Die Großen Brüder von INDECT

Seite 2: Bahnhofsüberwachung von der Stange

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Weitere Großprojekte widmen sich dem Themenfeld "Sicherheit von Infrastrukturen", das mit 100 Millionen Euro gefördert wird. Im April 2011 startete SECUR-ED ("Secured Urban Transportation - A European Demonstration"), mit einem 40-Millionen-Euro-Budget nach PERSEUS das zweitgrößte Projekt der Sicherheitsforschung. Vage heißt es:

Das oberste Ziel von SECUR-ED ist es, Verkehrsunternehmen in großen und mittelgroßen europäischen Städten Mittel an die Hand zu geben, um die Sicherheit der öffentlichen Nahverkehrs zu verbessern. Das zweite zentrale Ziel ist es, den Markt für Sicherheit in diesem Bereich für die europäische Industrie zu entwickeln.

Hierzu soll "ein konsistenter und interoperabler Mix von Technologien und Prozessen definiert werden, der die Sicherheit von Personen und Infrastrukturen - von Kleinkriminalität bis zu großen terroristischen Bedrohungen - adressiert und auf die Interoperabilität und Standardisierung der Lösungen setzt" Im Einzelnen geht es um die Entwicklung und Erprobung von Verfahrensvorschriften und Ausbildungseinheiten für Risikomanagement sowie Einsatzplanung und -durchführung, aber auch um vorausschauende Videoanalyse und intelligente Lagebildeinschätzung, Sensoren zur Detektion von chemischen, biologischen oder nuklearen Stoffen, den standardisierten und interoperablen Informationsaustausch zwischen Verkehrsbetreibern und Sicherheitsbehörden sowie die Resilienz kritischer Infrastrukturen. Voraussichtlich 2013 sollen die entwickelten "modularen Lösungen" auf Bahnhöfen und im Schienennetz der vier Großstädte Berlin, Madrid, Mailand und Paris getestet und "validiert" werden. Weitere "Satellitendemonstrationen" sind in Brüssel, Istanbul, Lissabon und Bukarest geplant.

Geleitet wird das Projektkonsortium vom französischen Technologie- und Rüstungskonzern Thales. Weitere Partner sind Selex und Ansaldo, beides Töchter des italienischen Rüstungsgiganten Finmeccanica, die Safran-Tochter Morpho, der kanadische Konzern Bombardier, die schwedische Rüstungsforschungsagentur FOI, die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft und ihr niederländisches Pendant TNO, der Lobbyverband der europäischen Sicherheitsindustrie EOS sowie einige Universitäten. Daneben sind mit der Deutschen Bahn AG, den französischen Verkehrsunternehmen RATP und SNCF, Verkehrsbetrieben aus Brüssel, Madrid, Norditalien, Rumänien und der International Association of Public Transport zahlreiche Akteure des schienengebundenen Personenverkehrs beteiligt. Fest steht auch, dass das französische Innenministerium als Projektpartner involviert ist.

Unklar ist aber bislang, wer die Interessen von Polizei und Rettungskräften in dem geplanten Beratergremium wahrnehmen wird. Offen ist auch, wer die kritische Beratung zu "ethischen und sozialen Fragen" übernehmen wird, die sicherstellen soll, dass die geplanten Demonstrationsprojekte mit nationalem und europäischem Recht kompatibel sind. Dass im Rahmen der deutschen Sicherheitsforschung in dem ähnlich gelagerten SINOVE-Projekt, das mit acht Millionen Euro des Bundesforschungsministeriums an der Entwicklung intelligenter Videoüberwachung für Bundespolizei und Deutsche Bahn arbeitet, die DB-Konzernsicherheit für Datenschutz und Akzeptanzforschung zuständig ist, lässt nichts Gutes ahnen.

Zentrale Partner von SECUR-ED sind identisch mit jenen von PROTECTRAIL ("The Railway-Industry Partnership for Integrated Security of Rail Transport") dem zweiten großen EU-Projekt zur Bahnsicherheit. Auch hier sind Ansaldo, Selex, TNO, Bombardier, Thales und Morpho wieder dabei, diesmal mit Verstärkung durch Smith Heimann, bekannt für seine Flughafenscanner, und den israelischen Rüstungskonzern Elbit Systems. Für knapp 22 Millionen Euro soll PROTECTRAIL, ähnlich wie das große Schwesterprojekt, dazu beitragen, durch Machbarkeits- und Demonstrationsstudien für standardisierte Systemlösungen den Markt für Sicherheitstechnologien im Regional- und Fernbahnverkehr zu entwickeln. Konkret geht es dabei um den Schutz von Signalanlagen und Schienenabschnitten sowie um die Überprüfung von Personal, Passagieren, Gepäck und Güterfracht. Auch wenn sich die verfügbaren Informationen über Details ausschweigen, ist angesichts der Zielsetzung und Konsortialpartner klar, dass es in der Praxis des im Herbst 2010 angelaufenen Projektes um den Einsatz von Überwachungstechnologien unterschiedlichster Couleur geht.

Auch wenn im Gegensatz zu PERSEUS bei beiden Projekten nicht die Entwicklung eines klar umrissenen Systems im Vordergrund steht, dürften sie angesichts der Schar involvierter Großkonzerne und der kritischen Masse beteiligter "Endnutzern" signifikante Ergebnisse zeitigen und die Markteinführung von standardisierten Systemlösungen zur technisch hoch gezüchteten Überwachung von Bahnhöfen und Schienennetzen auf breiter Front beschleunigen.