Die "Letzte Generation" – eine kriminelle Vereinigung?
Seite 3: Die Tatbestandsmerkmale
Kaum Diskussionsbedarf besteht bei der Frage, ob es sich bei der "Letzten Generation" um eine Vereinigung handelt. In § 129 Abs. 2 StGB wird die Vereinigung als "ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses" definiert.
Ohne Zweifel besteht mit der "Letzten Generation" ein dauerhafter Personenzusammenschluss von mehr als zwei Personen, die ein übergeordnetes Interesse verfolgen. Auch die interne Organisation der Gruppe, die Mitgliederzuordnung in Arbeitsgruppen und das übergeordnete Unterstützernetzwerk deutet auf ein System mit einer übergeordneten Regelungsstruktur und damit auf eine Vereinigung hin.
Für die Beteiligung an der Vereinigung reicht schon ihre regelmäßige Unterstützung, auch in Form von mehreren oder einzelnen größeren Spenden, aus. Damit fällt auch das Organisieren einer Spendenaktion in den Tatbestand des § 129 StGB.
Fraglich ist allerdings, ob Zweck oder Tätigkeit der Gruppe auch auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Zumindest hinsichtlich des Zwecks scheint das nur schwer vertretbar. Denn der eigentliche Zweck, für den sich die Mitglieder der "Letzten Generation" zusammengeschlossen haben, ist die Bekämpfung der Klimakrise. Straftaten mögen zwar als Mittel von der Gruppe eingesetzt werden, um diesen Zweck zu erreichen und damit gegebenenfalls notwendiges Zwischenziel der Gruppe sein. Ihr originärer Zweck jedoch ist ein anderer.
In Betracht kommt jedoch, dass die Tätigkeit der Vereinigung "Letzte Generation" auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist. Betrachtet man die meistkommentierte Aktionsform der Gruppe in den vergangenen Monaten, das Festkleben auf und Blockieren von Straßen, kann man eine strafbare Tätigkeit zumindest nicht ausschließen.
Abwägung zwischen Grundrechten
Denn das Blockieren der Straße und damit ein Verhalten, dass Autofahrer zur Duldung der Blockade zwingt, könnte eine Nötigung gemäß § 240 StGB darstellen. Die Aktionen sind zunächst Gewalt im Sinne der Norm. Zu der Prüfung, ob eine Nötigung vorliegt, gehört jedoch immer auch eine Verwerflichkeitsprüfung – das heißt, sie muss "zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen" sein.
Im Kontext der Protestaktionen der "Letzten Generation" geht es vor allem darum, ob die Aktionen noch von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind – denn wenn die Gruppenmitglieder mit den Aktionen legitimerweise von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch machen, ist das verständlicherweise nicht strafbar.
Dann kann die Nötigung nur noch in Ausnahmefällen als verwerflich eingestuft werden, nämlich dann, wenn die eingeschränkten Grundrechte der von der Aktion betroffenen Menschen im Einzelfall schwerer wiegen.
Es kommt also auf die besonderen Umstände der einzelnen Blockadeaktion an – wie lange dauerte die Blockade? Konnten die betroffenen Autofahrer ausweichen, wussten sie von der Aktion? Wurden gar wichtige Transportfahrten aufgehalten und konnten deshalb vielleicht sogar, wie bei einigen Aktionen behauptet, Verletzte nicht rechtzeitig versorgt werden?
Diese Kriterien, die auch bei der Bewertung der einzelnen Aktionen der "Letzten Generation" zum Tragen kommen dürften, wurden vom Bundesverfassungsgericht für friedliche Blockadeaktionen festgelegt und dienen vor allem dazu, der Versammlungsfreiheit wegen ihres besonderen Gewichts möglichst viel Raum zu geben. Wie das Gericht die einzelnen Fragen angesichts der Umstände bei einzelnen Blockaden entscheiden wird, ist unklar – und damit auch, ob die "Letzte Generation" bei ihren Aktionen wirklich verwerflich gehandelt hat.
Während also noch nicht ganz klar ist, ob sich die "Letzte Generation" mit den Straßenblockaden einer Nötigung strafbar gemacht hat, hat sie sich bei anderen Aktionen wohl recht eindeutig strafbar verhalten. So war etwa die Beschädigung von Gemälderahmen eine Sachbeschädigung nach § 303 StGB.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Gruppe sich ausdrücklich dazu bekennt, die Begehung von Straftaten für notwendig zu erachten – wiederholt haben Mitglieder offen zugegeben, ohne strafbare Handlungen keine Erfolgschancen für ihre Aktionen zu sehen. Auch ist bekannt, dass innerhalb der Gruppenhierarchien die Mitglieder als besonders zielstrebig erachtet werden, die bereit sind, besonders weit zu gehen und dabei auch die Grenzen der Strafbarkeit hinter sich zu lassen.
Zuletzt könnte die Strafbarkeit der Gruppe hingegen noch an dem Tatbestandsausschluss nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB scheitern – sofern es sich bei den Straftaten der "Letzten Generation" um solche mit nur "untergeordneter Bedeutung" handelt. Aus welcher Sicht beurteilt werden muss, ob eine Straftat nur untergeordnete Bedeutung hat, ist umstritten.
In der juristischen Literatur wird zum Teil dafür plädiert, bei der Interpretation dieses weiten Begriffs insbesondere die Rechtsgüter mit einbeziehen muss, die von den Straftaten betroffen wurden.
Eine Straftat, die das Eigentum einer Person betrifft, könnte demnach nur untergeordnete Bedeutung haben. Ungeachtet dessen haben die Taten für die Aktivisten selbst natürlich nicht nur untergeordnete Bedeutung – und ebenso wenig für betroffene Autofahrer und den großen Teil der Bevölkerung, der die Aktionen der "Letzten Generation" grundsätzlich ablehnt.
Es bleiben damit viele Fragen offen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Medium beantworten kann. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Gericht entscheidet. Es gibt allerdings sehr wohl eine Facette an dem Vorwurf gegenüber den Aktivisten, die schon jetzt einer kritischen Betrachtung unterworfen werden sein kann und sollte - und zwar der § 129 StGB selbst.