Die Gewalt der Identität
Identitäre in Österreich: Besonders eifrige Bewahrer des Abendlands verspritzen neuerdings gern Kunstblut und schlagen um sich
Sie sehen sich gern als die kulturell verfeinert, und verzichten nach außen weitgehend auf die bekannte Ästhetik der extremen Rechten - aber in Österreich lassen die "Identitären" gerade ihre Maske fallen.
Selbst wenn es die Öffentlichkeit, aus welchen Gründen auch immer, nicht wahr haben will: Auch in der Rechten gibt es Moden und Tendenzkämpfe. Während man noch an dem Bild vom bomberjackentragenden Skinhead mit Hakenkreuztattoo hängt, als wäre der nicht schon seit der Jahrtausendwende eher marginalisiert, stellt sich die Rechte heute als ein buntes Spektrum von Stilen dar, die auch nicht komplett kompatibel sein müssen.
Der besorgte Wutbürger mit Parteibuch, der gleichzeitig hitler- und palästinabegeisterte Hardcore-Neonazi, braune Ökologen und "völkische Siedler" - sie alle sind rechts, aber sie sind es, zumindest nach außen hin, auf unterschiedliche Weise. Seit einigen Jahren machen nun die "Identitären" von sich reden.
Ursprünglich aus Frankreich stammend, benutzen sie in Deutschland und Österreich statt dem Hakenkreuz ein an das griechische Lambda angelehntes Symbol. Wenn sie Rasse meinen, sagen sie "Identität" und "Abendland", wenn sie Hass gegen Ausländer meinen, sprechen sie von "Ethnopluralismus". Sie bedienen sich gerne einer hochkulturellen Rhetorik, die nicht von ungefähr an die Elitebestrebungen akkurat gescheitelter Bürgersöhne aus der Zeit zwischen den Weltkriegen erinnert.
Gegen eine verworfene, dekadente Gegenwart
Gegen "Dekadenz" treten sie an, statt rechtsextremen Rockbands verehren sie - jedenfalls nach außen hin - Novalis, Gottfried Benn, Eugen von Savoyen und Jeanne d’Arc. Man könnte sie auch als die jugendlichen Klassizisten der extremen Rechten bezeichnen. Ihre verquollenen Traktate sind so vollgestopft mit Kostümen der abendländischen Kultur wie ein Theaterfundus.
Der positive Bezug zu Gestalten wie Benn, Ernst Jünger und E.M. Cioran weist den Weg zur Dekodierung der speziellen Auffassung von der abendländischen Kultur, mit der wir es hier zu tun haben. Dunkle Romantik, die Selbstumwölkung mit Tragik und Untergangsbereitschaft, das mit antibürgerlicher Attitüde proklamierte (Kultur-)Soldatentum - all das soll ein Heilmittel gegen eine verworfene, dekadente Gegenwart sein, die den wahren Wert der Identität nicht mehr zu schätzen weiß.
Im Vorhinein formuliert man die passenden Dolchstoßlegenden und Heldengesänge. Das Lambda, das ansonsten auch schon mal ein Wahrzeichen von Lesben und Schwulen ist, ist bei den Identitären als Bekenntnis zum Militarismus der Spartaner gemeint. Sozialpsychologisch gesehen handelt es sich hier um einen aggressiven (und autoaggressiven) Kollektivnarzissmus, der Reinheit und Einheit der Gruppe gegen alles Fremde, gegen Widersprüche und Dissidenz verteidigt, überzogen von einer hauchdünnen Schicht aus kulturellem Blattgold.
Und die allerneueste konservative Revolution hat auch eine weibliche Seite. Die österreichische Autorin Stefanie Sprengnagel schreibt über "ihre Lieblingsidentitäre":
Sie wirkt sehr romantisch veranlagt, mag die moderne welt nicht, liest gern gedichte und pflückt verträumt blumen auf weiten wiesen. (…) Sie spielt auch gern klavier und liebt es, strenge zöpfe zu flechten, die an der kopfhaut ziehen. (…) Sie kann auch ganz gut zeichnen. Sie zeichnet am liebsten bleistiftportraits von jungen, schönen offizieren und träumt davon, wie sie von ihnen unter einer linde gepackt und wild geküsst wird, bevor diese wieder ihren wachtdienst im kz antreten (…).
Radikalisierung und "Mittun" in Österreich
Der beißendste Spott zum Thema kommt derzeit nicht zufällig aus Österreich. Denn dass die Identitären bereit sind, ihr törichtes Geschwafel anderen mit Gewalt aufzunötigen, wird dieser Tage gerade dort besonders augenfällig. Am 14.4. überfiel eine Gruppe von 30 - 40 Identitären eine Aufführung des Dramas "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek im Auditorium Maximum der Universität Wien.
In hochkultureller Souveränität bespritzten sie unter anderem die Laiendarsteller (überwiegend Flüchtlinge, darunter auch Kinder) mit Kunstblut und verteilten Schläge, sowie Flugblätter, auf denen sie die Flüchtlinge und ihre Unterstützer für die jüngsten islamistischen Terrorangriffe in Paris und Brüssel verantwortlich machten.
Nach wenigen Minuten konnten sie aus dem Saal gedrängt werden, die Aufführung wurde fortgesetzt. Die Autorin Julya Rabinowich stellte den Angriff völlig zu Recht in die Tradition der rechtsradikalen Ausschreitungen an der Universität Wien vor dem "Anschluss" Östereichs an Hitlerdeutschland.
Erfahrung in der Verteilung von roter Farbe hatten Vertreter der Gruppierung schon am 6. April gesammelt, als sie das Dach des "Grünen Hauses" in Graz bestiegen
Im Licht der jüngsten Wahlergebnisse in Österreich ist es bemerkenswert, dass einer der Dachkletterer nicht nur Mitglied bei der FPÖ ist, sondern bis zum Morgen nach der Aktion auch Funktionär dieser Partei war. Zwar wurde ihm seine Funktion als Obmann des Grazer Parteibezirks Lend genommen, aber der Grazer Parteichef Mario Eustacchio stellte ausdrücklich fest, dass es einen Parteiausschluss nicht geben wird:
Bei den Identitären mitzutun steht nicht in Widerspruch zu unserem Parteistatut.
Wie dieses "Mittun" aussehen kann, hatten die Identitären schon am 16.1. und 17.1.2016 illustriert, als sie, ebenfalls in Graz, gewalttätige Krawalle inszenierten.
Den Weg einer der Aktivisten in diese Szene kann man in einem interessanten Artikel bei dem Internet-Magazin Vice nachverfolgen.
Die Vermutung liegt nahe, dass es hauptsächlich arme Würstchen sind, die sich hier eine historische Aufgabe zumessen. Harmlos ist das Ganze aber durchaus nicht, denn offensichtlich radikalisieren sich die Identitären in Österreich weiter, und sie sind sowohl dort als auch in Deutschland innerhalb der extremen Rechten gut vernetzt.
Im Moment geht es gegen den Islam
Rechtsextreme Burschenschafter, die sattsam bekannten PI-News und andere Organe aus diesem Milieu haben schon lange Gefallen an dem Gemisch aus popkulturellem Design, abendländischer Selbstüberhöhung und rechter Militanz bei den Identitären gefunden. Die Zweifel an ihrer Schlagkraft in Deutschland, die noch vor drei Jahren geäußert wurden möchten die hiesigen Identitären derzeit offenbar mit Nachdruck zerstreuen.
Die Identität der Identitären steht fest. Im Moment geht es gegen den Islam. Diese Form der "Islamkritik" hat mit der dringend benötigten Ideologiekritik am Islam so viel zu tun wie der Nationalsozialismus mit dem Sozialismus oder der "Antiimperialismus" von Neonazis mit der Kritik an Ausbeutung und Unterdrückung.
Man soll sich nicht täuschen: Die Aggression, die sich in den Aktionen der österreichischen Identitätsliebhaber ausdrückt, kann blitzschnell gegen Afrikaner, Juden, "Amerika" gewendet werden, wenn das Abendland es verlangt. Dass aus dem Kunstblut echtes werden soll, ist offensichtlich. Das Farbschema der identitären corporate identity mag gelb-schwarz sein, aber auch das ist, wie alles an dieser Szene, eine Lüge: braun-goldfarben wäre treffender.