Die Diskussion um den Großen Lauschangriff - eine Farce.

Auch weitere Ausnahmeregelungen verhindern nicht den zunehmenden Trend zum Überwachungsstaat.

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Nachdem sich die Bremer Koalition am Donnerstag entschlossen hat, der Grundgesetzänderung zuzustimmen, aber den Vermittlungsausschuß wirken zu lassen, um das Schlimmste zu verhindern, war die Sache gelaufen. Am Freitag kam denn auch die erforderliche Mehrheit zur Grundgesetzänderung zustande. Das wird sicher als großer Erfolg verkauft werden. Die Politik geht seltsame Wege. Es scheint, als dürfe man im Verlaufe eines Reflexionsprozesses, in dem vielleicht erst allmählich Klarheit darüber entsteht, was man anrichten könnte, wenn es Ernst wird, nur ja keine einmal getroffene Entscheidung wieder rückgängig machen. Das könnte ja der Wähler als Wankelmütigkeit erkennen. Daß man einer solchen Einschätzung auch kraft Argumenten entgegentreten könnte, scheint kaum jemand in den politischen Kreisen zu glauben, was wohl heißt, daß man von der Dummheit der Menschen ausgeht, deren Meinungsumfragendiener ja man als demokratisch gewählter Repräsentant ist. So war wohl eigentlich repräsentative Demokratie nicht gedacht, zumal sich ja doch alles nicht am wirklichen, sondern nur am unterstellten Willen der Bürger entscheidet.

Das ganze Procedere war eine Farce, über die man lachen könnte, wenn es nicht zu Ernst wäre. Aus wahltaktischen Überlegungen glaubte die SPD wohl zunächst, sie müsse sich der sicherheitspolitischen Themen verstärkt annehmen und zeigen, daß sie es hier mit der schwarz-liberalen Koalition aufnehmen könne. Man sprach von der allgegenwärtigen Bedrohung der organisierten Kriminalität, die es zu bekämpfen gelte. Jetzt überfällt manchen Liberalen ein wenig Angst vor dem, was damit in Gang gesetzt wurde und sich einreiht in viele weitere Bemühungen, die staatliche Überwachung der Bürger mit immer besseren Mitteln auszubauen. Anstatt aber das Gesetz zu Fall zu bringen, geht es höchstens um ein paar Nachbesserungen, besonders um nicht die sogenannte vierte Macht im Staat, die Medien, die zwischen Bürger und Politiker stehen, allzu ärgerlich in Zeiten zu machen, in denen der Wahlkampf schon begonnen hat. Und wie immer bei solchen Anlässen verkürzt sich die Diskussion überdies auf das einzelne Gesetz, das gerade aktuell ansteht, aber geht nicht auf das Umfeld und den Trend zu einer immer breiter ausgebauten Überwachung ein, die vor allem dank der neuen technischen Mittel möglich wird.

Wenigstens gibt es jetzt ein Arbeitspapier der EU, in dem die besorgniserregende Entwicklung im Bereich der Überwachungstechnologien einmal im Gesamten analysiert und bewertet wird. Der berechtigte Vorwurf des Autors geht dahin, daß Schritt für Schritt unter der Legitimation der Leistungs- und Kosteneffizienz aufgerüstet wird, um angeblich die Freiheit und Sicherheit der "braven" Bürger zu sichern, die sowieso keine Angst haben müssen, abgehört, belauscht, überwacht, identifiziert, in Form von persönlichen Daten in irgendwelchen Computern abgespeichert, mit tödlichen oder "nicht-tödlichen" Waffen bedroht, gefoltert oder ins Gefängnis eingesperrt zu werden. Es mag ja alles weitgehend noch relativ harmlos sein, wenn die demokratische Kontrolle stark genug ist, aber schon ein kleiner Schwenk in Richtung stärkerer Law-and-Order-Politik oder irgendein Anlaß wie einst bei der Verfolgung der RAF können eine Dynamik in Gang setzen, durch die existierende Mittel ihre Schrecken für jeden erweisen, der politisch ein wenig aus dem Rahmen fällt. Bei der Aufrüstung gegen den "inneren Feind" könnte man fast glauben, der Staat versuche durch effektivere Verbrechensbekämpfung seinen Machtverlust im Rahmen der Globalisierungsprozesse zu kompensieren.

Man wird also wahrscheinlich, wenn denn der Vermittlungsausschuß eingesetzt wird, noch ein paar weitere Berufsstände von der akustischen Überwachung ausnehmen: ziemlich sicher - aus oben genannten Gründen - die Journalisten, wahrscheinlich auch Anwälte und Ärzte. Sich selber hatten die Repräsentanten des Volkes ja schon vor dem Lauschangriff geschützt. Gespannt wird man sein dürfen, wer denn unter die Gnade fallen wird, als Journalist zu gelten. Sind das nur fest angestellte Journalisten oder vielleicht doch auch die freien - und ab wann hört man auf, Journalist zu sein? Aber die Ausnahmeregelungen, so wichtig sie sein mögen, auf die sich die Diskussion jetzt eingeigelt hat, lenken doch davon ab, welche Folgen die Grundgesetzänderung für die breite Mehrheit der Menschen mit sich bringen könnte. Eine Vielzahl von Straftaten erlauben den Lauschangriff, wenn vage definierte "bestimmte Tatsachen" einen Verdacht begründen. Überwacht werden können auch Privatwohnungen, in denen sich ein Beschuldigter nur "vermutlich" aufhält, was den Personenkreis ziemlich erweitert. Gelauscht werden darf dann, wenn die "Erforschung eines Sachverhalts auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre." Da setzt neben dem dehnbaren Begriff des "Unverhältnismäßigen" einfach auch die Tatsache ein, daß gemacht werden soll und muß, was technisch machbar ist. Aber es geht nicht nur um gewöhnliche schwere Kriminalität, sondern auch um Geldwäsche und die damit einhergehenden Delikte, die vielleicht auch Steuersünder betreffen könnten. Wenn es um Straftaten des Friedensverrats, des Hochverrats und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates geht, so stehen gerade hier die Türen für gefährliche Entwicklungen offen.

Vielleicht wird man ja die Bestimmungen verschärfen und nicht nur ein paar privilegierte Berufsgruppen aussparen. Vielleicht wird man in der Tat vorerst das Schlimmste in diesem Fall verhüten. Aber mit der Grundgesetzänderung hat man dennoch eine Dynamik in Gang gesetzt, über deren Folgen man sich später nicht zu wundern braucht, denn rückgängig gemacht wird derartiges wohl so schnell nicht mehr. Während in den Zeiten der Volkszählung viele Menschen noch dagegen protestierten, daß immer mehr Daten gesammelt und zusammengeführt werden können, scheint die Mehrheit der Bevölkerung demgegenüber jetzt passiv oder gleichgültig eingestellt zu sein. Da gegenwärtig die Angst vor der Zukunft und die Sorge um die Existenzsicherung überwiegt, wird Demokratie zur Luxusware und Politik zur Standortsicherung. Dahinter kann Schritt für Schritt die liberale Gesellschaft mit Gesetzen und Überwachungstechniken überzogen werden, deren pure Existenz irgendwann und vielleicht auch ganz plötzlich anderen Zwecken als einem demokratischen Rechtsstaat dienen könnte.