: ... findet sich vieles davon wieder! Ob Digitalisierung, Innere Sicherheit oder Familienpolitik - wir geben gute Antworten auf Fragen, die die Bürger im Alltag bewegen. Gerade auch in der Flüchtlingspolitik finde ich das Papier, das wir gemeinsam mit der CSU erarbeitet haben, äußerst sinnvoll. Nur nebenbei: Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das zwei Jahre vorher hinbekommen; dann hätten wir uns die eine odere andere Debatte sicherlich erspart. Aber um Ihre Frage klar zu beantworten: Ich würde der CDU nicht empfehlen, all das im Zuge des Erneuerungsprozesses wieder infrage zu stellen.

Paul Ziemak, der Vorsitzende der Jungen Union, verlangte von Angela Merkel "ein Zeichen der Erneuerung."

Christoph Ploß: Was ich mit großem Nachdruck unterstütze!

Ist die Nominierung von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Generalsekretärin ein solches Zeichen?

Christoph Ploß: Ja. Die CDU braucht außerdem mehr junge Köpfe in Spitzenpositionen. Angesichts des bevorstehenden Übergangs ist es unheimlich wichtig, dass die Partei jungen Talenten frühzeitig die Chance gibt, sich zu profilieren. Nur so können sie wachsen, Verantwortung übernehmen und es nach ganz oben schaffen.

Jens Spahn soll Gesundheitsminister werden...

Christoph Ploß: ... Ich wäre überrascht gewesen, wenn sein Name nicht auf der Liste gestanden hätte. Jens Spahn sitzt schon lange im Bundestag, er kennt das politische Geschäft exzellent und hat sich in vielen Politikfeldern profiliert.

"Wenn eine Partei nicht geschlossen auftritt, verliert sie an Zustimmung"

Haben Sie Verständnis für die teils harsche Kritik ehemaliger CDU-Spitzenpolitiker an der Bundeskanzlerin?

Christoph Ploß: (Überlegt) Wir sollten solche Dinge intern klären. Die Bürger erwarten von uns Politikern, dass wir uns um ihre Anliegen und Probleme kümmern. Sie haben wenig Verständnis dafür, wenn wir uns in der Öffentlichkeit mit Parteiinterna beschäftigen. Fakt ist: Wenn eine Partei nicht geschlossen auftritt, verliert sie an Zustimmung - ein Paradebeispiel hierfür ist die SPD. Dort wird seit Wochen gestritten und gemobbt, viele Wähler haben den Eindruck, den Damen und Herren gehe es nur um Posten. Diese Wirkung ist verheerend.

Viele Ihrer Parteikollegen werfen der Kanzlerin vor, in den Koalitionsverhandlungen zu große Zugeständnisse an SPD und CSU gemacht zu haben.

Christoph Ploß: Kompromisse sind manchmal schmerzhaft, deswegen kann ich das gut nachvollziehen.

Der ehemalige Verteidigungsminister und frühere Generalsekretär Volker Rühe sagte kürzlich, Frau Merkel habe für die Zukunft der CDU desaströs verhandelt. Friedrich Merz, früherer Unionsfraktionschef, wurde noch deutlicher: "Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben."

Christoph Ploß: Es wird immer wieder Aussagen geben, die medial aufgegriffen und verstärkt werden. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Christoph Ploß. Bild: Deutscher Bundestag/Inga Haar

Wie würden Sie den Koalitionsvertrag in wenigen Sätzen beschreiben, Herr Ploß?

Christoph Ploß: Ich gehöre weder zu denen, die sagen: "alles super", noch zu jenen, die schimpfen, das sei jetzt alles ganz, ganz schlimm. Nein, es gibt einige Punkte, gerade in der Flüchtlingspolitik, die ich sehr positiv finde, Stichworte Steuerung und Begrenzung von Migration. Bei der Familienpolitik findet sich das Programm der Union eins zu eins im Koalitionsvertrag wieder. Ähnlich sieht es aus beim wichtigen Thema Digitalisierung. Hier stehen in den kommenden Jahren enorme Investitionen an, die das Land voranbringen. All diese Punkte tragen klar die Handschrift der Union.

Die Beschlüsse zur Rente tragen dagegen klar die Handschrift der SPD.

Christoph Ploß: Ich halte diesen Teil in der Tat für den schwächsten im Koalitionsvertrag.

Das Rentenniveau soll erhalten bleiben und wer 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll künftig eine Rente bekommen, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegt. Ebenfalls im Vertrag enthalten sind eine Mütterrente, eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie eine Rentenpflicht für Selbständige. Worüber ärgern Sie sich am meisten?

Christoph Ploß: Über die Tatsache, dass die wichtigen Zukunftsfragen - mal wieder - nicht geklärt wurden. Was ist, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht? Wie genau reagieren wir auf die demografische Entwicklung? Es ist doch kein Geheimnis, dass wir ab dem Jahr 2030 richtig große Probleme bekommen. Ich bedauere es sehr, dass bei der Rente lediglich einige Verbesserungen beschlossen wurden. Die Probleme wurden hingegen kaum angepackt.

Sie rechnen also nicht damit, dass die Rentenkommission "Verlässlicher Generationenvertrag", die nun eingerichtet werden soll, in ein paar Jahren Vorschläge vorlegen wird, die den Ihren nahekommen?

Christoph Ploß: Das kann ich heute nicht einschätzen.

Wie sähe der von Ihnen erwähnte große Wurf aus?

Christoph Ploß: Das Schlagwort lautet Flexibilisierung - weg von einem festen Renteneintrittsalter hin zu einer Art Lebensarbeitszeitkonto. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen immer älter werden, müssen wir die Debatte führen, ob wir - im Schnitt - nicht auch länger arbeiten können und müssen. Bleibt bei der Rente alles, wie es ist, droht in 15, 20 Jahren ein Kollaps.

"Eine schwarz-rote Regierung ist stabil"

Wäre das nicht ein Argument für eine Minderheitsregierung?

Christoph Ploß: Nein, ich halte davon sehr wenig. Deutschland ist die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, wir brauchen Stabilität und Verlässlichkeit.

Eine schwarz-rote Regierung wäre also aus Ihrer Sicht stabil?

Christoph Ploß: Ja.

SPD und Union interpretieren den Koalitionsvertrag verschieden. Zudem äußern sich Abgeordnete beider Fraktionen beinahe täglich abfällig und hämisch über den möglichen Koalitionspartner. Herr Ploß, ist die SPD in der jetzigen Aufstellung ein Partner, auf den Sie sich verlassen können?

Christoph Ploß: Dass die SPD derzeit in keiner besonders guten Verfassung ist, steht außer Frage.

Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach twitterte nach der Nominierung der neuen CDU-Generalsekretärin: "Kramp-Karrenbauer ist als mögliche Merkel Nachfolgerin für uns eine lösbare Aufgabe. Merkel light."

Christoph Ploß: Die SPD ist gut beraten, ihre Hausaufgaben zu machen und nicht Sprüche zu klopfen. Ehrlich gesagt hätte auch ich ein anderes Bündnis vorgezogen. Aber es geht hier nicht um Wünsche, sondern um die Realität. Die FDP hat Nein gesagt, das müssen wir akzeptieren.

FDP-Chef Lindner sagte unlängst, seine Partei würde eine Minderheitsregierung mittragen.

Christoph Ploß: Noch mal: In der Theorie klingt das alles ganz nett. Ich hielte ein solches Projekt allerdings für waghalsig und politisch unklug. Die Union müsste im Bundestag ständig um Mehrheiten kämpfen. FDP und Grüne würden bei jeder Gelegenheit die Chance sehen, für sich etwas rauszuholen. Wir müssten viele Kompromisse eingehen, die dem Steuerzahler am Ende richtig viel Geld kosteten.

Der Bund der Steuerzahler kritisiert der die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag als "sehr teuer"; die Koalition würde riesige Ausgabenprogramme auf den Weg bringen und wenig steuerpolitische Akzente setzen.

Christoph Ploß: Glauben Sie mir, eine Minderheitsregierung wäre am Ende noch viel teuer. Zudem fehlte die klare Linie in der Regierungspolitik. Da ist mir ein Koalitionsvertrag mit der SPD deutlich lieber, schließlich geht es um die Zukunft unseres Landes.

Welche Kritik, welche Forderung hören Sie in Ihrem Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal in diesen Tagen eigentlich am häufigsten?

Christoph Ploß: Immer wieder Sätze wie: "Wann kommt Ihr da in Berlin endlich zu Potte?!" Viele Bürger sind fassungslos, dass die Regierungsbildung derart lange dauert. Die Tatsache, dass viele Fraktionen im Deutschen Bundestag, wie die FDP, AFD oder die Linkspartei, gar nicht regieren wollen, sorgt für Unverständnis.

Wir haben alle Wahlkampf gemacht, den Leuten erzählt, wofür wir stehen und was wir alles umsetzen wollen. Und nun, ein paar Monate später, sehen die Bürger, dass sich eine Partei nach der anderen vor der Verantwortung drückt. Das macht viele wütend und trägt sicherlich nicht dazu bei, das Vertrauen in die Politik zu stärken. Sprüche klopfen in der Opposition kann jeder, Verantwortung übernehmen offensichtlich nur die Union.

"Olaf Scholz nimmt die Stadt mit seinem Verhalten in Geiselhaft"

Herr Ploß, wenn es um die CDU-Spitzenkandidatur für die Hamburger Bürgerschaftswahl geht, fällt auch immer wieder Ihr Name. Wäre das nicht eine interessante Herausforderung für Sie?

Christoph Ploß: Die Frage stellt sich für mich überhaupt nicht. Ich bin ja erst vor wenigen Monaten in den Bundestag gewählt worden.

Stimmt. Sie könnten die Spekulationen jetzt also beenden.

Christoph Ploß: (lächelt) Ich habe den Wählern klar gesagt, ich mache das für einen längeren Zeitraum. Und wir haben mit André Trepoll einen hervorragenden Oppositionsführer, der sich in den vergangenen Jahren wunderbar entwickelt hat.

Schlagzeile: "Ploß spricht sich für Trepoll als Spitzenkandidaten aus." - Richtig oder falsch?

Christoph Ploß: Darüber sprechen wir, wenn es soweit ist. Aber André Trepoll genießt meine volle Wertschätzung. Ich konzentriere mich auf Berlin und meinen Wahlkreis.

"Bundesfinanzminister Olaf Scholz", wie klingt das für Sie?

Christoph Ploß: Ich kann mit der Vollkasko-Mentalität, die der Bürgermeister an den Tag legt, wenig anfangen. Warum sagt er nicht, dass er nach Berlin will? Warum legt er sein Amt nicht nieder? Sagen die Damen und Herren der SPD dieser Tage nicht ständig, ihre Partei stehe für Transparenz? Herr Scholz nimmt die Stadt mit seinem Verhalten in Geiselhaft. Das ist nicht anständig. Die Hamburger wollen endlich Klarheit.

Rechnen Sie mit einem Ja der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag?

Christoph Ploß: Ich kann das überhaupt nicht einschätzen. Das ist eine offene Geschichte, denkbar ist alles. Es wird wohl extrem knapp - auch weil die SPD-Spitze seit Wochen alles dafür tut, um den Mitgliederentscheid zum Scheitern zu bringen.