Die Großen Brüder von INDECT

Seite 3: "Full Spectrum"-Überwachung für den mobilen Einsatz

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Ein weiteres bemerkenswertes Großprojekt ist IMSK ("Integrated Mobile Security Kit"), mit einem Budget von mehr als 23 Millionen Euro das größte von 28 Vorhaben in der Förderlinie "Wiederherstellung der Sicherheit in Krisenfällen". Ziel des Projektes ist die Entwicklung und Demonstration eines mobilen und schnell einsetzbaren Systems zur Sicherung von Großereignissen wie Gipfeltreffen oder Sportveranstaltungen. Hierzu sollen Technologien zur großräumigen Videoüberwachung, zur Sicherung von Kontrollpunkten und zur Detektion von Gefahrstoffen kombiniert werden, um die Informationen zu einem integrierten Lagebild zusammenzufügen.

Die wenigen Informationen, die verfügbar sind, deuten an, dass es um den Einsatz von Satelliten, Luftschiffe, Video-, Infrarot-, Röntgen- und Terahertz-Kameras sowie Systeme zur automatisierten Nummernschilderkennung und andere Technologien algorithmischer Überwachung geht. Mobilisiert werden sollen also das komplette elektromagnetische Spektrum sowie akustische, seismische und chemische Sensoren.

Entsprechend sieht auch die Zusammensetzung des Konsortiums aus: Koordiniert vom schwedischen Saab-Konzern, sind als Industriepartner beteiligt das deutsche Rüstungsunternehmen Diehl BGT Defence, die Satelliten- und Kommunikationssparten der Finmeccanica-Tochter Selex, mehrere Tochterunternehmen von Thales und der Massenspektrometer-Hersteller Bruker Daltonics. Hinzu kommen Forschungseinrichtungen wie die Schwedische Rüstungsforschungsagentur FOI, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Fraunhofer-Gesellschaft sowie einige mittelständische Unternehmen wie die französische AirshipVision International. Als potenzielle Anwender sind die polizeitechnische Forschungsstelle des französischen Innenministeriums sowie die Schwedische Polizei und der Deutsche Fußballbund vertreten. Angeblich soll auch das europaweite ATLAS-Netzwerk polizeilicher Spezialeinheiten Interesse signalisiert haben.

Die Projektbeschreibung verspricht ein "Privacy Impact Assessment", eine Abschätzung zur Bewertung der Folgen des Projektes für Privatsphäre, Datenschutz und Bürgerrechte, und im Beratergremium sitzt ein Mann, der für soziale, rechtliche und ethische Fragestellungen zuständig ist. Bislang allerdings findet sich zum Thema so gut wie nichts. Nur in einem Projektnewsletter von April 2010 liest man unter der Überschrift "Soziale Folgen" den wenig ermutigenden Satz:

IMSK wird die Sicherheit bei verschiedensten Ereignissen erhöhen. Der größten Gefahr für solche Ereignisse ist Terrorismus. Aber IMSK, wenn erfolgreich demonstriert, könnte auch dazu beitragen, "gewöhnliche Gewalt" zu bekämpfen, wie z.B. Probleme mit Hooligans bei Fußballspielen. Erhöhte Sicherheit könnte dazu führen, dass vermehrt Familien solche Sportereignisse besuchen.

Dass in dem Beirat aber auch ein Vertreter von EADS sitzt, der für das Thema "Dual Use" zuständig ist, signalisiert, dass es auch militärische Interessen an einem mobilen und schnell aufbaubaren System zur Rundumsicherung von gefährdeten Objekten gibt. Dies erinnert daran, dass den Auftakt zum EU-Sicherheitsforschungsprogramm eine "Gruppe von Persönlichkeiten" (GoP) orchestrierte, denen Fragen kostengünstiger Rüstungsbeschaffung für die damals neue Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik kaum weniger am Herzen lagen als Bedarfe der Polizei und des Katastrophenschutzes: "Als Brücke zwischen ziviler Forschung und Wehrforschung sollte ein Europäisches Sicherheitsforschungsprogramm die Vorteile nutzen, die sich aus der Dualität von Technologien und der wachsenden Überschneidung zwischen militärischen und nicht-militärischen Sicherheitsaufgaben ergeben, um die Lücke zischen beiden Forschungssektoren zu schließen", hieß es im Abschlussbericht der GoP von 2004.

Weiterforschen für zivil-militärisch "vernetzte Sicherheit"

Gegenwärtig gehen die Verhandlungen um die Fortsetzung des EU-Sicherheitsforschungsprogramms in die heiße Phase. Nachdem die Europäische Kommission im Februar 2011 ihr Grünbuch für Horizon 2020, so der verheißungsvolle Name des kommenden EU-Forschungsrahmenprogramms, vorgelegt hatte, soll - nach einer Serie von Konsultativworkshops - Ende November der konkrete Gesetzentwurf in Brüssel vorgelegt werden. Als möglicher Berichterstatter des Europaparlaments hat sich mit dem christdemokratischen Abgeordneten Christian Ehler bereits ein wohlwollender Fürsprecher deutscher Interessen in und an der Sicherheitsforschung in Stellung gebracht. Ehler, der bereits Schattenberichterstatter der konservativen Fraktion für das Grünbuch zu "Horizon 2020" war, verfügt als Vorsitzender der German European Security Association (GESA) über gute Kontakte zu Industrie und militärnahen Forschungseinrichtungen wie dem Fraunhofer-Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung, die von der Vermarktung ihres Wissens bereits in den letzten Jahren hervorragend profitiert haben. Kürzlich orakelte er auf dem "Security and Defence Day" in Brüssel, dass das Sicherheitsforschungsbudget von 2014-2020 auf zwei Milliarden Euro steigen könnte; ein Zuwachs von 600 Millionen gegenüber dem laufenden Programm.

Zum selben Anlass erklärte Ehler, dass sich die europäische Rüstungs- zu einer Sicherheitsindustrie wandeln und Rüstungsbeschaffung immer stärker auf "Dual Use"-Technologien ausgerichtet sein werde. Dies ganz im Sinne des militärisch-industriellen Komplexes, der sich in Zeiten der Sparhaushalte zunehmend um Angebot und Nachfrage von High-Tech-Rüstung sorgt und Wege sucht, Entwicklungskosten auszulagern und Märkte jenseits militärischer Beschaffung zu erschließen. Das liest sich im aktuellen Ressortforschungsplan des Bundesverteidigungsministeriums dann so: "Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für die Wehrwissenschaftliche Forschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind, bilden die Schnittstellen für das BMVg zur zivilen Sicherheitsforschung." Und auch die Europäische Rüstungsagentur ist eifrig bemüht um "zivil-militärische Synergien", um "kosteneffektive Kooperationen zwischen der zivilen Sicherheitsforschung und Wehrforschungsaktivitäten" zu entwickeln.

Nur konsequent also, wenn es im Protokoll des Konsultativworkshops der Kommission zur Zukunft der Sicherheitsforschung von Juni trotz allem Vorgeplänkel, dass diese "einen explizit zivilen Fokus" habe, heißt:

Um sichere Gesellschaften in Europa zu schaffen, muss die gegenwärtige Forschung im Bereich Innere Sicherheit vertieft, aber auf Äußere Sicherheit ausgeweitet werden. Enge Verbindungen zwischen Gemeinsamer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und dem Aktionsplan zur Umsetzung der EU-Strategie für die Innere Sicherheit sind daher notwendig.

Auf der Themenagenda: Technologien zur Bekämpfung von schweren und organisiertem Verbrechen und Terrorismus, Cybercrime und Cyberterrorismus, der Schutz kritischer Infrastrukturen, die Entwicklung intelligenter Überwachungssysteme, europäischer Grenzschutz und das "Management" von sowohl inneren als auch äußeren Krisen und Katastrophen. Ein schwacher Trost, dass es offensichtlich auch Kritik an einer von großindustriellen Lobbyinteressen getriebenen Hochtechnologie-Orientierung der EU-Forschung insgesamt gab und sich manche Sozialwissenschaftler gegen die drohende "Versicherheitlichung" ihrer Disziplinen wehrten. Offensichtlich ist es dringend Zeit, dass diese Stimmen Verstärkung bekommen.