Die Droge als Instrument
Seite 2: Verhaltenskomplexe, die Menschen mit psychoaktiven Drogen zu verbessern suchen
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"Verbesserung der soziale Interaktionen"
Den ersten Verhaltenskomplex haben wir "Verbesserung der soziale Interaktionen" genannt. Der Hintergrund ist in diesem Fall, dass wir in unserer professionellen Arbeitsumwelt einen "Mental state" benötigen, der sich für effizientes Arbeiten gut eignet. Der Arbeitgeber will zumeist nicht, dass wir am Arbeitsplatz zu sehr auf privater sozialer Ebene miteinander interagieren und unsere Zeit, für die er ja bezahlt, dafür nutzen. Das heißt aber auch, dass ein "Mental state", der insbesondere für soziale Interaktion optimal ist, unterdrückt werden muss. Auf der anderen Seite ist der Mensch aber ein soziales Wesen. Soziale Interaktionen werden als belohnend empfunden und wir brauchen sie für unser psychisches Wohlbefinden. Das bedeutet, wir müssen soziale Interaktion weitestgehend in unserer Freizeit ausleben. Dabei haben wir nun das Problem, dass wir für effiziente soziale Interaktionen einen anderen "Mental state" benötigen als für unser professionelles Arbeiten während des restlichen Tages. Und wir haben nur wenig Zeit, den "Mental state" vom Professionellen zum Sozialen zu verändern.
Nun gibt es verschiedene Substanzen, die diese Veränderung des "Mental state" sehr schnell induzieren können. In unserem Kulturkreis wird sicherlich der Alkohol am häufigsten dafür genutzt. Wir wissen, dass Alkohol in geringen bis mittleren Dosen entspannende Effekte hat. Der Konsum führt zu einer Verhaltensdisinhibition, zur Entspannung, er reduziert Angst und macht für uns soziale Stimuli attraktiver. Heute weiß man auch, durch welche pharmakologischen Mechanismen der Alkohol dies auslöst. Eine der dafür wichtigen Bindungsstellen im Gehirn ist der GABAA-Rezeptor. GABA steht für γ-Amino-Buttersäure und ist der wichtigste inhibitorische Botenstoff im Gehirn. Alkohol bindet am GABAA-Rezeptor und erhöht die endogene Wirkung von GABA am Rezeptor. Dies führt subjektiv zu einer Entspannung und reduzierten Ängstlichkeit. Gleichzeitig bewirkt Alkohol einen Anstieg der dopaminergen Aktivität. Dieser Effekt erhöht die Belohnungswirkung sozialer Stimuli und mach soziale Interaktionen für uns attraktiver.
Es gibt aber auch ganz andere Drogen, die von den Konsumenten in diesem Zusammenhang genannt werden, etwa das Kokain. Es ist eine gut bekannte Partydroge und Partys sind soziale Zusammenkünfte im weiteren Sinne. Kokain wirkt dabei anders als der Alkohol. Es ist ein Wiederaufnahmehemmer für verschiedene monoaminerge Neurotransmitter, wie das Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Für alle drei Transmitter erhöht Kokain die Verfügbarkeit in der Synapse und verstärkt so die Signalübertragung. Noradrenalin führt dabei zu einer gesteigerten Erregung, verbesserten und länger anhaltenden Aufmerksamkeit. Man kann sehr lange auf einer Party aktiv sein, ohne Ermüdungserscheinungen wahrzunehmen. Die serotonergen Aktivitätseffekte bewirken eine Lösung von erlernten Ängsten und auch eine veränderte Aggressivität. Die erhöhte Dopaminaktivität erhöht noch mehr als beim Alkohol den Anreizwert sozialer Stimuli. Alkohol und Kokain sind aber nicht die einzigen Drogen, die für dieses Ziel instrumentalisiert werden. Weitere Drogen, die man aus diesem Zusammenhang kennt, sind Marihuana, Amphetamin, Methylphenidat, Ecstasy und Koffein.
"Erleichtertes Sexualverhalten"
Der zweite Verhaltenskomplex, für den Drogen instrumentalisiert werden, kann man als "Erleichtertes Sexualverhalten" bezeichnen. Dieser Komplex umfasst alle Verhaltensweisen, die mit Partnersuche, Kontaktaufbau bis hin zum Geschlechtsverkehr einhergehen. Sicherlich ist dies sehr wichtig und dominiert weite Teile unseres täglichen Verhaltensrepertoires, besonders in bestimmten Lebensphasen. In der modernen professionellen Arbeitsumwelt ist die Unterdrückung dieses Verhaltens gefordert. Bei der Ausübung des Berufs ist es zumeist explizit verboten, auf Partnersuche zu gehen und entsprechende Verhalten auszuführen, die sonst schnell als sexuelle Belästigung aufgefasst werden. Der auf kognitive Aktivitäten ausgerichtete "Mental state", in der Regel unser professioneller "Mental state", macht zudem solche Verhaltensweisen auch eher ineffizient.
Natürlich benötigen wir trotzdem Gelegenheiten, diese Verhalten auszuführen, schlichtweg, um unsere Vermehrung zu sichern. Auch hier ist es so, dass wir dieses Verhalten in der Freizeit ausführen müssen. Dafür ist es auch wieder erforderlich, unseren "Mental state" von einem professionellen, kognitiv dominierten und inhibitorischen Status auf einen eher enthemmten und sozial offenen "Mental state" zu verändern. Auch hierfür haben wir relativ wenig Zeit zur Verfügung und auch hier gibt es psychoaktive Substanzen, die genau diesen Übergang leisten, also uns sehr schnell in einen "Mental state" überführen, der für Sexualverhalten gut geeignet ist.
Die Substanzen, die dafür benutzt werden, sind dieselben wie die, welche wir für die Verbesserung von Sozialverhalten instrumentalisieren, und auch in ihrer Wirkung ähnlich. Hier gibt es eine sehr starke Überlappung. Vor allen anderen Substanzen wird im westlichen Kulturkreis der Alkohol genutzt, gefolgt von Kokain, Cannabis und Amphetaminen.
Verringerung der Ermüdung
Ein ganz anderes Instrumentalisierungsziel ist die Verbesserung unserer kognitiven Leistungen und die Verringerung der Ermüdung. Wir leben in einer stark industrialisierten Gesellschaft. In vielen Lebensbereichen bestimmen insbesondere unsere kognitiven Fähigkeiten und auch die Leistungsdauer die Ergebnisse unserer Arbeit und unseren beruflichen Erfolg. Wir kennen bisher keine Droge, weder natürlichen Ursprungs noch künstlich hergestellt, welche die kognitiven Fähigkeiten einer gesunden und ausgeruhten Person mit normaler Intelligenz tatsächlich verbessern kann. Aber wir ermüden. Unser "Mental state" und damit auch unsere kognitiven Fähigkeiten, erliegen der Ermüdung, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und natürlich auch verschiedenen anderen Umwelteinflüssen wie zum Beispiel schlechten Nachrichten. Das bedeutet, wir entfernen uns relativ schnell von unserem optimalen Performancelevel allein durch Ermüdung.
Zu den Substanzen, die diesem Ermüdungsprozess entgegenwirken können und damit eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit über einen längeren Zeitraum erlauben, gehört zum Beispiel das Koffein. Das ist bekannt und wir wissen, wie das Koffein dies bewirkt. Koffein ist ein Blocker am Adenosin1- und A2A-Rezeptor. Adenosin ist einer der uns bekannten modulatorischen Neurotransmitter und hat die Eigenschaft, dass er während unserer Wachheit akkumuliert und irgendwann Müdigkeit und Schlaf auslöst, indem er diese Rezeptoren aktiviert. Sobald sie durch Koffein blockiert sind, ist die Wirkung des Adenosins nicht mehr so effizient.
Eine andere Substanz, die für diesen Zweck benutzt wird, ist das Nikotin, das ebenfalls Aufmerksamkeit und kognitive Leistungsfähigkeit verbessert. In der Forschung hat man lange Zeit gedacht, diese Wirkung zeigte sich nur bei Rauchern und auch nur dann, wenn diese mit dem Rauchen aufhörten. Dann benötigen sie Zigaretten und Nikotin, um wieder auf das alte Leistungsniveau zu kommen. Mittlerweile weiß man auch aus Untersuchungen mit Nikotinpflastern, mittels derer man die Nikotinzufuhr vom Vorgang des Rauchens trennen kann, dass Nikotin tatsächlich auch bei Nichtrauchern kognitiv verbessernde Effekte haben kann, beziehungsweise der Ermüdung entgegenwirkt. Nikotin ist ein Agonist am nikotinergen Acetylcholin-Rezeptor. Es aktiviert diesen Rezeptor und imitiert die Wirkung des endogenen Botenstoffs Acetylcholin. Auch Acetylcholin ist so ein modulatorischer Neurotransmitter, der essenziell für unsere Aufmerksamkeitsleistung und für das Lernen und das Gedächtnis ist. Wir brauchen dafür eine Rezeptoraktivierung, sonst gibt es kein Lernen, kein Gedächtnis und auch keine dauerhafte Aufmerksamkeit.
Seit vielen Jahrzehnten werden auch Amphetamine zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und Verringerung der Ermüdung benutzt. Amphetamine erhöhen die dauerhafte Aufmerksamkeit. Man kann damit sehr lange einer Sache folgen, ganz gleich, ob dies Arbeit ist oder auch eine Tätigkeit im Freizeitbereich. Amphetamine induzieren ihre Effekte hierbei primär über einen noradrenergen Mechanismus im Gehirn. Wenn man künstlich die noradrenerge Aktivität erhöht, steigert sich die Aufmerksamkeit für einen Zeitraum von zum Teil vielen Stunden.
Verbesserung von Erholung und des Verarbeitens von Stress
Ein in der westlichen Gesellschaft sehr wichtiges Instrumentalisierungsziel ist die Verbesserung von Erholung und des Stress-Copings, das heißt des Verarbeitens von Stress. Wir leben in einer stressreichen Gesellschaft. Viele verschiedene Anforderungen werden an uns herangetragen. Sowohl im Arbeitsalltag als auch in der Freizeit sind wir konstant hohem Leistungsdruck ausgesetzt. Allerdings müssen wir uns aber, das erfordert einfach unsere Biologie, regelmäßig davon erholen. Verbringen wir viel Zeit mit Beruf und Arbeit, verringert das notwendigerweise unsere Zeit für Erholung und Stressbewältigung. Hier ist das Ziel des Konsums ganz einfach, den "Mental state" von "müde und gestresst" auf "erholt und frisch" zu verändern und das in einer relativ kurzen Zeitspanne.
Auch hier können psychoaktive Substanzen helfen. Sie können zwar keine Probleme lösen, aber sie können uns zeitweilig von übermäßiger Beschäftigung damit und daraus folgendem Stress befreien. In unserem Kulturkreis wird dafür in großem Umfang der Alkohol benutzt. Tatsächlich hat, wie wir wissen, ein stabiler moderater Konsum, der von vielen Konsumenten praktiziert wird, eine bessere psychische Gesundheit zur Folge und ist mit vielen positiven Gesundheitsparametern assoziiert. Ein moderater Konsum entspricht etwa einem Glas Wein mit 100 Millilitern pro Tag. Akuter Alkoholkonsum in geringer bis mittlerer Dosis hat angstlösende und entspannende Effekte. Und auch dafür wird die Wirkung über den GABAA-Rezeptor im Gehirn vermittelt.
Eine weitere Droge, die für dieses Ziel in starkem Umfang benutzt wird, ist Cannabis/Marihuana. Cannabis, wissen wir, wirkt angstlösend, entspannend und fördert insbesondere die Auslöschung aversiver Gedächtnisinhalte. Wenn wir eine unangenehme Erfahrung gemacht haben, kann man mit Cannabis tatsächlich eine Löschung bewirken oder zumindest eine zu starke gedankliche Beschäftigung damit verringern. Auch hier ist die pharmakologische Wirkungsweise bekannt: Cannabis beziehungsweise der Hauptwirkstoff delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) ist ein Ligand für den endogenen Cannabinoid 1-Rezeptor. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die selektive Stimulierung die emotional aktivierenden Effekte sowohl externer Stimuli als auch innerer Gedanken reduziert. Auch für dieses Instrumentalisierungsziel existieren weitere Substanzen. Häufig genannt werden Barbiturate und klinisch verfügbare Anxiolytika, aber auch Kokain und Methamphetamin. Wir denken, letztere dienen vorrangig einem aktiven Stress-Coping, das mit Aktivitätsgenerierung zu tun hat.
Selbsttherapie
Wichtig insbesondere aus klinischer Sicht ist die Instrumentalisierung in einem Rahmen, in dem Patienten oder Menschen mit psychischen Problemen bestimmte Substanzen zur Selbstmedikation benutzen. Man kann beobachten, dass verschiedene psychiatrische Erkrankungen mit einer Erhöhung des Konsums ganz spezifischer Substanzen einhergehen. Wenn man Patienten danach fragt, berichten sie, dass diese Substanzen den individuellen Leidensdruck, der durch bestimmte Symptome hervorgerufen wird, verringern.
Keine psychoaktive Suchtdroge kann eine psychiatrische Erkrankung heilen, aber manche können scheinbar den subjektiven Leidensdruck des Einzelnen verringern. Das geschieht dann in einer Art Selbsttherapie, die langfristig allerdings die Probleme verschlimmern kann. Zum Beispiel sehen wir in der Klinik oft einen erhöhten Konsum von Cannabis und Nikotin bei Patienten mit Schizophrenie. Wenn man diese Patienten fragt, warum sie diese Substanzen konsumieren, dann erfährt man, dass die Positivsymptomatik, also Halluzination und Wahnvorstellungen, sogar teilweise verstärkt werden. Die Patienten berichten aber auch, dass ihre Negativsymptomatik, das Fehlen der Emotionalität, dass alles gleichgültig wird, etwas abgemildert wird. Möglicherweise verbessern sich auch die kognitiven Leistungen, etwa nach Nikotinkonsum. Insgesamt verringert das den Leidensdruck der Patienten. Ein anderes Beispiel ist der erhöhte Konsum von Alkohol bei Patienten mit Depression und Angststörungen. Neuere Forschungen dazu haben zeigen können, dass ein Teil der Patienten nachweislich Störungen im Lipidhaushalt des Gehirns aufweist, die mit Alkohol zumindest zeitweilig ausgeglichen werden können.
Sensorische Neugier
Ein weiteres Instrumentalisierungsziel ist die Erweiterung unseres perzeptiven Horizonts oder schlicht unsere sensorische Neugier. Neuigkeiten, neue Erfahrungen und neue Lebenswelten werden von Menschen und Tieren als natürliche Belohnung wahrgenommen. Eine neue Umgebung und neue Informationen bergen auch immer die Möglichkeit, neue, anderweitig belohnte Verhalten zu etablieren und so das eigene Verhaltensrepertoire zu erweitern. Dem entsprechend generiert das Gehirn ständig Verhaltensweisen, die auf Neuigkeitssuche ausgerichtet sind. Neue externe Stimuli, aber auch neue "Mental states" können als Belohnung und natürliche Verstärkung wahrgenommen werden.
Es gibt verschiedene psychoaktive Substanzen, die tatsächlich neue "Mental states" induzieren, die auf natürliche Weise nicht erlebt werden können. Aber diese pharmakologisch induzierten "neuen Welten" sind, wenn man so will, ein bisschen ein Betrug am Gehirn und seiner natürlichen Neuigkeitssuche, weil sie eben keine realen neuen Belohnungsverfügbarkeiten mit sich bringen. Sie suggerieren zwar eine neue Welt, aber man kann in dieser Welt nicht agieren und keine zielgerichteten und belohnten Verhalten etablieren. Man kann diese "Mental states" nur wahrnehmen und findet das entweder gut oder nicht. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum aus diesem Instrumentalisierungsziel selten eine Sucht hervorgeht.
Substanzen, die dafür benutzt werden, sind beispielsweise die Halluzinogene. Wie der Name schon sagt, bescheren sie dem Konsumenten Halluzinationen und Verzerrungen der Wahrnehmung. Dazu gehören eine Reihe natürlich vorkommender Substanzen wie das Meskalin und das Psilocybin oder auch das halbsynthetische LSD. Auch hier wissen wir mittlerweile, wie diese Substanzen ihre Wirkung entfalten. Sie sind Agonisten am Serotonin2A- und Serotonin2C-Rezeptor. Diese Rezeptoren befinden sich an den Prinzipalzellen der Hirnrinde, also an den schnellen glutamatergen Zellen, von denen sensorische Informationen prozessiert werden. Serotonin wirkt hier als natürlicher modulatorischer Transmitter und ist für das "Feintuning" der Signalübertragung verantwortlich. Letzteres wird von den Drogen verschoben und bewirkt so eine unsystematische Verzerrung unseres subjektiven Eindrucks der Realität.
Eine andere dafür bekannte Droge ist das Ecstasy, chemisch bekannt als Methylendioxymethamphetamin, ein dem Amphetamin verwandter Stoff. Ecstasy weist ein etwas anderes Wirkungsprofil auf als das Amphetamin. Im Gegensatz dazu wirkt es auch am Serotonin2A-Rezeptor, zusätzlich zu den typischen amphetaminartigen Effekten als Monoamin-Wiederaufnahmehemmer. Ecstasy ist bekannt dafür, dass es eine sehr spezielle "entaktogene", das heißt "das Innere berührende" Wirkung hat. Neben einer Entgrenzung der eigenen Wahrnehmung wird oft auch das Gefühl einer göttlichen Vereinigung mit allen Menschen und der Welt berichtet.
Neuere Drogen auf diesem Gebiet sind Phencyclidin, Ketamin oder γ-Hydroxybuttersäure (GHB), sogenannte dissoziative Anästhetika. Das sind Substanzen, die in niedrigeren Dosen wahrnehmungsverzerrend und in hohen Dosen als Anästhetikum wirken. Diese Substanzen sind Antagonisten am NMDA-Rezeptor, einer Bindungsstelle für den schnellen endogenen Neurotransmitter Glutamat. Die Wirkung hat letztlich eine Dissoziation von kognitiver und emotionaler Stimulusverarbeitung zur Folge. Interessant ist hier besonders das Ketamin. Es hat in den letzten Jahren hinsichtlich seiner medizinischen Beurteilung und Nutzung eine starke Wandlung erfahren. Stetig als Anästhetikum benutzt, war es auch als Missbrauchsdroge mit einem Suchtpotenzial bekannt. Mittlerweile wird es aber sehr erfolgreich zur Behandlung von therapieresistenten schweren Depressionen eingesetzt.
"High"-Gefühl
Relativ weit hinten in der Liste der Instrumentalisierungsziele ist die Euphorie, Hedonie oder das "High"-Gefühl, eigentlich das, was man typischerweise mit Suchtdrogen assoziiert. Bei Betrachtung der Gesamtheit aller Konsumepisoden muss man wahrscheinlich zugeben, dass dieses Ziel relativ selten eine Rolle spielt. Niemand raucht eine Zigarette, trinkt Kaffee oder ein Bier nach Feierabend, um "high" zu werden und Euphorie zu erleben. Die allermeisten Konsumziele gehen in eine andere Richtung. Nichtsdestotrotz haben wir natürlich auch hier bestimmte Drogen in bestimmten Dosierungen, die konsumiert werden, um ein "High" zu induzieren. Man könnte dabei sicherlich argumentieren, dass mit dem "Mental state" eines Euphoriegefühls letztlich alle anderen Verhalten, die in diesem Zustand ausgeführt werden, verbessert werden sollen.
Die Substanzen, die dafür verwendet werden, sind hinlänglich als solche bekannt. Opiate wie Heroin oder Morphin und Psychostimulantien wie Kokain, Amphetamin oder Methamphetamin können in höheren Dosen schnell einsetzende und starke Euphoriegefühle induzieren. Wir wissen aber auch, dass diese Wirkung einer sehr starken Toleranz unterliegt, was zu einer Dosissteigerung und letztlich Suchtentwicklung führen kann. Allen diesen Substanzen ist gemeinsam, dass sie auf dem einen oder anderen Wege zu einem akuten und stark ausgeprägten Anstieg der dopaminergen Aktivität im Belohnungssystem des Gehirns führen. Man hat lange geglaubt, dass dieser Anstieg tatsächlich das subjektive Euphoriesignal des Gehirns ist. Neuere Forschungen legen allerdings nahe, dass dem nicht so ist. Vielmehr handelt es sich dabei um ein ausgeprägtes Lernsignal, das für das Wiedereinnehmen der Substanzen und zum Teil für die Suchtentwicklung verantwortlich ist. Dopamin kodiert dabei vor allem den Anreizwert einer Substanz.
Körperliche Attraktvität
Ein häufig etwas stiefmütterlich behandeltes Instrumentalisierungsziel betrifft die physische Attraktivität, also unser körperliches Erscheinungsbild. Wir leben in einer Gesellschaft, die eine gewisse Normvorstellung an uns heranträgt. Es wird oft angenommen, dass schöne Menschen Vorteile im Leben haben und ihnen viele Dinge leichter fallen. Für das äußere Erscheinungsbild gibt es geschlechtstypische Idealbilder. Für Frauen ist das, schlank und sportlich, bei Männern eher, ein muskulöser Typus zu sein. Es gibt nun tatsächlich Substanzen, die selektiv dafür instrumentalisiert werden.
Man hat in vielen Befragungen herausgefunden, dass insbesondere junge Frauen und Mädchen Nikotin konsumieren mit dem Wunsch, ihr Körpergewicht zu kontrollieren. Dabei wird angegeben, dass man gar keine Aufmerksamkeits- oder Euphorie-Effekte, aber weniger Hungergefühl haben will und insgesamt weniger essen möchte. In einer Überflussgesellschaft fällt dies häufig schwer, aber mit dem Rauchen und Nikotin wird das erleichtert. Wie effektiv die Droge hier ist, sehen die Betroffenen meistens erst, wenn sie aufhören zu rauchen. Das Gewicht steigt dann relativ schnell wieder an. Systematische Studien zeigen, dass Nikotin Hunger- und Essverhalten tatsächlich verringern kann beziehungsweise zu einer schlechteren Verwertung der Nahrung führt. Der genaue Mechanismus ist allerdings nicht klar. Es ist wahrscheinlich eine periphere Wirkung des Nikotins im Zusammenspiel mit der Kontrolle des Essverhaltens im Hypothalamus des Gehirns.
Auch Amphetamin, Kokain und Amphetamin-Derivate wie Methamphetamin (Crystal) sind in der Vergangenheit für dieses Ziel instrumentalisiert worden. Auch sie sind starke Appetitzügler, das reicht bis hin zu einer pathologischen Mangelernährung, wie man sie bei chronischen Methamphetamin-Konsumenten sieht. Auf der anderen Geschlechterseite konsumieren Männer eher androgene anabole Steroide, die beim Muskelaufbau helfen, aber eben auch psychoaktive Effekte haben.
Verbesserung der spirituellen und religiösen Aktivität
Das letzte hier vorgestellte Instrumentalisierungsziel spielt in unseren Breitengraden und unserer Kultur keine so große Rolle mehr, ist aber in anderen Kulturen und Erdteilen noch immer wichtig: die Verbesserung der spirituellen und religiösen Aktivität. Hier geht es darum, eine Kommunikation mit der oder den Gottheiten, an die man glaubt, zu verbessern. Zumindest soll die subjektive Wahrnehmung dieser Spiritualität verbessert werden.
Es gibt Substanzen, die tatsächlich den "Mental state" so verändern können, dass man zumindest glaubt, die Kommunikation mit der Gottheit sei viel effizienter und wirksamer als im nüchternen Zustand. Das wird dann entweder von Einzelnen, von allen Mitgliedern einer Gemeinschaft oder auch von einem kommunikativen Stellvertreter, etwa einem Schamanen, gemacht. Diese Instrumentalisierung hat auch oft den Effekt, dass sie die spirituelle oder religiöse Gemeinschaft festigt und so die Gruppe stärkt. Da es eine der am längsten bekannten Instrumentalisierungen ist, verwundert es nicht, dass die meisten Substanzen, die dazu verwendet werden, natürlich vorkommende psychoaktive Drogen sind. Die allermeisten sind Pflanzeninhaltsstoffe, oft mit halluzinogener Wirkung. Im Amazonasbecken, wo man solche Substanzen findet, werden sie auch heute noch von indigenen Stämmen für diesen Zweck konsumiert. Bekannte Substanzen sind zum Beispiel DMT (Dimethyltryptamin, ein Pflanzeninhaltsstoff mit sehr stark halluzinogener Wirkung. Weiterhin verwendet werden Meskalin und Psilocybin, Inhaltsstoffe aus Pilzen. Evidenz für eine solche Verwendung gibt es auch für Nikotin, Kokain und Cannabis, aus den Erdteilen und Kulturen, in denen die Pflanzen wachsen und eine Kultivierung erlaubt haben.
Entstehung einer Drogensucht
Man muss wahrscheinlich eingestehen, dass jede Drogensucht damit begonnen hat, dass jemand Konsum und Instrumentalisierung etabliert und über zumeist viele Jahre aufrechterhalten hat. Eine klassische Drogensucht entsteht nicht von heute auf morgen, speziell nicht nach einmaligem Konsum. Meistens hat die Droge über viele Jahre geholfen, ein Problem zu lösen und ein Verhalten besser ausführen zu können. Aber irgendwann ist aus der erfolgreichen Instrumentalisierung eine Über-Instrumentalisierung geworden, aus der dann eine Sucht entsteht. Wie genau passiert das?
Auf der sichtbaren Ebene geschieht das durch eine dauerhafte Erhöhung der Konsumdosis und Konsumfrequenz. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung wäre eine stressbedingte Eskalation des Konsums. Ausgangspunkt hierfür ist zunächst eine erfolgreiche Instrumentalisierung mit dem Ziel, den Stresslevel zu kontrollieren. Man hat gelernt, dass eine kleine Menge Alkohol ausreicht, um den Arbeitsstress zu kontrollieren. Das kann man über Jahre machen. Viele machen das ein Leben lang, ohne dass der Konsum jemals eskaliert, mit Nebenwirkungen, die sich in erträglichen Grenzen halten. In einer ganz normalen Biografie kommt es regelmäßig vor, dass sich die Aufgaben verändern und der damit verbundene Stresslevel größer wird. Das muss nicht immer negativ sein. Ganz im Gegenteil, auch freudige Ereignisse wie eine neue Partnerschaft, Heirat, Geburt von Kindern oder beruflicher Erfolg und Beförderung können dazu führen. Dann passiert es gelegentlich, dass für das Mehr an Problemen einfach auch ein Mehr an bereits etablierter Lösung eingesetzt wird.
Wenn jemand alle paar Tage zwei Bier nach Feierabend getrunken hat, werden es dann vielleicht fünf, sechs, sieben Flaschen und irgendwann auch härtere Alkoholika mit mehr Volumenprozenten. Man macht dies dann nicht nur alle zwei, drei Tage, sondern täglich. Auf diese Weise kommt es zu einer Eskalation des Konsums. Die Folge ist, dass man das effektive Dosis-Wirkungs-Fenster der psychoaktiven Substanzen verlässt. Man muss klar feststellen und immer wieder betonen, dass eine Drogeninstrumentalisierung nur in einem relativ kleinen Dosis- und Frequenzbereich funktioniert. Wenn man den dauerhaft überschreitet, man hat es ja immer noch mit toxischen Substanzen zu tun, kommt man in den Bereich, wo die toxische Wirkung überhandnimmt. Neuroplastische Prozesse im Gehirn kommen in Gang, welche etabliertes Verhalten stören und nur noch Konsumverhalten befördern. Nebenwirkungen verschiedenster Art, die so gut wie alle Organsysteme betreffen, treten vermehrt auf.
In diesem Stadium gibt es dann zwei Wege, wie sich der Konsum entwickeln kann. Wenn man solche Nebenwirkungen wahrnimmt, und Menschen nehmen das wahr, kommt es in aller Regel zu einer Selbsttitration des Konsums. Man realisiert, dass der Konsum einer Substanz zeitweilig zu hoch war. Das war nicht gut und hatte mehr unangenehme Effekte als positiven Instrumentalisierungsgewinn. Also muss der Konsum - zumindest zeitweilig - reduziert oder ganz aufgegeben werden. Der andere Verlauf ist der, dass ein Konsument das zwar wahrnimmt, aber den Konsumverzicht nicht mehr realisieren kann. Der Konsum ist habituell und zwanghaft geworden und es kommt zu einem kompletten Kontrollverlust.
Zusammengefasst wissen wir heute über den Konsum psychoaktiver Substanzen: Er beginnt immer mit einer nichtsüchtigen Instrumentalisierung. Psychoaktive Substanzen werden systematisch in viele Lebensbereiche und Verhalten integriert. Das steigert die Effizienz der verschiedensten Verhalten. Der Konsum wird gut kontrolliert, man kann durch Adaptation den Konsum regulieren. Insgesamt überwiegen die Vorteile die negativen Effekte.
Wir denken, Drogeninstrumentalisierung ist insgesamt ein adaptives Verhalten. Das ist auch der Grund dafür, dass sich dieses Verhalten so stark in der menschlichen Gesellschaft hält und trotz aller pädagogischen und juristischen Maßnahmen nicht ausstirbt. Dem gegenüber steht die Drogensucht, die aus einer Instrumentalisierung resultieren kann. Hierbei ist es so, dass psychoaktive Substanzen zwanghaft eingenommen werden. Man sieht kaum noch eine Verbesserung anderer Verhalten durch die psychoaktive Drogenwirkung, sie ist aber zumeist nicht komplett verschwunden. Der Konsum kann nicht mehr kontrolliert werden. Die negativen Effekte überwiegen klar die Vorteile des Konsums und man hat es mit maladaptiven pathologischen Verhalten zu tun, das ganz zu Recht als psychiatrische Störung klassifiziert ist.
Christian P. Müller ist Professor für Suchtmedizin am Universitätsklinikum Erlangen. Sein Artikel erschien Bereits im Sammelband "altered states: Substanzen in der zeitgenössischen Kunst" im Zusammenhang mit der gleichnamigen Ausstellung des Kunstpalais Erlangen. Wir danken dem Kunstpalais für die freundliche Genehmigung der Zweitveröffentlichung.
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