Die Grünen als Sündenbock
- Die Grünen als Sündenbock
- Rechte wollen sich beim Thema Naturschutz profilieren
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Mit Schmähplakaten versuchen Kritiker der Ökopartei gezielt in den Wahlkampf einzugreifen. Thema Naturschutz soll von Rechten besetzt werden. Ein Faktencheck
In der vergangenen Woche wurden in zahlreichen deutschen Städten Plakate mit einer Kampagne gegen die Grünen aufgehängt, versehen sind alle mit dem Hashtag "#GrünerMist2021". Wer hinter dieser Schmähkampagne im vermeintlichen Design der Grünen – mit im Unterschied zum Original verwelkten Sonnenblumen auf grünem Hintergrund – steht, wurde schon bald publik: David Bendels mit seiner Agentur Conservare Communication GmbH, der in der Vergangenheit mehrfach Werbematerial für die AfD produziert hat, angeblich ohne deren Zustimmung.
Und auch diesmal will die AfD nichts mit Bendels‘ Kampagne gegen die Grünen zu tun haben. Die Generalsekretäre von CDU und SPD verurteilten die Hetzkampagne und erklärten ihre "volle Solidarität": mit den Grünen.
Trotzdem schwirren viele der hier verwandten Schlagworte schon länger in der politischen Debatte herum und werden auch gerne von anderen politischen Akteuren als der extremen Rechten bemüht. Daher sollen einige dieser Schlagworte hier genauer betrachtet werden.
Das Image der Verbotspartei
"Verbote", "Bevormundung" und "Steuererhöhung" ist auf einem der Plakate der Schmähkampagne zu lesen. Das Image der Verbotspartei wird den Grünen schon lange gerne angeheftet, am liebsten wenn es um Fleischkonsum oder Autofahren geht.
Zuletzt tauchte das Motiv in einer Anzeigenkampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auf, die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als "Moses" mit Steintafeln mit zehn Verboten zeigte. Die antisemitische Konnotation dieser Kampagne wurde beispielsweise von Michael Koß in der Zeit analysiert.
Die Stigmatisierung von Regeln, die ja unser gesellschaftliches Zusammenleben bestimmen, als Verbote lässt diese zudem als etwas Willkürliches, Autoritäres und nicht rational Begründetes erscheinen.
Natürlich wollen auch andere Parteien Dinge verbieten oder haben sie bereits verboten. So existierte mit Pragraph 219a lange das Verbot, über Schwangerschaftsabbrüche in der eigenen Praxis zu informieren, immer wieder werden Menschen für die Rettung von Lebensmitteln aus Mülltonnen verurteilt, der Deutsche Bauernverband wollte, dass die Bezeichnungen Wurst oder Schnitzel für vegetarische oder vegane Produkte verboten werden.
In Nordrhein-Westfalen ist es verboten, ein Windrad in weniger als 1.000 Meter Abstand zu einer Siedlung zu bauen, während sich eine Tagebaukante nur wenige hundert Meter an ein Dorf heranfressen darf. Nur ist der gängige Sprachgebrauch hier Abstandsregel und nicht Windradverbot. Je nach politischer Einstellung ist die CDU also nicht weniger als eine Verbotspartei zu betrachten.
Beim Thema der Steuererhöhung ist immer die Frage, für wen die Steuern erhöht werden sollen. Denn, aus anderer Perspektive könnte genauso gut von Steuersenkung gesprochen werden.
Gering- bis Mittelverdienende würden zum Beispiel am stärksten steuerlich entlastet, wenn die Wahlprogramme der Linken oder der Grünen umgesetzt würden, wie das Leibniz-Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) errechnet hat, grafisch gut aufgearbeitet.
Die geplanten Steuerentlastungen bei CDU/CSU, FDP und AfD führen dabei zu einer stärkeren Belastung des Bundeshaushalts, was eigentlich dem aktuell gepredigten Credo der schwarzen Null zuwiderläuft.
Polemik um Benzinpreise
Ein weiteres Plakat spricht von "Mieterhöhung", "Spritpreiserhöhung" und "Strompreisexplosion".
Was sich dahinter verbirgt, gerade die Grünen mit dem Vorwurf der Mieterhöhung verbirgt, bleibt fraglich. Im Wahlprogramm der Grünen heißt es:
Es wird ein bundeseinheitliches Gesamtkonzept benötigt, das in einem Bundesgesetz gewährleistet, dass Mietobergrenzen im Bestand ermöglicht werden und die Mietpreisbremse entfristet und deutlich nachgeschärft wird. Unnötige Ausnahmen, beispielsweise beim möblierten Wohnen, schaffen wir ab. Reguläre Mieterhöhungen sollen auf 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels begrenzt werden.
Die AfD, mit der der Urheber der Plakate ja sympathisiert, setzt dagegen auf die Förderung von Wohneigentum und weitere Privatisierung: "Staatliche Wohnungsunternehmen sollen Mietern ihre Wohnung zum Kauf anbieten", ist dort beispielsweise zu lesen. Eine Regulierung von Mieten ist genauso wenig vorgesehen wie sozialer Wohnungsbau.
Oder sollte es um die Umlage der CO2-Kosten für die Heizung gehen? Eine gerechte Verteilung des Aufschlags auf Vermieter:innen und Mieter:innen scheiterte gerade erst am Veto der CDU-Fraktion im Bundestag.
Mit "Spritpreiserhöhung" und "Strompreisexplosion" werden die roten Tücher geschwenkt, die klassisch mit einer grünen Politik in Verbindung gebracht werden.
Anfang Juni hatte Annalena Baerbock geäußert, dass der Benzinpreis bis 2023 um 16 Cent pro Liter steigen müsse. Dabei geht es letztlich nur darum, dass das umgesetzt wird, was die schwarz-rote Koalition bereits vergangenes Jahr beschlossen hat, nämlich den CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne, der bis 2025 auf 55 Euro steigen soll.
Schon seit Beginn des Jahres schlägt der CO2-Preis mit sechs Cent pro Liter zu Buche.
SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatten zuvor eine "Benzinpreisbremse" gefordert und waren damit hinter die Beschlüsse der Regierung zurückgefallen, der sie selbst angehören.
Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte sich in dem Zuge gegen teurere Benzinpreise ausgesprochen und damit den Mythos übernommen, die fraglichen 16 Cent wären eine genuine Forderung der Grünen.
Hinter dem Schlagwort "Strompreisexplosion" versteckt sich der altbekannte Mythos, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien über die EEG-Umlage die Verbraucherstrompreise verteuert.
Das ist nur insofern richtig, als die privaten Haushalte für großzügige Befreiungen für Unternehmen mitzahlen. Zudem haben Stromanbieter die Erhöhung der EEG-Umlage vielfach genutzt, um Strompreise zu erhöhen, während Senkungen der EEG-Umlage dann meist nicht an die Verbraucher weitergegeben wurden. In den letzten Jahren hielt sich die Umlage auf relativ konstantem Niveau und sank 2021 leicht auf 6,5 Cent pro Kilowattstunde.
Ein derzeit hoher Strompreis an der Strombörse ist wiederum auf gestiegene Preise für die Brennstoffe Erdgas und Kohle zurückzuführen. Die lange Heizperiode und Nachholeffekte der Industrie nach der Coronakrise haben die Nachfrage angekurbelt. Zudem ist der CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem mittlerweile auf 50 Euro pro Tonne gestiegen, was im Prinzip im Sinne des Systems ist, aber noch zu wenig, um eine Lenkungswirkung zu entfalten.