Die Euro-Schuldenkrise und die Politik hilflosen Gehampels

Seite 2: Gefühlstriefende Bekenntnisse zum Euro

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Kritisiert wurde auch die "Wirtschaftslastigkeit" des Jahrhundertprojekts. Die Geschichte hat gezeigt, dass nur Währungsunionen, die auf eine politische Union hinausliefen, auf Dauer überleben können. Die Währungsunion ist primär ein politisches, kein ökonomisches Projekt - das betonte auch der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Statt über all diese - wie sich inzwischen herausgestellt - völlig berechtigten Argumente wenigstens nachzudenken, beeilte sich die Bundesregierung und übrigens auch die Opposition, sich gefühlstriefend zum Euro zu "bekennen".

Solche "Bekenntnisse" sind ja stets bei politischen Repräsentanten höchst beliebt, haben sie doch den Charakter nibelungenhafter Treueschwüre und schwülstiger Verbundenheit mit dem Objekt des Bekennens. Man fühlt sich heute an das terrierhafte Geifern von Markus Lanz gemahnt, als er in seiner Talkshow Sahra Wagenknecht auf Biegen und Brechen ein "Bekenntnis" zu Europa abzwingen wollte.

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) erklärte, der Euro werde wie vorgesehen kommen. Deutschland werde selbstredend alle in der EU getroffenen Abmachungen, insbesondere die Stabilitätskriterien, klar einhalten. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) sagte, es werde keinerlei "Tricks" bei den Teilnahmekriterien geben. Ein Aufschub hätte aber "verheerende Wirkung" auf die Finanzmärkte. Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) betonte gar, der Euro komme nicht zu früh. Er werde dringend gebraucht und werde kommen, "so sicher wie das Amen in der Kirche".

1998 stimmte eine überwältigende Mehrheit des Bundestags für die Einführung des Euro, nur 35 Abgeordnete stimmten in namentlicher Abstimmung dagegen. Ein stabiler Euro sei nützlich für die Stabilisierung deutscher Arbeitsplätze, sprach der SPD-Fraktionsvorsitzender Rudolf Scharping.

Das alles war nichts als dummes Geschwätz und eine Ansammlung einfältiger Platituden, wie man heute weiß und schon damals hätte erkennen können. Man kann der Politik den Vorwurf nicht ersparen, dass sie sehenden Auges und im geschwollenen Brustton der Überzeugung in die europäische Schuldenkrise gesteuert ist, ohne sich Gegenargumente überhaupt nur durch den Kopf gehen zu lassen. Ein klassischer Fall von besonders penetrantem Groupthink, wie er in demokratischen Gebilden immer wieder vorkommt.

Es ist ein Beispiel einer ganzen Kette besonders dumpfer Fehlentscheidungen, das ganz deutlich zeigt: Die Repräsentanten der demokratischen Politik sind zu verantwortungsbewusstem Handeln nur selten in der Lage, vor allem dann nicht, wenn sie von der Vernünftigkeit ihres eigenen Handelns so felsenfest überzeugt sind, dass sie aus ihren überdimensional aufgeblähten Brustkörben schier herauszuplatzen drohen.

Immer wieder wurde auch die Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsregierung laut. Sie allein könnte eine gemeinsame Fiskal- und eine aktive Konjunkturpolitik in der EU möglich machen. Die Begründung leuchtet ein: Wenn die Euro-Staaten alle eine gemeinsame Wirtschafts-, Sozial und Finanzpolitik verfolgen, besteht für Europa und den Euro keine Gefahr. Tun sie es aber nicht, driften die Länder weit auseinander, und der Euro als Gemeinschaftswährung gerät in Gefahr.

Allerdings sind auch die Vorstellungen über eine gemeinsame Wirtschaftsregierung weltfremd und ziemlich naiv. Die EU kann selbst keine Steuern erheben und verfügt auch nicht über genügend Eigenmittel für eine aktive Konjunkturpolitik. Konjunkturpolitik ist Sache der einzelnen Staaten, und die können sich nur freiwillig miteinander koordinieren. Das gilt auch für die Lohnpolitik, da Tarifregelungen national begrenzt sind, und erst recht für die Arbeits- und Sozialpolitik. Bis auch nur eine lockere Koordination der Politiken von 18 heterogenen Staaten gelingt, vergehen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.

Die vorgesehenen Sanktionen gegen Euroländer mit überhöhtem Defizit wurden noch kein einziges Mal angewandt. 2011 verabschiedete das Europaparlament strengere Vorgaben zur Haushaltsdisziplin in den EU-Staaten, einschließlich halb-automatischer Strafen in Milliardenhöhe für notorische Defizitsünder und Volkswirtschaften mit starken Ungleichgewichten ihrer Leistungsbilanz. Doch wenn schon die schwächeren Sanktionen nicht angewandt wurden, fragt sich, weshalb sich das ausgerechnet bei den stärkeren zum Besseren wenden sollte?

Verstößt ein Land gegen die mittelfristigen Budgetziele für eine gesunde Fiskalpolitik, kann es von einer qualifizierten Mehrheit der Euroländer aufgefordert werden, seinen Haushaltsplan binnen fünf Monaten (bei schwerwiegenden Fällen binnen drei Monaten) zu ändern. Kommt es zu keiner Nachbesserung, so hat die Europäische Kommission in letzter Instanz die Möglichkeit, Sanktionen von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Defizitsünders (0,1 Prozent bei Nichtumsetzung der EU-Empfehlungen zur Verbesserung makroökonomischer Ungleichgewichte) zu verhängen, sofern eine Mehrheit der Eurozone dagegen kein Veto einlegt.

Nun können Sanktionen bereits beschlossen werden, wenn sich ein Haushaltsdefizit der Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nähert. Zudem soll es eine schärfere Kontrolle der Staatsverschuldung geben. So werden Ländern mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent aufgefordert, drei Jahre hindurch die über der Grenze liegende Verschuldung jährlich um ein Zwanzigstel zu reduzieren.

Vor und nach der Euro-Einführung kam es immer wieder zu Verstößen der Mitgliedstaaten gegen diese Regelungen. Die Angaben über die Vertragsverletzungen schwanken. Manche sprechen davon, die Regelungen seien gut hundert Mal gebrochen worden, andere sprechen von 68 Mal.

Welche Zahl genau stimmt, ist auch ziemlich egal. Entscheidend ist: Die europäischen Politiker haben ein fabelhaftes Werk von Stabilitätsregeln ausgedacht und eingeführt und diese Regeln bei der ersten besten Gelegenheit entweder missachtet oder gebrochen und dann immer wieder und immer wieder gebrochen, und zwar viele Male.