Die Europäische Union kann am Grexit nicht zerbrechen

Seite 2: "Der Euro bringt die Europäer gegeneinander auf"

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Doch die Völker Europas scheinen der Friedensrhetorik nicht auf den Leim gehen zu wollen. Denn seit der Einführung des Euro breitet sich Unfrieden in Europa aus - und zwar wegen des Euro.

In Griechenland herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Medien in Italien, in Spanien, den Niederlanden und Großbritannien verbreiten Hass gegen Deutschland und die Deutschen. Die italienische Zeitung "Il Giornale" zitierte Silvio Berlusconi, der die Bundeskanzlerin als "unfickbaren Fettarsch" (culona inchiavabile) bezeichnete. Angela Merkel wird in Zeitungen als Nazi-Schlampe bezeichnet oder mit Hitler-Schnurrbart abgebildet.

Hemmungslos schlagen sich die europäischen Völker wieder alte Zerrbilder um die Ohren, die man lange nicht gehört hat. Die Deutschen sind wieder die Nazis, während Südländer faule Säcke und Betrüger genannt werden. In der Presse der EU-Staaten fehlt kein Klischee, im Internet erst recht nicht und im Fernsehen auch nicht. Manche Sätze, die da in jüngster Zeit zu lesen waren, erinnern an die Jahre vor und zwischen den Weltkriegen.

Der raue Ton ist eine Niederlage für den europäischen Friedensprozess. Die europäische Einigung scheitert auf genau dem Feld, das immer ihr Hauptanliegen war: der Aussöhnung von Völkern, die einander in einer sehr langen gemeinsamen Geschichte mit Argwohn und Feindseligkeit begegneten.

Die Mehrheit der Griechen sieht die EU inzwischen als das "Vierte Deutsche Reich" an. Der Lack der Völkerfreundschaft ist hauchdünn und schon zerkratzt. Und schnell bricht der alte Hass hervor. Vor der Einführung des Euro ging es in Europa deutlich friedvoller zu.

In der europäischen Politik hat sich eine unwirkliche Form des orwellschen Newspeak als offizielle Sprachregelung etabliert. Während die politische Klasse gebetsmühlenartig davon schwärmt, Frieden und Freiheit in Europa hänge vom Wohlergehen des Euro ab, herrscht zwischen den Staaten und den Völkern so viel Unfrieden und mitunter gar Hass wie kaum je zuvor.

Man kann die Augen nicht davor verschließen, dass mehr als zehn Jahre nach Einführung des Euro zwischen den Ländern der Eurozone sich eine eher unfriedliche, friedlose, ja feindselige Atmosphäre festzusetzen droht. Längst begrabene nationale Vorurteile und Klischees werden wieder lebendig - und je primitiver sie daherkommen, desto beliebter sind sie.

Noch ist nicht sicher, ob sich diese mitunter gar hasserfüllte Atmosphäre auf Dauer festsetzen wird. Aber es ist sicher, dass sie den Turbulenzen der Staatsschulden- und Eurokrise zu verdanken ist. Mit der Eskalation der Schuldenkrise haben auch die Konflikte zwischen den Mitgliedsländern und Institutionen der Eurozone wie auch innerhalb einzelner Eurostaaten an Intensität und Irrationalität gewonnen.

Und je feindseliger die Stimmung zwischen den Nationen und inzwischen auch den Völkern wird, desto verbockter beharren die politischen Repräsentanten auf der Behauptung, der Euro sei der Garant des Friedens und der Freiheit in Europa.

Wer das hört, fragt sich verwundert, ob die Politiker und die Völker auf ein- und demselben Kontinent leben oder ob die einen gar von einem ganz fernen Planeten entlaufen sind. Auf jeden Fall ist ihre Wahrnehmung nachhaltig gestört. Die wirkliche Wirklichkeit ähnelt in keiner Weise dem, was die Politiker als politische Wahrheit proklamieren.

Auf dem Höhepunkt der Eurokrise ist die allgemeine Stimmung der Bevölkerung in eine tiefe Europaskepsis umgeschlagen, die es vorher nicht gab. In allen EU-Staaten hat die Euroskepsis in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Tatsächlich bewerten viele Menschen den Einigungsprozess grundsätzlich neu. Die Zeiten der andauernden Europaeuphorie sind vorüber.

Vor wenigen Jahren noch verstanden sich viele Menschen zuerst als Europäer und dann als Angehörige ihrer Nation. Heute tun das nur noch wenige. Die Menschen stehen Europa im günstigsten Fall noch gleichgültig gegenüber, wenn nicht inzwischen gar feindselig.

Die Bürger sollten endlich begreifen, dass die Politik dieses Landes in den Händen einer Bande schwülstig daher schwadronierender Politgockel liegt, die primitivste Zusammenhänge nicht begreifen und ihre Ignoranz unter einem gewaltigen Schwall leerer, aber tönender Redensarten kaschieren.

Ausgerechnet die Europawahl von Mai 2014 hat zu einer katastrophalen Stärkung der Europagegner geführt: In Frankreich erstarkte der Front National, in Großbritannien die UKIP, in Österreich die FPÖ, in Deutschland die AfD, in Ungarn die Jobbik ebenso wie die Fidesz-Partei von Regierungschef Viktor Orban, Ataka in Bulgarien, die Slowakische Nationalpartei, Jobbik in Ungarn, Chrysi Avgi in Griechenland, die Dänische Volkspartei in Dänemark, der Kongress der Neuen Rechten in Polen oder die Rechtspopulisten "Die Finnen" in Finnland.

Man soll das auch nicht überbewerten: Die Europagegner haben im Europaparlament genauso wenig zu sagen wie alle übrigen Parlamentarier. Man kann sich also damit zufrieden geben, dass außer albernem Gequatsche kaum etwas bei der Europafeindschaft herauskommt.

Doch dass ausgerechnet eine Europawahl zum Kristallisationspunkt für die Feinde Europas wird, ist dennoch beängstigend. Die politische Realität der europäischen Wirklichkeit stärkt die Gegner Europas. Wenn sie etwas taugen würde, müsste sie eigentlich eher schwächen. Die Europapolitiker nähren ihre eigenen Feinde, statt ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Das Urteil des französischen Historikers und Sozialwissenschaftlers Emmanuel Todd ist eindeutig: "Der Euro geht in die Geschichte ein als der Meister-Irrtum der herrschenden Eliten in Europa. Sie wussten nicht, was sie schufen - einen Zombie -, und können sich deshalb auch nicht davon lösen." Und weiter: "Tatsache ist, dass die Währungsunion Spannungen und Gegensätze in Europa auf das Äußerste verschärft hat. Der Euro bringt die Europäer gegeneinander auf. Die nationalen Währungen waren ein Instrument der Regulierung im gemeinsamen Markt, um Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Um das zu erkennen, braucht man keinen Nobelpreis für Ökonomie."

In einer Situation, in der es entscheidend auf eine fach- und sachgerechte Analyse von Vorteilen und Nachteilen einer folgenschweren währungspolitischen Entscheidung angekommen wäre und nicht auf eine romantische Heraufbeschwörung blühender Landschaften, verstiegen sich die Politiker zu ebenso emotionaler wie banaler Europa-Euphorie, beschworen Schreckensvisionen vom 2. Weltkrieg und zelebrierten feierlich und in gestelzten Reden die allgemeine Hoffnung auf Friede, Freude und auch besonders viel Eierkuchen.