Die Mechanismen der Supraleitung bei Magnesiumdiborid
Mehrere neue Untersuchungen zum Supraleiter Magnesiumdiborid
Magnesiumdiborid (MgB2) macht seit seiner Entdeckung im Februar Schlagzeilen (Neuer Supraleiter Magnesiumdiborid), da das Material bei der Temperatur von 39 Kelvin (minus 234,15 Grad Celsius) supraleitende Eigenschaften besitzt. Magnesiumdiborid ist ein billiger Ausgangsstoff, einfach herzustellen und bei jedem Händler für chemischen Laborzubehör ist dieses Material in Großpackungen erhältlich. Das Phänomen Supraleitung ist seit Anfang des Jahrhunderts bekannt, bisher ist aber die Materiallage schwierig, da Metalle mit Helium aufwändig gekühlt werden müssen, keramische Werkstoffe eine schlechte Stromtragfähigkeit haben und oft zu spröde sind.
Im März deckten amerikanische Physiker entscheidende Schwächen des Materials auf (Aluminium verändert Supraleiter), nachdem sie ausführliche Tests durchgeführt hatten. Sie prognostizierten, dass die von ihnen aufgezeigte strukturelle Instabilität möglicherweise eine kommerzielle Nutzung verhindert und die Suche nach einem Supraleiter mit besserer Stabilität und höheren kritischen Temperaturen weiter gehen muss.
Trotzdem ließen sich andere Wissenschaftler nicht abschrecken, mit Magnesiumdiborid zu experimentieren und seine Eigenschaften umfassend zu analysieren.
Eine neue Studie veröffentlichten US-Forscher in der letzten Nature-Ausgabe (24. Mai 2001). D.G. Hinks vom Argonne National Laboratory, Illinois und Kollegen untersuchten den totalen Isotopen-Effekt und veröffentlichten ihre Ergebnisse unter dem Titel: "The complex nature of superconductivity in MgB2 as revealed by the reduced total isotope effekt". Magnesiumdiborid ist ein einfacher Werkstoff aus zwei Komponenten, der von allen Nicht-Kupfer-Oxyd Materialien die höchste Sprungtemperatur hat.
Der totale Isotopen-Effekt (total isotope effect) ist der grundlegende Test des BCS (Bardeen, Cooper, Schrieffer)-Modells, das auf der anziehenden Wechselwirkung zwischen je zwei Elektronen (Cooper-Paaren) beruht. Es handelt sich um eine indirekte Wechselwirkung über das Ionengitter. Bei der Isotopen-Effekt -Messung werden Atome durch Isotopen von verschiedenen Massen ersetzt, um systematisch die Phonon-Frequenzen zu verändern. In einem konventionellen BCS-Supraleiter wird der Mechanismus durch Elektron-Phonon-Wechselwirkung vermittelt, der totale Isotopen-Effekt Koeffizient sollte 0,5 betragen. Bei Magnesiumdiborid setzt er sich aus den Summen der Mg und B Koeffizienten zusammen. Der Isotopen-Effekt von Bor ist bereits untersucht und hat sich als groß erwiesen, deswegen wurde MgB2 als konventioneller Supraleiter eingestuft. Mg wurde aber nicht untersucht, das haben jetzt Hinks und sein Team getan. Der Magnesium Isotopen-Effekt erwies sich als klein, aber messbar, der Koeffizient beträgt 0,32 und liegt damit weit unter dem eines konventionellen Supraleiters.
Die Forscher vermuten:
Der niedrige Wert könnte mit den komplexen Materialeigenschaften zusammenhängen und scheint sowohl eine große Elektron-Phonon-Koppelung wie einen größeren Wert der repulsiven Elektron-Elektron-Wechselwirkung als bei den meisten einfachen Metallen zu erfordern.
In der neuesten Ausgabe von Nature schreiben nun insgesamt 35 Physiker in drei Artikeln über neue Erkenntnisse zu MgB2. Die Serie von Veröffentlichungen in Nature über den Mechanismus der Supraleitfähigkeit von MgB2 wird damit fortgesetzt. Im Vordergrund steht die praktische Anwendung dieses Supraleiters, der kostengünstige Umsetzungen verspricht. Kommerziell ist Magnesiumdiborid ein extrem interessantes Material, vorausgesetzt, seine Eigenschaften erweisen sich als brauchbar. Und die neuen Ergebnisse der Forscher sind vielversprechend.
Alle Materialien haben bisher entscheidende Nachteile. Reine Metalle reagieren schon bei sehr kleinen magnetischen Feldern mit der Zerstörung der Supraleitfähigkeit. Elektrischer Strom erzeugt ein Magnetfeld, folglich werden diese Supraleiter schon bei sehr kleinen Strömen normalleitend. Bestimmte Metall-Legierungen können sehr hohe kritische Ströme tragen ohne dass dieses Problem auftritt. Niob-Titan (NbTi) ist heute das Supraleiter-Material, das am häufigsten verwendet wird, v.a. für Magnet-Resonanz-Bildverfahren und in der Hochenergie-Physik. Aber auch Niob-Titan muss aufwändig (und teuer) mit flüssigem Helium gekühlt werden.
Chang-Beom Eom, von der University of Wisconsin, Madison und Kollegen kontaminierten Magnesiumdiborid mit Sauerstoff und entdeckten, dass diese Mischung mehr elektrischen Strom in einem magnetischen Feld leiten kann als reines MgB2. Sie sind sich sicher, dass MgB2 legiert werden kann, nachweislich mit Sauerstoff, um so die Leitfähigkeit zu verbessern. Das bestätigt auch Paul Grant vom Electric Power Research Institute, Palo Alto in seinem News&Views-Artikel in der gleichen Ausgabe von Nature: "Eom und seine Kollegen haben uns bewiesen, dass zumindest im Labor das Verhalten von Magnesiumdiborid mit existierenden supraleitenden Materialien mithalten oder ihre Eigenschaften sogar überrunden kann."
In einem weiteren Artikel beschreiben Y. Bugoslavsky vom Imperial College, London und seine Kollegen eine andere Möglichkeit die kritischen Stromdichte im Material zu erhöhen. Sie beschossen MgB2 mit einem Ionenstrahl, einem Strahl positiv geladener Wasserstoff-Atome. Das Resultat ähnelt dem der Versuche mit der Sauerstoff-Legierung. Die Supraleitfähigkeit wird nicht in vollem Unfang durch das Magnetfeld ausgebremst. Sie bilanzieren, dass Magnesiumdiborid durch chemische Verunreinigung oder mechanische Bearbeitung ähnliche Eigenschaften wie Hochtemperatur-Supraleiter erreichen kann. Diese Materialien sind aber im Gegensatz zu MgB2 sehr teuer im Einkauf und in der Produktion.
Sungho Jin vom Agere-Systems, Lucent Technologies, USA und Kollegen stellen im 3. Artikel ihre Magnesiumdiborid-Leitungen vor. Sie bauten Drähte aus dem neuen Supraleiter-Material, indem sie mit Eisen ummantelten. Bei der Suche nach einem geeigneten Werkstoff für die Drähte entdeckten sie, dass andere Materialien die kritische Leitfähigkeit in MgB2 dramatisch senkten. Jede Kontamination von MgB2 mit anderen Metall-Atomen, sei es durch Beimischung oder Austausch mit dem Mantel-Material, muss sorgfältig kontrolliert werden. Mit Eisen dagegen reagiert der Supraleiter unproblematisch.
Diese Resultate der Experimente von Jin und Co. hält Paul Grant in seinem Begleitartikel für die Allerwichtigsten. Er fasst den neuen Erkenntnisstand zusammen:
Obwohl der Traum, dass Magnesiumdiborid der erste Vertreter einer komplett neuen Material-Familie sei, bereits im März auf der Spezial-Sitzung der American Physical Society ausgeträumt war, könnte es eine wichtige Rolle in der angewandten Supraleitung spielen. Noch müssen wir einige Fortsetzungen der neu vorliegenden Studien abwarten, bevor wir vorhersagen können, wann MgB2 so weit sein wird, die hellen Lichter des Broadway und des Piccadilly zum Leuchten zu bringen.
Supraleitung ist potenziell ein riesiger Markt (Supraleitendes Plastik). Noch wird die Nutzung für Kabel, Transformatoren und für Speichersysteme elektrischer Energie v.a. durch die Kosten begrenzt. Nach einer Studie des "Consortium of European Companies Determined To Use Superconductivity" (Conectus) wird Supraleitung eine der führenden Technologien dieses Jahrhunderts werden, der Markt könnte sich potentiell bis 2020 um das zwanzigfache steigern.