Die Linke war in der Brexit-Debatte nicht präsent

Fast 3 Millionen wollen nachträglich die Schwelle für eine Anerkennung des Brexit in einer Petition höherlegen

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Lange Zeit hatten die EU-Befürworter das Verbleiben Großbritanniens in diesem Bündnis auch damit angepriesen, dass dort ja zumindest einige bürgerliche Rechte gewährleistet seien. Das Referendum mache doch deutlich, dass dort die Bevölkerung auch mal gefragt wird.

Nun ist es tatsächlich keine Errungenschaft der so oft als Hort der Demokratie besungenen EU, dass das Referendum zustande kam. Die Gründe liegen in den Fraktionskämpfen innerhalb der Tories und der Taktik von David Cameron. Doch kaum ist das Referendum nicht so ausgegangen, wie es die Freunde der EU wollten, zeigt sich, wie ernst es manche von ihnen mit der Demokratie wirklich meinen. In einer mittlerweile von über 3 Millionen unterzeichneten Online-Petitionen wird von der Regierung gefordert, eine Regel einzuführen, wonach ein neues Referendum abgehalten werden soll, falls die Mehrheit kleiner ist als 60 Prozent, bezogen auf eine Wahlbeteiligung von weniger als 75 Prozent.

Solche Modifizierungen sind grundsätzlich legitim. Doch Brexit-Befürworter und -gegner haben sich auf ein Referendum zu den Regeln geeinigt, wie sie nun galten. Und nach diesen Regeln haben die EU-Gegner gewonnen. Wer nachträglich die Ergebnisse ändern will, weil die Ergebnisse nicht passen, hat höchstens ein taktisches Verhältnis zu bürgerlichen Grundrechten.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich diejenigen, die unmittelbar eine neue Abstimmung wollen, durchsetzen werden. Schon allein deshalb, weil es unwahrscheinlich ist, dass sich mit solch plumpen Tricks eine Mehrheit für die EU organisieren lässt. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Brexit-Befürworter einen noch größeren Erfolg hätten. Und was dann?

Dann lieber überhaupt kein Referendum. Das ist die Linie der Eurokraten in sämtlichen Ländern und Parteien Sie werfen Cameron vor, aus machttaktischen Gründen ein Referendum in die Wege geleitet und damit den Brexit in Kauf genommen zu haben. Solche Vorwürfe las man auch in vielen Kommentaren von Tageszeitungen, die sich nicht genug echauffieren können, über Wahlbehinderungen in Venezuela und ähnliche Staaten, die gemeinhin als nicht-kapitalistisch gelten, was mit Recht bestritten werden kann. Dass in diesem Ländern gerade die Subalternen in den letzten Jahren mehr Partizipationsmöglichkeiten haben als vorher, ist aber ziemlich klar. Trotzdem wird hierzulande immer die Meinung verbreitet, es handele sich um undemokratische Regime.

Referendum einfach ignorieren, weil es nicht ins Kalkül der Londoner City passt

Wenn der britische Abgeordnete David Lammay vorschlägt, die Ergebnisse des Referendums einfach zu ignorieren, weil es nicht im Sinne der Londoner City ist, dann könnte man eigentlich denken, die Labour-Partei, die ja den innerparteiischen Ränkespielen der Tories fern steht, würde solche Gelegenheitsdemokraten wie Lammay in die Schranken weisen. Doch der ist sogar Mitglied der Partei.

Was ist von einer Partei zu erwarten, die immer noch einen Tony Blair in ihren Reihen hat, der mit einer Lüge das Land in den Irakkrieg zog und deren rechter Sumpf nach der Brexit-Abstimmung auf einen Rücktritt des Labour-Vorsitzenden Corbyn drängt, weil der angeblich nicht vehement genug für die EU getrommelt hat?

Corbyn war nie der Kandidat der spätestens seit Blair auf Tory-Kurs gebrachten Labour-Partei. Sein Erfolg war das Ergebnis einer Graswurzelbewegung, der den Parteibürokraten schon immer suspekt war. Wenn nun von den Labour-Rechten Corbyn zum Rücktritt gedrängt werden soll, machen sie nur deutlich, wie wenig sie sich um Demokratie scheren, in der Partei genauso wenig wie in Europa.

Dabei war es Corbyns Fehler, auf Druck der Partei überhaupt auf einen Pro-EU-Kurs eingeschwenkt zu sein. Wäre er seinen jahrelangen EU-kritischen Überzeugungen treu geblieben, wäre er zu einer Linie zurückgekehrt, die die Labour-Partei in den 1960er und 1970er Jahren vertreten hat. Die Unterhauswahlen 1973/74 gewann sie mit dem Versprechen, die Bedingungen zum EU-Beitritt, den die Tories schon ausgehandelt hatten, zur Disposition und das Ergebnis dann in einen Referendum zur Abstimmung zu stellen. Dazu ist es dann nie gekommen. Doch es gab immer eine EU-kritische Strömung bei der Labour-Partei und den britischen Gewerkschaften.

Warum keine Mobilisierung zum Lexit?

Nur im Bündnis mit den Tories konnte die Labour-Partei EU-Beschlüsse durchsetzen. Bei den Tories wurde aus nationalistischen und auch xenophoben Gründen die Opposition gegen die EU stärker und erzwang das Referendum. Bei der Labour-Partei aber wurde die eigene Tradition nicht aufgegriffen, eine Kampagne für einen Lexit, einen EU-Austritt aus linken und emanzipatorischen Gründen, zu organisieren. Dann hätte der Rassismus der Mehrheit der Brexit-Kampagne natürlich kritisiert werden müssen. Aber es hätte immer daran erinnert werden müssen, dass heute die Migranten im Mittelmeer ertrinken, weil eine EU-Richtlinie ihnen einen sicheren Transit verbietet.

Eine Lexit-Kampagne hätte auch die wirtschaftsliberale Politik der Mehrheit der Brexit-Befürworter in den Fokus ihrer Kritik rücken und gleichzeitig deutlich machen müssen, dass die EU selber ein wirtschaftsliberales Projekt ist. Tatsächlich haben kleinere linke Gruppen und Gewerkschaften, die sich für einen Lexit stark gemacht haben, daran erinnert, wie die Austeritätspolitik der EU in Griechenland Demokratie, Ergebnisse von Wahlen, sowie Arbeiter- und Tarifrechte zerstörten.

In einer Erklärung der linken Austrittsbefürworter zum Ausgang des Referendums wird darauf verwiesen, dass es sich auch um Stimmen gegen die Politik der Austerität handelte. Die linken Brexit-Befürworter hatten es auch deshalb bei der aktuellen Debatte schwer, weil sie oft aus taktischen Gründen doch für einen Verbleib in der EU stimmten.

Ein gutes Beispiel ist der Guardian-Kolumnist Paul Mason, dessen Buch "Postkapitalismus - Grundrisse einer kommenden Ökonomie" gerade auf Deutsch erschienen ist und der im Guardian schrieb, dass es viele gute Gründe gäbe, bei dem Referendum gegen die EU zu stimmen. Doch da man keine gemeinsame Sache mit rechten Tories und Rechtspopulisten machen wolle, sei jetzt nicht der Zeitpunkt für einen Austritt gekommen.

Doch wann wäre die richtige Zeit für einen Lexit? Und führt Masons Argumentation nicht gerade dazu, dass sich gerade in der EU-Frage als einzige Opposition gerieren kann, während sich die Linke entweder gar nicht zur EU äußert oder sogar aus unterschiedlichen Gründen für die EU votiert? Ist es dann nicht verwunderlich, dass eine solche Linke als Teil der EU-Nomenklatura wahrgenommen und so ignoriert wird? Ein weiterer Widerspruch in Masons Argumentation besteht darin, dass er die guten Gründe gegen die EU benennt und dann wegen der Rechten empfiehlt, trotzdem für diese EU zu votieren. Dass ist die Fortsetzung der Politik des angeblich kleineres Übels, dass der Linken schon immer geschadet hat.

Die Linke kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor

Nach dem Ausgang des Referendums zeigt sich, wie fatal eine solche Orientierung für die Linke ist. Sie kommt in der Post-Brexit-Debatte nicht vor. Dafür sehen sich die Rechten jeglicher Couleur von FPÖ über Front National bis zur AfD bestätigt. Sie müssen gar nicht selber zum EU-Austritt aufrufen. Es reicht schon, dass sie wie verschiedene AfD-Politiker erklären, auch sie würden die Bevölkerung über die EU befragen.

Gelegenheitsdemokraten wie Lammay, die jetzt dazu aufrufen, das Ergebnis des Referendums zu ignorieren, kommen solchen Kreisen gerade recht, um sich zur Verteidigung der Mehrheit der Abstimmenden aufzuschwingen. Die Linke in ihren unterschiedlichen Ausformungen kommt in diesen Debatten nicht vor. Spätestens nach der putschistischen Durchsetzung der Austeritätspolitik gegen Griechenland hätte die Debatte über ein Verlassen der EU beginnen müssen. Dabei müsste deutlich werden, dass es dabei nicht um ein Zurück zu den alten Nationalstaaten geht, sondern um eine europäische Kooperation der Bevölkerung. Die EU-Bürokratie ist dabei nicht förderlich, sondern ein Hinderungsgrund.

Der Ausgang des Referendums in Großbritannien könnte die letzte Chance sein, eine eigene Position zu beziehen und sich für eine europäische Kooperation stark zu machen, die sich nicht auf Nationalstaaten und die Brüsseler Behörden bezieht. Zieht es diese Linke hingegen vor, weiterhin als linkes Feigenblatt im EU-Zirkus zu fungieren, könnte das ihren Bedeutungsverlust noch verstärken, während sich die Rechten aller Couleur als wahre Opposition gerieren. Denn eins ist klar, und das ist auch der Grund für die Nervosität der Austrittsgegner, die Austrittsbefürworter werden in allen europäischen Ländern stärker. In Italien könnte nach den nächsten Wahlen mit der Fünf-Sterne-Bewegung eine Partei die Regierung übernehmen, die die Mitgliedschaft Italiens in der EU infrage stellt.