Die Idee der Stadt

Stadtentwicklung à la Carte

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Die Architectural Association in London ist nicht nur einer der bedeutendsten Think Tanks für Architektur in den letzten 20 Jahren gewesen, sondern gibt auch eine eigene Publikationsreihe heraus. In dieser Reihe erschien in englischer Sprache "The Idea of the City", ein Sammelband mit Beiträgen von Architekten wie Bernhard Tschumi, Zaha Hadid, Peter Eisenmann u.a. Eine Auswahl der besten Architekten der westlichen Welt denkt öffentlich über die (Un)möglichkeit von Stadtplanung nach.

Chicago in den 60ies

Das vergleichsweise unprätentiös gemachte Buch erschien anläßlich eines Symposiums, das zu Ehren des 1990 verstorbenen langjährigen Leiters der AA, Alvin Boyarsky, abgehalten wurde. Sein Essay "Chicago à la Carte", der bereits 1970 erschienen ist, bildet dann auch die Einleitung der Publikation. Es handelt sich um einen bemerkenswerten und reich illustrierten Text, für dessen Wiederveröffentlichung man nur dankbar sein kann. Boyarsky macht am Beispiel Chicagos sichtbar, wie die Stadt sich aus dem Postkartendenken über sich selbst schafft. So kokettiert sie zwar mit den grandiosen Wirkungen europäischer Stadtmuster, doch in der erbarmungslosen Dynamik, welche Chicago in diesem Jahrhundert erlebte, wurden "europäische Dimensionen" weit zurückgelassen, entstand jenes Schachbrettmuster von Straßen, unter- und überirdischen Schienentransportwegen und anderen prägenden Faktoren, die von der industriellen Entwicklung weit stärker beeinflußt sind, als von städteplanerischem Willen. Doch auch der planerische Impuls kam, gerade in Chicago, nicht zu kurz, indem gnadenlos gegenüber dem Alten, für jeden wirtschaftlichen Expansionsschritt großräumig neue Verkehrswege, Lagerhallen und Fabriken angelegt wurden. So ist es BoyarskyŽs Glanzstück, Chicago als Höhepunkt einer spezifischen "Junk Culture" zu beschreiben, und zugleich voller Ironie zu betonen, daß in dieser Stadt von John Dewey, Jane Adams, Robert Park und anderen die Grundlagen einer empirischen amerikanischen Stadtsoziologie erarbeitet wurden.

Sieht man von einigen sehr persönlich gehaltenen Redebeiträgen, wie von dem von Peter Eisenmann ab, die vor allem die Person Alvin Boyarsky feiern, so liefern auch die anderen Beiträge hochgradiges Material zur Auseinandersetzung mit einem zeitgenössischen urbanen Kontext. So zeichnet sich ab, daß die horizontale und vertikale Matrix von prinzipiell unendlicher Ausdehnung - eine mehr informationelle als materielle Matrix also - die eigentliche Herausforderung für heutige Städteplanung darstellt. Wie können in diesem Gitter, indem eigentlich alle Punkte gleichberechtigt nebeneinanderstehen, so etwas wie menschengerechte urbane Räume geschaffen werden, eine Art sinnvoller Lokalität gegenüber der Logik der technologisch überformten Räume? (siehe Beitrag Peter Wilson) Dalibor Vesely beschäftigt sich folgerichtig mit dem Fragment, bzw. allgemein der Fragmentierung der Stadt, die zu Disintegration führen kann, aber auch zur Entdeckung neuer Möglichkeiten und Verbindungen.

"The Idea of the City", Herausgegeben von Robin Middleton, mit Beiträgen von Alvin Boyarsky, Zaha Hadid, John Hejduk, Peter Eisenman, Rem Koolhas, Daniel Libeskind, Dalibor Vesely, Ben Nicholson, Bernard Tschume, Nigel Coates, Leon van Schaik, Raoul Bunschoten, Peter Salter, Peter Cook. Architectural Association Publications, London 1996. ISBN I-870890-33-7