Die Mobilmachung Resteuropas

Seite 2: Warnungen vor einer EU-Armee

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Der deutsche Drang zum Aufbau einer "EU-Armee" bildete ein zentrales Streitthema beim Brexit-Referendum, wie die Die Welt konstatierte: "Die Warnung vor einer Europa-Armee war ein Kernbestandteil der Brexit-Kampagne. Sollte Großbritannien in der EU bleiben, so hieß es, würden britische Soldaten schon bald unter Brüsseler Kommando stehen." Die entsprechenden Planungen des deutschen "Weißbuches" sind vor dem Wahltermin durch Indiskretionen publik geworden, was den Brexit-Befürwortern zusätzlichen Rückenwind verschaffte.

Dabei haben nicht nur konservative Zeitungen wie The Telegraph dies thematisiert, die den Brexit mit dem Verweis auf die Deutsche Dominanz in der EU und die Planungen zum Aufbau einer EU-Armee befürworteten Auch die Gegenseite der EU-Befürworter thematisierte die drohenden deutschen Alleingänge, die nur bei einem Verbleib Großbritanniens in der EU eingedämmt werden könnten. Der Guardian publizierte einen entsprechenden Kommentar, der die Angst vor der "deutschen Dominanz" offen ansprach. Ein Brexit würde Deutschland als alleiniges Oberhaupt der EU zurücklassen, das "zwischen Zurückhaltung und Drohungen" wählen müsste, warnte die Zeitung kurz vor dem Referendum.

Noch deutlicher wurde der Welt-Redakteur Alan Posener bei seinem Gastkommentar für den Guardian. Deutschlands Nationalismus könne nur durch ein "vereintes Europa" eingedämmt werden, so Posener. Im Falle eines Brexit könne der aufstrebende deutsche Rechtspopulismus und Rechtsextremismus Deutschland zu "einer Gefahr für sich selbst, für Europa und den Westen" machen. Angesichts der zunehmenden rechten Wahlerfolge werde Berlin Außenpolitik immer mehr "Deutschland an erste Stelle" und "Europa, die NATO und den Westen" an zweiter setzen. Letztendlich sorgt sich der Transatlantiker Posener darum, dass die Geopolitik der Bundesrepublik eine "anti-angelsächsische" Schlagseite bekomme - und somit die transatlantische Einbindung Berlins langfristig nicht aufrechterhalten werden könne.

Dieses transatlantische Worst-Case-Szenario scheint nun weitgehend Wirklichkeit geworden zu sein. Der Brexit stelle für Außenpolitik der USA einen "Schlag ins Gesicht" dar, bemerkte der deutsche Staatsrundfunk auf seiner Internetpräsenz. Großbritannien könne nicht mehr die Rolle der "transatlantischen Stimme" innerhalb der EU spielen, so dass Washington nun sich auf den einzigen verbliebenen "mächtigen Verbündeten" konzentrieren müsse, auf Deutschland. Washington hat somit mit London den wichtigsten europäischen Verbündeten verloren, der innerhalb der EU alle Bemühungen torpedieren konnte, Europa als einen ernsthaften Konkurrenten zu den Vereinigten Staaten auszubauen.

Militärisches Wachstum Deutschlands wird in den USA begrüßt

Das US-Portal Politico formulierte es folgendermaßen: "Über viele Jahre verschaffte die enge britisch-amerikanische Beziehung in den Bereichen Sicherheit, Aufklärung und Handel den Vereinigten Staaten einige klare Hebel in Brüssel." Doch durch die Reduzierung seines Einflusses in Brüssel habe Großbritannien auch Einfluss in Washington verloren. Deutschland wiederum habe, trotz der Spannungen beim NSA-Skandal und bei der Krisenpolitik in der EU, die Rolle eines "de-facto Ansprechpartners" in Europa gewonnen, erklärte ein Regierungsangehöriger gegenüber Politico.

Letztendlich stellt diese - keineswegs konfliktfreie - Kooperation Berlins mit der abgetakelten globalen Hegemonialmacht westlich des Atlantiks die geräuschloseste Option dar, um das europäische Konkurrenzprojekt einer deutschen EU-Armee zu forcieren und sukzessive weitere militärische Handlungsspielräume zu gewinnen. Dies passt ins taktische Kalkül der USA. Die mit einer Inflation von Krisenherden konfrontierte US-Militärmaschinerie setzt zunehmend auf das "Outsourcing" von militärischen Kapazitäten an verbündete Mächte, um den eigenen Apparat zu entlasten.

Die US-Luftwaffe kommt bei ihren mörderischen Bombenkampagnen dem offen einsetzenden Staatszerfall insbesondere in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems kaum noch hinterher. Hier liegt ein klassischer Fall kurzfristiger taktischer Interessensüberschneidungen innerhalb langfristig divergierender geopolitischer Strategien vor. Während Washington auf eine militärische Entlastung seiner unter einer imperialen Überdehnung leidenden Militärmaschinerie hofft, will Berlin diese Konstellation nutzen, um seine gegebene wirtschaftliche Dominanz in der EU um eine handfeste militärische Dimension zu ergänzen.

Die durch extreme Exportüberschüsse befeuerte deutsche Konjunktur ermögliche es Berlin, die Verteidigungsausgaben rasch anzuheben. Deutschland solle seine Militärausgaben "so schnell wie irgend möglich, so weit wie nur möglich" erhöhen, sagte der "Verteidigungsexperte" Hans-Peter Bartels (SPD) gegenüber der New York Times. Es gehe darum, die "Verteidigungsausgaben" von derzeit 1,08 Prozent des BIP auf rund 2 Prozent, wie ein Nato-Beschluss forderte, zu erhöhen, so Bartels. Damit würden diese verdoppelt werden.

Die New York Times titelte gar, das "militärische Wachstum" der Bundesrepublik werde im Westen "mit Erleichterung" zur Kenntnis genommen. Es ist das altbekannte imperialistische "Germans to the Front", wie es schon bei der massenmörderischen "Strafexpedition" 1900 gegen China ertönte - das der imperialen Konkurrenz Berlins erst in ein paar Jahren im Halse stecken bleiben wird.