Die Lady mit dem Lampenschirm
Seite 2: Sadomaso-Sex mit der Bestie von Belsen
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Wilders Mitwirkung an Die Todesmühlen wurde wahrscheinlich mehr übertrieben als vertuscht, weil das Wissen darüber anekdotisch ist und ein berühmter Regisseur in Anekdoten Regie führen muss, statt ein paar Vorschläge zu Anordnung und Montage des Materials zu machen. Besser belegt ist, dass die Army Wilder bald nach Berlin schickte. Dort hatte er die Idee zu einem Film über die Liebe zwischen der Witwe eines über Tunesien abgeschossenen Luftwaffenoffiziers und einem amerikanischen GI. Der Film sollte bei der Umerziehung der Deutschen helfen, ohne sie dauernd mit der Nase auf die NS-Verbrechen zu stoßen und den moralischen Zeigefinger zu heben; Wilders Meinung nach führte das nur zu Trotzreaktionen und Abstumpfung. Als A Foreign Affair 1947/48 gedreht wurde, war aus der suizidgefährdeten Witwe die sehr selbstbewusste Nachtclubsängerin Erika von Schlütow (Marlene Dietrich) geworden, eine früher mit dem als Kriegsverbrecher gesuchten Hans Otto Birgel liierte Femme fatale (Birgel ist die filmische Reinkarnation des Buchenwald-Kommandanten Karl Otto Koch - mit einem Seitenhieb auf Willy Birgel, früher Hauptdarsteller in NS-Propagandafilmen und 1947 bereits entnazifiziert). Jetzt ist Erika die Geliebte von Captain Johnny Pringle (John Lund), was den eifersüchtigen Kriegsverbrecher aus seinem Versteck locken wird.
Der Film ist übrigens eine Komödie. Erika steht im Ruf, früher auch mit Goebbels oder Göring geschlafen zu haben, oder mit beiden. Wir lernen sie kennen, als ihr Pringle eine Matratze bringt, die er auf dem Schwarzmarkt gegen eine Schokoladentorte aus der Heimat eingetauscht hat. Im Drehbuch verlangt er so seine Bezahlung für die Matratze: "How about a kiss now, you Beast of Belsen?" Für Joe Breens Production Code Administration war das zu viel des bösen Witzes. Die "Bestie von Belsen" schaffte es nicht in den fertigen Film. An der Botschaft ändert das gar nichts. A Foreign Affair ist der beste Nachkriegsfilm über die Amerikaner und ihr Bild von einem in Trümmern liegenden Deutschland, das für viele GIs wie eine Mischung aus sexuellem Schlaraffenland und Sündenpfuhl voller unaussprechlicher Perversionen war. Um herauszufinden, wie die GIs den Anfechtungen in der Fremde widerstehen, reist Phoebe Frost (Jean Arthur), eine Kongressabgeordnete aus Iowa, nach Berlin, wo sie sich prompt in Johnny Pringle verliebt und mitten im Sündenpfuhl ihre eigene Sexualität entdeckt. Da das ein Film von Billy Wilder ist, kann es nur Phoebe sein, die Pringle die von einer Verflossenen gebackene Torte bringt und so dem Sex mit Erika (auf der eingetauschten Matratze) Vorschub leistet.
In den Ruinen von Berlin fahren junge Frauen ihre mit GIs gezeugten Säuglinge in mit der US-Flagge geschmückten Kinderwägen spazieren, Sex mit deutschen Fräuleins bezahlt man mit phallischen Schokoriegeln, in finsteren Kaschemmen fraternisieren alle mit allen, und dazu gibt es zweideutige Bilder wie das von der schäumenden Zahnpasta an Marlenes Lippen. Erika spuckt Johnny die Zahnpasta ins Gesicht, Johnny wischt sich den Mund an ihren Haaren ab, und irgendwie kam das durch die Zensur. A Foreign Affair wagt sich weiter vor als jede andere Hollywoodproduktion aus dieser Zeit. Wahrscheinlich profitierte Wilder davon, dass man sich in Breens Büro bestimmte Spielarten der Sexualität so wenig vorstellen konnte (oder wollte) wie in Iowa. Einer der galligen Höhepunkte ist eine Szene im Nachtclub "Lorelei", in der die bisher äußerst propere Miss Frost in Konkurrenz zu Erika von Schlütow tritt, die Johnny "mein kleiner Flammenwerfer" nennt. Die nun aufgetaute Miss Frost singt das "Iowa-Lied" und trägt dazu ein dekolletiertes, auf dem Schwarzmarkt erstandenes Abendkleid, das im Dritten Reich einer deutschen Frau gehört hat. Für Captain Pringle macht sie das erst richtig attraktiv.
Die Zahnpasta- und Matratzenszene informiert uns darüber, dass Soldat Johnny, ein veritabler Kriegsheld, keinen Blümchensex mag, sondern eher die etwas härtere Variante. Am Schluss wird er als Phoebes Verlobter nach Hause fliegen, damit alles seine Ordnung hat, aber vorher sieht er noch alte Filmaufnahmen von Erika beim Handkuss mit Adolf Hitler und erfährt, dass sie viel tiefer in die NS-Verbrechen verstrickt war als zugegeben. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass das Johnnys Lust nur noch steigert. Der Gedanke, mit der ehemaligen Geliebten von Nazibonzen (oder gar der "Bestie von Belsen") zu schlafen, ist ein Aphrodisiakum. A Foreign Affair ist Wilders Antwort auf das, was er im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit (und bei seiner Arbeit für die PsyWar Division) erlebt hatte. In der filmischen Konfektionsware dieser Zeit sah man GIs, die in Übersee brav die von ihren Verwandten geschickten Süßigkeiten mampften und ihre sonstigen körperlichen Bedürfnisse durch Leibesübungen befriedigten. Wilder nimmt das gründlich auseinander. Bei ihm wird die Schokolade zum Köder, mit dem die Soldaten blonden Lustobjekten winken, und Pringles Vorgesetzter kann nur den Kopf schütteln, wenn man ihm für die Freizeitgestaltung seiner Soldaten eine Ladung Tischtennisplatten zuteilt.
Der amerikanische Kongress und das Verteidigungsministerium waren empört, in Einrichtungen der Army durfte A Foreign Affair nicht aufgeführt werden, und der Ärger ging sogar schon vor der Kinopremiere los, weil sich Jean Arthur darüber beklagte, wie schlecht und unattraktiv Wilder sie neben Marlene Dietrich aussehen lasse. Es geht aber gerade um die Faszination einer erotisch aufgeladenen Phantasie vom Dritten Reich, um die Vermischung von Gräueltaten, Uniformen, NS-Staat, Sadomasochismus und anderen Formen von Verruchtheit und sexueller Devianz. Wilder bietet da einen sehr ungeschminkten Blick auf die Wirklichkeit, nur gefiltert durch das Raster der schwarzen Komödie. Wenn man die Ilse-Koch-Geschichte verstehen will darf man nie vergessen, dass die ersten aufgezeichneten Geschichten über die Kommandeuse aus einer Zeit stammen, als die mit ihrem Sexualtrieb und einer überhitzten Phantasie kämpfenden Johnny Pringles ein Klima schufen, das einer nachträglichen Sexualisierung der ansonsten sehr realen, in Buchenwald erlebten Gewalt zumindest nicht abträglich war.
Das Fehlen strafrechtlich relevanter Beweise macht Ilse Koch noch nicht zur verfolgten Unschuld. Bestenfalls profitierte sie über Jahre von den Verbrechen ihres Mannes, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Das wäre schlimm genug. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Vorstellung von Ilse Koch als einer perversen Sadistin und Nymphomanin vermutlich leichter auszuhalten war als die tägliche Entwürdigung durch die austauschbaren Henkersknechte des KZ-Systems, das darauf ausgerichtet war, Menschen abzusondern, zu entrechten, auszubeuten und letztlich zu ermorden. Nach dem Krieg bildete sich eine Koalition sehr unterschiedlicher Gruppen, die ein gemeinsames Interesse einte: die Abgrenzung ihrer jeweiligen "Normalität" gegenüber dem Dritten Reich. Durchgängig erkennbar ist das Bemühen, Ilse Koch zur sexuell abartigen Megäre zu machen und sie so auf Distanz zur deutschen Hausfrau zu halten. Das entlastete die rund 9000 anderen Ehefrauen von SS-Männern, die deutsche Hausfrau an sich und in einem nächsten Schritt auch deren Ehemänner. Um das Phänomen "Hexe von Buchenwald" zu begreifen, muss man also der Frage nachspüren, in welcher Beziehung die biographische Person namens Ilse Koch zur Phantasmagorie der Tyrannin mit der Reitpeitsche steht, die mal mehr und mal weniger bekleidetet über den Ettersberg reitet und Männern die Haut abziehen lässt.
Beitrag zur Tätowierungsfrage
Nazi Concentration Camps heißt eine 59-minütige Kompilation von in den Lagern aufgenommenen Bildern, die von John Fords Field Photographic Branch zusammengestellt wurde, den Zuschauer nicht schont und am 29. November 1945 beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, wo sie als Beweismittel diente, erstmals öffentlich vorgeführt wurde. Das Material hatten überwiegend amerikanische Kameraleute gedreht (mit dabei war George Stevens, der Regisseur von Swing Time und Gunga Din), und so ist es kein Wunder, dass es zu einem großen Teil aus von den Amerikanern befreiten Lagern stammt. Ohrdruf und Buchenwald spielen eine wichtige Rolle. Mit Hilfe der Bilder von der durch Patton angeordneten Besichtigungstour der Weimarer Bürger wird eine kleine Geschichte erzählt. Wir sehen Frauen und Männer, die von der Stadt zum Lager marschieren. Viele von ihnen lachen, als der Jeep mit dem Kameramann an ihnen vorbeifährt. Dann vergeht ihnen das Lachen, weil sie mit den Schrecken des KZs konfrontiert werden: mit zum Skelett abgemagerten Überlebenden, mit Leichen, mit den Öfen des Krematoriums, mit einem Berg aus Knochenasche - und mit etwas, das als der "Buchenwald-Tisch" berühmt-berüchtigt werden sollte.
Auf diesem Tisch hatten die Amerikaner einige Ausstellungsstücke arrangiert, die demonstrieren sollten, dass hier in diesem Konzentrationslager die Barbaren das Regiment geführt hatten: Medizinische oder pseudo-medizinische Präparate (innere Organe und ein der Länge nach durchgeschnittener Kopf in Konservierungsflüssigkeit), einen angeblich als Aschenbecher benutzten Beckenknochen, zwei Schrumpfköpfe, eine Doktorarbeit mit dem Titel "Ein Beitrag zur Tätowierungsfrage", gegerbte Häute und einen Lampenschirm. Der mit Menschenhaut bespannte Lampenschirm sei im Auftrag der Frau eines SS-Offiziers hergestellt worden, sagt die Stimme des Kommentators in Nazi Concentration Camps. Der Offizier hieß Karl Otto Koch, war SS-Standartenführer gewesen (was einem Oberst der Wehrmacht entsprach), der erste Kommandant des Lagers Buchenwald und Hauptakteur in einem Skandal, der die SS von innen heraus erschüttert hatte. Seine Witwe, Ilse Koch, sollte nun bald als "Bitch of Buchenwald", "Kommandeuse", "Lady mit dem Lampenschirm" und "meistgehasste Frau der Welt" durch die Medien geistern.
Bilder vom Buchenwald-Tisch mit "Ilse Kochs Lampenschirm" tauchten diesseits und jenseits des Atlantiks in Wochenschauen auf. Um das gleich vorwegzunehmen: Aller Wahrscheinlichkeit nach war der Lampenschirm nicht mit Menschenhaut bespannt, und Ilse Koch gehörte er sowieso nicht, weil sie nach ihrer Verhaftung durch die SS im August 1943 nicht auf den Ettersberg zurückkehrte und man ihre Wohnungseinrichtung - offenbar im Herbst 1943 - in ein Kaff an der Eger brachte, in dem ihr Gatte zuletzt gewohnt hatte. Harry Stein, Kustos der Gedenkstätte Buchenwald, vermutet, dass im April 1945 der - aus handelsüblichen Materialien hergestellte - Lampenschirm aus Hermann Pisters Dienstzimmer gezeigt wurde (Pister war Kochs Nachfolger als Kommandant). Derselbe Harry Stein behauptet in Mark Jacobsons The Lampshade, dass Ilse Koch ihrem Mann einen Lampenschirm aus tätowierter Menschenhaut zum Geburtstag geschenkt habe. Ist Stein da dem Bedürfnis erlegen, auch mal eine Ilse-Anekdote zum Besten zu geben, als Jacobson vorbeikam, oder hat ihm der Autor etwas in den Mund gelegt, das nach dem Krieg ein Ex-Häftling erzählte? Ich würde jedenfalls zur Vorsicht raten bei einem Buch, in dem zwei Seiten davor mitgeteilt wird, dass Koch seine Gattin - als einziger SS-Frau im Dritten Reich! - zur "Oberaufseherin" ernannt habe. Das ist der blanke Unsinn.
Hier die halbwegs gesicherten Fakten: 1938 wurden in Buchenwald erstmals tätowierte Häftlinge registriert. 1939 kam der Österreicher Erich Wagner als Lagerarzt auf den Ettersberg. Im Juni 1940 vergab Friedrich Timm, Professor am Institut für gerichtliche Medizin der Universität Jena, das Thema für eine Doktorarbeit: "Ein Beitrag zur Tätowierungsfrage". Wagner, Timms Doktorand, interessierte sich besonders für den Zusammenhang zwischen "Tätowierung und Verbrechertum" und konnte die fertige Arbeit bereits im November 1940 abgeben. "Das Material, das ich an 800 Tätowierten der verschiedensten Bevölkerungsschichten (Vorbestraften und nicht Vorbestraften) gesammelt habe, entstammt einem großen Gefangenenlager", schreibt er in der Einleitung. Sein Doktorvater lobte den großen Fleiß, mit dem der Kandidat sein Material gesammelt habe. Die Dissertation wurde mit "sehr gut" bewertet, ethische Überlegungen blieben ausgespart.
Für Wagners Doktorarbeit wurden rund hundert Photos von Tätowierungen gemacht. Der in Buchenwald inhaftierte Widerstandskämpfer Paul Grünewald, Schreiber im Häftlingsrevier, gab später an, dass er den Großteil der Arbeit an der Dissertation geleistet habe. Eugen Kogon zufolge erhielt Wagner auch Unterstützung von einem SS-Hauptsturmführer namens Müller, der damals in Buchenwald in der Pathologie tätig war: "Beide durchforschten das ganze Lager nach Tätowierten und ließen sie photographieren. Die Häftlinge wurden dann vom Kommandanten Koch ans Tor gerufen, nach der Pracht ihrer tätowierten Haut ausgesucht und ins Revier geschickt. Bald darauf erschienen die besten Hautexemplare in der ‚Abteilung für Pathologie’, wo sie präpariert und jahrelang SS-Besuchern als besondere Kostbarkeiten gezeigt wurden." Einer von mehreren Versionen nach kam die Anregung, tätowierte Hautstücke von den Körpern verstorbener oder für diesen Zweck getöteter Häftlinge abzuziehen und zu gerben, von besagtem Dr. Müller.
Die Lady sammelt Tätowierungen
Unstrittig ist, dass es in der Pathologie eine Ausstellung mit medizinischen oder pseudo-medizinischen Präparaten gab und dass Buchenwald andere medizinische Einrichtungen der SS mit solchen Präparaten belieferte. Gerüchteweise wurden das Lager besuchende Bonzen mit aus den Körperteilen toter Häftlinge hergestellten Artefakten beschenkt, die sie als makabres Souvenir mit nach Hause nehmen konnten. Kein Gerücht ist ein Telex von Standartenführer Enno Lolling vom 7. April 1944, in dem er dazu auffordert, 142 in Buchenwald lagernde Präparate mit tätowierter Menschenhaut per Kurier nach Berlin zu bringen (das geschah am 19. April). Dr. Lolling war der Leiter des Amtes D III des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes und damit der Vorgesetzte aller Lagerärzte. Er war bei der SS für solche Dinge zuständig.
Drei tätowierte und gegerbte, im April 1945 auf dem Buchenwald-Tisch ausgestellte Hautstücke wurden in die USA geschickt und wissenschaftlich untersucht. Der damit beauftragte Experte fand heraus, dass es sich tatsächlich um Menschenhaut handelte. Das Konservieren tätowierter Menschenhäute ist demnach keine Legende. Da das Leben eines Häftlings keinen großen Wert hatte ist nicht auszuschließen, dass die SS nicht nur eines "natürlichen Todes" gestorbene Insassen häutete (also die Opfer der menschenunwürdigen Umstände und der täglichen Misshandlungen), sondern auch gezielt mordete, um an die Tätowierungen zu kommen. Alles andere ist anekdotisch überliefert und daher Spekulation. Weder die Existenz eines mit Menschenhaut bespannten, in Buchenwald hergestellten Lampenschirms noch eine direkte Beziehung Ilse Kochs zu solchen Artefakten wurde je nachgewiesen.
Ein an David Finchers Seven geschultes Update des Buchenwalder Ausstellungsraumes bietet Robert Schwentkes Tattoo. August Diehl und Christian Redl spielen zwei Berliner Polizisten, die in einer Mordserie ermitteln und dabei auf eine Sammlerszene stoßen, in der tätowierte Menschenhäute als hochpreisige Kunstwerke gehandelt werden, mit Internetauktionen in einem Chatroom. Viel ist von der in Japan gepflegten Tätowierkultur die Rede, aber der Subtext scheint mir doch mehr mit Ilse Koch zu tun zu haben. Die Haut eines Opfers wird zu einer Geldbörse verarbeitet (Ilse besaß angeblich Bucheinbände und Handschuhe aus Menschenhaut), ein Sammler stellt seine schönsten Objekte zur Schau wie einst die KZ-Pathologen, ein Zimmer hat der Connaisseur mit Gegenständen aus Menschenhaut eingerichtet, und natürlich ist es der Lampenschirm, auf den Redl einschlägt, um seinem Ärger Luft zu machen.
Nadeshda Brennicke als Maya ist die schöne Blonde, die August Diehl immer tiefer in die menschlichen Abgründe zieht. Einmal steht sie in einem weißen Kleid im Regen, nachdem sie ihren schwarzen Mantel ausgezogen hat. Durch die Nässe wird der Stoff transparent. Maya trägt nichts darunter. Man sieht ihre Brüste und die bisher verborgenen Tätowierungen auf ihrer Haut. Das ist mehr als die Befriedigung der voyeuristischen Bedürfnisse eines überwiegend männlichen Publikums. Schwentke ist da ein starkes Bild gelungen, weil er mit der zunehmenden Nacktheit Nadeshda Brennickes mehrere Schichten des Mythos um die Kommandeuse von Buchenwald freilegt. Dahinter steckt die uralte Männerphantasie von der Frau, die entweder eine Heilige (das weiße Kleid) oder eine Hure (der nackte Busen) ist.
Manchmal wundert man sich schon darüber, welche Themen dringend besprochen werden mussten, wenn Ilse Koch - dreimal insgesamt - der Prozess gemacht wurde. Der sie umrankende Mythos weiß von einer Frau, die eine schier unbegrenzte Macht ausübte, sich den Häftlingen ohne Unterwäsche zeigte, sie häuten ließ, mit den Trophäen ihr Wohnzimmer ausstaffierte und sich nicht an das (von Männern verfügte) Rollenklischees von der anständigen deutschen Ehefrau und Mutter hielt, die sich also - um in der Bilderwelt von Tattoo zu bleiben - mutwillig das weiße Kleid vom Leib riss, was das Augsburger Landgericht 1951 ausdrücklich als strafverschärfend wertete. Wahrscheinlich war dieser Mythos so wirkmächtig, weil er an tief sitzende Ängste und Tabus rührte: Von der grausamen, über ein Lager voller Männer herrschenden Tyrannin bis zum Verlust der Identität und dem totalen Ausgeliefertsein durch das Abziehen der Haut. Schwentke übersetzt das in die Handlungsmuster des Thrillers, indem er Maya zur Femme fatale macht, die nur aussieht wie ein Lustobjekt und das nächste Opfer eines tätowierte Häute sammelnden Killers. Tatsächlich ist sie nicht das Wild, sondern die Jägerin, eine modernisierte Ilse Koch mit dem Berlin der Jahrtausendwende als Jagdrevier. Am Ende sitzt sie in einem Lokal und begutachtet die nächste Trophäe, das Tattoo am linken Oberarm eines Kellners (mit einer eintätowierten Nummer am linken Unterarm wäre der Zusammenhang noch offensichtlicher).
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