Die "Deutschkatholiken" und der Überfall auf Polen

Seite 2: Der deutschkatholische Militärbischof verehrt Hitler als "das leuchtende Vorbild"

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Hitler goss schon am 19. September 1939 den Sieg über Polen in biblische Sprache: "Mit Mann und Ross und Wagen hat der Herr sie geschlagen." Als Leuchtgestalt war der Führer selbst vom röm.-kath. Militärbischof Justus Rarkowski am 1. September den deutschen Waffenträgern vor Augen gestellt worden:

Kameraden! In ernster Stunde, da unser deutsches Volk die Feuerprobe der Bewährung zu bestehen hat und zum Kampfe um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte angetreten ist, wende ich mich als Katholischer Feldbischof der Wehrmacht an euch Soldaten, die ihr in diesem Kampf in der vordersten Front steht und die große und ehrenvolle Aufgabe habt, die Sicherheit und das Leben der deutschen Nation mit dem Schwerte zu schützen und zu verteidigen. (...) Jeder von euch (...) sieht bei diesem Einsatz vor sich das leuchtende Vorbild eines wahrhaften Kämpfers, unseres Führers und Obersten Befehlshabers, des ersten und tapfersten Soldaten des Großdeutschen Reiches, der sich nunmehr bei euch an der Kampffront befindet. Unvergesslich wird uns allen jener 1. September bleiben, da das ganze Volk vor ihm zum feierlichen Appell antrat. (...) So steht vor euch in hellem Glanze das Beispiel des Führers. (...) Der tapfere Aufblick zum Allmächtigen macht euch zu Soldaten, die unüberwindlich sind.

Militärbischof Justus Rarkowski

Einige weitere militärbischöfliche Textbeispiele mit unverkennbarem Nazi-Duktus sind in der frei abrufbaren Arbeitshilfe zum 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen nachlesbar. Dort kann man sich exemplarisch auch mit dem Liedgeschmack der nominell als christlich, ja sogar als weltkirchlich-katholisch geltenden Militärkirche unter Rarkowski und Werthmann vertraut machen. Mit neuem "zeitgemäßen Ton" wird 1939 Maria, die Mutter Jesu, um Beistand angefleht:

Wir grüßen dich im Schlachtgesang, vom Tode rings bedroht,
mit Trommelschlag und Schwerterklang und Fahnen blutigrot.
O segne uns im Streite. Maria, Maria, Maria, uns’re Königin. (...)
Im Donner der Kanonen, Maria, Maria (...),
erbitt’ uns Siegeskronen.

Und das feierliche Tedeum ("Großer Gott wir loben dich!") hat anlässlich des Angriffskriegs gegen die besonders marianischen Polen folgenden deutschen Gipfelpunkt verpasst bekommen:

Dort, wo unsre Fahnen wehn,
sei’s zu Lande, sei’s zu Meere,
laß die Treue Schildwach stehn,
sei uns selber Waff’n und Wehre.
Losungswort ist allzugleich:
"Treu zu Führer, Volk und Reich!"

"Gerechter Krieg" oder gottbefohlene Teilnahme am "ungerechten Krieg"?

Mit Ausnahme der Berliner Bistumsleitung predigten alle deutschen Bischöfe beim Überfall auf Polen den Gläubigen, sie müssten gemäß Gottes Willen der nationalsozialistischen Kriegsobrigkeit Gehorsam leisten. Der Hildesheimer Bischof Joseph Godehard Machens z.B. war weit davon entfernt, ein Nazi zu sei. Er rief am 3. September 1939 den Getauften zu: "Ein Krieg ist ausgebrochen, der uns alle, Heimat und Front, Wehrmacht und Zivilbevölkerung, vor die gewaltigsten Aufgaben stellt. Darum rufe ich euch auf: Erfüllt eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland!"

Andere Oberhirten, vor allem die militaristischen Bischöfe Clemens August von Galen (Münster) und Conrad Gröber (Freiburg), zeigten offen ihre Genugtuung darüber, dass Hitler jetzt da weitermachte, wo der Weltkrieg 1914-1918 durch angeblichen Verrat etc. und "Siegerwillkür" geendet hatte.

Zu den bischöflichen Kriegsvoten ab 1939 ist gleichwohl oft angemerkt worden, sie zeugten von keiner Begeisterung und brächten auch nicht den maßgeblichen Topos des "Gerechten Krieges" ins Spiel. Wenn die Bischöfe aber nicht von einem sog. "gerechten Krieg" ausgegangen sind, dann wäre das moraltheologische Irrenhaus perfekt. Dann nämlich hätten sie auch nach scholastischen Prinzipien auf keinen Fall den Gläubigen den Militärgehorsam und Kriegseinsatz als Gottespflicht predigen dürfen.

Jede Kriegstheologie läuft auf eine Höchstform der geistigen Leistungsverweigerung hinaus. Das gilt besonders für einen zweiten von deutschen Bischöfen benutzten Topos: Der Hitlerkrieg soll eine Strafe Gottes für Gottlosigkeit gewesen sein. Wie das nun? Gott straft die Menschen mit einer gottlosen, kriegsverbrecherischen Nazi-Obrigkeit und obendrein dann noch mit einem - bischöflich vermittelten - Befehl, für diese gottlose Obrigkeit pflichtgemäß andere Menschen zu ermorden und also selbst zu Massenmördern zu werden?

In einer nichtöffentlichen Erklärung vom 15.9.1940 ließ Kardinal Bertram u.a. mitteilen, die Kirche bejahe "den gerechten Krieg, insbesondere zur Sicherung von Staat und Volk" und bete "um einen siegreichen (!) Ausgang dieses jetzt brennenden Krieges in einem für Deutschland und Europa segensreichen Frieden". Widerspruchsfrei ist hier nur eine einzige Exegese möglich: Der Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz betrachtete den Hitlerkrieg expressis verbis doch als einen gerechten Krieg.

Der päpstliche Nuntius Orsenigo, den der Benediktinerabt Burkard Utz 1941 zutreffend als Faschisten bezeichnet hat, war sehr zufrieden mit der bischöflichen Kriegsassistenz in Deutschland. Er führte aber Klage, dass so viele einfache Gemeindepfarrer hierbei gar nicht mitziehen wollten.

Bischöfe für den "völkischer Daseinskampf"?

Dem Staats- und Militärprotestantismus war die nationalreligiöse Verdrehung der christlichen Botschaft gleichsam in die Wiege gelegt, und die Abscheulichkeiten, die etwa eine "deutsch-lutherische Schöpfungstheologie" hervorgebracht hat, sind unerträglich. In Zeiten der Staatsferne hatten die deutschen Katholiken hingegen noch erstaunliche militarismuskritische Potenzen unter Beweis gestellt. Doch spätestens ab 1900 lautete auch bei ihnen die Devise: "Lasst euch von niemandem übertrumpfen, wenn es um das Vaterländische geht!" Die blasphemischen Kriegspredigten 1914-1918 sind zumindest den Historikern und Theologen bekannt.

Bezogen auf den Fundus der bischöflichen Kriegsvoten ab 1939 ist ein hochexplosiver Komplex bislang noch gar nicht wahrgenommen worden. Mitte der 1930er Jahre zeugten im "Heiligen Offizium" interne Vatikangutachten von einem erstaunlichen Problembewusstsein bezogen auf die völkische Kriegsideologie des NS-Rassenstaates.

In Deutschland aber hatte schon 1933 der rechtsradikale Priester Rudolf Graber (später Regensburger Bischof 1962-1982) die Deutschen als neues auserwähltes Volk - statt Israel - charakterisiert, bestimmt dazu, als "das Volk der Mitte" die Welt zu beherrschen. Der prominente katholische Moraltheologe Otto Schilling behauptete 1934 ein angebliches Recht des deutschen Volkes auf "erweiterten Lebensraum". Sind solche häretischen Voten vielleicht der Schlüssel zu manchen Bischofsworten? Was steckt hinter Kardinal Bertrams "gerechten Krieg, insbesondere zur Sicherung von Staat und Volk"?

Militärbischof F.J. Rarkowski bezeichnet am 1.9.1939 schon den Überfall auf Polen als Kampf des deutschen Volkes "um seine natürlichen und gottgewollten Lebensrechte". Auch für Bischof Hilfrich von Limburg geht es um die "Existenz unseres Volkes" (18.2.1940). Der Paderborner Erzbischof Caspar Klein wünscht von seinen Priestern und Theologen, dass sie "die Entschlossenheit und Geschlossenheit unseres Volkes bei dem Kampf um seine Existenz" unterstützen (29.9.1940). Sein Nachfolger, der deutschnationale Militarist Lorenz Jaeger, wird 1943 zur letzten Fuldaer Bischofskonferenz vor Kriegsende proklamieren, die deutschen Bischöfe und ihre deutschen Kirchenuntertanen seien "eines Blutes" (sprich: Arier)!

Der ostpreußische Bischof Maximilian Kaller will in freudigem Bekenntnis zur "deutschen Volksgemeinschaft" und "mit der Teilnahme unseres ganzen Herzens den großen Kampf unseres Volkes um Sicherung seines Lebens und seiner Geltung in der Welt" durchleben (1.2.1941). - Ich behaupte: Die bislang unterbliebene kirchenhistorische Analyse wird zeigen, dass die "deutschkatholischen" bischöflichen Kriegsvoten in nicht wenigen Fällen mit der völkischen Doktrin sehr viel, mit der Botschaft des Jesus von Nazareth aber gar nichts mehr zu tun hatten.

Die Steigerung 1941: "Heiliger Krieg" gegen den Bolschewismus

Bezogen auf den deutschen Vernichtungskrieg gegen Russland mit weiteren 27 Millionen Mordopfern fallen die Hirtenworte dann noch eindeutiger aus. Jetzt predigen die deutschen Bischöfe einen "heiligen Krieg" und erklären gemeinsam: "Mit Genugtuung verfolgen wir den Kampf gegen die Macht des Bolschewismus, vor dem wir deutschen Bischöfe in zahlreichen Hirtenbriefen vom Jahr 1921 bis 1936 die Katholiken Deutschlands gewarnt und zur Wachsamkeit aufgefordert haben." (Denkschrift, 10.12.1941)

Der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger meint, die Menschen in Russland seien irgendwie auf eine Stufe von Tieren herabgesunken. Der Augsburger Bischof Joseph Kumpfmüller erlässt am 22.9.1941 folgendes Hirtenwort:

Heute bedroht eine andere, nicht minder schreckliche Gefahr die ganze menschliche Gesellschaft, der sogenannte Bolschewismus. Dagegen kämpfen unsere tapferen Soldaten im Osten (...). Wir alle wünschen nichts sehnlicher als ihren baldigen, endgültigen Sieg über die Feinde unseres Glaubens. Ahmt daher das Beispiel unserer christlichen Vorfahren nach, die mit dem Rosenkranz in der Hand die Türkengefahr siegreich abwehrten! Unterstützt die Waffen unserer Soldaten mit Euren gemeinsamen Gebeten!

Joseph Kumpfmüller

Militärgeistliche, die nachweislich Augenzeugen und Chronisten der Mordverbrechen in Russland geworden sind, erklären hernach unverdrossen, sie würden ihrem Fahneneid auf Hitler auch noch weitere Jahre treu bleiben, um dem "deutschen Heldentum" die heiligen Weihen angedeihen lassen. Hitlers Kriegsapparat ist von konservativen, deutschnationalen und NS-nahen Priestern oder Bischöfen, von bekennenden und deutschchristlichen Pastoren gestützt worden.

Die spitzfindigen Apologeten der kirchlichen Selbstlobkollektive übersehen einen entscheidenden Punkt: Für die Opfer in Polen, Russland und anderen Ländern sind die unterschiedlichen vaterländischen Ausrichtungen der Assistenten des Vernichtungskrieges nicht von Belang gewesen. So oder so waren Millionen Tode das Ergebnis.