Die "Deutschkatholiken" und der Überfall auf Polen

Seite 3: "Manipulierte Erinnerung" nach 1945

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

1945 kehren Hunderttausende, nein Millionen Wehrmachtssoldaten als zerbrochene Menschen zurück, können mit ihren eigenen Mordtaten nicht fertig werden und bleiben dann zeitlebens Fremde in der eigenen Familie. Die deutschen Bischöfe predigen den Menschen am 23. August 1945 nunmehr:

Furchtbares ist schon vor dem Kriege in Deutschland und während des Krieges durch Deutsche in fremden Ländern geschehen. Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben, leisteten durch ihre Haltung Vorschub den Verbrechen, viele sind selbst Verbrecher geworden.

Deutsche Bischöfe

Aus "unseren Reihen", damit sind die einfachen Katholiken gemeint, nicht etwa die mit Heiligem Geist geweihten Bischöfe. Dass sie über fünf Jahre lang die Gläubigen unter höchsten Beschwörungen dazu verpflichtet hatten, in Gehorsam gegenüber dem Herrn "gottgewollte Staatsobrigkeit Adolf Hitler" sich aufopferungsvoll einem massenmörderischen Kriegsapparat einzufügen, das wollen die Oberhirten jetzt lieber - nebst vielem anderen - vergessen.

Mit den Märtyrern der Kirche von unten, um die sich 1933-1945 kaum ein Ortsbischof ernsthaft gekümmert hat, schmücken die Hirten alsbald ihre Gewänder. Die Bischöfe, das sind die moralischen Wegweiser der Adenauer-Republik. Sie sorgen dafür, dass Remilitarisierung als oberste Christenpflicht bekannt wird. Sie bestellen positive theologische Gutachten für Adenauers Atombombenpläne. Sie nennen - wie gehabt - die Kriegsdienstverweigerer Irrgeister und Lästerer des göttlichen Gebotes.

Verlorene Schafe mit eingebräunter Wolle bekommen aber viel Pflege. Keines von ihnen darf verloren gehen. Auch der nationalistische Generalvikar der Wehrmacht kann problemlos wieder Generalvikar der neuen Bundeswehr werden.

Noch 1945 hat sich dieser katholische Militärgeneralvikar, der werte Prälat Werthmann, damit gebrüstet, dass beim Überfall auf das katholische Polen alles schon perfekt auf Krieg gerüstet war: die Personalplanung der Militärkleriker, das mit Führergehorsam erstellte Militärgebetbuch, die heilige Fahneneid-Katechese … und auch die mobilen Messkoffer für das Schlachtfeld. Denn Soldaten müssen, so war es immer im Abendland, fleißig beichten und den Leib der eucharistischen Speise empfangen, bevor sie Menschenleiber zerfetzen und später oft als Wesensverwandelte in Psychiatrien eingeliefert werden.

Antikriegstag 2019: Warum kommt es nicht zu einem Hirtenwort von historischem Format?

Im Jahr 2010 reiste der damalige Aachener Heinrich Mussinghof nach Polen. Er sagte, was wegen der Doktrin einer angeblich besonderen Geistbegabung von Mitra-Trägern bis dahin noch kein deutscher Bischof gesagt hatte:

Die deutschen Bischöfe haben diesen Angriffskrieg auf das katholische Land Polen nicht laut verurteilt, vielmehr war in Botschaften an die Soldaten stattdessen von Pflichterfüllung, Opfersinn und Treue die Rede. Beim Sieg über Polen und den folgenden Triumphen der deutschen Wehrmacht läuteten auch an katholischen Kirchen die Glocken. Diese eigene Schuld müssen wir als deutsche Kirche heute bekennen ...

Heinrich Mussinghof

Faktum ist: Die deutschen Bischöfe der Jahre 1933-1945 sind fast ausnahmslos irregegangen und haben Millionen Gläubige irregeführt, nicht in einer nebensächlichen Angelegenheit, sondern in einer Frage, die das Leben von zig Millionen Menschen betraf. Danach ist es kaum noch vorstellbar, Anschauungen zum Bischofsamt aus der ideologischen Kirchenlehre des 19. Jahrhunderts mit gutem Gewissen aufrechtzuerhalten.

Gerade deshalb war eher nicht damit zu rechnen, dass die deutsche Bischofskonferenz in diesem Jahr dem Aufruf von Heinrich Missalla nachkommt und endlich die Wahrheit über die Schuld der Vorgänger im Apostelamt zum Ausdruck bringt.

Sind zumindest die polnischen und deutschen Ortsbischöfe heute einander wirklich brüderlich verbunden?

Ein großes Wort, mehr als die übliche Prälaten-Diplomatie, ist erwartet worden und ausgeblieben. Auch ein gemeinsames polnisch-deutsches Hirtenwort hätte visionär ausfallen können, indem es etwa über das selbstverständliche Bekenntnis zu Europa hinaus eine Zivilisationsperspektive unserer Gattung ohne das selbstmörderische Programm des Militärischen und der hyperaggressiven Ökonomie erhellt. Jedoch: Fehlanzeige.

Mit dem Überfall auf Polen begann der bislang abgründigste Völkermord der ganzen Geschichte. Auftrag aller Bischöfe bleibt es, dass sie - eingedenk der Shoa und der kommenden Barbarei - am 80. Jahrestag jenen "Lebensnerv des Katholischen" zur Sprache bringen, der Pius XI. (gestorben am 10.2.1939) in seinen letzten Lebensmonaten mehr als alles andere bewegte: Das Bekenntnis zur Einheit der menschlichen Familie auf diesem Planeten.

Literaturhinweise:

Bürger, P.: "Erfüllt eure Pflicht gegen Führer, Volk und Vaterland!" Römisch-katholische Kriegsvoten aus den deutschen Bistümern und der Militärkirche. Arbeitshilfe zum 80. Jahrestag des Überfalls auf Polen. Düsseldorf, 28.08.2019. Internetressource: Lebenshaus Schwäcbische Alb

Missalla, Heinrich: Erinnern um der Zukunft willen. Wie die katholischen Bischöfe Hitlers Krieg unterstützt haben. Oberursel: Publik-Forum 2015.

pax christi (Hg.): Es droht eine schwarze Wolke. Katholische Kirche und Zweiter Weltkrieg. Bremen: Donat Verlag 2018.

Schmidt, R. / Nauerth, Th. / Engelke, M. / Bürger, P. (Hg.): Im Sold der Schlächter. Texte zur Militärseelsorge im Hitlerkrieg. Norderstedt 2019

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.