Die Gefängnisbranche boomt

In Philadelphia fand die weltweit größte Knastmesse statt

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Das warenproduzierende Gewerbe in den USA befindet sich auf Talfahrt, aber offenbar mit einer großen Ausnahme. Denn die Hersteller von Elektroschock-Knüppeln, Aluminiumnäpfen, Fußfesseln, Schockgranaten, Gitterstäben, Kompaktzellen und anderen Knastwaren - kurz: die Gefängnisindustrie - müssen sich über mangelnde Umsätze nicht beklagen. Der "Prison Industrial Complex" boomt, bei seinen Profiteuren herrscht High Noon.

Wer diese Woche im Zentrum von Philadelphia, der Hauptstadt von Pennsylvania, einen Blick in das gigantische Convention Center werfen konnte, der kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Schon der Messekatalog umfasste 300 Seiten, und in der ausgebuchten Messehalle von der Größe eines Fußballplatzes traten sich morgens um neun finster dreinblickende Männer mit Bürstenschnitt und mittleren Alters gegenseitig auf die Füße: das Stelldichein der Gefängniswärter, Gefängnisdirektoren, Gefängnisbeauftragten und Gefängnisprofiteure. Hunderte von Firmen stellten ihre neuesten Produkte und Dienste vor - auf der alljährlich stattfindenden Knastmesse der American Correctional Association, der größten ihrer Art in den USA und damit weltweit.

Schon am Wochenende vor der eigentlichen Messe hatten sich Interessierte aus den gesamten USA - und ausländische Gäste - versammelt, um Rückblicke anzustellen, aber auch um neue Entwicklungen, Technologien und Strategien zu besprechen. Die Aussichten auf alles, was eine Verbindung von Knast und Geld denkbar und möglich macht, sind - daran ließ niemand einen Zweifel - glänzend.

Larry Kothran ist einer, der es wissen muss. Er trage "viele Hüte", beginnt er wie eine Karikatur des Marlboro-Mannes mit breitem Grinsen und lässt den Mund offen, um seine Kunstpause besser zur Wirkung kommen zu lassen. Sein "wichtigster Hut" sei der des Forschungsleiters der kalifornischen Haftbehörden, erklärt er, und er müsse sich auf dem neuesten Stand bringen sowie dazuzulernen. In Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten US-Staat, sind Hightech und neueste Computersysteme längst kein Fremdwort mehr. Seine Behörde entwickele "neues Material für draußen auf dem Feld", setzt Kothran an, "zum Beispiel 37-Milimeter-Geschosse, die in der Luft explodieren und Chemikalien freisetzen."

In Kalifornien würden in den Gefängnissen Licht- und Lärmschock-Gewehre getestet, führt er aus, außerdem arbeite man "an einem Gummiring, der auf eine Person abgeschossen wird und sie in einer Wolke von Pfeffergas verschwinden lässt." Vor allem nicht-tödliche Waffen lägen im Trend, sagt Kothran, denn - und da er nimmt kein Blatt vor den Mund: "Wir können uns die vielen Klagen nicht mehr leisten". Zu viele Häftlinge wurden in den vergangenen Jahren schwer verletzt oder gar umgebracht. Was die Behörden zu teuer kommt. Und Kothran zieht weiter, zum nächsten Messestand. Wackenhut heißt die Firma, mit deren Vertreter er zu plaudern beginnt, nach dem Knasttech-Giganten Corrections Corporation of America die Nummer zwei im weltweiten Geschäft mit der Einpferchung von Menschen. Manche Konzerne liefern inzwischen schlüsselfertige Haftanstalten.

Nicht-tödliche Waffen zählen tatsächlich zu den größten Wachstumsbereichen in der Waffenindustrie. Aber die Ausmaße des Knast-Business reichen weiter. Dass der Wachstumsmarkt riesig ist, beweist nicht nur die Anwesenheit von millionenschweren Firmen und hochrangigen Technologieexperten auf der Messe. Denn das amerikanische Gefängniswesen sucht seinesgleichen - weltweit. Kein Land hat so viele Strafgefangene wie die USA, nicht einmal das um ein Vielfaches bevölkerungsreichere China, in dem rund 1,5 Millionen im Knast sitzen. Die Grenze von 2 Millionen Häftlingen ist letztes Jahr überschritten worden. Genaue Zahlen lieferte vor wenigen Tagen das US-Justizministerium.

Allein um die Gefängnisse zu betreiben, werden in diesem Jahr 40 Milliarden Dollar ausgegeben werden. Und neue Knäste schießen wie die Pilze aus dem Boden, vor allem in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, etwa im Staat New York. Die Folge: Arbeitslose werden Gefängniswärter, potentiell Arbeitslose schulen um auf diesen Job, und die Kommunen in ländlichen oder entindustrialisierten Regionen betteln die Behörden mangels Alternativen um die Errichtung von Gefängnissen an. Schon drei Fahrstunden von New York City in Richtung Kanada gibt es Ortschaften, in denen die Mehrzahl der Erwerbstätigen für die Knastindustrie arbeite. Die amerikanische Juristenvereinigung zählte im Mai dieses Jahres bereits 120 private Haftanstalten in den USA, die ausschließlich von privaten Firmen gebaut sowie betrieben werden. 120.000 Insassen sitzen dort ein, und die Zahl wächst.

Die Haftstrafen werden insgesamt länger, härter und rassistischer, gerade bei Bagatelldelikten wie Drogenmissbrauch: ein Resultat des unter der Clinton-Regierung verschärften "war on drugs". Kein Witz: Wer mit Crack, dem "Kokain der Armen", erwischt wird, landet mit Sicherheit mindestens doppelt so lang hinter Gittern wie ein Kokser, der sich "normales", das heißt teures Kokain, leisten kann. Nicht-Weiße landen mit viel höherer Wahrscheinlichkeit hinter Gittern als europäischstämmige Weiße. Viele afroamerikanische Gefangene vergleichen das Gefängnissystem in den USA mit der Sklaverei, was zum einen an den Hungerlöhnen im Gefängnis liegt, zum anderen daran, dass in vielen Bundestaaten Arbeitspflicht herrscht - Zwangsarbeit.

Daran haben wiederum die Privatbetreiber von Gefängnissen großes Interesse. Dass es zunehmend nur noch um Profite geht, zeigt auch die Tatsache, dass die Kriminalitätsraten in den USA seit 10 Jahren kontinuierlich fallen: Ohne Gefangene lohnt sich das Geschäft nicht. Der Staat und seine Behörden müssen offenbar für Nachschub sorgen. Das Erschreckende, aber auch Erhellende an der Gefängnismesse in Philadelphia ist dabei, dass Firmenvertreter, Staatsbürokraten und Wärter diese Tatsachen ganz offen aussprechen, ohne moralische Bedenken oder gar Angst zu haben.

Wenige Straßenzüge von der Messehalle entfernt hatten Gegner des "prison industrial complex", ehemalige Gefangene und Solidaritätsgruppen für den weltweit wohl bekanntesten Gefangenen und Todeszellenhäftling Mumia Abu Jamal, der am Freitag bei einer Anhörung vor dem Stadtgericht in Philadelphia auftreten sollte, mithilfe des Internet eine Gegenkonferenz mit Hunderten von Teilnehmern auf die Beine gestellt. Sie wollten die Öffentlichkeit sowohl auf die Knastmesse als auch auf Mumia Abu Jamals Fall aufmerksam machen. "Solange das friedlich geschieht, ohne dass unsere Rechte eingeschränkt werden", hieß es dazu lässig im Messerundbrief der Knastindustrie, "unterstützen wir das Recht der Protestierenden auf ihre Gegendemonstrationen." Demokratisch ist sie eben auch, die amerikanische Knastgesellschaft, solange ihr nicht ernsthaft in die Suppe gespuckt wird.