Die "Deutschkatholiken" und der Überfall auf Polen
- Die "Deutschkatholiken" und der Überfall auf Polen
- Der deutschkatholische Militärbischof verehrt Hitler als "das leuchtende Vorbild"
- "Manipulierte Erinnerung" nach 1945
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Ab September 1939 predigten die Staatsbischöfe Gehorsam gegenüber "Satans Kriegsbefehlen" und ließen aus Dank für das Massenmorden die Kirchenglocken läuten
Ungezählte einfache Frauen und Männer aus dem katholischen Milieu, darunter Ordensfrauen und Leutepriester mit niedrigem Rang, erkannten trotz der NS-Lügenpropaganda schon 1939, dass Hitler einen verbrecherischen Angriffskrieg ins Werk setzte. Nicht wenige von ihnen wurden in den nachfolgenden Jahren als "Wehrkraftzersetzer" ins Zuchthaus gebracht, im KZ gefoltert, vom Volksgerichtshof abgeurteilt oder direkt ermordet. Der Kreis dieser Menschen war von einem guten und klaren Geist erleuchtet.
Die deutschen katholischen Bischöfe gehörten - mit Ausnahme des Berliner Oberhirten Konrad von Preysing - nicht dazu. Sie assistierten ab September 1939 dem Hitlerkrieg, zumeist bis hin zum bitteren Ende. - Hitlers Pakt mit dem "gottlosen Stalin" wurde schweigend hingenommen, der deutsche Völkermord in Russland keine zwei Jahre später als heiliger Kreuzzug zur Rettung des Abendlandes gepriesen.
Der Theologe Heinrich Missalla (1926-2018) hat in mehreren Projekten die Kriegsbeihilfe der deutschen Apostelnachfolger erforscht. Vor einer Woche ist ein Brief, den er kurz vor seinem Tod an die heutigen Kirchenleiter im Land geschrieben hat, veröffentlicht worden: "Bischöfe, haben Sie endlich den Mut zur Wahrheit!"
Für den 80. Jahrestag erwartete Heinz Missalla, dass die Kriegsbeihilfe-Schuld deutscher Bischöfe in der NS-Zeit ohne die üblichen Beschönigungen zur Sprache kommt. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
In Polen begann der Rasse- und Vernichtungskrieg
Erzbischof Stanisław Gądecki, Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, und Kardinal Reinhard Marx schreiben in einem gemeinsamenWort: "Am 80. Jahrestag des Kriegsbeginns erinnern wir uns an sechs Millionen Polen, darunter drei Millionen Juden, die Opfer des verbrecherischen Nazisystems wurden." Der deutsche Rasse- und Vernichtungskrieg begann nicht erst im Juni 1941 mit dem Russlandfeldzug, sondern am 1. September 1939 in Polen.
Die brutale Aneignung der Lebensgrundlagen anderer Menschen wurde den Rekruten der Wehrmacht nach Plan zuerst in Polen beigebracht. Die deutschen Angreifer beschränkten sich von Anfang nicht auf das beim Militär übliche Mordhandhandwerk, sondern vernichteten in kurzer Zeit das Leben von Zehntausenden Zivilisten, darunter gezielt die jüdischen Polen, Angehörige der "polnischen Intelligenz" (gemäß vorbereiteter Listen) und auch kranke oder "behinderte" Menschen.
Oft deklarierte man schon 1939 die zivilen Opfer zu "Partisanen", um das systematische Morden zu verschleiern. Tausende wehrlose Soldaten ohne Waffen wurden abseits von eigentlichen Kampfschauplätzen abgemetzelt. Die Massenmörder kamen nicht nur aus den Kommandos von SS, SD, SiPo und "Zivilverwaltung", sondern in großem Umfang aus der Wehrmacht.
Die Menschen in Polen erkannten nach alldem schon 1939 den Plan der deutschen Herrenmenschen: Ihr Volk sollte zum Großteil ausgelöscht, zum verbliebenen Teil aller Menschenrechte beraubt und versklavt werden. Nicht ein Vertreter der deutschen Christenheit, sondern ein einsam dastehender Wehrmachtskommandeur wie Johannes Blaskowitz versuchte, dem genozidalen Terror in Polen auf dem Dienstweg entgegenzutreten.
Hitler befand unter Zustimmung seiner Generäle, mit "Heilsarmee-Methoden" könne man keinen Krieg führen. Damit war für deutsche Militaristen und Patrioten jeglicher Couleur alles hinreichend "erklärt". Der NS-Staat trug - von Anfang an - Sorge für die Straffreiheit all seiner Massenmord-Handlanger.
Glockengeläut nach Massenmorden an Priestern
Ein eigenes geistiges, kulturelles oder religiöses Leben gehörte nicht zum NS-Plan für die Versklavung der Polen. Als im Oktober 1939 auch von den katholischen Kirchentürmen in Deutschland - gemäß Bistumsanweisungen - tagelang Siegesläuten erklang, hatte man schon hunderte polnische Geistliche förmlich abgeschlachtet.
Insgesamt sind ab Kriegsbeginn mehr als 2.100 röm.-kath. Kleriker (ein Fünftel aller Diözesanpriester, darunter vier Bischöfe) sowie darüber hinaus etwa 750 Ordensleute beiderlei Geschlechts aufgrund der Verfolgung umgekommen. (Im KZ Dachau z.B. fanden mehr als 90 deutschsprachige Priester den Tod, aber nahezu zehnmal so viele polnische Geistliche. Die Hälfte von fast 1.800 polnischen Geistlichen im Priesterblock kam um.) In Vernichtungslagern haben rund fünftausend polnische Weltgeistliche und Ordensmitglieder überlebt.
Im Herbst 1939 wurden allein in der Diözese Chelm (Kulm) 214 Priester ermordet, darunter das gesamte "greifbare" Domkapitel. Der Oblatenpater Friedrich Lorenz wurde als Divisionspfarrer der Wehrmacht Zeuge der Mordaktionen und hat nach Ausweis des deutschen Martyrologiums "viele von diesen polnischen Amtsbrüdern auf den Tod vorbereiten müssen".
Eigens reiste er nach Berlin, um leider ausgerechnet zwei ausgewiesenen Faschisten, dem päpstlichen Nuntius Cesare Orsenigo und dem röm.-kath. Feldbischof Franz Justus Rarkowski, Bericht über die Verhältnisse in Polen zu erstatten. Die deutsche und vatikanische Kirchenobrigkeit war also informiert, aber offenbar nicht nachhaltig erschüttert. (Pater Friedrich Lorenz selbst mochte sich hingegen mit dem Hitlerregime nicht mehr arrangieren und kam am 13.11.1944 schließlich wegen "Wehrkraftzersetzung und Feindesbegünstigung" unter das Fallbeil.)
Pius XII. und die polnischen Katholiken
Gemeinhin wird leichtfertig vermerkt, der am 2. März 1939 zum Papst gewählte Eugenio Pacelli (Pius XII.) habe den deutschen Überfall auf Polen scharf verurteilt. Doch am 25.9.1939 schreibt dieser Papst den deutschen Bischöfen einen Brief und teilt ihnen seine Kriterien für die Auswahl der römisch-katholischen Militärgeistlichen in der Wehrmacht mit.
In Frage kommen "hervorragende Priester", von "übernatürlichem Geist erfüllt", die dafür sorgen, dass die "Soldaten im Stand der heiligmachenden Gnade leben und, wenn es so kommt, sterben", und gleichzeitig selbst in ihrer aufopferungsvollen "Hingabe für das Vaterland" allen vorangehen. Die weltkirchliche Order des Eugenio Pacelli lautete also nach dem Überfall auf Polen, man müsse sich dem deutschen Vaterland hingegeben, selbst wenn es vom Teufel geführt wird.
Wie sehr viele Polen an diesem unseligen Papst verzweifelten, erahnt man nach Lektüre des IV. Kapitels von Pierre Blets - recht apologetischem - Werk "Papst Pius XII. und der Zweite Weltkrieg". Der Botschafter Frankreichs bittet am 11. September 1939 um eine Verurteilung des deutschen Überfalls. Pius XII. weicht aus und hält am 30.9.1939 vor der polnischen "Kolonie" in Rom eine letztlich nichtssagende Lobrede auf das kirchentreue und heroische Polen. Sehr viel mehr erfährt man auch nicht in der Antrittsenzyklika, in welcher immerhin das "Blut ungezählter Menschen, auch von Nichtkämpfern" zur Sprache kommt.
Das oberste Dogma dieses Papstes ist "Diplomatie" (also Verklausulierung). Deshalb wird er die Leiden der Opfer des deutschen Terrors nie so benennen, dass die Mordverbrechen und die Täter einen - für jeden verständlichen - Namen bekommen. Schon in der Zeit eines guten vatikanischen Informationsstandes hinsichtlich der Lage in Polen weiß Pius XII. selbst, dass er eigentlich feurige Worte aussenden müsste. Sogleich aber fügt er seine Lieblingserklärung für päpstliches Schweigen hinzu: Klartext würde nur den Opfern schaden.
Hierzu vermerkt der ins Exil getriebene Bischof Carl Radonski von Wlozlawek am 15.2.1943 nach langwierigen und vergeblichen Bitten: "Die Tatsachen beweisen, dass die Verfolgungen jeden Tag grausamer werden, auch wenn der Papst schweigt." Im Juni 1943 beklagt Pius XII. das "tragische Schicksal des polnischen Volkes" und verurteilt bestimmte "Akte" - "wer auch immer die Verantwortlichen sind". Nein, Verantwortliche nennt er nicht gerne beim Namen, wenn sie mächtig sind. Immer schön neutral bleiben …
Schon am 2.8.1941 hatte Kardinal Augustyn Hlond berichtet: "Man hört die Polen darüber klagen, dass der Papst nicht gegen das Verbrechen protestiert, wenn die Deutschen 3.000 Priester in den Konzentrationslagern sterben lassen (…), wenn man Hunderte von Priestern (…) ohne einen Hauch von eigenem Verschulden erschießt."
Zunächst scheut der - erwiesenermaßen deutschenfreundliche - Papst noch davor zurück, die durch Vertreibung verwaisten polnischen Bistümer von deutschpatriotischen Nachbarbischöfen mit verwalten zu lassen. Doch Ende 1939 macht er z.B. den Danziger Oberhirten Carl Maria Splett zum Administrator des durch über 200 Priestermorde niedergemachten Bistums Chelm (Kulm).
Auf Druck der deutschen Besatzer verbietet Splett, der 1939 ein "Volkstum-Bekenntnis" abgelegt hat, die polnische Sprache in Liturgie, Predigt, Kircheninschriften und Beichtsakrament. Allzu verständnisvolle Chronisten sollten zumindest versuchen, dies einmal mit den Augen polnischer Katholiken und im Licht der Massaker an polnischen Geistlichen zu sehen.