Die Debatten über die NATO-Norderweiterung

In Nordeuropa stellen die beiden neutralen Staaten Finnland und Schweden immer noch eine Pufferzone zwischen NATO und Russland dar

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Nach Jahrzehnten bzw. Jahrhunderten strikter Neutralitätspolitik zeichnet sich möglicherweise ein historischer Paradigmenwechsel in Skandinavien ab. Nach Norwegen und Dänemark könnten über kurz oder lang auch Schweden und Finnland der NATO beitreten. Einer der treibenden Faktoren dafür ist das aggressive Auftreten Russlands in Osteuropa. Von der europäischen Öffentlichkeit kaum beachtet, hat die Debatte über eine "Norderweiterung" an der Nordflanke der Allianz längst begonnen.

Finnland

Bisherige Neutralitätspolitik

Finnland (Eigenname: Suomi) hat gerade mal 5,4 Millionen Einwohner. Das Land errang erst 1917 seine Unabhängigkeit von Russland. Nach wie vor gibt es russische Intellektuelle wie z. B. Alexander Dugin, die die Selbstständigkeit Finnlands anzweifeln und seinen Anschluss an die alte Heimat. Im Juni 2012 tauchten sogar russische Kriegspläne für eine Okkupation Helsinkis auf, deren Echtheit hier nicht eingeschätzt werden kann. Beide Staaten trennt eine gemeinsame Landgrenze von über 1.340 km. Demgegenüber haben die Landgrenzen zu Norwegen und Schweden nur eine Länge von 716 bzw. 586 km. Seine geographische Nachbarschaft zur Sowjetunion bzw. zu Russland bestimmt seit Jahrzehnten die Außenpolitik Finnlands.

Die finnische Außenpolitik zeigt z. B. ein Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg: Der Hitler-Stalin-Pakt führte am 30. November 1939 zum sowjetischen Angriff auf Finnland. Dieser so genannte "Winterkrieg" endete am 13. März 1940 mit der finnischen Niederlage. Im Friedensvertrag von Moskau musste Finnland einen Teil seines Territoriums an Russland abtreten. Nach dem Bruch des Hitler-Stalin-Paktes durch den deutschen Angriff auf die Sowjetunion schloss sich Finnland im Juni 1941 der deutschen Kriegführung an und so begann der so genannte "Fortsetzungskrieg", der ebenfalls mit einer finnischen Niederlage endete.

Am 19. September 1944 schlossen beide Kriegsparteien einen Separatfrieden, der nicht nur zu weiteren Gebietsabtretungen führte, sondern die Finnen zum Kampf gegen das Deutsche Reich verpflichtete. So kam es im Oktober 1944 zum "Lapplandkrieg", der am 27. April 1945 mit der Vertreibung der letzten Wehrmachtstruppen endete. Im Pariser Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 wurden den finnischen Streitkräften mehrere Rüstungsbeschränkungen auferlegt. So wurde die Zahl der aktiven Soldaten auf maximal 41.500 Mann begrenzt und der Besitz von U-Booten völlig verboten.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgt Finnland eine eigentümliche Art von Neutralitätspolitik. Diese sieht in Friedenszeiten völlige Allianzfreiheit vor; so war Finnland nie Mitglied im Warschauer Pakt sondern gehörte der Blockfreienbewegung an. In Kriegszeiten jedoch hätte Finnland auf Seiten der Sowjetunion gekämpft, dazu wurde das Land durch einen bilateralen "Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand" vom 6. April 1948 verpflichtet. Somit war Finnland indirekt an den Warschauer Pakt angebunden. Dieses ambivalente Verhältnis zur Sowjetunion, das geprägt war durch vorauseilenden Gehorsam, wurde als "Finnlandisierung" bekannt.

Das Gesamtkonzept der Außenpolitik - ein gutnachbarliches Verhältnis zur Sowjetunion bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung freundlicher Beziehungen zum Westen - wurde als "Paasikivi-Linie" bezeichnet. Erst mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 wurde Finnland völlig unabhängig und verfolgt seitdem eine konsequente Neutralitätspolitik: Allianzfreiheit in Friedenszeiten, Neutralität in Kriegszeiten und für den Fall eines Angriffs propagiert man die "totale Verteidigung" ("kokonaismaanpuolustus").

Trotz der finnischen Neutralitätspolitik ist das Land seit dem 1. Januar 1995 Mitglied der Europäischen Union (EU), die sich bereits im Vertrag von Maastricht am 7. Februar 1992 auf eine Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik (GASP) festgelegt hatte. Seitdem baut die EU ihre sicherheitspolitische Dimension schrittweise aus, so im Vertrag von Amsterdam (1. Mai 1999), der zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) führte, und im Vertrag von Lissabon (1. Dezember 2009). Damit wird auch Finnland immer mehr in die gemeinsame EU-Militärpolitik involviert.

Im Rahmen der so genannten "Ostseezusammenarbeit" mit den Partnerländern treibt Finnland die Entwicklung auf den verschiedensten Politikfeldern der "weichen Sicherheitspolitik" voran: Energie, Gesundheit, Handel, Tourismus, Umwelt, Verkehr, Wirtschaft, etc. Im Rahmen der Rüstungszusammenarbeit beteiligt sich das Land an der European Defence Agency (EDA); außerdem stellt es Truppenteile für eine der EU Battlegroups, die seit Mai 2004 aufgebaut werden.

Zwar ist die EU kein Militärbündnis im klassischen Sinne, mit ihrer Ausweitung und Militarisierung seit den neunziger Jahren kennt aber auch die EU eine so genannte Solidaritätsklausel. So heißt es in Art. 42 Abs. 7 des Vertrages von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat:

Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.

Und ergänzend heißt es in Artikel 222 Abs. 1:

Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um

a) - terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden;
- die demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung vor etwaigen Terroranschlägen zu schützen;
- im Falle eines Terroranschlags einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen;

b) im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen.

Damit kennt die EU schärfere Beistandsverpflichtungen als die NATO, die in Art. 5 des Nordatlantikvertrages nur Konsultationspflichten verbindlich vorschreibt. Im Gegensatz zur NATO besitzt die EU aber keine integrierte Streitkräftestruktur.

Trotz der finnischen Neutralitätspolitik ist das Land auch im Umfeld der NATO aktiv. So beteiligt sich das Land seit 1994 am NATO-Programm "Partnership for Peace" (PfP) bzw. "rauhankumppanuus", an dem derzeit 22 Nicht-NATO-Staaten teilnehmen. Für die spezifischen Interessen und Bedürfnisse Finnlands wurde mittlerweile ein Individual Partnership Cooperation Programme (IPCP) aufgelegt, das inzwischen 57 Einzelbereiche umfasst. Seit 1995 nimmt das Land am PfP Planning and Review Process (PARP) teil, um langfristig zu erreichen, dass durch entsprechende Änderungen der Rüstungsplanung die Interoperabilität der finnischen mit den NATO-Streitkräften hergestellt wird. In diesem Zusammenhang wirkt Finnland mit an den Programmen zur ABC-Abwehr, Cyberdefence, Hafenschutz, strategischen Lufttransport, Luftbetankung, Zivilverteidigung, etc.

Auf dem NATO-Gipfel im walisischen Newport wurde im September 2014 ein Enhanced Opportunity Programme (EOP) für eine noch engere Militärkooperation aufgelegt, an dem nur fünf Staaten teilnehmen dürfen: Finnland, Schweden, Georgien, Jordanien und Australien. Worum es sich dabei konkret handelt, wurde nicht bekannt.

Im Rahmen der am 4. November 2009 gegründeten Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO) arbeitet Finnland mit Norwegen, Dänemark und Schweden auf den Gebieten Waffenentwicklung, Ausbildung und gemeinsame Operationen zusammen. Allerdings kam man im Mai 2013 in einer Zwischenbilanz zu dem Ergebnis, dass man die vereinbarten Ziele nicht erreicht hat.

Auch auf dem Gebiet der militärischen Ausbildung kooperiert Finnland mit den NATO-Staaten. So nimmt es an verschiedenen Militärübungen der NATO (ARCTIC CHALLENGE, CMX, ICELAND AIR MEET, NORTHERN COAST, STEADFAST JAZZ, STEADFAST JUNCTURE,…) teil. Hinzu kommen die verschiedensten Ausbildungsmaßnahmen. Nahezu täglich führen die Luftwaffen Norwegens, Schwedens und Finnlands grenzüberschreitende Luftkampfübungen (Cross Border Training - CBT) durch.

Auch auf dem Gebiet der Seeüberwachung arbeiten Finnland und Schweden mit den NATO-Staaten Dänemark, Deutschland, Polen, Estland, Lettland und Litauen zusammen. Das Projekt läuft unter der Bezeichnung Sea Surveillance Cooperation Baltic Sea (SUCBAS)

Seit 2008 stellt Finnland ein Truppenkontingent der "Küstenjäger" für die NATO Response Force (NRF) ab. Seit 1996 beteiligt sich Finnland an Auslandseinsätzen, so z. B. in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Tschad und Afghanistan.

Seit 1997 ist Finnland Mitglied im "Euro-Atlantic Partnership Council" (EAPC) bzw. dem "Euroatlanttisen kumppanuusneuvoston". Dieses NATO-Konsultationsgremium wurde parallel zum Nordatlantikrat geschaffen, um innerhalb der NATO für die 22 Nicht-Mitgliedsstaaten einen Rahmen zu schaffen, um sich in sensitiven militärpolitischen Fragen abzustimmen.

Seit 2001 verhandelten die finnischen Streitkräfte mit der NATO über den Abschluss eines Host Nation Support Agreements (HNS). Am 4. September 2014 unterzeichneten die Oberbefehlshaber der finnischen Streitkräfte, der schwedischen Streitkräfte und der NATO-Oberbefehlshaber ein Memorandum of Understanding for Exercises, Operations and Disaster Relief Operations (MoU). Dessen Ziel ist der Abschluss eines Host Nation Support Agreement bis zum Jahr 2016. SACEUR General Phil Breedlove erklärte dazu: "This initiative will leave NATO and its Partners in a better situation for developing the Readiness Action Plan, and allow the development of intermediate and long-term assurance measures." Das Abkommen regelt die militärische und zivile Unterstützung von NATO-Streitkräften oder NATO-Stäben für den Fall, dass diese auf dem Territorium des Gastlandes zum Einsatz kommen sollen. In Friedenszeiten gilt dies z. B. für Militärmanöver oder die Katastrophenhilfe. Im Kriegsfall gestattet das Abkommen der NATO, dass das Territorium und die Infrastruktur beider Länder von der Allianz genutzt werden, wenn die Regierungen in Helsinki bzw. Stockholm dem zustimmen.

Finnland unterhält beim NATO-Hauptquartier in Brüssel ein Verbindungsbüro im "Manfred Wörner Building". Dieses umfasst gegenwärtig 19 Personen, die von der Botschafterin Pia Rantala-Engberg bzw. dem Generalmajor Markku Nikkilä geleitet werden. In Helsinki werden die laufenden Beziehungen zwischen der NATO und der finnischen Regierung z. Zt. noch über die bulgarische Botschaft abgewickelt.

Aktuelle NATO-Debatte in Finnland

Schon am 21. Dezember 2009 hieß es im finnischen Verteidigungsweißbuch: "Es gibt starke Argumente dafür, eine Mitgliedschaft Finnlands in der NATO zu erwägen." Dazu führte das Dokument weiter aus:

In line with the comprehensive approach, it is necessary to estimate whether it is possible to carry out the required tasks with national capabilities alone. Should the capabilities prove inadequate, during normal conditions it is necessary to guarantee the reception of military and other assistance needed in a crisis situation. This can be achieved through close international cooperation or through being allied with others.

Der noch amtierende Regierungschef Alexander Stubb von der konservativen "Nationalen Sammlungspartei" sprach sich 2014 ganz offen für eine NATO-Mitgliedschaft (finnisch: NATO-jäsenyys) aus (Nato-Mitgliedschaft für Finnland). Allerdings relativierte er seine Position am 26. März 2015 ein wenig: "Bei schlechten Wetter sollte Finnland nicht der NATO beitreten und jetzt gibt es schlechtes Wetter."

In seiner Neujahrsansprache zum 1. Januar 2015 erklärte Staatspräsident Sauli Niiniströ: "Es versteht sich von selbst, dass wir jederzeit der NATO beitreten können, wenn wir es wünschen." Im März 2015 erklärte der scheidende Regierungschef Stubb dazu: "Es sieht so aus, als ob sich alle acht Parteien einig sind, dass nach den Wahlen im April eine NATO-Mitgliedschaft nicht ausgeschlossen werden soll." So könnte man die offizielle Position der finnischen Regierung auf die Formel bringen, es gibt zwar keine amtlichen Vorbereitungen zu einem NATO-Beitritt, aber man behält sich alle Optionen offen.

Bei den Parlamentswahlen am 19. April 2015 wurde die bisherige konservative Regierung von Alexander Stubb abgewählt. Designierter Ministerpräsident ist der frühere IT-Unternehmer Juha Sipilä von der liberalen Zentrumspartei "Keskusta", die 21,1 Prozent der Stimmen errang. Zweitstärkste Kraft wurde die konservative Sammlungspartei "Kansallinen Kokoomus" (18,2%) vor der rechtspopulistischen Partei der Finnen (17,6%), die unter Führung von Timo Soini für ihre ablehnende Haltung gegenüber der EU bekannt ist, und den Sozialdemokraten (16,5%). Auf Grund der Stimmenverhältnisse werden in Finnland traditionell Mehr-Parteien-Koalitionen gebildet. Wie sich die neue Regierung zusammensetzen und welchen außenpolitischen Kurs sie einschlagen wird, bleibt abzuwarten.

Unter der Zivilbevölkerung ist ein NATO-Beitritt nach wie vor höchst unpopulär. Nach mehreren Umfragen würden höchstens 25 Prozent dies begrüßen. In einer "Gallup"-Umfrage vom Februar 2015 votierten 54 Prozent der Bevölkerung gegen eine NATO-Mitgliedschaft, die Ablehnung unter den damaligen Parlamentariern war mit 70 Prozent sogar noch größer. Anders sieht man dies innerhalb des Militärs: Im April 2014 votierten zwei Drittel der befragten Offiziere für einen NATO-Beitritt.

Die Einstellung der Bevölkerung zu einem NATO-Beitritt wird naturgemäß von ihrer Einschätzung der russischen Militärpolitik entscheidend geprägt: In einer Meinungsumfrage Anfang 2015 erklärte ein Drittel der Befragten, dass sie sich vor einer russischen Aggression fürchten, demgegenüber bezweifelten zwei Drittel, dass von Russland in absehbarer Zukunft eine echte Bedrohung für die Sicherheit Finnlands ausgehen könnte.

Derweil herrscht in Finnland Einigkeit darüber, sollte es eines Tages soweit kommen, müsste - anders als in anderen NATO-Staaten - die Bevölkerung in einem Referendum über einen möglichen NATO-Beitritt entscheiden. Entscheidet das Volk anders, als es die Regierung wünscht, müsste man ein paar Jahre warten, bis man das Referendum wiederholt.

So gibt es verschiedene "Push and Pull"-Faktoren, die den finnischen Entscheidungsfindungsprozess beeinflussen werden. Ein finnischer NATO-Beitritt hätte weitreichende Folgen, die man nicht unterschätzen sollte. Durch diesen Schritt würden sich die gemeinsamen Landgrenzen zwischen der NATO und Russland glatt verdoppeln.

Das finnische Militärpotential

In Finnland hält man bis heute an der Allgemeinen Wehrpflicht fest. Die Streitkräfte (Puolustusvoimat) verfügen - nach unterschiedlichen Angaben - nur über 16.000 bis 35.000 aktive Soldaten. Nur wenige Kompanien sind sofort einsatzbereit. Im Kriegsfall könnte Finnland heutzutage 230.000 Mann aufbieten.

Die finnische Regierung hat Anfang Mai 2015 sogar 900.000 Reservisten im Alter von 20 bis 60 Jahren angeschrieben, um sie über ihre Einsatzrolle in einer Krisensituation bzw. im Kriegsfall zu informieren. "Wir müssen mit Ihnen reden", teilte die Regierung ihren potentiellen Verteidigern mit. Ein Teil der infanteristischen Reserveeinheiten sollen im Kriegsfall in den Wald- und Sumpfgebieten mit ihren 60.000 Seen einen Guerillakrieg gegen die (russischen) Besatzungstruppen entfachen, dazu haben die Finnen die so genannte Sisscjä-Taktik entwickelt.

Die Landstreitkräfte sind gegliedert in drei Kommandos und zwölf Provinzen: West (Vaasa, Zentralfinnland, Uusimaa, Häme, Helsinki, Turku und Pori), Nord (Lappland und Oulu) und Ost (Kuopio, Nordkarelien, Mikkeli und Kymi). Das Heer ersetzte die sowjetischen Kampfpanzer T-72 durch 230 deutsche Krauss-Maffei Wegmann Leopard 2A4. Hinzu kommen über 1.200 Panzerfahrzeuge, darunter der Radpanzer Sisu PASI. Derzeit werden deutsche Hubschrauber vom Typ NH-90 beschafft.

Die Luftwaffe besteht aus drei Kampfstaffeln mit 64 Mehrzweckkampflugzeugen McDonnell Douglas F-18C/D HORNET: Hävittäjälentoaivue 11 (Rovaniemi), Hävittäjälentoaivue 12 (Tampere-Prikkala) und Hävittäjälentoaivue 13 (Kuopio-Rissala). Hinzu kommt eine Ausbildungsstaffel mit fünfzehn BAE Hawks Mk51 und verschiedenen Flugzeugtypen. Die kleine Marine verfügt nur über acht Flugkörperschnellboote, zwei Patrouillenboote, mehrere Minenleger bzw. Minenräumer und ein paar Transport- und Hilfsschiffe.

Seit 1990 hat sich der Streitkräfteetat halbiert. Noch Anfang 2004 plante die finnische Regierung eine weitere Reduzierung der Militärausgaben, davon ist nun nicht mehr die Rede. Im Gegenteil: Der Militärhaushalt soll zukünftig trotz der andauernden Wirtschaftskrise noch erhöht werden. Diese Trendwende wird nach einer "Gallup"-Umfrage vom Februar 2015 immerhin von 59 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Hier muss angemerkt werden, dass angesichts des Kostendrucks eine Mitgliedschaft in der NATO die fiskalpolitisch billigere Lösung wäre.

Zur Allianzfreiheit gehört auch, dass man die Waffensysteme seiner Streitkräfte zum großen Teil selbst produziert, um nicht von ausländischen Ersatzteillieferungen abhängig zu werden. Aber weder Finnland noch Schweden kann auf Dauer das ganzes Waffenspektrum selbst entwickeln und dann auch in oft nur geringer Stückzahl produzieren: Gewehre, Kampfpanzer, Schützenpanzer, Kanonen, Haubitzen, Raketen, Kampfflugzeuge, Transportflugzeuge, Hubschrauber, Fregatten, Korvetten, Patrouillenboote, etc.

Militärische Zwischenfälle zwischen finnischen und russischen Streitkräften

Während an der Landgrenze bisher alles ruhig blieb, gab es verschiedene Zwischenfälle mit russischen Militärflugzeugen. Mehrfach drangen diese in den finnischen Luftraum bzw. dessen nationaler Air Defence Identification Zone (ADIZ), wie es im Militärjargon heißt, ein. Es handelte sich um (Nuklear-)Bomber, deren Aufklärungsvarianten oder spezielle SIGINT-Aufklärungsflugzeuge Solche Zwischenfälle hatte es schon in der Vergangenheit immer mal wieder gegeben, schließlich ist der Luftraum über der Ostsee sehr "eng", allerdings kam es in den letzten Monaten zu einer bedenklichen Häufung der Vorfälle:

  1. Am 21. Mai 2014 drangen russische Kampfjets in den finnischen Luftraum ein.
  2. Im August 2014 drangen russische Kampfflugzeuge gleich dreimal innerhalb einer Woche in den finnischen Luftraum ein. Bei dem Zwischenfall am 28. August erklärte der russische Pilot, er würde eine zivile "Aeroflot"-Passagiermaschine und keine Militärmaschine fliegen. Die finnischen Militärbehörden stellten ihre Ermittlungen zu dem Vorfall angeblich ein, "weil der Grenzverletzer nicht verhört werden kann", wie es von offizieller Seite hieß.
  3. Zwischen dem 28. und dem 30. Oktober 2014 fand eine russische Luftwaffenübung statt. Zur Überwachung der Operationen starteten finnische und schwedische Abfangjäger.
  4. Am 6. und 7. Dezember 2014 flog eine Formation aus rund einem Dutzend Kampfflugzeugen von Kaliningrad einen Rundkurs über der Ostsee. Daraufhin starteten finnische und schwedische Abfangjäger.
  5. Auch zur See kam es wiederholt zu maritimen Vorfällen. Am 2. August 2014 und am 2. September 2014 sollen Kriegsschiffe der Baltischen Flotte Russlands finnische Forschungsschiffe bedrängt haben.
  6. Am 27. und 28. April 2015 ortete die Marine ein unbekanntes Objekt in den Gewässern vor Helsinki. Drei Mini-Wasserbomben wurden vergeblich eingesetzt, um das mutmaßliche U-Boot zum Auftauchen zu zwingen. Verteidigungsminister Carl Haglund erklärte: "Wir haben den starken Verdacht, dass Unterwasseraktivitäten stattgefunden haben, die da nicht hin gehören. Es ist immer ernst, wenn in unsere Hoheitsgebiete eingedrungen wird." Vermutlich handelte es sich um ein russisches U-Boot, aber auch eine Deception-Operation der NATO-Geheimdienste kann nicht per se ausgeschlossen werden.

Durch die Beteiligung der Bundesluftwaffe an der Luftraumüberwachung im Baltikum könnten bald auch deutsche Jagdflugzeuge in einen Luftzwischenfall verwickelt werden. Bereits am 15. September 2009 mussten zwei Eurofighter vom Jagdgeschwader 74 aus dem bayerischen Neuburg einen russischen SIGINT-Aufklärer Beriew A-50 MAINSTAY AEW&C abfangen. Um dies zu verhindern, rasten zwei russische Jagdflugzeuge vom Typ Suchoi SU-27 FLANKER heran. Für die deutschen Piloten war dies eine eher ungewöhnliche Situation, daher kamen ihnen zwei finnische Jets McDonnell Douglas F-18C/D HORNET zur Hilfe. Die A-50 MAINSTAY sind normalerweise in Iwanowo bei Moskau stationiert.

Am 10. November 2014 veröffentlichte das European Leadership Network (ELN) in London erstmals einen Bericht, in dem das Netzwerk ehemaliger Politiker sich besorgt über die zunehmende Zahl von Luftzwischenfällen weltweit äußerte. Die mittlerweile 66 Vorfälle im Zeitraum vom März 2014 bis März 2015 bergen ein hohes Unfallrisiko und eine militärische Eskalationsgefahr. Allein im Jahr 2014 führte die NATO über der Ostsee 3.000 Aufklärungsflüge durch, die russische Luftwaffe und Marineflieger kamen im Vergleich dazu "nur" auf 200 Flüge. Allein 2014 starteten NATO-Jets über hundertmal, um russische Militärflugzeuge abzufangen.

Parallel zu den verstärkten Spionageaktivitäten weitet die russische Regierung ihre Diversion gegen Finnland offensichtlich aus. So berichtete der "Spiegel" im März 2015:

Privatleute und Unternehmen aus Russland kaufen seit längerer Zeit in großem Stil Ländereien in der Nähe von Militärflughäfen, Munitionsdepots, Hochspannungsleitungen oder Sendeanlangen auf. Im Schärengebiet vor der Hafenstadt Turku im Südwesten etwa erwarb ein finnisches Unternehmen mit russischen Eignern systematisch Ufergrundstücke. Ihre Lage ermöglicht nach Befürchtung von finnischen Sicherheitsexperten die Überwachung von fünf Schiffsrouten zu den Häfen Turku und Naantali, die im Krisenfall für Verteidigung und Versorgung wichtig sein könnten.

Wenn man verhindern möchte, dass sich ein Nachbarland einem gegnerischen Militärbündnis anschließt, dann sollte man logischerweise auf jegliche Provokation verzichten. Daher muss das aggressive Gehabe der russischen Fliegerkräfte schon überraschen. Offensichtlich schafft sich Präsident Wladimir Putin seine Gegner selbst.

Über die Gründe für das forsche Verhalten der Russen ist man sich in Finnland nicht ganz klar. Während die einen vermuten, es handele sich bei diesen Provokationen eher um eine politische Aktion, um Druck auf Finnland auszuüben, vermuten Pessimisten, dass diese Zwischenfälle zugleich der Ausforschung des finnischen Militärpotentials (Standorte, Frequenzen, Rufnamen, Reaktionszeiten, Einsatzprofile) dienen, um die russische Kriegsplanung zu aktualisieren. Jedenfalls zeigen die wiederholten Zwischenfälle, dass es sich bei der "russischen Bedrohung" nicht nur um ein rein akademisches Problem handelt.

Demgegenüber ist die finnische Regierung bemüht, die russische Regierung nicht zu provozieren: Bei einem NATO-Militärmanöver Anfang 2015 weigerte sich die finnische Luftwaffe den Fliegerhorst Ämari in Estland zu benutzen, stattdessen starteten die Flugzeuge ausschließlich von finnischen oder schwedischen Basen.

Schweden - Widersprüchliche Neutralitätspolitik

Schweden (Eigenname: Sverige) ist ein friedliebendes Land mit gerade mal 9 Millionen Einwohnern. Den letzten Krieg führten die Schweden vor über zweihundert Jahren gegen Napoleon Bonaparte, indem sie sich an der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 beteiligten. Danach gab das Königreich seine Großmachtpolitik auf und verfolgt stattdessen eine Neutralitätspolitik der Allianzfreiheit in Friedenszeiten und der Neutralität in Kriegszeiten. Dies zeigte sich erstmals beim Krimkrieg 1855. Während des Zweiten Weltkrieges bewahrte die strikte Neutralitätspolitik - trotz der Sympathien der Schweden für Deutschland - das Land vor einer aktiven Beteiligung. Als eines der wenigen Ländern in Europa überstand Schweden diese Kriege ohne flächendeckende Verwüstungen.

Allerdings war die amtliche Neutralitätspolitik nie in der Verfassung staatsrechtlich verankert. Außerdem ist die schwedische Außenpolitik höchst widersprüchlich. Auf der einen Seite hält man im Kern an der traditionellen Neutralitätspolitik fest, auf der anderen Seite unterhält man - bereits seit Jahrzehnten - engste Verbindungen zur EU und zur NATO, die es dem Land schwierig machen würden, sich im Konfliktfall glaubwürdig auf eine Neutralität zu berufen. Die vermeintliche "Neutralität" ist längst zu einem Paradoxon, bestenfalls zu einer Chimäre verkommen, ohne dass dies im Bewusstsein der schwedischen Zivilbevölkerung schon verankert wäre. Stattdessen ist für die Schweden ihre Neutralitätspolitik immer noch ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Identität und der Staatsräson und eine außenpolitische Maxime.

Schon einmal, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, stand die Neutralitätspolitik zu Disposition. Damals diskutierte die Classe Politique in Stockholm drei Optionen: Beibehaltung der bisherigen Allianzfreiheit, Beitritt zu der in Gründung befindlichen NATO oder Aufbau einer Skandinavischen Verteidigungsallianz. Da letztere als reines Verteidigungsbündnis angedacht war, sah man in der Gründung eines solchen Bündnisses keinen Verstoß gegen die eigene Neutralitätspolitik. Mit dem Beitritt Norwegens und Dänemarks zur NATO am 4. April 1949 scheiterte die schwedische Initiative und dem Land blieb letztendlich nur die Option, seine bisherige Neutralitätspolitik fortzusetzen.

Den Beitritt zur UNO im Jahr 1946 hielten die Schweden für unproblematisch, da durch das Patt im UN-Sicherheitsrat gewährleistet schien, dass Schweden nie gegen seinen Willen in einen bewaffneten Konflikt hineingezogen werden könnte.

Hingegen hielt man eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union lange Zeit für nicht vereinbar mit der eigenen Neutralitätspolitik. Dies änderte sich erst mit dem Ende des Kalten Krieges. Am 13. November 1994 stimmte eine knappe Mehrheit von 52,2 Prozent der Schweden in einem Volksreferendum für den EU-Beitritt, 46,9 Prozent waren dagegen. Im Jahr 1995 trat Schweden der EU bei und beteiligt sich seitdem an der gemeinsamen Sicherheitspolitik. Im Jahr 2004 sprachen sich 56 Prozent der Schweden für die gemeinsame Verteidigungspolitik im EU-Rahmen aus.

Im Rahmen der so genannten "Ostseezusammenarbeit" ist Schweden auf verschiedenen Gebieten der "weichen Sicherheitspolitik" aktiv. Im Rahmen der Rüstungsforschung beteiligt es sich an der European Defence Agency (EDA). Außerdem beteiligte sich Schweden wiederholt bei Krisenbewältigungseinsätzen (schwedisch: krishanteringsinsatser) in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Libyen, Somalia und Afghanistan. Dazu bildete man zeitweise - zusammen mit Norwegen und Finnland - eine gemeinsame "Nordic Battle Group". In diesem Jahr übernimmt Schweden wieder die NBG-Führungsrolle. Rund 2.000 Soldaten stellt Schweden gemeinhin für out-of-area-Einsätze ab.

Trotz der zur Schau getragenen Neutralitätspolitik galt das Land bereits zur Zeit des Kalten Krieges klammheimlich als ein "passives NATO-Mitglied". Ministerpräsident Ingvar Carlsson erklärte dazu 1988: "Bei der Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur verhält sich Schweden nicht neutral." Die Details dieser delikaten Beziehung werden bis heute geheim gehalten. So soll es eine Zusammenarbeit auf den Gebieten der Luftverteidigung und der U-Boot-Bekämpfung gegeben haben. NATO-Kampfflugzeuge hätten bzw. haben im Kriegsfall Landerechte auf schwedischen Notlandeplätzen. Nicht zuletzt unterhielt die schwedische Regierung außer ihrem unterirdischen Hauptquartier in Stockholm (dem Bunker "Klara skyddsrum") für den Kriegsfall noch einen Ausweichgefechtsstand im Vereinigten Königreich!

Noch arbeitet die schwedischen Försvarets Radioanstalt (FRA) auf dem Gebiet der Signal Intelligence mit der amerikanischen National Security Agency (Operation NAPA-3, Operation WINTERLIGHT) und dem britischen Government Communications Headquarters (Operation SARDINE) zusammen.

Tomas Ries, Dozent an der Fakultät für Sicherheit, Taktik und Führungsverhalten der schwedischen Verteidigungsakademie, beschrieb dieses ambivalente Verhalten so:

Wenn wir uns die Zeit des Kalten Kriegs anschauen, dann sehen wir, dass Schweden schon immer ein Partner der NATO war, auch wenn sie diese Zusammenarbeit nicht an die große Glocke gehängt haben. Wenn ein Krieg ausbrechen würde, stünde Schweden eindeutig auf der Seite der NATO. In den Augen Russlands kann man Schweden nicht trauen, weil es auf der Seite des größten Feindes stünde, wenn es zum Ausbruch eines Krieges käme. So sieht Russland Schweden aktuell.

Auch Schweden beteiligt sich seit 1994 am NATO-Programm "Partnership for Peace" (PfP) bzw. bzw. "Partnerskap för fred" (PFF). Für die spezifischen Interessen und Bedürfnisse Schwedens wurde mittlerweile ein Individual Partnership Cooperation Programme (IPCP) aufgelegt. Seit 1995 nimmt es teil am PfP Planning and Review Process (PARP), um rüstungstechnisch die Interoperabilität seiner Truppen mit der NATO sicher zu stellen.

Auch auf dem Gebiet der Ausbildung kooperiert Schweden mit der NATO. So beteiligt sich das Land an mehreren NATO-Manöver (ARCTIC CHALLENGE, BRILLIANT MARINER, ICELAND AIR MEET, NORTHERN COASTS, STEADFAST JAZZ, WINTER SUN, etc.). Die Militärführung lässt ihre Hubschrauberpiloten an der Heeresfliegerwaffenschule der Bundeswehr in Bückeburg (Niedersachsen) ausbilden. Außerdem beteiligen sich die Luftstreitkräfte am Luftwaffen-Trainingsprogramm Baltic Region Training Event (BRTE), das durch das NATO Air Commando in Ramstein geleitet wird, teil. In der schwedischen Luftwaffe wurde Englisch bereits zur zweiten Umgangssprache. Nicht zuletzt kooperiert Schweden im Rahmen der Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO) mit Norwegen, Dänemark und Finnland.

Schweden beteiligt sich seit 2010 offiziell an der NATO Response Force. Im Jahr 2014 stellte Schweden dazu erstmals ein Truppenkontingent ab. Da Schweden über keine strategischen Transportflugzeuge verfügt, beteiligt es sich außerdem an der "NATO Strategic Airlift Capability": Zusammen mit elf weiteren Nationen kann Schweden so im Bedarfsfall - z. B. bei Auslandseinsätzen - über drei Großraumtransportflugzeuge vom Typ Boeing C-17 GLOBEMASTER verfügen, die auf dem Fliegerhorst Papá in Ungarn stationiert sind.

Bereits seit 1997 ist Schweden Mitglied im "Euro-Atlantic Partnership Council" (EAPC) bzw. dem "Euroatlantiska partnerskapsrådet" der NATO. Die Kommunikationsverbindungen zwischen der NATO und den militärpolitischen Führungszentren der schwedischen Streitkräfte wurden ausgebaut. Sie werden im Rahmen der VIKING-Übungen für (zivile) Notfallplanung und Katastrophenfälle (schwedisch: civil beredskapsplanering och katastrofinsatser) getestet. Parallel zu Finnland entschied sich auch die schwedische Regierung im Jahr 2014 dazu, mit der NATO Verhandlungen über ein Host Nation Support Agreement (schwedisch: värdlandsstöd) aufzunehmen.

Zur Verstärkung seiner Luftraumüberwachung forderte die schwedische Regierung erstmals die NATO an: Seit Mai 2014 darf die NATO Early Warning Force aus Geilenkirchen (BRD) mit ihrem Boeing E-3A SENTRY AWACS-Flugzeugen alle zwei Tage im schwedischen Luftraum patrouillieren. Ob diese Operation noch anhält, ist hier nicht bekannt.

Die Bundeswehr erprobt im Rahmen der NATO Response Force bereits Einsätze zur Unterstützung der schwedischen Landesverteidigung. So veranstaltete das deutsch-niederländische Korps in Münster vom 8. bis 24. September 2014 das gemischte Manöver NOBLE LEDGER 2014 (NOLR 14): Während auf dem Truppenübungsplatz im bayerischen Wildflecken eine Kommandostabsübung stattfand, wurde parallel dazu im Raum Elverum (Norwegen) eine Feldübung mit 4.500 Soldaten und 1.700 Militärfahrzeugen abgehalten. Beteiligt waren norwegische, dänische, deutsche, niederländische und amerikanische Truppeneinheiten. Zum Einsatz kam u. a. das Panzergrenadierbataillon 371 aus dem sächsischen Marienberg. Zum wahren Zweck des Manövers gab die Bundeswehr folgendes bekannt:

Stattgefunden hat die Übung eigentlich im Gebiet von Schweden - zumindest gedanklich. Denn der fiktive Staat Arnland - Hintergrund für die Übung - befand sich geografisch im Süden Schwedens. Der Grund für die - ebenfalls erdachte - Mission "NIMA" war die illegale Unabhängigkeitserklärung der Provinz Kalmar im Mai dieses Jahres. (...) Dank der 45 erfahrenen Rollenspieler konnten die Teilnehmer tief in das Szenario eintauchen.

Das Bundeswehrmanöver machte durch einen besonderen Vorfall öffentlich Schlagzeilen: Weil bei einem Radpanzer BOXER das Kanonenrohr fehlte, wurde dieses kurzerhand durch einen schwarz gestrichenen Besenstiel ersetzt. Ein Viertel der benötigten Nachtsichtgeräte fehlte, außerdem wurde ein Mangel an Strickmützen festgestellt. So war das Manöver zur Verteidigung Schwedens zugleich ein Musterbeispiel für die mangelnde Gefechtsbereitschaft und Bündnisfähigkeit der Bundeswehr, sollte Schweden eines Tages tatsächlich NATO-Partner sein. Da Schweden durch die Ostsee von den übrigen NATO-Staaten (außer Norwegen) abgespalten ist, wären die Möglichkeiten seiner (Bündnis-)Verteidigung ohnehin begrenzt. Zum Einsatz kämen in erster Linie Fallschirmjäger und Marineinfanterie, Luftwaffenkontingente und Marineeinheiten der Partnerländer Dänemark, BRD, Polen sowie des Vereinigten Königreichs und der USA.

Weitere NATO-Lagen zur Verteidigung Estlands, Finnlands und Schwedens werden seit 2010 im Rahmen der Übungsszenarios SKOLKAN vom Joint Warfare Centre (JWC) in Stavanger (Norwegen) entwickelt. Hinter dem fiktiven Aggressorstaat "Bothnia" verbirgt sich offensichtlich Russland.

Das schwedische Verbindungsbüro bei der NATO im "Manfred Wörner Building" in Brüssel umfasst z. Zt. 19 Personen, die von Botschafter Håkan Malmqvist bzw. Konteradmiral Odd Werin geleitet werden.

Von außen betrachtet besteht offensichtlich ein Widerspruch zwischen der offiziellen Neutralitätspolitik einerseits und der Partizipation im Rahmen der EU und der NATO andererseits. In Schweden selbst wird dieser Spagat einfach weggeleugnet. So erklärte die Regierung in Stockholm 2004: "Schweden ist militärisch bündnisfrei. Diese Politik hat sich bewährt und wird sich weiterhin bewähren. Gleichzeitig wollen wir uns aktiv für die Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einsetzen. Das ist kein Widerspruch."

Von der langsamen Abkehr der Neutralitätspolitik zur NATO-Mitgliedschaft?

Während früher die Neutralitätspolitik Schweden vor der Verwicklung in fremde Kriege bewahrte, stellt sich immer mehr heraus, dass sich das Land durch diese Neutralitätspolitik selbst isoliert und marginalisiert. Trotz seiner aktiven Beteiligung an UN-Blauhelmeinsätzen hat das Land wenig Einfluss auf die internationale Sicherheitspolitik. Dies gilt sogar für seine unmittelbare Nachbarschaft, schließlich ist die Ostsee durch die NATO-Beitritte Polens und des Baltikums schon fast zu einem NATO-Binnenmeer geworden. Ist es realistisch, dass sich Schweden aus einem bewaffneten Konflikt zwischen Norwegen und Russland um die Grenzziehung in der Arktis einfach heraushalten könnte? Die alte Formel "Neutralität = Frieden" funktioniert nicht mehr und könnte sich sogar in ihr Gegenteil verkehren: "Neutralität = Isolation = erhöhte Kriegsgefahr".

Mit dem Ende des Kalten Krieges zeichnete sich eine langsame Abkehr von der traditionellen Neutralitätspolitik ab. So sagte der damalige Außenminister Sten Anderson am 17. Februar 1991:

Die Neutralitätspolitik - unterstützt durch eine starke und allseitige Totalverteidigung - war und ist nach wie vor das vorrangigste Mittel, um unseren Frieden und unsere Sicherheit zu gewährleisten. Aber was mit der Neutralitätspolitik vereinbar ist, bestimmen wir selbst. Wenn sich die Umwelt verändert, verändern sich auch die Voraussetzungen für unsere Außenpolitik in Friedenszeiten.

Im Jahr 2001 wurde man dann schon konkreter, blieb aber immer noch vorsichtig. So bekannte die Regierung in ihrem "Swedish Defence Commission Report" angesichts der zunehmenden Interdependenzen in der internationalen Politik noch vorsichtig:

Die Globalisierung und Internationalisierung führt mit sich, dass die Sicherheit in vergrößertem Umfang unteilbar ist und deshalb in der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Organisationen gesucht werden muss. Als Teil von Europa muss Schwedens Sicherheit durch eine breite europäische Zusammenarbeit gesichert werden, die auf einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme aufbaut.

Im Jahr 2009 gab die schwedische Regierung dann eine Solidaritätserklärung (solidaritetsförklaringen) ab, in der sie schon deutlicher ihre internationalen Verpflichtungen betonte. So berichtete Anders Fridén von der Yale University:

The proclamation concluded that Sweden’s security depended on that of its neighbors, that Sweden "is a country that builds security with others," that it relies on others for assistance, and that it would not and could not "remain passive if a catastrophe or an attack would occur in a EU member-state or a Nordic country." The proclamation noted that "an option of neutrality is impossible" in the case of a conflict in or against the European Union, Norway, or Iceland. It stated, "the Government expects these countries to act in the same fashion, if a catastrophe or attack takes place in or against Sweden. Sweden should have the ability to give and receive military aid.

Allerdings ist die amtierende rot-grüne Minderheitsregierung (zusammen nur 39 Prozent) noch immer gegen eine NATO-Mitgliedschaft (schwedisch: NATO-medlemskap). Dies machte der amtierende Ministerpräsident Stefan Löfven gleich bei seinem Amtsantritt am 3. Oktober 2014 klar.

In einem Interview mit der "FAZ" erklärte Löfven im Februar 2015, er lehne einen NATO-Beitritt ab, "weil wir nicht glauben, dass ein solcher Schritt zum Fundament unserer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik passt. Diese hat drei Säulen: Eine sichere Umgebung um uns herum. Die Wahrung unserer Integrität und Flexibilität, um selbst zu entscheiden, was das Beste für uns in einer ernsten Situation ist. Außerdem wollen wir zu einer sicheren Welt beitragen. Zu diesen drei Säulen passt es am besten, wenn wir außerhalb der Nato bleiben. Aber natürlich kooperieren wir und werden es auch weiter tun."

Demgegenüber fordert die Oppositionsführerin im schwedischen Reichstag, Kinberg Batra vom Parteienbündnis "Allianz", eine öffentliche Debatte zu dieser Frage. Zum derzeitigen Stand der Diskussion erklärte die sozialdemokratische Außenministerin im Januar 2015 im Reichstag: "Ich denke, wir müssen unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen und uns darüber einigen, dass wir eben nicht einig sind in der NATO-Frage. Lasst uns also diese Debatte in guter schwedischer Tradition fortsetzten."

Nach Jahrhunderten strikter Neutralität wird die Bevölkerung nun sukzessive an einen möglichen NATO-Beitritt gewöhnt. Dieser Prozess benötigt weitere Zeit und die Regierung treibt nicht zur Eile. Schon der Beginn einer dauerhaften Debatte über einen möglichen NATO-Beitritt wird von den Befürwortern als ein erster Erfolg angesehen, da bereits damit die traditionelle Neutralitätspolitik in Frage gestellt ist. Da es in der Frage NATO-Mitgliedschaft nur ein "Ja" oder ein "Nein", aber keine Kompromissmöglichkeit gibt, wird diese Debatte die Gesellschaft in den kommenden Jahren noch tief spalten.

Noch im März 2014 votierte nur ein Drittel der Schweden für einen NATO-Beitritt, und noch im Oktober 2014 waren es 37 Prozent. Dies könnte sich langsam zu ändern: Anfang 2015 stimmten in einer Meinungsumfrage zum ersten Mal mehr Schweden für eine Mitgliedschaft in der NATO als dagegen: 48 zu 35 Prozent. Allerdings kam eine weitere Umfrage der Zeitung "Dagens Nyheter" zur gleichen Zeit zu einem völlig anderen Ergebnis: Hier sprachen sich wieder nur 33 Prozent der Befragten für eine NATO-Mitgliedschaft aus.

Wie in Finnland so sind auch in Schweden die Militärs gegenüber einem NATO-Beitritt deutlich positiver eingestellt als die Zivilbevölkerung. Schon im Dezember 2012, also lange vor der Ukraine-Krise, forderte der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte (Överbefälhavaren - ÖB) Generalmajor Sverker John Olof Göranson einen NATO-Beitritt:

Wir waren niemals so stark gerüstet, dass wir der Sowjetunion oder Russland selbständig Widerstand leisten könnten. Wir brauchen in jedem Fall Hilfe von außen - durch die NATO oder die USA. Aber unsere Politiker lassen eine Militarisierung der Gesellschaft nicht zu, mit der wir die Bedrohung aus dem Osten mit eigenen Kräften abwehren könnten.

Befürworter eines NATO-Beitritts argumentieren, die Neutralitätspolitik könne nicht länger fortgesetzt werden, da es eine zunehmende Diskrepanz gäbe zwischen den militärischen Aufgaben, die die schwedische Verteidigung wahrnehmen sollte, und den Mitteln, die ihr dazu zur Verfügung stünden. Darüber hinaus sei Schwedens ambivalentes Verhältnis zur NATO zu einer bloßen Bürde geworden, denn im Krisenfall werde das Land als Teil des Westens angesehen, es genieße aber nicht den Schutz eines NATO-Mitglieds. Das Verhältnis zur Allianz müsse deshalb umfassend überarbeitet werden. Demgegenüber stören sich die NATO-Gegner insbesondere an der US-Vormachtstellung innerhalb der transatlantischen Allianz.

Das restliche Militärpotential Schwedens

Zur Zeit des Kalten Krieges verfügten die schwedischen Streitkräfte im Kriegsfall über eine Mobilmachungs-Gesamtstärke von 730.000 Mann. Seit 1990 haben die schwedischen Streitkräfte eine umfassende Abrüstung durchgeführt. 77 Heeresbataillone und 220 Kampfflugzeuge schaffte man ab. Am 1. Juli 2010 gab man die Allgemeine Wehrpflicht auf und reduzierte die Truppe auf ein Minimum. Zur Zeit verfügen die Streitkräfte noch über 33.900 aktive Soldaten. Dies führte dazu, dass die Einheiten der Luftverteidigung und des Küstenschutzes kaum noch einsatzfähig sind. Nun wird über eine Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht nachgedacht.

Im Dezember 2012 erschreckte Generalmajor Göranson seine Mitbürger mit dem Eingeständnis, im Ernstfall könnte die Armee das Land nur für zwei Tage bis eine Woche und nur räumlich begrenzt verteidigen. Sollte der Militärhaushalt nicht erhöht werden, müsste eine der drei Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe oder Marine komplett abgeschafft werden.

Daraufhin drohte die Staatsanwaltschaft damit, gegen Göranson wegen Landesverrats ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die "Verteidigungsfähigkeit" Schwedens sei eine brisante Information, die der General nicht hätte preisgeben dürfen. Allerdings bestätigte die Königliche Kriegsakademie im Februar 2013 die Ausführungen des Generals: "We think the military does not have a credible ability to defend all of Sweden. (...) In the event of a possible attack against Sweden, we would always need help from abroad. (...) We think that the authorities should rapidly study the conditions and possibilities of obtaining such assistance." Defizite gäbe es insbesondere bei der Personalstärke, der Luftverteidigung, der Panzerabwehr, der Logistik und dem Flugzeugbestand.

Das Heer mit seinen 10.200 Soldaten gliedert sich in sechs Nominalregimentern, die allerdings nur Bataillonsstärke haben: Führungsregiment (C2), Garde-, Husaren- Artillerie-, Pionier- und Logistikregiment. Im Falle einer Generalmobilmachung sollen drei Panzerregimenter, acht mechanisierte Infanteriebataillone, ein Aufklärungsregiment, zwei Artilleriebataillone, ein Flugabwehrbataillon, drei Pionierbataillone und vier Logistikbataillone ausgehoben werden. Hinzu kommen 80 Bataillone mit den Reservisten der Heimatverteidigung. Zur Waffenausstattung gehören 160 Kampfpanzer Leopard 2A4 (schwedische Bezeichnung: Strv-121), 120 Kampfpanzer Leopard 2S ("Strv-122"), 485 Schützenpanzer Strv 9040, 796 Mannschaftstransportpanzer verschiedener Typen und 50 Artillerieselbstfahrlafetten FH-77B.

Die Luftwaffe verfügt über 184 Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ Saab E-39A/B/C/D Gripen JAS. Die Gripen sind auf vier Staffeln verteilt: 171. und 172. Kampfstaffel in Ronneby, sowie die 211. und 212. Kampfstaffel in Luleå. Hinzu kommen zwei SIGINT-Aufklärungsflugzeuge vom Typ Gulfstream Aerospace S 102B Korpen bei der 73. Flugstaffel in Såtenäs, drei Luftraumüberwachungsflugzeuge Saab 340 Argus bei der 212. Staffel in Luleå, acht Transportmaschinen C-130 Hercules und mehrere Hubschrauber, darunter vier deutsche NH90.

Die Marine besteht aus der 3. und 4. Flottille in Karlskrona bzw. Berga, der 1. U-Boot-Flottille in Karlskrona und dem Amphibischen Regiment in Berga. Zum Schiffsbestand gehören u. a. acht Korvetten, fünf U-Boote, acht Minenräumboote und verschiedene Hilfs-, Wachboote und Spezialboote.

Im Jahr 2012 betrug der Militäretat rund 40 Milliarden SEK, das entsprach rund 4,3 Milliarden Euro. Im April 2014 beschloss die schwedische Regierung, zukünftig den Militärhaushalt zu erhöhen. Die Rede war zunächst von einem Anstieg um 3 Prozent. Dann kündigte die Regierung im März 2015 eine saftige Erhöhung um 665 Millionen Euro an. Dies freut sicherlich die schwedischen Rüstungskonzerne: Bofors, Kockum, Saab Aerospace, etc.. Man plant die Zahl der Kampfflugzeuge Saab E-39 Gripen JAS um bis zu siebzig Exemplare zu ergänzen, außerdem sollen fünf neue U-Boote beschafft werden und die Militärpräsenz auf der Insel Gotland ausgebaut werden.

Die NATO-Apologeten versprechen z. T. zu Recht, dass ein Beitritt eine billigere Alternative gegenüber verstärkten Rüstungsanstrengungen wäre. So behauptet Anders Fridén, der gegenwärtig an der amerikanischen Yale-Universität arbeitet:

If Sweden chooses not to construct a credible defense on its own, yet wants to maintain a military that can assert territorial integrity, the only other viable option is to join NATO. With NATO membership, Sweden would immediately be assigned a role within the alliance, and be allowed to focus on investing in the military capabilities that are necessary for the alliance as a whole. In a time of technologically advanced and exceedingly expensive military forces, pooling resources and assigning allied states specific responsibilities allows countries to access greater capability beyond their budgetary constraints.

Militärische Zwischenfälle in und um Schweden

Angesichts der Schwäche der schwedischen Landesverteidigung kann es nicht überraschen, dass es bereits mehrfach zu mehr oder weniger ernsten Zwischenfällen mit den russischen Streitkräften zu Wasser und in der Luft gekommen ist. Die Luftzwischenfälle werden als "Kränkningar" bezeichnet:

Am Karfreitag, den 29. März 2013, führte die russische Luftwaffe eine Übung über der Ostsee durch. Zwei russische nukleare Mittelstreckenbomber Tupolew Tu-22M3 BACKFIRE-C, die von vier Jagdflugzeugen Suchoi Su-27 FLANKER flankiert wurden, drangen mehrfach über der strategisch wichtigen Insel Gotska-Sandön in den schwedischen Luftraum ein. So flogen - so vermuten schwedische Militärs - einen Scheinangriff auf die Landeshauptstadt Stockholm.

Trotz des Alarms war die schwedische Luftverteidigung nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Abfangjäger zu einer Luftpatrouille loszuschicken. Stattdessen musste die Militärführung die dänischen NATO-Streitkräfte um Hilfe bitten. Daraufhin starteten zwei dänische F-16 FIGHTING FALCON, die zeitweilig in Litauen stationiert waren, zu einem Abfangeinsatz. Der Vorfall ist heute unter der Bezeichnung "Ryska Påsken" bekannt. Wo die russischen Flugzeuge herkamen ist nicht genau bekannt. Im Westen Russlands gibt es nur zwei Militärbasen, auf denen normalerweise Mittelstreckenbomber Tu-22M3 stationiert sind: Olenogorsk am Nordmeer und Schaikowka an der Grenze zu Weißrussland.

Am 3. März 2014 war eine Passagiermaschine Boeing 737 der "Scandinavian Airlines" (SAS) mit 132 Passagieren auf dem Weg von Kopenhagen nach Rom. Plötzlich tauchte ein russisches Spionageflugzeug auf und näherte sich bis auf rund 90 Meter. Ein Zusammenstoß konnte nur dank der damals guten Sichtbedingungen verhindert werden. Die russische Maschine hatte ihren IFF-Transponder (Identification Friend-Foe) ausgeschaltet und konnte somit von zivilen oder militärischen Radarstationen weder identifiziert noch per Funk angesprochen werden.

Am 20. April 2014 drang ein russisches SIGINT-Aufklärungsflugzeug Iljuschin Il-20 COOT-A in den schwedischen Luftraum südlich der Insel Gotland ein. Es ist unklar, ob schwedische Abfangjäger aufstiegen. Der Heimatstützpunkt des Spionageflugzeuges ist nicht bekannt. Möglicherweise gehörte es zur (früheren) 8. Division zur besonderen Verwendung in Tschkalowsk.

Am 16. Juli 2014 näherte sich eine russischen Su-24 FLANKER einem schwedischen SIGINT-Spionageflugzeug vom Typ S 102B Korpen bis auf rund zehn Meter, was angesichts der Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern extrem gering ist. Die schwedische Aufklärungsmaschine patrouillierte im internationalen Luftraum zwischen der Insel Gotland und Litauen.

Am 18. Juli 2014 verletzte ein amerikanisches Spionageflugzeug den schwedischen Luftraum. Die Maschine hatte vor dem russischen Flottenstützpunkt Kaliningrad eine Aufklärungsmission durchgeführt und war daraufhin von russischen Abfangjägern abgefangen worden. Daraufhin rettete sich der US-Pilot in den schwedischen Luftraum.

Am 17. September 2014 drangen zwei russische Militärflugzeuge Suchoi Su-27 FLANKER aus Kaliningrad in den Luftraum über der schwedischen Insel Öland ein; sie wurden daraufhin von einer Alarmrotte aus zwei Saab E-39 Gripen JAS abgefangen. Zwei Tage später übergab die schwedische Regierung dem russischen Botschafter eine diplomatische Protestnote.

Am 2. oder 3. Oktober 2014 näherte sich ein russischer Abfangjäger bis auf wenige Meter einem schwedischen Aufklärungsflugzeug, das im internationalen Luftraum vor der russischen Marinebasis Kaliningrad patrouillierte.

Am 7. Oktober 2014 sollen zwei russische Militärflugzeuge erneut den Luftraum über Öland verletzt haben, woraufhin schwedische Abfangjäger aufsteigen.

Am 21. Oktober 2014 folgte ein weiterer Luftraumverstoß durch eine Iljuschin Il-20 COOT-A, die in Kaliningrad gestartet war. In diesem Fall zeigte sich, wie aufwendig die Abwehrjagd ist: Nachdem der russische SIGINT-Aufklärer bei der Insel Sarema rund 600 Meter tief in den estnischen Luftraum eingedrungen war, entsandte die NATO zunächst drei dänische Jagdflugzeuge (F-16AM?), die damals an der NATO-Operation zur Überwachung des baltischen Luftraums (BALTIC AIR POLICING) teilnahmen, um die russische Maschine abzufangen. Dies scheiterte und die Il-20 flog einfach weiter. Daraufhin versuchten mehrere schwedische Jäger erneut, den Eindringlich abzuwehren. Auch dieser Versuch scheiterte und nun übernahmen mehrere portugiesische General Dynamics F-16A FIGHTING FALCON, die ebenfalls im Baltikum stationiert waren, die Aufgabe. Daraufhin drehte die Il-20 nach Süden ab, drang frech erneut in den estnischen Luftraum ein und flog schließlich zurück nach Russland.

Am 15. November 2014 drang ein französisches Flugzeug mehrere Kilometer in den schwedischen Luftraum ein, daraufhin starteten Abfangjäger in der irrtümlichen Annahme, es handele sich um einen russischen Eindringling.

Am 12. Dezember 2014 kam es erneut zu einer gefährlichen Annäherung zwischen einem zivilen Passagierflugzeug und einem russischen Kampfjet südlich von Malmö. Das Kampfflugzeug hatte seinen IFF-Transponder ausgeschaltet.

Im März 2015 mussten schwedische Jagdflugzeuge erneut zwei russische (Atom-)Bomber Tu-22M3 BACKFIRE-C, die von zwei Su-27 FLANKER eskortiert wurden, abfangen. Zwar hielten sich die Flugzeuge im internationalen Luftraum über der Ostsee auf, aber alle vier Maschinen hatten ihre Transponder ausgeschaltet.

Mindestens in einem Fall drang ein unbekanntes Klein-U-Boot in die schwedischen Schärengewässer ein. Der Vorfall ereignete sich vom 17. bis 27. Oktober 2014. Trotz tagelanger Suche gelang es der schwedischen Marine nicht das unbekannte Tauchobjekt exakt zu orten und zum Auftauchen zu zwingen. Die schwedische Militärführung erwog damals den Einsatz von Wasserbomben. Es wird vermutet, dass es sich um ein amerikanischen, ein niederländisches oder ein russisches Boot gehandelt haben könnte.

Der so genannte Schärengarten besteht aus ungefähr 30.000 Inseln, Schären und Felsen, die sich bis zu 80 km weit in die Ostsee erstrecken. Einige sind große, bewohnte Inseln, die für ihre lebhaften Sommerpartys bekannt sind, andere ähneln eher felsigen Außenposten oder Gras bewachsenen Kuppen, die von Seehunden oder Kajakfahrern okkupiert werden. Die hydro-akustischen Verhältnisse in diesem Gebiet sind äußerst schwierig, so dass es einem Klein-U-Boot nicht schwer fällt, einer Sonar-Ortung zumindest zeitweise zu entgehen.

Außerdem gab es am 31. Oktober 2014 einen weiteren U-Boot-Alarm. Nach dem derzeitigen Stand der amtlichen Ermittlungen soll es sich in diesem Fall um einen Fehlalarm gehandelt haben (Geschürte Hysterie über (russische) U-Boote vor der Küste Schwedens?). Ein schwedischer Marineangehöriger habe irrtümlich ein Glasfaserboot für ein U-Boot gehalten. Allerdings stieß dieses Dementi auf Skepsis: "Seitdem gibt es Gerüchte, das Glasfaserboot sei für Medien erfunden worden, um in Ruhe ermitteln zu können", hieß es in der Presse.

Zuletzt wurde im Januar 2015 erneut ein (Phantom-)U-Boot gesichtet.

Die schwedische Außenministerin Margot Wallström machte ihren Unmut deutlich: "Genauso wie die Ukraine haben wir ein Recht auf die Unantastbarkeit unserer territorialen Integrität. Sie (gemeint sind die Russen, G. P.) müssen wissen, wo die "rote Linie" ist, deren Überschreiten werden wir nicht zulassen."

Nicht zuletzt registrierten der Militärische Nachrichten- und Sicherheitsdienst (Militära underrättelse- och säkerhetstjänsten - MUST) und der zivile Sicherheitsdienst (Säkerhetspolisen - SÄPO) eine erhöhte Aktivität russischer Agenten. Der Leiter der SÄPO-Spionageabwehr Wilhelm Unge erklärte dazu: "Russische Spione begehen in Schweden Verbrechen und werden es in Zukunft tun." Außerdem bereite Russland längerfristig einen Angriff auf Schweden vor. So registrierten die Sicherheitsbehörden eine verstärkte Rekrutierung von schwedischen Staatsbürgern als Spione, eine Zunahme von SIGINT-Abhöroperationen, den Aufkauf öffentlich zugänglicher Landkarten über sensitive Militärzonen, etc. ("Die größte nachrichtendienstliche Bedrohung geht von Russland aus").

Die derzeitige Bedrohungsperzeption beschreibt Tomas Ries von der schwedischen Verteidigungsakademie folgendermaßen:

Innerhalb der kommenden zehn Jahre wird Russland erheblich an militärischer Stärke gewinnen. Das bedeutet, dass wir wieder eine Großmacht an unserer Grenze haben werden. Russland versucht, neue Gegebenheiten in Europa zu schaffen, damit die anderen Staaten wieder Ehrfurcht vor Russland zeigen. Wahrscheinlich wird Russland militärisch in Gebieten vorgehen, die es für wichtig hält. Schweden ist allein so gut wie nicht verteidigungsfähig. Das macht es Russland natürlich viel leichter Druck auszuüben. (…)

Ich möchte aber betonen, dass Schweden nicht so wehrlos ist, wie man denken mag - schließlich haben wir Finnland, die baltischen Staaten und die Ostsee zwischen Russland und uns. Allerdings wäre Gotland gefährdet. Ein Angriff ist aber sehr unwahrscheinlich. Nicht auszuschließen ist jedoch ein Angriff auf eines der baltischen Länder. Das könnte zu einer Krise in Skandinavien führen, in die auch Schweden hineingezogen würde. (…)

Mit so etwas hatten wir es noch nie zu tun. Ich glaube, das Schlimmste ist, dass sich niemand vorstellen kann, dass tatsächlich ein Krieg ausbrechen könnte. Die Situation ist absolutes Neuland für Schweden. Erst vor wenigen Monaten sind die schwedischen Politiker angesichts des Ukraine-Kriegs aufgewacht. Erst da haben sie das Problem auf die Tagesordnung gebracht und die Frage gestellt, was mit Schwedens Nachbarstaaten geschehen würde. Die neue Generation der Politiker in Schweden hat keinerlei Erfahrung mit dem Thema Machtpolitik. (…)

Solange man kaum Streitkräfte hat, ist man angreifbar. Wenn Russland uns tatsächlich angreifen wollte, wären wir in großer Gefahr.

Thomas Ries

Am 28. April 2015 erklärte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im schwedischen Reichstag Allan Widman süffisiant: "Putin bereitet Russland auf den Krieg vor, egal ob warm oder kalt."

Alternative: Schwedisch-Finnische Militärkooperation

Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine haben die nordeuropäischen Staaten ihre wechselseitige "Solidarität" auf dem Gebiet der Militärpolitik verstärkt.

In einer gemeinsamen Erklärung der Verteidigungsminister Islands, Norwegens, Schwedens, Finnlands und Dänemarks vom 9. April 2015 beschwerte man sich über die russische Politik: "Russlands Handlungen sind die größte Herausforderung für die Sicherheit Europas. (...) Es gibt vermehrt militärische und geheimdienstliche Aktivitäten im Baltikum und unseren nördlichen Gebieten. Das russische Militär fordert uns entlang unserer Grenzen heraus und es gab mehrere Grenzverletzungen in den baltischen Ländern."

Gleichzeitig beschlossen die fünf Verteidigungsminister sich gegenseitig Militärstützpunkte zur Verfügung zu stellen, gemeinsame Militärmanöver durchzuführen, die Rüstungskooperation auszubauen und den Austausch von Aufklärungsdaten zu verbessern.

Das russische Außenministerium konterte und warf am 12. April 2015 seinerseits den fünf nordeuropäischen Staaten vor die außenpolitischen Beziehungen zu vergiften:

Anders als in vergangenen Jahren ist jetzt die Kooperation im Verteidigungsbereich gegen Russland ausgerichtet, was die positiven Erfahrungen bei dem konstruktiven Zusammenwirken, die in den zurückliegenden Jahrzehnten gesammelt wurden, untergraben könnte. In diesem Kontext ruft auch die zunehmende Tendenz der Annäherung Finnlands und Schwedens, die offiziell eine Politik der Nichtbeteiligung an Militärbündnissen betreiben, an den Militärblock Nato besondere Besorgnis hervor.

Insbesondere Finnland und Schweden intensivieren ihre militärpolitische Kooperation. Am 6. Mai 2014 legten die Verteidigungsminister Carl Haglund und Karin Enström in Helsinki einen gemeinsamen "action plan for deepened defence cooperation" vor.

Der schwedische Außenminister Carl Bildt erklärte dazu im September 2014:

Heute beginnt eine neue Ära der Verteidigungszusammenarbeit. Im Norden trainieren die Luftstreitkräfte von Norwegen, Schweden und Finnland zusammen in einem Maße, wie es das sonst nirgendwo in Europa gibt. Finnland und Schweden beschreiten neue Wege der Kooperation bei der Verteidigung. Ein Focus - besonders aus schwedischer Sicht - ist die baltische Region. Hier ist in den vergangenen Monaten die Zusammenarbeit vertieft worden. Und wir stellen uns auch auf Herausforderungen in der Arktis und im Hohen Norden ein - mit Norwegen als Führungsnation.

Im Februar 2015 veröffentlichten beide Länder einen gemeinsamen Absichtsbericht. Die Kommunikationsverbindungen sollen ausgebaut werden. Zwischen beiden Verteidigungsministerien soll ein Personalaustausch eingeführt werden, die Streitkräfteplanungen sollen aufeinander abgestimmt werden. Darüber hinaus sind eine gemeinsame Ausbildung und bilaterale Seemanöver zur U-Boot-Abwehr und Luftmanöver geplant. Militärbasen sollen gemeinsam genutzt werden.

In Richtung einer gemeinsamen Streitmacht weist die Forderung, "to transfer Operational Control (OPCON) of units". Nach Einschätzung des schwedischen Oberbefehlshabers könnte bis zum Jahr 2013 ein gemeinsames Marine-Kommando errichtet werden. Gemäß den verfügbaren Informationen enthält die Vereinbarung die Möglichkeit, nicht aber eine Pflicht zum gegenseitigen Beistand. Dazu müssten beide Staaten eine kohärente Sicherheits- und Verteidigungsstrategie entwickeln.

So ist weiterhin unklar, ob die geplante Kooperation irgendwann in einen militärischen Beistandspakt fließen soll. Beide Seiten halten sich diesbezüglich bedeckt, schließen es aber auch nicht explizit aus. Der Befehlshaber der schwedischen Streitkräfte, General Sverker Göransson erklärte dazu sibyllinisch, "dass man später neu überlegen und eventuell noch einen Schritt weiter gehen kann". Und der finnische Verteidigungsminister Carl Haglund befand: "Wir befinden uns, wenn man so will, in der Kennlernphase unserer Beziehung. Ob es dann irgendwann sozusagen zu einer Verlobung oder Heirat kommt, das ist jetzt noch nicht abzusehen, aber man soll auch keine übereilten Schlüsse ziehen."

Eine verstärkte militärische Zusammenarbeit zwischen Schweden und Finnland würde zwar rüstungspolitische Synergieeffekte erzielen, die auch zu Einsparungen führen könnten, aber eine wesentliche Erhöhung des gemeinsamen Militärpotentials beider Staaten lässt sich damit nicht erzielen. Somit bleibt wohl nur die NATO-Option. So kann man eine verstärkte finnisch-schwedische Militärkooperation als Alternative zu einem NATO-Beitritt ansehen oder bloß als Übergangsstadium bis hin zu einer NATO-Mitgliedschaft.

Egal ob Schweden und Finnland der NATO in ein paar Jahren beitreten werden oder nicht, beide Staaten werden sich diesbezüglich sicherlich genau abstimmen. Wenn nach Norwegen und Dänemark mit Schweden oder Finnland ein drittes skandinavisches Land der Allianz als 29. Mitgliedsstaat beiträte, würde das vierte Land Skandinaviens wohl kaum lange außen vor bleiben. Für die Schaffung einer regionalen Sicherheitsordnung im Ostseeraum als Alternativlösung ist es nach dem NATO-Beitritt der drei baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen längst zu spät.

Positionen der Nachbarn

Baltikum

Am 29. März 2004 traten Estland, Lettland und Litauen in der Zweiten Runde der NATO-Osterweiterung der Allianz bei. Damit hat das Bündnis gegen seine eigenen Regeln verstoßen. Zu den Aufnahmekriterien, die die NATO zuvor definiert hatte, gehörte, dass die Länderkandidaten sich selbst verteidigen könnten. Dies ist bei keinem der drei baltischen Staaten der Fall, weil ihnen dazu die geographische Größe und strategische Tiefe fehlt. Nach der Verschärfung der Beziehungen zu Russland in Folge des Ukrainekonfliktes muss die NATO nun eingestehen, dass sie ihre baltischen Mitgliedsländer im Kriegsfall nicht verteidigen könnte. Soweit bekannt deuten die Planungen eher auf eine längerfristige Rückeroberung hin. Eine Erweiterung des NATO-Raumes um Schweden und Finnland würde das Problem der mangelnden Tiefe etwas verbessern.

Daher fordert insbesondere die estnische Regierung die neutralen Anrainerstaaten zum NATO-Beitritt auf. So erklärte Präsident Toomas Hendrik Ilves: "Die ganze Sicherheitssituation in der Ostsee verändert sich, wenn Schweden und Finnland ein Teil der Allianz werden. Aber wir werden euch nicht vorschreiben, was ihr machen sollt."

Ein russischer Angriff auf das Baltikum nach dem Muster der Krim-Annexion hätte zudem fatale Folgen für die Sicherheitslage Finnlands und Schwedens. Beide Staaten müssen für diesen Fall ihre militärpolitischen Entscheidungen vorbereiten.

Dabei ist die mangelnde Verteidigungsfähigkeit der baltischen Staaten durchaus keine Besonderheit. Nach Einschätzung skeptischer Militärexperten sind das Vereinigte Königreich und die Türkei die letzten (west-)europäischen Staaten, die heutzutage noch über ein hinreichendes Militärarsenal verfügen.

Norwegen

Nach der Ablösung aus dem schwedischen Königreich ist Norwegen seit 1905 unabhängig. Das Land ist der einzige NATO-Mitgliedsstaat nördlich der Ostsee. Das Land ist lang gestreckt und weist bei einer Gesamtbevölkerung von gerade mal 5,2 Millionen Einwohnern nur eine geringe Bevölkerungsdichte auf.

Während des Kalten Krieges sahen die Militärpläne der NATO eine Verstärkung der norwegischen Armee durch amerikanische Marineinfanterie vor, aber angesichts der amerikanischen Truppenreduzierungen und anderweitigen Truppenbindungen ist dies heute fraglich. So beklagte sich der Oberbefehlshaber General Sverre Diesen bereits 2007, im Falle eines "ernsten Konfliktes" mit Moskau um Öl, Gas oder andere Bodenschätze in der Arktis würde Norwegen alleine dastehen. Demgegenüber würde ein NATO-Beitritt Schwedens oder Finnlands die Verteidigungsfähigkeit Norwegens in jedem Fall erhöhen.

Noch 2011 und 2012 hatte die norwegische Marine zusammen mit der russischen Nordmeerflotte gemeinsame Manöver (NORTHERN EAGLE, etc.) durchgeführt. Diese Annäherung gehört nun der Vergangenheit an.

NATO

"The Allies view Schweden as an effective and pro-active partner and contributor to international security, which shares key values such as the promotion of international security, democracy and human rights", heißt es gegenwärtig auf der offiziellen NATO-Webseite. Das klingt so, als gäbe es von Seiten der NATO keine Vorbehalte gegen einen Beitritt Schwedens. Allerdings hält sich die NATO bezüglich der Frage ihrer Norderweiterung vornehm zurück. Man unterlässt nach außen hin jeden Versuch, die skandinavischen Staaten zu einem Beitritt zu ermutigen, um bloß keine Ressentiments zu wecken.

Nicht ohne Einfluss dürfte die Tatsache sein, dass der neue NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg selbst Skandinavier ist. In einer persönlichen Stellungnahme bekannte der Norweger zur Frage einer NATO-Norderweiterung:

So I welcome the cooperation with Finland and Sweden as partners of NATO. And we would like to expand… to build on that. When it comes to the question on membership I will leave that to the people of Sweden and Finland to decide. I think that if I start to intervene in that debate I will only cause problems. And that’s not my intention. I think that at least as a Norwegian you should never have any meaning about the internal politics of Sweden and Finland.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Sicherheitsarchitektur in Nordeuropa in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. Finnland und Schweden könnten an ihrer Allianzfreiheit festhalten. Stattdessen könnten sie sich (endlich) für eine NATO-Mitgliedschaft entscheiden. Alternativ dazu gäbe es die Möglichkeiten einer verstärkten EU-Integration oder die Gründung eines mehr oder weniger verbindlichen schwedisch-finnischen-Bündnisses.

Für den Beitritt zur NATO sprechen der zunehmende Kostendruck bei den Verteidigungslasten, die versprochene Beistandsgarantie sowie die andauernde aggressive Politik des russischen Nachbarn mit seinen Grenzprovokationen, seiner Aufrüstung und Expansionsgelüsten. Tobias Etzold und Christian Opitz von der halbamtlichen "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) in Berlin kommen in einer Kurzstudie vom April 2015 zu folgendem Resümee:

Eine NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens ist in naher Zukunft wenig wahrscheinlich. Grundvoraussetzungen dafür wären in beiden Ländern ein politischer Konsens, ein Prüfbericht und ein Referendum, was langwierige Prozesse erfordern würde. Jede der alternativen Optionen - Kooperation mit der NATO oder GSVP, bilaterale oder regionale Zusammenarbeit - erscheint für sich allein unzureichend.

Aber ein Beitritt zur NATO würde die bestehenden Problem vielleicht nicht lösen sondern eher noch verstärken: Kritiker befürchten eine Eskalationsspirale, wenn zukünftig NATO-Soldaten an der finnisch-russischen Grenze üben. Russland könnte dann seine Truppen dort ebenfalls verstärken, worauf dann wieder die NATO reagieren müsste. Somit wäre eine Norderweiterung der NATO höchst kontraproduktiv für die Sicherheit in Europa.

Russland

Schon mit der NATO-Osterweiterung rückten die Streitkräfte der Allianz in Mitteleuropa 750 km nach Osten vor und stehen nun auch in diesem Gefechtsbereich direkt an der russischen Grenze. Zu den bündnispolitischen Entwicklungen in Nordeuropa gibt es von russischer Seite höchst unterschiedliche Erklärungen.

Am 4. Juni 2013 erklärte der russische Premierminister Dmitri Medwedew, zwar sei die Frage einer Bündnismitgliedschaft eine Angelegenheit der nationalen Souveränität, dennoch übte er verhaltene Kritik:

Das Vorrücken der Nato an die russischen Grenzen betrachten wir nicht als positiven Fakt für unser Land. (…) Allerdings sind wir der Auffassung, dass die Teilnahme anderer, neuer Staaten an der Allianz keine neue Situation mit der Sicherung der Stabilität schafft. Wir gehen im Gegenteil davon aus, dass jegliche neuen Teilnehmer an der Nordatlantikallianz, die sich in der Nähe unseres Staates befinden, letzten Endes immerhin das Kräftegleichgewicht verändern. Und wir müssen darauf reagieren.

Schließlich ist die NATO eine "Struktur, die ein bestimmtes Kriegspotential hat, das bei einem ungünstigen Zusammentreffen von Umständen gegen Russland angewendet werden könnte".

Zum Teil wird schon eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Neutralen Schweden und Finnland als ein Affront betrachtet. So meinte der russische Militärexperte Alexander Golts: "Jegliche militärische Zusammenarbeit zwischen europäischen Staaten, die eine Partnerschaft mit der NATO haben, wird in Russland als militärische Bedrohung verstanden."

Im Juni 2014 warnte der russische Präsidentenberater und amtierende Direktor des Institutes für Politische Forschungen, Sergej Markow, der für seine markigen Sprüche bekannt ist:

Wenn Finnland der NATO beitreten würde, so sollten Sie zuerst über sich nachdenken. Wollen Sie darin einbezogen werden, den Dritten Weltkrieg zu beginnen? (...) Mit Antisemitismus begann der Zweite Weltkrieg und die Russophobien können dazu führen, einen Dritten zu starten. (...) Russland rät Finnland nicht der NATO beizutreten. In diesem Fall wird sich die Sicherheit in Europa verschlechtern anstatt sich zu erhöhen.

Dass dies nicht nur hohle Phrasen sind, zeigte sich 2013. Damals sollen die russischen Streitkräfte Atomschläge gegen Schweden und Polen durchexerziert haben.

Bedrohung durch russische Aufrüstung

Im August 2008 griffen russische Truppen das kleine Georgien an. Der damalige Präsident rechtfertigte den Überfall mit seiner so genannten Medwedew-Doktrin, einer Modifikation der alten Breschnew-Dokrin: Demnach gehöre es zur russischen Staatsräson, das Leben von Russen im benachbarten Ausland zu schützen. Dem folgte die russische Annexion der Halbinsel Krim 2014. Diese wiederholten Angriffe schüren Ängste, Russland könne auch die drei baltischen Staaten attackieren. Dadurch fühlen sich auch Finnland und Schweden zunehmend durch Russland bedroht. Hinzu kommt eine massive russische Aufrüstung im Bereich der Arktis, auf der Kola-Halbinsel und im Raum Sankt Petersburg. Da Russland den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) am 11. März 2015 aufgekündigt hat, ist es an Rüstungsbeschränkungen in diesem Bereich nicht mehr gebunden.

Mit ihrem Programm zur Reform und Modernisierung der Streitkräfte "Gosudarstvennaya programma vooruzheniya 2020" (GPV 2020), das offiziell 2011 begann und noch bis mindestens 2020 andauern wird, rüstet die russische Regierung massiv auf. Das Aufrüstungsprogramm hat einen Umfang von voraussichtlich 700 Milliarden Euro. Außerdem kündigte die russische Regierung im Oktober 2011 an, weitere 72 Milliarden Euro in die Modernisierung der russischen Rüstungsindustrie reinzustecken, damit die maroden Betriebe überhaupt erst in den Zustand versetzt werden, um die gigantischen Rüstungsprojekte umsetzen zu können.

Wie Präsident Wladimir Putin im Februar 2012 ankündigte, umfasst das Rüstungsprogramm die Produktion von 17.000 Militärfahrzeugen, über 2.300 Kampfpanzern (T14 Armata, T-99), neuen Schützenpanzern Kurganez-25 und Bumerang, Luftlandepanzern BMD-4M, 2.000 Kanonen und Haubitzen (Tornado-G, Tornado-S, ...), Flugabwehrraketen (S-400 TRIUMF, S-500,...) 600 Militärflugzeugen (T-50 PAK FA, Su-35S, An-124-100 RUSLAN, AN-140, Il-476,...), 1.000 Hubschrauber (Ka-52, Ka-226, Mil-28N, Mil-35M,...), Drohnen vom Typ Tachyon, 50 Überwasserschiffe (Projekt 22350, Projekt 11356M,...), 20 U-Boote (YASEN, Projekt 885,...), 400 Interkontinentalraketen, 8 Strategische Atom-U-Booten (BOREI-Klasse), 100 Militärsatelliten, etc. Die finnische Nationale Verteidigungsuniversität (Maanpuolustuskorkeakoulu) in Helsinki legte dazu 2013 eine umfassendere Studie vor.

Im Rahmen der russischen Militärreform wurde das Vereinige Strategische Kommando West (Objedinjonnoje strategitscheskoje komandowanije Zapad - OSK Zapad) im September 2010 durch Vereinigung der früheren Militärbezirke Sankt Petersburg und Moskau aufgestellt. Sein Hauptquartier befindet sich in Sankt Petersburg im alten Gebäude des zaristischen Generalstabs. Dem Kommando sind in Friedenszeiten insgesamt 400.000 Soldaten unterstellt.

Die in der Region stationierten Heeresverbände sind u. a. der 6. Armee mit Stab in Agalatowo unterstellt. Durch die Militärreform wurden die alten Regimenter aufgelöst und in eine Brigadenstruktur überführt. Zu den Führungs- und Kampfverbänden zählen u. a. folgende Truppenteile: 132. Selbstständige Fernmeldebrigade (Agalatowo), 82. Selbstständige SIGINT-Brigade OSNAZ (Wjasma) und 146. Selbstständige SIGINT-Brigade OSNAZ (Sankt Petersburg und Bugry), 9. MotSchützenbrigade (Nischni Nowgorod), 25. Selbstständige Garde MotSchützenbrigade mit 3.000 Infanteristen (Wladimirskij Lager), 27. Garde MotSchützenbrigade (Widnoje-4), 79. Selbstständige Garde MotSchützenbrigade (Gusew), 138. Selbstständige Garde MotSchützenBrigade mit 3.000 Soldaten (Kamenka), 200. Selbstständige MotSchützenBrigade (Pechenga), 7. Garde MotSchützenRegiment (Kaliningrad), 26. Raketenbrigade in Luna in der Enklave Kaliningrad, die seit 2011 mit schätzungsweise 48 Atomraketen ISKANDER-M mit einer Reichweite von 700 km ausgestattet ist, 9. Garde-Artilleriebrigade (Luga), 244. Artilleriebrigade (Kaliningrad), die 268. Garde-Artilleriebrigade (Puschkin) und 79. Raketenwerferbrigade (Twer), usw.. Hinzu kommt die 2. Selbständige Spetsnaz-Brigade des Militärgeheimdienstes GRU mit 1.000 Mann (Pskow).

Im Dezember 2013 wurde die 15. Heeresfliegerbrigade in Ostrow aufgestellt. Der Verband ist mit modernsten Hubschraubern der Typen Ka-52 Alligator, Mi-28N Night Hunter, Mi-8MTV-5 und Mi-26T ausgerüstet. Die 25. Selbstständige Garde MotSchützenbrigade in Wladimirskij Lager wurde in den letzten Jahren neu aufgestellt. Außerdem nahm das russische Heer im Januar 2015 die 6960. Militärbasis Alakurtti wieder in Betrieb, die erst 2009 geschlossen worden war, und stationierte hier eine (Arktis-)Brigade der Nordmeerflotte mit rund 3.000 Mann.

Die regionalen Luftstreitkräfte sind im 1. Kommando der Luftwaffe und Luftverteidigung (1. Kommandowanie WWS i PWO) in Woronesch zusammengefasst. Diesem Kommando sind drei Brigaden der Luft-Weltraum-Verteidigung (Brigada Wosduschno-Kosmitscheskoi Oboroni - BrWKO) in Seweromorsk, Tjatsi und Kaliningrad nachgeordnet. Zu den unterstellten Verbänden zählen die 6959. AB (Awiazionnaja Basa, Luftwaffenbasis) in Sawatija bei Kotlas mit 2 Abfangjägerstaffeln zu je 6 Su-27S und 3 Abfangjägerstaffeln mit je 8 MiG-31B, die 6964. AB in Montschegorsk mit 3 Abfangjägerstaffeln mit je 8 MiG-31BS, 3 Frontbomberstaffeln mit je 8 Su-24M und 3 Aufklärungsstaffeln mit insgesamt 20 Su-24MR, die 6961. AB in Bessowez bei Petrosawodsk mit mindestens 4 Abfangjägerstaffeln mit je 6 Su-27S, die 6967. AB in Tschkalowsk mit wenigstens 4 Abfangjägerstaffeln a 6 Su-27 und die 6962. AB in Tschernjachowsk mit 3 Frontbomberstaffeln zu jeweils 8 Su-24M.

Abweichend hiervon waren nach Angaben des früheren NVA-Oberst Dieter Stammer 2010 folgende Verbände der Luftwaffe mit dem Mehrzweckkampfflugzeug Su-27 FLANKER ausgerüstet: die 2. Fliegergruppe in Petrosawodsk, die 4. Fliegergruppe in Khotlilowo und die 7. Fliegergruppe in Tschkalowsk, einem Stadtteil von Kaliningrad.

Seit April 2012 ist in der Enklave Kaliningrad auch das Raketenabwehrsystem S-400 TRIUMF stationiert. Anders als bei der Bundeswehr gehören die Fallschirmjäger in Russland zu den Luftstreitkräften. Die 76. Garde-Luftlandesturmdivision ist mit mindestens 5.000 Fallschirmspringern in Pskow stationiert.

Das Hauptquartier der russischen Marine verlegte im Oktober 2012 von Moskau nach Sankt Petersburg. In der Ostsee ist die Baltische Flotte mit Hauptquartier in Kaliningrad disloziert. Die Flotte verfügt über 5 Zerstörer oder Fregatten, 20 Korvetten oder Patrouillenboote, 2 U-Boote mit Dieselantrieb. Zu den Unterwasserkräften der Baltischen Flotte zählen die 123. U-Boot-Abteilung (Kronstadt), die 313. Versorgungsgruppe für Unterwasserkleinkampfmittel (Baltijsk) und die 473. Versorgungsgruppe für Unterwasserkleinkampfmittel (Kronstadt). Hinzu kommen die Marineflieger mit 70 Flugzeugen und 50 Hubschraubern. So ist das 689. Garde-Jagdfliegergeschwader der Marineflieger mit Su-27 FLANKER in der Enklave Kaliningrad (Niwenskoje oder Tschkalowsk) disloziert. Zu den amphibischen Bodentruppen zählen die 61. Selbstständige Marineinfanteriebrigade (Sputnik/Pechenga), die 336. Selbstständige Marineinfanteriebrigade (Baltijsk-Metschnikowo) und das 7. Selbstständige MotSchützenregiment der Marineinfanterie (Kaliningrad).

Außerdem führten die russischen Streitkräfte in den letzten Jahren im Westen des Landes mehrere Großmanöver durch: LAGODA (2009, 2012), ZAPAD (2009, 2013), etc.. Seit Dezember 2014 haben die russischen Streitkräfte nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu landesweit fast 900 Militärübungen durchgeführt.

Norwegen, Schweden und Finnland fühlen sich durch diese Aufrüstung - berechtigt oder nicht - bedroht. Somit trägt die Politik des Kreml selbst dazu bei, Schweden und Finnland in die Arme der NATO zu treiben. Militärbeobachter halten einen NATO-Beitritt der beiden Staaten innerhalb von zehn Jahren für realistisch, es sei denn, Russland würde ausgerechnet durch einen Präventivkrieg diese Bündnisbestrebungen durchkreuzen. Dies würde aber - in der ein oder anderen Form - zu einer militärpolitischen Reaktion zumindest der EU führen.

Daher halten die meisten Beobachter einen militärischen Angriff für unwahrscheinlich. Eher möglich sei eine "hybride Kriegführung" unterhalb der Schwelle eines konventionellen Waffeneinsatzes durch eine moderne Diversionspolitik: Subversion, politische Gewalt und Propaganda verbunden mit militärischem Druck.

Nur einzelne Autoren, wie der frühere Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten Andrej Illarionow, der jetzt für das neoliberale Cato-Institut in Washington arbeitet, warnen, der Kreml verfolge weitergehende Eroberungspläne: "Putin beansprucht Teile Georgiens, Weißrussland, die baltischen Staaten und Finnland." Noch lässt sich gar nicht absehen, wie "moderne Kriegführung" im arktischen Bereich tatsächlich aussehen würde.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.