Die Lügenmaschine
Email oder Telefon - Welches ist das ehrlichere Medium?
Auf der Conference on Human Factors in Computing Systems, die Ende April in Wien stattfinden wird, soll auch eine Studie der US-amerikanischen Cornell-Universität vorgestellt werden, welche sich mit der Lüge und ihrem bevorzugten Gewande befasst.
Eigentlich könnte man sie in die Reihe der Worte des Jahres 2003 (vgl. Von Worten und Unworten: Das zarte Pflänzchen Sprache) einreihen; die Lüge genoss in den Nachrichtenmedien, die zum Thema Massenvernichtungswaffen berichteten, eine Schlüsselrolle. Hat Saddam gelogen (vgl. Von Wahrheit und Lüge)? Hat Bush gelogen (vgl. Apparatus of Lies?)? Hat Blair gelogen (vgl Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor)? War Blairs Lüge eine bewusste Lüge? Haben gefangengenommene irakische Regime-Anhänger gelogen? Haben sie so geschickt gelogen, dass sie die Lügendetektoren der US-Truppen austricksen konnten? Oder war das alles eine Lüge der Besatzer (vgl. Perfekte Lügner)? Wie war das noch mal mit der Brutkastenlüge (vgl. Am Anfang stand die Lüge)? Hat das Lügen bei den Republikanern System (vgl. Lies, damn lies, and statistics)? Und welches? ...
Der Lüge gebührt Aufmerksamkeit, denn sie ist überall. Ein amerikanischer Wissenschaftler ist ihr nun durch die verschiedenen Kommunikationsformen gefolgt, in denen sie auftritt. Seine Ergebnisse bestätigen eine Einsicht eines deutschen Schlagersängers und erweitern sie noch: Nicht nur Männer lügen am Telefon, auch Frauen tun es. Wenn irgendetwas die Bezeichnung "Apparatus Of Lies" verdient, dann ist es das Fernsprechgerät.
Jeff Hancock bat für seine Studie 80 Studenten, eine Woche lang ein Tagebuch zu führen, in das sie ihre gesamte Kommunikation eintragen würden. Gewissenhaft und ehrlich sollten sie außerdem verzeichnen, wann sie gelogen hatten. Nach Medien sortiert kam dabei heraus, dass vierzehn Prozent aller Lügen per Email verschickt wurden, 21 Prozent kamen auf Instant Massaging, 27 Prozent der Unwahrheiten sagten die Testpersonen jemandem ins Gesicht und teuflische 37 Prozent sickerten in die Sprechmuschel eines Telefons.
Ein überraschendes Ergebnis, man sollte annehmen, dass die vor verräterischen Gesten oder Stimmveränderungen schützende Position beim Mailen am ehesten zur Unwahrheit verführt. Der Forscher meint jedoch, dass die Speicherbarkeit von Mails zu ihrem Wahrheitsgehalt beiträgt. Offensichtlich steigert das die Angst erwischt zu werden.
Viele Lügen entstünden außerdem spontan, ganz unversehens, etwa bei Fragen wie "Steht mir das Kleid?" und würden vermieden, wenn der Angesprochene ein wenig Zeit für eine (diplomatisch) ehrliche Antwort habe.
Jeff Hancocks Studie wird im New Scientist von kommendem Samstag vorgestellt, er erhofft sich von seinen Erkenntnissen auch praktische Anwendbarkeit. So könne man nun Unternehmen beraten, welches Medium wann angeraten ist: Das Telefon für Verkaufsgespräche, in denen ja traditionellerweise Wahrheiten gestreckt würden, und Email für die Bereiche, in denen Ehrlichkeit vonnöten ist (wie z.B. die Suche nach Massenvernichtungswaffen?).