Die Gartenguerilla erobert die Städte
In Tokio, Paris, London, New -York und Berlin macht sich seit geraumer Zeit eine mit Spaten und Schaufeln "bewaffnete" Guerilla breit
Das "Guerillagardening" soll durch Beton und Besitzansprüche versperrte Areale im urbanem Raum mit Pflanzen für die Bürger zurückerobern. Rund um den Globus wollen diese grünen Guerilleros die Städte mit Pflanzen wiederbeleben. Es gilt, die Megalopolen dieser Welt für deren Einwohner angenehmer zu gestalten, lebt doch mittlerweile mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. Doch manchem Guerillagärtner geht es bei weitem nicht nur darum, die urbanen Landschaften aus Beton und Stahl mit Blümchen zu behübschen und dem Passanten im Vorbeigehen ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Was angesichts der geballten kommerziellen und politischen Interessen, welche den urbanen Raum regieren, gelinde gesagt naiv wirken könnte. Als ob eine Sonnenblume etwas gegen die finanziellen Interessen ausrichten könnte. Eine Angelegenheit für unverbesserliche Träumer, die vermeinen, dass ihnen jeden Tag Bambi aus der Hand frisst?
Nicht unbedingt, denn manchen Öko-Guerilleros reicht es bei weitem nicht aus, ihre Stadt brav mit Pflanzen zu verschönern. Begonnen hat diese Praxis einer nicht offiziell genehmigten und daher heimlichen Aussaat von widerstandsfähigen Pflanzen in Städten als eine Form des politischen Protestes. Dieser zivile Ungehorsam mit Setzlingen hatte bereits in den 1970er Jahren des letzten Jahrtausends begonnen, von New York aus in den Großstädten der westlichen Welt seine Anhänger zu finden.
Eine Einwohnerin des „Big Apple“, um bei den urbanen Pflanzen zu bleiben, namens Liz Christy hatte 1973 die „Green Guerillas“ ins Leben gerufen. Sie erfand die sogenannten „Saatbomben“, „seedbombs“. Diese grünen Bomben waren anfangs ganz einfach Kondome, welche die grünen Guerilleros mit lokaler Wildblumensaat, Wasser und Düngemittel angefüllt hatten, um diese dann über Zäune auf ungenutzte oder unzugängliche Brachflächen zu werfen. Es galt, der Großstadt mit Pflanzen Leben einzuhauchen. Diese Saatbomben werden übrigens nach wie vor benutzt, um unbemerkt z.B. von einem Fahrrad aus ein Stückchen Stadt zu begrünen.
So richtig losgelegt hat dann nach den bombigen Anfängen in New York, die Gartenguerilla am 1.Mai 2000 in London, als sich Globalisierungskritiker, Umweltaktivisten und Anarchisten - wen immer das auch genau bezeichnen mag - auf einer Rasenfläche direkt vor dem verkehrsreichen Parliament Square trafen, um die spärlich vorhandene Erde umzugraben und dann mit Blumen und Gemüse zu bepflanzen. Es galt die „Strasse zurückzuerobern und den Widerstand fruchtbar zu machen“, wie es auf den Transparenten hieß.
Ein paar Jahre zuvor, im Mai 1996, um genau zu sein, ebenfalls in der britischen Hauptstadt hatten ca. 500 grüne Aktivisten mit dem Slogan "The Land is Ours" 530. 000 Quadratmeter Land der Guinness Company entlang der Themse besetzt, um „den Missbrauch von urbanem Land, den Mangel an erschwinglichen Wohnungen und die Zerstörung urbaner Umwelt“ anzuprangern. Über 60 Besetzern gelang es, dort am Ufer der Themse, quasi autark über 4 Monate lang zu verbleiben.
Die Besetzung wurde nicht als Angelegenheit der Polizei aufgefasst, da das Zivil- und nicht das Strafrecht galt. Nur der Besitzer des Landes, also der globale Brauer „Guiness“, konnte über den Verbleib der urbanen Grünaktivisten entscheiden. Und nach 4 Monaten grünem Utopias war eben Schluss mit der Geduld der Brauerei. Der nicht vernachlässigbare spekulative Wert des Grundstückes nahe dem finanziellen Herzen der britischen Hauptstadt gelegen, der City, hatte erwartungsgemäß das letzte Wort in diesem kurzen Flower-Power-Revival.
Eine Prise C02 gefällig?
Doch die urbanen Gärtner des neuen Millenniums haben sich mitnichten von der Londoner Ernüchterung entmutigen lassen und widmen sich nunmehr voll und ganz ihrem angestammten Revier: den Hochhausschluchten. Das Londoner Experiment an der Themse hat trotz alledem bei so manchem Spuren hinterlassen, und man hält eisern daran fest, dass eine erfolgreiche Stadtentwicklung vor allem auf die Bedürfnisse der Bewohner zugeschnitten sein muss.
Was nicht unbedingt finanzielle Verluste nach sich ziehen müsse, wie die „land-is -ours“-Kampagne an der Themse aufgezeigt hätte. Um eine nachhaltige Stadtentwicklung mit den entsprechenden Transportmitteln und Energieversorgung zu entwickeln, dürfe man nicht auf die Politiker und die Stadtverwaltungen zählen. Da könne man eben nur auf sich selbst zählen und sich daran machen, u.a. so viel verwendete Materialien wie möglich zu recyceln, um somit den Konsum einer Gemeinschaft zu reduzieren, wie es im Londoner Intermezzo praktiziert worden war.
Derweilen üben sich die grünen Guerilleros des neuen Jahrtausends weiter fleißig darin, bepflanzbare Flächen in ihrer Stadt ausfindig zu machen. Dabei sind der Phantasie und dem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt: Brachflächen, ungenutzte Pflanzkübel, mitten in einem Kreisverkehr, auf einer Verkehrsinsel, am Rand eines Gehsteigs, in einem alten Autoreifen - kurzum überall, wo sich mit ein wenig Erde Leben säen lässt, schlagen die urbanen Gärtner zu, wie die Beispiele aus Tokio zeigen. Ein wahrer Guerillagärtner weiß sich eben mit herzlich wenig zu begnügen. Die Tokioter Tomaten dürften allerdings mit einem Hauch von Abgasen parfümiert sein. Eine Prise CO2 gefällig?
Für ein erfolgreiches Guerillagardening müssten allerdings einige Grundregeln beachtet werden, wie deutsche Stadtgärtner raten: Der ausgewählte Pflanzort sollte vor zweibeinigen und vierbeinigen Besuchen, sprich Hunden und Fußgängern geschützt werden.. Wie z.B. durch einen kleinen Zaun. Stadtrobusten Pflanzen solle der Vorzug gegeben werden. Solchen mit dicken und festen Blättern und kleinen Sträucher: Efeu, Lavendel und Buxbaum seien vorzügliche Kandidaten für das Überleben in der Großstadt.
Früher oder später werden wir in Ihrem Viertel auftauchen
So steht es auf der Homepage der französischen Gartenguerilla zu lesen. Der französische Ableger der urbanen Guerilleros, zeigt sich, wie könnte es auch anders sein, „revolutionär“. Die Franzosen können es eben nicht lassen. Auch wenn dieser „zivilisierte“ Ungehorsam natürlich bei weitem nichts mit 1789 gemein hat. Wie bei den echten Guerilleros vermeiden die Guerillagärtner tunlichst die offene Auseinandersetzung. Die Gartenguerilleros wollen mit ihren Pflanzaktionen die Besitzansprüche von Brachflächen in der Stadt hinterfragen. Oder wie es ein französischer Guerillagärtner formuliert: „Die Stadt gehört allen und somit niemandem“.
Die Pflanzaktionen werden von manchen grünen Guerilleros mit politischen Botschaften unterlegt, wie z.B. das Anpflanzen von Reis oder Getreide in öffentlichen Grünanlagen, das Bepflanzen von Golfplätzen mit Dornbüschen oder das Stören von Gentechnik-Freilandversuchen durch heimliches Zwischensäen von natürlichen Pflanzen. Der Protest gegen die allmächtige Agrarindustrie ist bei letzterem freilich nicht zu übersehen. Die Pariser Guerilleros widmen sich voll und ganz ihrer Stadt und lassen z.B. Graffitis aus Moos auf Wänden von unbewohnten Häusern wachsen. Die französische Hauptstadt leidet wie andere Metropolen auch an chronischem Wohnungsmangel und horrenden Mieten.
Die französischen Guerillagärtner wollen wie alle grünen Guerilleros dieser Welt, die Leute dazu veranlassen, ihr Viertel, ihre Stadt durch und mit Pflanzen voll und ganz in Besitz zu nehmen Beim Hegen und Pflegen der Stadtpflanzen würden auch die nachbarschaftlichen Verhältnisse gefördert, würde man doch untereinander Tipps und Tricks austauschen. Auch der Traum von einer urbanen Selbstversorgung liegt den Guerillagärtnern am Herzen. So sei laut den französischen Stadtgärtnern berechnet worden, dass die durchschnittliche Rasenoberfläche einer amerikanischen Familie 6 Personen ernähren könne. Und dabei trotzdem nach wie vor genügend Raum für die Freizeitbeschäftigungen der Familie lassen würde.
Es sei dabei auch zu bedenken, dass die Rasenflächen vorm Haus gigantische Unterhaltskosten verursachten: für Erdöl, Strom für den Rasenmäher, Wasser, Düngemittel, und, und, und. Die französischen Umweltguerilleros versuchen derweilen, selbst die Pflanzen zu kultivieren, die sie bei ihren Aktionen einsetzen, um chemische Düngemittel und dergleichen zu vermeiden.
Ob ihre Pflanzaktionen allerdings politischen Sinn machen oder gar etwas bewirken können, stellen die französischen Guerilleros selbst in Frage (einen Landschaftsarchitekten zitierend):
Das Konzept, Bäume (vor Werbeplakaten), Gemüse oder Blumen ohne globale Strategie zu pflanzen, mag kindisch und naiv erscheinen, angesichts des Ausmaßes der globalen Umweltprobleme. (....) Wir sind eine urbane Spezies geworden. Wir müssen nun die Stadt auf eine neue Art und Weise denken. Die Leute glauben, dass man das urbane Design Professionellen überlassen muss. Aber das funktioniert nicht. Die Bürger müssen entscheiden. Das Problem ist, dass uns die Natur fremd geworden ist. Wir wissen nicht mehr, was das zu bedeuten hat, denn wir wohnen in Schachteln.
Und die Polizei?
Rechtlich gesehen „vandalisieren wir Grundstücke, die uns nicht gehören“, wie die französischen Guerilleros zugeben: „Wir kümmern uns um Grundstücke, die Privatbesitzer oder Stadtverwaltungen aus Zeit – und/oder Geldmangel verwahrlosen lassen.“ Offenbar sind manche Behörden dafür auch dankbar. Ohne es klar zu sagen, versteht sich. Noch dazu geben die Gartenguerilleros lokalen Pflanzen den Vorzug, die nur wenig gegossen werden müssen.
Ein zu strenges Vorgehen gegen die friedfertigen Stadtbegrüner wäre wahrscheinlich reichlich unpopulär. Und die Polizei, die ohnehin schon alle Hände voll zu tun hat, könne sich nicht auch noch um harmloses Stadtgemüse kümmern, so die Ansicht in Paris. Die Gartenguerilleros jenseits des Atlantiks sollen hingegen schon zahlreiche Geldstrafen einkassiert haben. Aber nie sei es bis zu einem Strafverfahren gekommen, wie die Pariser Kollegen betonen.
Auch Richard Reynolds, weltweit anerkannte Koryphäe unter Guerillagärtnern, hat es bei einer Pflanzaktion in London mit der Polizei zu tun bekommen. Aber auch hier ist die Sache eher glimpflich verlaufen. Die Polizei begnügte sich damit, die Guerillagärtner samt ihren Spaten und Schaufeln nach Hause zu schicken. Reynolds, erinnert an dieser Stelle an den etymologischen Ursprung des Wortes Guerilla, was auf spanisch so viel wie kleiner Krieg zu bedeuten hat.
Die original Guerilleros waren südamerikanische Bauern, die um ihr Recht auf Land kämpfen mussten. Für die Gartenguerilleros sei das von Reynolds proklamierte Leitmotiv nun: „We are fighting for our land in our communities.“ Dieser etwas gewagte Vergleich zwischen südamerikanischen Landlosen und gestressten Großstadtbewohnern stammt, wie es nicht weiter verwundern mag, von einem Mann aus der Werbebranche, der es zum obersten Stadtbegrüner gebracht hat. Doch was soll's: Ein Stückchen Natur für Jedermann- und frau mitten in den Betonwüsten schadet sicher nicht.