Die Komplexität der Stromversorgung nimmt zu
Seite 2: Wie wird die Stromversorgung wieder zukunftsfähig?
- Die Komplexität der Stromversorgung nimmt zu
- Wie wird die Stromversorgung wieder zukunftsfähig?
- Auf einer Seite lesen
Hier stellt sich die Frage, wie kann man das europäische Stromsystem im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bedingungen so umgestalten, dass es auch in Zukunft sicher zu betreiben ist.
Telepolis stellte die Frage an Dr. Franz Hein, der fast zwanzig Jahre bei einem großen Übertragungsnetzbetreiber für die Prozessleittechnik in der Lastverteilung verantwortlich war, sich im Jahre 2000 an der Gründung der EDNA-Initiative beteiligte und inzwischen die technische Kommunikation in der Stromwirtschaft aus dem Unruhestand mit der entsprechenden engagierten "Gelassenheit" betrachtet.
Für unser immer kleinteiliger und komplexer werdendes Energieversorgungssystem ist die klassische hierarchische Steuerung von Leitzentralen aus nicht mehr geeignet. An deren Stelle muss eine Art Selbstorganisation durch die verteilte Intelligenz aller zu einem umfassenden Energiemanagement Beitragenden treten und es müssen vielfältige Speicherkapazitäten in allen Hierarchieebenen des Gesamtsystems geschaffen werden.
Man kann die dafür benötigte Struktur als Energielogistik bezeichnen. Sie umfasst die Verknüpfung der Energietechnik mit der entsprechenden Informations- und Kommunikationstechnik. Ein solches symbiotisches Miteinander entsteht durch das Vernetzen einer Vielzahl von Energiezellen.
Hierbei ist bei Bedarf auch ein Energieaustausch mit anderen Energiezellen notwendig. Dies muss in Zukunft so einfach sein, wie heute das Roaming in der Telekommunikation.
Franz Hein, EDNA-Initiative
Bausteine eines zellularen Netzes
Wenn die leitungsgebundene Energieversorgung wieder auf sichere Beine gestellt werden soll, dann muss man Spielräume schaffen, in denen sich die Versorgung "bewegen" sowie das Gesamtsystem "atmen" kann. Alles unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu optimieren und wie eine Zitrone auszuquetschen, wird auf Dauer nicht funktionieren.
Wer sich heute mit der Sicherheit der Netze beschäftigt, wird sich um diese Erkenntnis kaum drücken können. Derzeit wählt man beispielsweise den Begriff der netzdienlichen Anlagen, wenn man einem Netzbetreiber erlaubt, ein Ölkraftwerk zu bauen oder bauen zu lassen, was in Westdeutschland seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren verboten war. Diese Anlagen dürfen dann nur als Reservekraftwerke zum Einsatz kommen, aber nicht am Markt teilnehmen.
Dies gilt auch für die gewaltigen Akkuspeicher, die letztlich nur dazu dienen, die Transportfähigkeit der Netze beizubehalten und die Sollfrequenz einzuhalten.
Selbstorganisierend verknüpfte Speicher zur Energiebevorratung wird man künftig auf allen Systemebenen benötigen. Im Kleinen und in der Niederspannungsebene werden das meist Akkuspeicher sein, in höheren Systemebenen könnte auch Wasserstoff als Energiespeicher zum Einsatz kommen. Was bislang noch ziemlich am Anfang steht, ist die sogenannte Sektorenkopplung, die den Sprung über die Grenzen der verschiedenen Energiesysteme wagt.
So mag es sinnvoll sein, im Falle eines Stromüberangebots dieses zu nutzen, indem man Warmwasser bereitet und damit das sonst dafür vorgesehene Gas einspart, das besser zu speichern ist. Dies kann abhängig vom spezifischen Einsatzfall durchaus sinnvoller sein, als den überschüssigen Strom in einem Akkuspeicher zwischenzulagern oder mit negativen Preisen gar teuer ins Ausland zu liefern.
Zudem wird sich die Situation im Stromnetz, zumindest im Bereich der privaten Haushaltskunden auch dadurch entspannen, dass immer mehr PV-Anlagen mit einem Speicher verbunden werden und die Energienutzer selbst dafür sorgen, dass ihr Sonnenstrom nicht nur am Tag zu Verfügung steht.
Die Stromversorgung, die in den 1920er-Jahren begonnen hatte, auf immer größere zentralere Kraftwerke zu setzen, ist derzeit auf dem Weg in die Zukunft und besinnt sich, wieder zu eher kleinräumigen, wabenförmigen Strukturen zurückzukehren. Damit können deutlich robustere Systeme entstehen, weil so zentrale Angriffspunkte eher vermieden werden.