Die Lösung des Kaschmirkonflikts liegt in Gilgit-Baltistan

Seite 2: China und die neue Seidenstraße

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Selbst China, das als letzter Freund Pakistans gilt, hält sich mit unterstützenden Worten zu Kaschmir zurück. Dazu hat man Pakistan schon mehrmals durch die Blume angedeutet, dass es sich nur in noch größerem Umfang in Pakistan engagieren wird, wenn es endlich mit Indien zu einer Lösung des Kaschmir Problems findet. Der Bau der neuen chinesischen Seidenstraße, die 1500 Kilometer durch Pakistan führt, hat für Peking vor allem eigene wirtschaftliche Interessen: Zugang zum arabischen Meer. Auch sie werden nicht unnötig das Tischtuch mit Indien zerreißen, sondern pragmatisch abwarten, wie sich ihr Verhältnis zu Indien entwickelt.

Da beide Streithähne über Atomwaffen verfügen, ist eine militärische Lösung beinahe ausgeschlossen. Das Wettrüsten geht trotzdem weiter. Doch sitzt das viel kleinere Pakistan dabei am kürzeren Hebel. Schon jetzt lähmen die hohen Militärausgaben jeden Versuch, Land und Gesellschaft zu modernisieren. Dagegen unterschrieb der größte Waffenkäufer der Erde, Indien, erst vor zwei Wochen einen Vertrag mit Frankreich im Wert von 7,8 Milliarden Euro über den Kauf von 36 Kampfflugzeugen.

Es spricht also nichts dafür, dass Pakistan Jammu Kaschmir erhalten wird - und auch eine Unabhängigkeit Kaschmirs ist völlig unrealistisch. Abgesehen davon, dass drei große Flüsse in Jammu Kaschmir entspringen, kann es sich Indien nicht leisten, dass ein unabhängiges Kaschmir in kürzester Zeit von radikalen Religiösen übernommen wird - schon allein wegen der vielen Buddhisten und Hindus, die dort leben.

Gilgit-Baltistan

Genauso unbeachtet und leise wie die Gilgit Scouts im Winter 1947 die Truppen des Fürsten HHari Singh besiegten und die Region, damals Northern Areas genannt, Pakistan übergaben, genauso still ist die Region Gilgit-Baltistan bis jetzt ein Teil des Kaschmirkonflikts. Die meisten der einfach Pakistaner im Süden, die schon in ihrer Kindheit zu Verfechtern Kaschmirs werden, haben keinen Schimmer von der Existenz Gilgit-Baltistans. Trotz ethnischer Konflikte - weil die pakistanischen Verantwortlichen die Ansiedlung von Sunniten aus dem Süden forcierte - gab es dort nie große Anti-Pakistan-Bewegungen. Im Gegenteil, die Menschen hier wollen endlich, das Pakistan ihre Region als Teil des Landes anerkennt.

Da hier mindestens 20 pakistanische Geheimdienste dafür sorgen, dass der Ärger in den eigenen vier Wänden bleibt, kann man die wahren Gefühle der Mehrheit nur in Gesprächen vor Ort erfahren: "Ich kann das Wort Kaschmir nicht mehr hören. Wir, ganz Pakistan haben für deren Wunschträume zu bezahlen. Wir haben nichts gegen Indien, wir hören doch die gleiche Musik, lieben Kricket, Tee und das gleiche Essen. Wenn unsere Regierung endlich ein freundschaftliches Verhältnis zu Indien aufbaut, können unsere Kaschmiris doch jederzeit ihre ‚Brüder‘ In Jammu Kaschmir besuchen. Die Inder können bei uns Urlaub machen und wir bei ihnen!", sagte ein 40-Jähriger in Gilgit zu mir - stellvertretend für viele andere, die ich auf etlichen Reisen in die Region gesprochen habe.

Gilgit-Baltistan (grün-blau gestreift) und Jammu Kaschmir (orange-blau gestreift). Karte: TP

Ganz so einfach ist es nicht. In dem Augenblick in dem Pakistan Gilgit-Baltistan als Teil des Landes anerkennen würde, würden die religiösen Militanten in Pakistan wissen, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Ein letztes Aufbäumen mit Anschlägen in Indien und Pakistan wäre äußerst wahrscheinlich. Dass vorletzte Woche die "alte Garde" der Militanten bei einem Anschlag auf ein Armeelager in Jammu Kaschmir 18 indische Soldaten getötet hat (kurz vor der UN-Versammlung und höchst unpassend für Nawaz Sharif), zeigt deutlich, dass sich die Militanten in Pakistan auch in Sachen Kaschmir selbstständig gemacht haben.

Doch damit die Lösung angegangen werden kann, bräuchte es auf beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis zwischen zwei starken Ministerpräsidenten, die zu kleinen Zugeständnissen bereit sind, die sich am Ende in eine Win-Win Situation für 1,5 Milliarden Menschen auszahlen würden. Auch für die Afghanen. Denn wenn die pakistanischen Generäle keinen Grund mehr haben, die "guten" Taliban in Afghanistan zu unterstützen, um den Einfluss Indiens zurückzudrängen, könnte man auch dort neu anfangen.

Doch selbst Imran Khan, die Hoffnung vieler junger Pakistaner (und auch in Indien sehr beliebt), setzt in Sachen Kaschmir einzig auf Populismus. Dass Pakistans Generäle weiterhin Indien als großen Feind präsentieren ist normaler Selbsterhaltungstrieb von Militärs. Dass sie verschweigen, dass diejenigen, die den größten Schaden in Pakistan anrichten, die pakistanischen Taliban, durch ihre verfehlte Strategie in Afghanistan entstanden sind, ebenfalls.

In Indien war man schon einen Schritt weiter. Selbst Premierminister Manmohan Singh hatte 2006 erklärt, dass nicht islamische Terroristen die größte Gefahr für Indien darstellen, sondern lokale maoistische Rebellen Gruppen in den ländlichen Gebieten Indiens. Dass der Grund für die Existenz der Rebellen mangelhafte Armutsbekämpfung ist, hatte man auch erkannt. Doch Indiens aktueller Premiere Modi setzt immer mehr auf hinduistischen Nationalismus. So wird der Kaschmirkonflikt im nächsten Jahr garantiert seinen 70. Geburtstag feiern - und zu den 50.000 Toten, die der Konflikt allein in Kaschmir bis jetzt gefordert hat, werden noch etliche mehr dazukommen.