Die Macht der Rating-Agenturen
Interview mit Werner Rügemer. Teil 1
Anhand von drei Buchstaben heben oder senken die drei mächtigsten Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch ihre Daumen über Unternehmen, Banken bis hin zu ganzen Staatswesen und beeinflussen damit weltweit maßgeblich das Wirtschaftsgeschehen. Darüber aber, warum diese Rating-Agenturen überhaupt soviel Macht besitzen wird in der Öffentlichkeit wenig debattiert. Auch sind bislang die Informationen über die Akteure, die hinter den Rating-Agenturen stehen äußerst dürftig. Ein Gespräch mit dem Privatisierungsexperten Werner Rügemer über sein neues Buch Rating-Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart.
Herr Rügemer, bei der Finanzkrise 2007 haben die drei wichtigsten Rating-Agenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch nicht unbedingt ein glückliches Händchen bewiesen. Warum haben sie heute noch das Sagen?
Werner Rügemer: Herr Jellen, wenn man von den Interessen der Agenturen und ihrer Eigentümer ausgeht, hatten sie durchaus ein glückliches Händchen. Sie haben im Vorfeld als Mitverursacher der Finanzkrise sehr viel verdient und Krisen selbst sind für sie auch sehr lukrativ. Sie haben auch heute noch das Sagen, weil sie wie die Banken, Hedgefonds, Wirtschaftsprüfer und Versicherungen zum Kern der Finanzindustrie gehören, die ja ebenfalls nach der Krise immer noch das Sagen haben, ja sogar noch mächtiger geworden sind.
Können Sie eine Einschätzung abgeben, wie viele der weltweiten Kapitalströme die Rating-Agenturen mit ihren Bewertungen auch heute noch kontrollieren?
Werner Rügemer: Das kann ich nicht abschätzen, denn ein großer und wachsender Teil der Kapitalströme findet heute in dark pools des Schattenbanksystems (shadow banking) statt. Hier wird nicht reguliert. Da erfassen weder nationale noch internationale Finanzinstitutionen die Zahlen.
"Regierungen und Justiz spielen mit"
Haften Rating-Agenturen im Falle eine Falschprognose?
Werner Rügemer: Nein, sie haften grundsätzlich nicht. Jedem einzelnen Rating einer Agentur ist eine Klausel beigegeben, dass die Agentur nicht für Folgen haftet, die aufgrund der Verwendung von Ratings zustande kommen, sei es direkt oder indirekt. Alle Agenturen bezeichnen jedes ihrer Ratings als "freie Meinungsäußerung". Ich zitiere als Beispiel Fitch: "Ratings sind keine Fakten und können deshalb nicht als richtig oder unrichtig bezeichnet werden. Ratings stellen keinen finanziellen oder rechtlichen Rat dar, keine Wirtschaftsprüfung, keine Bewertung, keine Schätzung und keine Versicherungsempfehlung. Ein Rating stellt keine Zustimmung der Agentur dar, ihren Namen als den eines Experten zu verwenden."
Das Üble ist zudem, dass bisher auch Regierungen und Justiz mitspielen und bisher niemals die Agenturen bei den zahl- und folgenreichen Falschbewertungen zur Verantwortung gezogen haben. Vor US-Gerichten haben schon hunderte von geschädigten Anlegern, auch Pensionsfonds wie Calpers (Pensionsfonds der kalifornischen Staats- und Gemeindeangestellten) gegen die Agenturen wegen falscher Ratings und auf Schadenersatz geklagt - aber die Gerichte haben alle Klagen abgewiesen; die Agenturen berufen sich bisher erfolgreich auf den ersten Zusatz zur US-Verfassung (First Amendment von 1791), wonach ihnen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zustehe; der Verfassungszusatz regelt bekanntlich die Freiheit der Meinung, der Religion und der Presse.
"Aktiengesellschaften bezahlen selbst für das Rating ihrer Aktien"
Welche Funktion hatten ursprünglich die Rating-Agenturen und wie hat sich diese im Lauf der Zeit geändert?
Werner Rügemer: Im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren die Agenturen kleine Verlage, Familienbetriebe, die Informationen über Aktiengesellschaften gesammelt haben. Da wurden in den USA zahlreiche Aktiengesellschaften gegründet, um Eisenbahnen, dann Textil- und Stahlfirmen zu errichten. Und es wollten viele US-Bürger ihr Geld anlegen, mitverdienen, mitspekulieren. Die Agenturen verkauften ihnen für ein paar Cent Informationen über die Gesellschaften, in Form von Handbüchern, Zeitschriften, Informationsblättern. Damit konnten die Anleger abschätzen, welche Aktiengesellschaft seriös ist, denn damals gab es auch so manche Betrüger auf diesem Gebiet. Die Anleger und Spekulanten zahlten also für die Information.
Mitte der Siebziger Jahre, also etwa mit dem Beginn der "Globalisierung", änderten die Agenturen den Bezahlmodus: Jetzt zahlten die Aktiengesellschaften, zum Beispiel wenn sie neue Aktien an die Börse bringen wollten, selbst für das Rating der Aktien. Ebenso zahlten die Banken, wenn sie ein neues Wertpapier auf den Markt bringen wollten, für dessen Rating. Das war eine Wendung des Bezahlmodus um 180 Grad. Das ist wie wenn bei einem Fußballspiel die eine Mannschaft ihren eigenen Schiedsrichter mitbringt, den sie selbst bezahlt. Das wurde von der US-Finanzaufsicht Security Exchange Commission (SEC) genehmigt. Anschließend wurde dieses System global verbindlich gemacht, zuerst über den Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Entwicklungsländer, dann über die Bank for International Settlements (BIS, Basel, die Zentralbank der Zentralbanken) für die "entwickelten" Staaten wie die der Europäischen Union.
Die Rating-Agenturen werden von Banken, Versicherungen und Unternehmen finanziert, die für sich und ihre Wertpapiere Ratings bei den Agenturen bestellen. Auch öffentliche Unternehmen und Städte müssen sich heute vielfach ein Rating kaufen, wenn sie einen Kredit bekommen wollen. Ein Rating kostet je nach Umfang und Komplexität zwischen 50.000 und einer Million Euro. Sie sind also weder neutral noch unabhängig. Sie sind der verlängerte Arm der heute mächtigsten Akteure der Finanzindustrie. Und sie sind nicht nur deshalb mächtig, sondern weil sie gleichzeitig hoheitliche Aufgaben im Namen des Staates wahrnehmen. Die Agenturen sind Teil der gegenwärtigen Kapitalmacht.
Wie weit wurde der Werdegang der Agenturen von Gesetzen und anderen staatlichen Maßnahmen unterstützt?
Werner Rügemer: Die Regierungen und Parlamente der Kapitaldemokratien haben schrittweise die Ratings in vielen Bereichen des Finanz- und Wirtschaftssystems gesetzlich verbindlich gemacht. Bei Krediten, die die Banken vergeben, richtet sich die Höhe des Eigenkapitals nach den Ratings der Kreditnehmer. Nach den Ratings richten sich die Kreditkonditionen: Je besser die Note, desto niedriger der Zins. Pensions- und Investmentfonds erhielten gesetzliche Auflagen, welche Wertpapiere sie je nach der Höhe des Ratings kaufen oder nicht kaufen dürfen.
Die Ratings in Verbindung mit dem Oligopol der drei großen Agenturen gingen in die Regelwerke zum Beispiel der Europäischen Zentralbank und der deutschen Finanzaufsicht Bafin ein, in Deutschland etwa noch in das Versicherungsaufsichts- und Kreditwesengesetz (VAG und KWG), in den Mindestanforderungen für das Risikomanagement und in der Solvabilitätsverordnung (SolvV).
"Rating-Agenturen gehören zum Kern der heutigen Kapitalmacht"
Wem gehören die Agenturen?
Werner Rügemer: Mit dieser Frage kommen wir zum Kern der Sache. Deshalb wird diese Frage in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten nie gestellt, hier wird verbissen geschwiegen. Das ist ein untrügliches Zeichen, dass es hier um einen zentralen Sachverhalt geht. Die beiden größten Agenturen Standard & Poor’s und Moody’s gehören einer Reihe von Hedgefonds: Capital Group, Blackrock, Vanguard, State Street, T. Rowe Price. Sie sind die Haupteigentümer der Agenturen, übrigens in dieser selben Reihenfolge bei beiden Agenturen. Dann folgen noch Banken wie die Bank of New York, Versicherungen wie die Allianz sowie weitere Hedgefonds und Investmentgesellschaften.
Eine Ausnahme macht Moody’s: hier hat der bekannteste US-Spekulant, Warren Buffett, über seine Berkshire Hathaway Holding traditionell einen ständig wechselnden Anteil. Die kleinste Agentur, Fitch, gehört zu 60 Prozent dem US-Medienkonzern Hearst und zu 40 Prozent der französischen Finanzholding Fimalac, in der sich einige US-freundliche französische Unternehmen versammeln wie die Supermarktkette Casino, Renault, L‘ Oréal und die Bank Rothschild. Hearst wie Fimalac sind Familienkonzerne, die kaum Informationen herausgeben; wir dürfen aber annehmen, dass sie ebenfalls enge Beziehungen zu Hedgefonds haben, das ist heute in diesen Kreisen Standard.
Hedgefonds, die nicht staatlich beaufsichtigt werden, sind heute die eigentlich Mächtigen in der Finanzindustrie. Um beim Miteigentümer von Standard & Poor’s und Moody’s, Blackrock zu bleiben: Dieser Hedgefond ist gleichzeitig der größte Aktionär der Deutschen Bank, er ist Miteigentümer aller 30 deutschen DAX-Konzerne und natürlich Miteigentümer der wichtigsten US-Unternehmen undsoweiter. Große Banken wie die Deutsche Bank, United Bank of Switzerland (UBS) und Goldman Sachs, den heute die kritische Aufmerksamkeit gilt, sind in Wirklichkeit nur noch zweite Liga; oder man könnte sie auch als Vorfeldunternehmen der Hedgefonds bezeichnen. So gehören die Rating-Agenturen zum Kern der heutigen Kapitalmacht.
" Staaten sollen sich möglichst umfangreich und langfristig verschulden"
Wie treffsicher sind überhaupt die Ratings der Agenturen?
Werner Rügemer: Sie sind in der Regel sehr treffsicher, wenn man von den Interessen der Eigentümer der Agenturen und der Finanzindustrie ausgeht. Diese Interessen bestehen darin, dass die Kreditnehmer, beispielsweise Staaten, sich möglichst umfangreich und langfristig verschulden. Denn für die Kreditgeber gibt es kein besseres Geschäft. Das ist besonders in den sogenannten Krisen der Fall, wenn die Zinsen, von den Ratings "beflügelt", immer höher steigen. Ähnliches gilt für die Wertpapiere, die von den Finanzakteuren ans Publikum oder an andere Finanzakteure verkauft werden: je höher das Rating, desto teurer lassen sich die Wertpapiere verkaufen.
Das war bekanntlich der Fall bei den Millionen Hypothekenkrediten in den USA: Die Banken haben diese Kredite gebündelt, zu einem handelbaren Wertpapier gemacht, haben sich von den Rating-Agenturen für hohes Honorar ein Gefälligkeitsrating gekauft und haben dann damit große Gewinne eingefahren. Und die Agenturen haben damit ebenfalls viel Geld verdient. In dieser Hinsicht sind die Ratings ziemlich treffsicher.
"Interessen des Kreditgebers sind das einzige Kriterium"
Wie arbeiten Rating-Agenturen und welche Maßstäbe legen sie zugrunde?
Werner Rügemer: Die Agenturen haben einen einzigen wesentlichen Maßstab: Wie kann der Kreditgeber die größte Sicherheit haben, um den Kredit vollständig und pünktlich zurückgezahlt zu bekommen, wie riskant der Kredit auch sei. Die Interessen des Kreditgebers sind das einzige Kriterium. Das unabhängig davon, ob es bei der Kreditvergabe seriös zuging oder nicht; ob beispielsweise der Kreditgeber die Bonität, also die Rückzahlungsfähigkeit des Kreditnehmers gründlich geprüft hat oder nicht. Ob beispielsweise Korruption im Spiel war oder nicht: Denken Sie beispielsweise an die Kredite, die deutsche und französische Banken der griechischen Regierungen für den Kauf von U-Booten, Panzern und Kampfjets gegeben haben.
Die Interessen des Kreditgebers werden bekanntlich durchgesetzt, koste es was es wolle, ob also beispielsweise ein Unternehmen, ein Staat, ein Konsument in den ökonomischen Ruin getrieben wird, ob eine Volkswirtschaft ruiniert wird, ob Arbeitslosigkeit und Armut entstehen. Die Agenturen, ihre Eigentümer und Auftraggeber halten sich, wenn es darauf ankommt, weder an nationale Verfassungen, an demokratische Prozeduren, an soziale und Arbeits- und Menschenrechte. Ich verwende wie andere Autoren dafür den Begriff "Debtocracy":
Nach den Kriterien der Agenturen wird die Kreditrückzahlung notfalls auch mit Enteignung (Enteignung von sozialen Ansprüchen, z.B. von Renten und Einkommen; Privatisierung…) und autoritären, antidemokratischen Mitteln durchgesetzt. Zu den Vorschlägen der Agenturen etwa bei der Rückzahlung von Staatskrediten gehört beispielsweise nie die Reduzierung von Waffenkäufen, nie die höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen und von hohen Einkommen und Vermögen. Die Agenturen schlagen auch nie vor, das Zustandekommen von Krediten zu untersuchen, ob also auch dem Kreditgeber eine Schuld zukommt; bekanntlich gibt es viele Formen illegitimer Schulden.
"EU hat das US-Vorgehen millimetergenau nachgemacht"
Werden die Rating-Agenturen ihrerseits überprüft?
Werner Rügemer: Nein. Die großen Agenturen erhalten zwar ihre Lizenz von der US-Börsenaufsicht SEC; aber es ist der SEC ausdrücklich verboten, den Agenturen inhaltliche Vorschriften für die Erstellung von Ratings zu machen. Das ist übrigens dasselbe Verfahren wie bei den Wirtschaftsprüfern: Auch die den Weltmarkt der Wirtschaftsprüfung beherrschenden vier US-Unternehmen Price Waterhouse Coopers, Ernst & Young, KPMG und Deloitte erhalten ihre Lizenz von der SEC. Aber auch die Wirtschaftsprüfer wie die Rating-Agenturen dürfen ihre Verfahren in Selbstverwaltung entwickeln. Auch die Europäische Union hat diesen Umgang übernommen.
Eine "Überprüfung" der Agenturen findet nur in Nebenaspekten statt: haben sie ausreichend Kapital, haben sie Personal mit guten Universitätsabschlüssen. Eigentlich soll auch die "finanzielle Unabhängigkeit" überprüft werden. Aber die SEC hat weder den Bezahlmodus infrage gestellt, der eine ständige Interessenkollision bedeutet, noch hat sie jemals danach gefragt, wem die Agenturen eigentlich gehören. Und die Europäische Union und auch die neugebildeten Instanzen der Finanzaufsicht in der EU haben das US-Vorgehen millimetergenau nachgemacht.
Werden die Bewertungen als politisches Druckmittel eingesetzt?
Werner Rügemer: Sie sind ein Druckmittel der Kreditgeber und Wertpapierverkäufer, die gegenwärtigen Regierungen und Parlamentsmehrheiten der "westlichen Wertegemeinschaft" geben diesen Druck ungebremst und unreflektiert weiter.
Welche Folgen hat die Tätigkeit der Agenturen für Gesellschaft und Politik?
Werner Rügemer: Sie führt zu einer ständigen Aushöhlung des Rechtsempfindens und der Demokratie. Sie verstärkt die Abhängigkeit der betreffenden Politiker und politischen Parteien von der Finanzindustrie. Wie ich schon sagte und wie wir schon bei früheren Krisen wie der "Asienkrise" erfahren mussten und wie es jetzt sich in der EU abspielt: Die Tätigkeit der Agenturen führt zur Entdemokratisierung und zu vielfältigen Formen der Enteignung.
Teil 2 des Gesprächs äußert sich Werner Rügemer unter anderem zur Rolle der Rating-Agenturen bei der gegenwärtigen Euro-Krise und erläutert das Prinzip der "Debtocracy".
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