Die Lady mit dem Lampenschirm

Seite 4: Gruppensex im Germanenhain

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Der Gatte der "Kommandeuse", Karl Otto Koch, war einer jener skrupellosen Kleinbürger, denen sich durch den Nationalsozialismus ungeahnte Karrierechancen eröffneten. Der am 2. August 1897 in Darmstadt geborene Sohn eines Standesbeamten besuchte die Volksschule, machte eine kaufmännische Lehre und arbeitete in der Buchhaltung der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik, als er sich als Kriegsfreiwilliger meldete. Mit 18 Jahren wurde er als Schütze an die Westfront geschickt. Nach zwei Verwundungen und einjähriger Gefangenschaft bei den Briten kehrte er 1919 ohne große Zukunftsaussichten nach Deutschland zurück. Über die folgenden zwölf Jahre weiß man wenig. Koch hatte wechselnde Arbeitsstellen, war zwischendurch länger erwerbslos und kam wegen kleinerer Betrügereien mit dem Gesetz in Konflikt. 1924 heiratete er ein Fräulein Müller, mit dem er einen Sohn zeugte. Die Ehe wurde 1931 geschieden. Im selben Jahr trat Koch in die NSDAP ein und wurde Mitglied der SS. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler war er dabei behilflich, die wilden Lager, in die Schlägertrupps der SA politische Gegner verschleppt hatten, in reguläre, von der SS kontrollierte "Schutzhaftlager" umzuwandeln. Die Brutalität, mit der er zu Werke ging, sicherte seinen Aufstieg.

Koch war SS-Untersturmführer und in Dresden stationiert, als er im Mai 1934 Ilse Köhler kennenlernte. Die Verbindung hatte Bestand, obwohl Koch häufig versetzt wurde. Ilse war neun Jahre jünger als der wenig attraktive Karl, was diverse Autoren zu Mutmaßungen darüber veranlasst hat, was sie an ihm fand. Sehr beliebt ist die Interpretation, dass sie auf Uniformen stand. Von da ist es nicht mehr weit zum Fetischismus, zu sadomasochistischen Sexualpraktiken und zur NS-Pornographie. Joseph Como verlegt in seinem Roman The Bitch of Buchenwald das erste Treffen von Dresden nach Berlin. Koch trainiert mit deutschen Olympioniken und übt sich im Hammerwurf, als Ilse unter seiner eng anliegenden Turnhose ein Gemächt riesigen Ausmaßes entdeckt und sofort zum Orgasmus kommt. Ilse ist begeistert von diesem Mann, weil der Sex mit ihm so animalisch ist. Umgekehrt erkennt Karl, dass die Beziehung zu der scharfen Rothaarigen, bei deren Anblick sich alle Männer nach dem Austausch von Körpersäften sehnen, seiner Karriere förderlich kein kann.

Eine sehr banale Version von der Geschichte geht so: Ilse Köhler war Stenotypistin in einer Zigarettenfabrik, als sie mit dem SS-Untersturmführer Koch den Repräsentanten einer "Bewegung" kennenlernte, die 1933 in Deutschland die Macht übernommen hatte und diese rasch festigte. Ein paar Monate später war Koch bereits Obersturmführer und Kommandant des KZ Sachsenburg, gefolgt von Stationen in den Konzentrationslagern Lichtenburg, Columbia Berlin und Esterwegen. Koch war einer, der es im NS-Staat noch weit bringen konnte. Für Ilse war Karls Uniform das Versprechen auf gesellschaftlichen Aufstieg und ein Leben in finanzieller Sicherheit, das ihr sonst verwehrt geblieben wäre. Für Karl war die Verbindung mit der jungen Arierin karriererelevant, weil Himmler, der Chef des "Sippenordens" SS, nicht müde wurde, von seinen Männern zu verlangen, sich eine rassisch einwandfreie Gefährtin zu suchen, mit der zusammen sie dem Führer Kinder schenken konnten (vier Stück wurden als Ziel ausgegeben). Nichts davon schließt aus, dass sich die beiden auf eine Weise zugetan waren, die man einfach hinnehmen würde, statt über Sex mit Peitschen und in Reiterstiefeln zu spekulieren, wenn es sich nicht um den Kommandanten und seine "Kommandeuse" handeln würde.

Koch, inzwischen zum SS-Sturmbannführer befördert, war Kommandant des KZ Sachsenhausen, als er und Ilse Köhler am 25. Mai 1937 heirateten. Heinrich Himmler wollte die versunkene Welt imaginärer Vorväter wiederherstellen, die Christianisierung rückgängig machen und durch einen Germanenkult ersetzen. Ein SS-Mann wie Koch holte sich deshalb nicht den priesterlichen Segen, wenn er heiratete. Vier Tage nach der standesamtlichen Trauung feierte das Paar die von Himmler erdachte, angeblich auf alten Sitten und Gebräuchen beruhende "Eheweihe", die in SS-Kreisen an die Stelle der kirchlichen Hochzeit trat. In Comos Roman ist die Eheweihe eine Schwarze Messe mit abtrünnigem Bischof, Gruppensex und einer Ilse Koch, die nackt auf dem Altar liegt und den Bräutigam mit gespreizten Beinen zum Cunnilingus und zur anschließenden Vereinigung mit Superorgasmus erwartet. Wie es wirklich war ist auf einem Photo aus dem Familienalbum der Kochs zu sehen. Ilse trug ein geblümtes Kleid, Karl seine Galauniform. Die Eheweihe war ein mit Runen und anderem Germanenkitsch ausstaffiertes Ritual, bei dem man sich nachts in einem mit Fackeln erleuchteten Hain traf. Den Eheleuten wurde Brot und Salz gereicht, jemand gab Nazi-Sinnsprüche über Blut und Nation zum Besten, und wahrscheinlich erhielt das Brautpaar eine Hochzeitsausgabe von Mein Kampf, der Bibel des Nationalsozialismus. Anschließend war Ilse in die "SS-Sippengemeinschaft" aufgenommen, was nicht mit dem Sperma von hundert ejakulierenden Männern besiegelt wurde wie bei Como, sondern durch das Aushändigen einer Urkunde oder des SS-Sippenbuchs. Für gewöhnlich endete die Weihestunde mit dem Absingen des "SS-Treueliedes". Ich glaube nicht, dass Ilse Koch sich dabei noch schnell das Kleid vom Leib riss und sie sodann von geilen SS-Männern besprungen wurde. Die von Como beschriebene Orgie ist reine Phantasie.

Alle verdienen mit: Konzentrationslager als Wirtschaftsfaktor

Sehr real wiederum war das auf deutschem Boden errichtete KZ-System, das aus vielen kleinen, einer Reihe von mittleren und einigen großen Lagern bestand. Groß waren Sachsenhausen im Norden und Dachau im Süden. Jetzt sollte noch eines in der Mitte her. Beste Chancen auf den Zuschlag hatte der "Trutzgau" Thüringen, von jeher eine Hochburg der Nationalsozialisten. In Thüringen besetzten sie 1930 erstmals zwei Ministerposten in einer Landesregierung (Hitler gab die Losung aus, dass das ein "Experiment" auf dem Weg zur Regierungsübernahme in Berlin sein solle), 1932 stellten sie dort erstmals einen Ministerpräsidenten. 1926 fand in Weimar der erste Reichsparteitag der NSDAP nach ihrer Wiederzulassung statt (1923, nach dem gescheiterten Putschversuch in München, war sie verboten worden). Für die Nazis war Weimar eine bevorzugte Aufmarschbasis, Hitler stieg dann regelmäßig im berühmten Hotel Elephant ab. Die Stadt von Goethe und Schiller übte auf die Gegner der nach ihr benannten Republik eine besondere Faszination aus, weil sie als ein Zentrum der deutschen Kultur galt. Hier verorteten sie sich und ihr politisches Projekt im deutschen Geistesleben. Den Nazis war Symbolik immer äußerst wichtig.

Bei der Bevölkerung stieß das durchaus auf Gegenliebe. Die Nazis kamen auch deshalb so gern nach Weimar, weil sie in dieser Stadt überdurchschnittlich viele Anhänger hatten (ausweislich der Wahlergebnisse bis 1933, als die Hälfte der Bewohner Adolf Hitler ihre Stimme gab). An dieser Stelle könnte man kurz stutzig werden, wenn man als Nachgeborener mit der Fiktion aufgewachsen ist, dass eine perverse Verbrecherclique irgendwo im Niemandsland Konzentrationslager einrichtete, von denen die überwältigende Mehrheit der Deutschen gar nichts wusste und/oder die sie nicht in ihrer Nachbarschaft haben wollten. Wenn man das glaubt, liegt die Vermutung nahe, dass lokale Machthaber ihren Einfluss geltend machten, damit solche Lager irgendwo gebaut wurden, nur nicht bei ihnen (analog zu den Politikern, die heutzutage bemüht sind, Stromtrassen, Windräder und Pumpkraftwerke von ihrem Wahlkreis fernzuhalten). Das Gegenteil war der Fall.

Fritz Sauckel, Reichsstatthalter in Thüringen und Gründer der in Weimar angesiedelten Wilhelm-Gustloff-Stiftung (ein Rüstungskonzern der Nazis), machte sich dafür stark, das anfangs für 3000 bis 6000 Gefangene geplante Lager unbedingt in Thüringen anzusiedeln. So stärkte er den Wirtschaftsstandort. Wer ein Lager mit Tausenden von "Schutzhäftlingen" in seiner Nähe hatte, verfügte über billige Arbeitskräfte für seine Fabriken oder konnte direkt vor Ort neue Produktionsstätten errichten (im Laufe der Erweiterung von Buchenwald entstanden auf dem Ettersberg das Gustloff-Werk II und eine Filiale der Deutschen Ausrüstungswerke, eine Waffenschmiede der SS). Solche wirtschaftlichen Überlegungen sind natürlich nicht so sexy wie eine halbnackt durch das Lager reitende Amazone, waren für das KZ-System jedoch ungleich wichtiger und verwickelten viel mehr Leute in die NS-Verbrechen, als es in Deutschland Perverse gab, die Orgien feierten, während ihnen die Syphilis das Hirn zerfraß (vermute ich zumindest).

Das Geologische Landesamt Jena hatte eine Liste mit mehreren geeigneten Standorten für das neue Lager erarbeitet. Hellmuth Gommlich, Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium von Thüringen, machte sich für den Ettersberg stark und wusste gewichtige Argumente für dieses Gelände anzuführen. Zur Erfüllung der Vorgaben im Vierjahresplan, mit dem Deutschland fit für den Krieg gemacht werden sollte, hatte man den landwirtschaftlichen Betrieben Zwangsarbeiter in Aussicht gestellt. Die Landesbauernschaft, so Gommlich in einem Brief an den Inspekteur der Konzentrationslager Theodor Eicke, bitte um schnellstmögliche Verwirklichung des Lagerprojekts und befürworte den von ihm vorgeschlagenen Standort, weil "von dort aus die in nächster Nähe (nordwestlich und westlich) liegenden Hauptrübenfelder - etwa 5.000 ha - zu erreichen sind".

Auch die Stadt Weimar, im Süden des Ettersbergs gelegen, bereitete sich frühzeitig auf die mit dem Lager zu machenden Geschäfte vor. Der erste Häftling, der in Buchenwald starb, war ein 23-jähriger Arbeiter aus Altona. Er hieß Hermann Kempek und erhängte sich am 14. August 1937. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine am 29. Juli 1937 vom Bürgermeister bestätigte Vereinbarung zwischen der Lagerverwaltung und dem Städtischen Friedhofsamt. Gegen Zahlung eines Pauschalbetrags von 20 Reichsmark pro Leiche übernahm das Krematorium auf dem Hauptfriedhof von Weimar die Einäscherung der Toten. Angeordnet wurden die Verbrennungen vom Lagerkommandanten, obwohl laut Gesetz das Einverständnis der Angehörigen erforderlich war, was die Weimarer Beamten sicher wussten. Bis 1940, als das KZ wegen Überlastung der Einrichtung in Weimar ein eigenes Krematorium anschaffte, wurden auf dem Hauptfriedhof etwa 2000 Menschen verbrannt, die in Buchenwald ihr Leben verloren hatten. Die Kulturstadt setzte mit dem Leid der Häftlinge also rund 40.000 Reichsmark um. Die Urnen für die Hinterbliebenen verschickte das Friedhofsamt. Das sah besser aus als Post vom Lager. Nach der Lieferung der Verbrennungsöfen durch die Firma Topf & Söhne hätte Weimar den Einnahmeausfall gern ausgeglichen. Verhandlungen, das KZ (und seinen Zaun) mit Strom zu beliefern, zerschlugen sich jedoch.

Das neue Lager galt als eröffnet, als am 15. Juli 1937 aus dem KZ Sachsenhausen ein erster Transport mit als Handwerker und Bauarbeiter eingesetzten Häftlingen eintraf. In diesem Sommer packten Karl Otto Koch und seine Gattin Ilse in Sachsenhausen die Koffer, um auf den Hügel mit der Goethe-Eiche umzuziehen. Koch, offiziell ab 1. August 1937 Kommandant des Lagers, führte auf dem Ettersberg ein Schreckensregiment. Das ist hinlänglich dokumentiert, und man muss schon ein sehr entschlossener Verharmloser der Nazigräuel sein, um die in diesem Lager begangenen Verbrechen abzustreiten oder zu beschönigen. Trotzdem wäre der wegen seiner Brutalität und Skrupellosigkeit auch bei den eigenen Leuten gefürchtete Koch wahrscheinlich längst vergessen, wenn er nicht mit der "Hexe von Buchenwald" verheiratet gewesen wäre. Wenn man allerdings versucht, gesicherte Fakten über Ilse Koch in Erfahrung zu bringen, wird es schwierig. Man findet da korrupte Nazis, drei Strafverfahren, nackte Busen, den Kalten Krieg sowie eine wüste Melange aus Hörensagen, Halbwissen und bizarren Phantasmagorien.

Mehr dazu im nächsten Teil: Der korrupte Kommandant und seine perverse Nymphomanin

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