Die Maschinen müssen den Menschen angepasst werden

Die meisten IT-Unternehmen berücksichtigen nicht, wie die Menschen wirklich diese Technologien gebrauchen

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Der alte Mann war einem Computer noch nie so nahe gekommen. Wie zahllose andere erste Computernutzer dies vor ihm getan haben, nahm er die Maus, richtete sie auf den Bildschirm und klickte. Die hundert Mangager, Wissenschaftler und Vermarkter von Computerfirmen, die ihm zuschauten, lachten laut. Manche der gut gekleideten Manager bekamen dabei sogar ein rotes Gesicht und Tränen stiegen in ihre Augen. Der arme alte Mensch näherte sich einer neuen Technologie auf die natürlichste Weise, die er kannte, an. Aber weil er nicht zu den Bedürfnissen der Maschine passte, wurde er zum Gegenstand des Spotts.

Ich will den Namen des Unternehmens nicht nennen, bei dem diese furchtbare Zurschaustellung stattgefunden hat, weil es nicht das erste Mal ist, dass ich gesehen habe, wie Menschen aus der Technikbranche denselben dummen Fehler begehen. Ihre eigene Unsicherheit und ihr fehlendes Wissen darüber, wie Computer funktionieren, bringt sie dazu, über jeden zu lachen, der noch weniger kompetent für die neuen Medien ist wie sie selbst. Es ist eine Möglichkeit, sich wissend und überlegen zu fühlen.

Es ist aber auch eine Möglichkeit, sich die vielleicht einzige sinnvolle Information, die man aus einem solchen "Benutzertest" ableiten kann, entgehen zu lassen, nämlich wie Menschen ganz natürlich auf Technologien und Schnittstellen reagieren.

Wenn sich alle versammelten Wissenschaftler sicher genug in seinem Verhältnis zur Technologie gewesen wären, um das mitzukriegen, dann hätten sie über den standfesten Glauben der Versuchsperson daran gestaunt, dass die Maus wie eine Fernsteuerung für den Fernseher funktioniert. Wenn die Mehrheit der Menschen, die das erste Mal mit einer Maus konfrontiert werden, versucht, sie auf diese Art zu benutzen, dann könnte doch daraus eine Idee über eine Schnittstelle entstehen. Gibt es einen logischen Gedankengang, eine Maus zu entwickeln oder zumindest zu testen, die direkt auf den Bildschirm zeigt?

Nein, das sollten wir nicht einmal überlegen. Wir haben uns an das Mausdenken angepasst, also muss dies der alte Mann auch. Das ist ein Bestandteil der Initiationsschmerzen.

Ich plädiere hier nicht für eine neue Art der Maus, sondern für eine neue Weise des Verstehens, wie man an die Schnittstelle zwischen Menschen und Maschinen herangehen sollte. Dabei geht es nicht darum sich vorzustellen, wie die Menschen sich an die Technologien anpassen, die wir bereits entwickelt haben. Die Menschen, die in der von Geräten getriebenen Netzökonomie der Zukunft erfolgreich sein werden, werden diejenigen sein, die mit den menschlichen Bedürfnissen und Erwartungen konforme Anwendungen, Schnittstellen und Gestaltungen schaffen. Die Unternehmen, die weiter mit Strategien arbeiten, wie man die Menschen dazu bringt, dies oder jenes zu machen, werden genauso sicher scheitern wie WebTV.

Der Trick hier besteht darin, sich wieder zurück auf die menschliche Seite der kybernetischen Gleichung zu stellen. Was macht ein Menschen natürlicherweise mit einem Gerät in einer bestimmten Umgebung? Was brauchen Menschen beispielsweise in Flughäfen, in Autos, auf ihren Schreibtischen oder in ihren Wohnzimmern? Anstatt darum zu kämpfen, die Menschen zur Technologie zu bringen, muss man herausbekommen, wie man die Technologie zu den Menschen bringt. Anstatt den alten Mann in einen wirklichen Mausbenutzer zu verwandeln, sollte man die Maus in eine wirkliche Fernbedienung verwandeln! Schließlich soll die Technologie den Menschen dienen und nicht die Menschen dieser.

Habt ihr das verstanden, ihr Geschäftsleute? Ihr sagt ja, aber ich glaube euch nicht, wenn man davon ausgeht, was gerade bei den Handys oder auch beim Web passiert. Die meisten Unternehmen in diesem Bereich berücksichtigen nicht, wie die Menschen wirklich diese Technologien gebrauchen.

Nehmen wir als Beispiel so etwas Einfaches wie die Größe von Geräten, was wir ihren "Maßstab" nennen könnten. Aufgeklärtere Firmen wie Creative Good, die die Benutzererfahrungen untersuchen, haben die Technologien in drei große Gruppen aufgeteilt: Inch-, Foot- und Yard-Geräte. Jeder Maßstab eines Gerätes hat eine ganz natürliche Gruppe von Anwendungen. (Ein Inch=Zoll ist 2,54 cm; ein Foot=Fuss ist 30,48 cm; ein Yard ist 91,44 cm.)

Ein Inch-Design wie die WAP-Schnittstelle bei einem Handy oder wie ein Palm-Gerät gleicht mehr oder weniger einen Post-it-Zettel. Wir benutzen ihn, um eine Notiz wieder zu finden oder eine zu hinterlassen, die wir später brauchen werden. Wir halten ein Gerät mit einem Inch-Design in einer Hand und geben Text mit der anderen ein, und wir benutzen es in der Öffentlichkeit so kurz wie möglich.

Ein Foot-Gerät wie ein Computer befindet sich dort, wo wir mit der Information arbeiten, die wir beispielsweise mit einem Inch-Gerät festgehalten haben. Damit verändern wir unsere Datenbank mit den Terminen oder schreiben den Artikel, indem wir die auf dem Palm gesammelten Namen von Unternehmen verwenden, die Benutzertests machen. Yard-Geräte wie Fernsehgeräte oder Videoprojektoren werden eingesetzt, um diese Informationen anderen zu zeigen oder mit diesen zusammen zu arbeiten.

Ist das nicht offensichtlich? Warum versuchen dann die Unternehmen, das Web durch WAP auf winzige Handy-Screens zu verkleinern? Wissen sie nicht, dass das Web für den fußgroßen Computerbildschirm gestaltet wurde und nicht für ein Inch-Gerät, das nur zwei Zeilen Text darstellen kann?

Offensichtlich nicht, weswegen jeder, der das, was er wie das Überprüfen von Emails oder Börsenkursen über das Internet machen wollte, mit einem Handy zu machen versucht hat, auf quälende Weise Dutzende von Tasten drücken und Seiten durchblättern musste, anstatt die Einfachheit von wirklichen Inch-Schnittstellen wie die der Palm- oder Rim-Geräte benutzen zu können.

Das ist derselbe Fehler, den Dutzende von Streaming-Media-Unternehmen begangen haben, nämlich zu glauben, dass der Computerbildschirm der geeignete Ort sei, um Filme in Kinolänge anzuschauen. Sie senden fälschlicherweise Medienprodukte mit einem Yard-Maßstab durch ein Fuß-Gerät. Deswegen verschwinden sie auch alle wieder.

Bei all dem handelt es sich nicht um eine raketenartig abhebende Wissenschaft. Es geht nur um eine kleine Veränderung, wie wir uns vorstellen, neue Entscheidungen bei den Medien zu treffen. Bring deine Technologie zu den Menschen und nicht umgekehrt die Menschen zur Technologie.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Rötzer

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