Supraleitendes Plastik
In der neuen Ausgabe von Nature werden Kunststoffe vorgestellt, die supraleitend sind
Nach der Entdeckung des Supraleiters Magnesiumdiborid (Neuer Supraleiter Magnesiumdiborid), der noch bei 39 Kelvin funktioniert, stellt nun ein internationales Forscherteam "Poly (3-Hexylthiophene) (P3HT)" vor, einen organischen Polymer-Film, der bei Raumtemperatur leitfähig ist. Bei 2.35 Kelvin (-270.80 Grad Celsius) wird er supraleitend.
H.Schön von Lucent Technologies, Murray Hill (USA), Ortwin Schenker von der Universität Konstanz und Bertram Batlogg vom Institute for Solid State Physics in Zürich haben die Selbstorganisations-Kräfte der P3HT-Moleküle mit Hilfe eines FET (field-effect transistor) angeregt. Der P3HT-Film hat eine nano-kristalline Struktur, aber das beeinflusst seine supraleitenden Eigenschaften nicht.
"The ease of processing of these organic/polymeric materials suggests future applications in the field of superconducting electronics," kommentierte das Team ihren Erfolg Nature gegenüber. Die Wissenschaftler sind der Meinung, ihre Entdeckung zeige "the feasibility of tuning the electrical properties of polymers over the largest possible range from insulating to superconducting."
Dass Kunststoff stromleitend sein kann, ist schon länger bekannt. 1977 synthetisierten Alan J. Heeger von der Universität Kalifornien, MacDiarmid von der Universität Pennsylvania und Hideki Shirakawa von der Universität Tsukuba, Japan das erste leitende Plastik aus Polyacetylen. Sie bedampften den Kunststoff mit Jodgas und mit Hilfe dieser Verunreinigung erhöhte sich die Leitfähigkeit des Polymers um das zehnmillionenfache. Vergangenes Jahr erhielten die drei Forscher für die Entdeckung leitfähigen Kunststoffs den Nobelpreis für Chemie zuerkannt.
Plastik ist ein Stoff, der sich besonders zum Isolieren eignet, nicht umsonst werden Kupferdrähte, die Strom leiten sollen, damit ummantelt. Es gibt aber einen Weg ihre Eigenschaft zu verändern: werden die Kunststoffmoleküle aus Kohlenstoffatomen, die abwechslungsweise Doppel- und Einfachbindungen tragen, synthetisiert und ein Ungleichgewicht in der Elektronenverteilung produziert, erhält man leitendes Material. Polymere, die langen Molekülketten, die strukturell durch die Aneinanderreihung identischer Kettenglieder bestimmt sind, müssen sozusagen metallähnlich werden, um Strom leiten zu können. Frei bewegliche Elektronen sind nötig, die nicht an Atome gebunden sind. Die regelmäßige Polymerstruktur muss durcheinander gebracht werden, das geht auch durch Verunreinigung mit einzelnen Atomen eines anderen Stoffes. Dann können sich elektrische Ladungen bewegen, d.h. es kann Strom fließen.
Solcher leitender Kunststoff wird bereits z.B. in Anzeigendisplays von Mobiltelefonen, Leuchtdioden und in Solarzellen verwendet. Es sind aber noch viele Anwendungen denkbar, es könnten auch Transistoren daraus gebaut werden, sogar aus nur einem Molekül. Computer könnten dadurch sehr viel kleiner und schneller werden.
Im Bereich Supraleiter könnte Kunststoff der ultimative Werkstoff sein. Supraleiter, also Material, das Strom ohne elektrischen Widerstand transportieren kann, sind bisher aus Metallen, die aber stark gekühlt werden müssen oder Keramiken, sogenannten Hochtemperatur-Supraleitern (HTSL), die aber auch Nachteile haben. Sie bestehen herstellungsbedingt aus einzelnen winzigen Körnern, die jedes für sich den Strom widerstandsfrei transportiert. Aber in einem Kabel muss der Strom auch von Korn zu Korn fließen. Die Stromtragefähigkeit der Berührungsflächen der einzelnen Körner, Korngrenzen genannt, ist jedoch um ein Vielfaches geringer als die der Körner selbst. Um diesem Effekt entgegen zu wirken, wurde bisher immer kostenintensiv versucht, die Körner möglichst parallel zueinander auszurichten.
Supraleitung ist bereits in der Medizintechnik, der Telekommunikation und der Elektronik vielfältig im Einsatz. Die Nutzung für Kabel, Transformatoren und für Systeme zum Speichern elektrischer Energie ist äußerst sinnvoll und im Moment noch vor allem durch die Kosten limitiert. Supraleiter sollen sicherer und umweltschonender arbeiten als herkömmliche Systeme. Wissenschaftler kamen in Hochrechnungen zu dem Resultat, dass in den USA bisher v.a. durch Leitungswiderstände rund sieben Prozent der erzeugten elektrischen Energie verloren gehen. Nach einer Studie des Consortium of European Companies Determined To Use Superconductivity (Conectus) wird Supraleitung eine der führenden Technologien dieses Jahrhunderts werden, der Markt könnte sich potentiell bis 2020 um das zwanzigfache steigern. Plastik als Supraleiter verspricht eine Verbindung der Anwendungsvorteile, ganz neue Möglichkeiten eröffnen sich für Wissenschaft und Industrie.
Noch in der ersten Hälfte dieses Jahres will die Stromgesellschaft Detroit Edison im Zentrum der US-Autometropole neun Stromkabel aus Kupfer durch drei aus Hochtemperatur-Supraleitern, sogenannten BSCCO-Leitern, ersetzen. Das sind HTSL aus Wismut, Strontium, Kalzium, Kupfer und Sauerstoff, eingebettet in Silber. Es gilt mit diesem weltweit ersten Prototyp-HTSL-Kabel die 110 Meter bis zum Transformator unter realen Bedingungen am Stromnetz widerstandslos zu überwinden.