Die Mossadegh-Legende
Der Putsch von 1953 gegen Irans demokratischen Premier Mohammad Mossadegh. Eine kommentierende Analyse
Im August 1953 haben die CIA und der MI6 (Britischer Auslandsgeheimdienst) in einer verdeckten Aktion die Regierung von Premier Mohammad Mossadegh im Iran zum Sturz gebracht. Der Coup wird als eines der wichtigsten Ereignisse des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert bezeichnet.
Nach der Iranischen Revolution vom Februar 1979 veränderte sich das Gesamtbild des Nahen Ostens radikal und der amerikanisch-iranische Konflikt, insbesondere mit Hinblick auf den Nuklearstreit, löste den israelisch-palästinensischen Konflikt als bedeutendsten, größten und gefährlichsten Konflikt ab.
Im Lichte dieses eskalierenden Streits greifen Politiker, Politikwissenschaftler und Journalisten auf die Historie zurück, um diese scheinbar konstitutive Feindschaft zwischen den beiden Ländern zu erklären. Der Coup von 1953 dient etlichen Historikern, Politikern, Sozialwissenschaftlern und Journalisten als ein zentrales Teil des Puzzles, das zur Deutung des aktuellen Disputs zwischen den USA und Iran herangezogen wird.
Der Putsch blieb in der Tat keineswegs eine politische Randnotiz, sondern manifestiert sich in seinen Auswirkungen auch Jahrzehnte später. Die politischen Nachbeben der Operation TPAJAX (Codename der Operation) wirkt bis heute noch in den politischen sowie diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und den USA spürbar nach.
Der Gegenstand des Coups gilt jedoch auch als "gefundenes Fressen" für Verschwörungstheoretiker, Populisten und Lagerkämpfer aus Politik, Wissenschaft und Journalismus, um deren einseitigen und meist undifferenzierten Analysen zu unterstützen. In Standardwerken setzen sich dahingegen etablierte Wissenschaftler mit dem Thema des Putsches im Iran kritisch auseinander.
Involvierung der schiitischen Geistlichkeit in den Putsch
Die meisten von ihnen gehen davon aus, dass ohne die CIA und MI6 der Coup nicht möglich gewesen wäre. Zur Ironie gehört auch, dass die "Mullahs" selbst zu den größten Verdrehern der Geschichte geworden sind. Überall wo iranische Diplomaten auf internationalem Parkett auftreten und es um die Beziehungskrise zwischen Iran und den USA geht, schreien sie sofort die Operation Ajax und den Sturz des demokratischen Premierminister Mossadegh heraus. Dabei sind die Mullahs selbst der größte Feind Mossadeghs.
Die nicht unerhebliche Involvierung der schiitischen Geistlichkeit in den Putsch ist heute nach der Offenbarung der geheimen Dokumente durch das US-Außenministerium mehr als evident. Nach dem Sieg der Iranischen Revolution wurde Mossadegh angefeindet und nicht einmal eine Gasse wurde nach ihm benannt, während in der Hauptstadtmetropole bedeutende Straßen Teherans nach dem Terroristen Khalid el-Islambuli, dem Mörder des ägyptischen Präsidenten Mohammad Anwar as-Sadat, - und dem Hisbollah-Terroristen Emad-Moghnie benannt sind.
Während die USA und Großbritannien machtpolitische bzw. ökonomische Differenzen zu Mossadegh hatten, hatten und haben die Mullahs und ihr ziviler Anhang ideologisch-religiösen Hass gegen Mossadegh, der ein säkularer Politiker war. Kurz nach dem Sieg der Revolution wurde Mossadeghs "Nationale Front" verboten und zahlreiche Mossadegh-Vertraute wurden bestenfalls isoliert, einige sind ins Ausland geflüchtet wie der Vorsitzende Karim Sanjabi.
Dieser Beitrag soll dem Coup vom 19. August 1953 und dem Sturz von Mossadegh auf den Grund gehen und dessen Hintergrund und Rahmenbedingungen profund und datenbasiert erhellen.
Zwei Anläufe
Der Putsch ereignete sich in zwei Etappen. Das Überbringen der Entlassungsurkunde Mossadeghs durch Oberst Nematoallah Nasiri mit einer kleinen Armeeeinheit gegen Mitternacht des 15. auf den 16. August 1953 wird als der erste Putschversuch bezeichnet. Dieser ist mit der Weigerung Mossadeghs, seine Entlassung anzunehmen, und der Verhaftung des Kommandeurs der Einheit - Oberst Nasiri - gescheitert.
Als Konsequenz verließ der Schah mit seiner Gemahlin Soraya das Land in Richtung Bagdad und reiste dann weiter in die italienische Hauptstadt Rom. In einem zweiten Anlauf, nur vier Tage später (am 19. August), triumphieren die Putschisten und an deren Spitze CIA-Agent Kermit Roosevelt über den Fall Mossadeghs.
Seit einigen Jahrzehnten untersuchen die internationale Fachwelt und auch renommierte iranische Politikwissenschaftler, Politiker und Journalisten in den vergangenen Jahren mit differenziertem und kritischem Blick dieses Ereignis und gehen der Rolle Mossadeghs und seiner Vertrauten in der Nationalen Front im Detail nach.
Es wird sogar und gerade aufgrund der rechtskräftigen Legitimität der Handlungen im Vorfeld des Putsches die Frage gestellt: War dies überhaupt ein Putsch?
Einer der Protagonisten, CIA-Agent Kermit Roosevelt, betitelte sogar sein Buch über jene historischen Ereignisse mit "Gegenputsch" (Countercoup). Er meint, dass der zweite erfolgreiche Putsch im Grunde genommen eine Aktion gegen bzw. eine Reaktion auf den Putsch von Mossadegh gewesen sei, weil er sich der rechtmäßigen Farman (königliches Dekret zur Entlassung Mossadeghs) widersetzt hätte.
Die Auflösung des Parlaments durch Mossadegh
Der erste Coup geschah nur wenige Tage nach der Auflösung des Parlaments durch Mossadegh. Der Premier hatte die Annullierung des Parlaments nach einem nationalen Referendum am 3. August 1953 in Teheran und am 10. August in anderen Städten (Frauen waren nicht wahlberechtig) durchgesetzt.
Jene Aktionen sollten sich im weiteren Verlauf als die Achillesferse des Premier Mossadegh herausstellen. Mossadegh löste das Parlament nach dem Ergebnis des Referendums auf und forderte am 12. August vom Schah, das 17. Parlament offiziell für aufgelöst zu erklären und Neuwahlen für das 18. Parlament einzuleiten.
Das war das erste Referendum in der iranischen Geschichte, das sehr undemokratisch vonstatten ging und das Mossadegh und dessen Innenministerium reichlich Kritik auch von Seiten einiger seiner gesetzestreuen Mitstreiter einbrachte. Allein das Ergebnis erschien mit einer Zustimmungsquote von 99,94% zur Auflösung als unglaubwürdig.
Hervorzuheben ist die entscheidende Rolle der externen Mächte (USA und Großbritannien), ohne deren Hilfe der Schah seinen Thron nicht hätte retten können. Ohne die Involvierung der beiden ausländischen Staaten wäre die Bezeichnung "Coup d'État" gänzlich unzutreffend.
Die folgenden Ausführungen sollen die Vorstufen und Etappen, die in das historische Ereignis vom 19. August 1953 mündeten, beleuchten und anschließend den Verlauf des Putsches sowie dessen Ergebnis konzise, aber profund skizieren.
Innenpolitischer Hintergrund
Das iranische Parlament (Majlis) verabschiedete unter Premierminister Hossein Ala das Gesetz zur Nationalisierung der Ölindustrie. Mohammad Reza Schah Pahlavi unterzeichnete am 15. März 1951 das von beiden Kammern (Majlis und Senat) verabschiedete Gesetz und Mossadegh wurde mit Unterstützung des iranischen Parlamentes durch den Schah mit der Durchsetzung der Verstaatlichung beauftragt.
Dr. Mohammad Mossadegh - ein charismatisch Politiker aus einer reichen Grundbesitz-Familie - wurde am 29. April 1951 vom Mohammad Reza Schah Pahlavi zum Premierminister ernannt. Mossadegh war Vorsitzender der "Nationalen Front" (eine Koalition aus nationalistischen, liberalen, säkularen, sozialistischen, sozialdemokratischen Oppositionsgruppen und Parteien und Persönlichkeiten Irans).
Einen Tag später, am 30. April 1951, wurde die National Iranian Oil Company (NIOC) gegründet. Fortan sollten die Förderanlagen und Raffinerien der Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) vom iranischen Gegenstück übernommen werden und die iranische Ölindustrie somit vollständig unter inländischer Kontrolle stehen.
Die britischen Teilhaber wurden enteignet und zahlreiche britische Arbeiter, Ingenieure und Konstrukteure mussten das Land verlassen. Der Vertrag, der bis zum Jahr 1993 das Recht auf Erkundung, Erschließung und Gewinnung des iranischen Erdöls Großbritannien bzw. der Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) zusicherte und Iran nur einen Nettogewinnanteil von 20 Prozent erzielte, wurde aufgelöst.
Die Regierung in London wandte sich an den Internationale Gerichtshof in Den Haag und reichte eine Klage ein. Am 20. Juli 1952 wurde seitens des Internationalen Gerichtshofs verkündet, dass letzterer keine rechtliche Zuständigkeit in diesem Streit habe.
Dies entsprach der iranischen Position. Mossadegh wurde als Held gefeiert und in vielen Teilen der damaligen "Dritten Welt" hochgeachtet. Er hatte persönlich an der Sitzung in Den Haag teilgenommen und als Jurist die Verteidigung der iranischen Position übernommen. Bei seiner Rückkehr in den Iran besuchte Mossadegh auch Ägypten und wurde von der Bevölkerung großartig empfangen. Das Time-Magazin wählte ihn sogar zum "Mann des Jahres 1951".
London gab sich jedoch nicht geschlagen und wandte sich daraufhin an den UN-Sicherheitsrat. Die britische Regierung erwirkte eine Seeblockade gegen den Iran im Persischen Golf, um so dessen Erdölexport zu beschränken. Als Konsequenz schrumpften die iranischen Einnahmen erheblich. Der zusätzliche Verlust an Knowhow durch die Ausweisung der britischen Arbeiter führte zur wirtschaftlichen Krise im Iran.
Drei wichtige Ereignisse vor dem Putsch
Die drei wichtigsten Ereignisse waren "ghiyame sie tir" 30 (Aufstand am 20. Juli 1952), die Tumulte vom 28. Februar 1953 und die Auflösung des Parlaments durch ein Referendum seitens Premier Mossadegh. Alle drei kann man als Machtkampf zwischen Schah und Mossadegh bezeichnen.
Beim ersten Ereignis ging Mossadegh als Sieger hervor. Er erreichte sein Ziel, volle Kontrolle über Verteidigungsministerium, Armee, Polizei, Gendarmerie zu erhalten, indem er kurzweilig zurücktrat, weil der Schah ihm dies verweigert hatte. Durch Massenproteste im Juli 1952 und wieder am 22. Juli 1953 wurde Mossadegh zum Premierminister mit Erfüllung seiner Forderungen ernannt wurde. Dabei ging es um Befugnisse, die zuvor dem Schah oblagen.
Das iranische Parlament erteilte auf Wunsch Mossadeghs ein "Ermächtigungsgesetz", wodurch Mossadegh mit außergewöhnlichen Vollmachten ausgestattet wurde. Der Schah kooperierte und unterzeichnete das Ermächtigungsgesetz. Mossadegh hatte die Zwillingsschwester des Schah Prinzessin Ashraf, sowie die Mutter des Schah, Königin Taj al-Muluk zum Verlassen des Landes quasi gezwungen, da er in ihnen Verschwörer gegen seine Regierung sah.
Mossadegh übernahm persönlich das Verteidigungsministerium und ernannte Brigadegeneral Mohammad Taghi Riyahi zum Leiter des Stabs der Armee. Damit stand Irans Armee und Polizei, zumindest auf Befehlshaber-Ebene, bis zum Zeitpunkt des Putsches weitgehend unter Kontrolle Mossadeghs.
Mossadeghs Position wurde mächtiger als die des Schah. Mit dem Ermächtigungsgesetz setzte Mossadegh eine Reihe von ökonomischen, finanziellen, bildungspolitischen Reformen durch. Zeitgleich verschlechterte sich durch die von Großbritannien errichtete und anhaltende Blockade die ökonomische Lage des Landes dramatisch.
Die Tumulte vom 28. Februar 1953 entschied der Schah für sich. Er wollte das Land für eine Reise verlassen. Die prominente Gruppe aus Kritikern, darunter Ayatollah Kashani (bis dato ein wichtiger Verbündeter Mossadeghs), sahen in der Aktion einen möglichen Komplott Mossadeghs: Letzterer wolle den Schah wegschicken und in seiner Abwesenheit die Republik ausrufen. Ayatollah Kashani wechselte die Front und stellte sich gegen den Premier.
Erklären lässt sich dies damit, dass (nach Ervand Abrahamian, siehe Literaturangaben am Ende des Artikels) Mossadegh nicht einen der Ministerposten im Kabinett Kashani nahestehenden Personen überlies. Bei der Verabschiedung des Königspaars im Marmorpalast wurde Mossadegh von einer weitgehend künstlich geschaffenen Menge bedroht und musste aus Furcht durch die Hintertür des Palastes nach Hause befördert werden.
Die Anti-Mossadegh-Demonstration zeigte Erfolg und der Schah verzichtete auf die Reise. Der Mob stürmte zu Mossadeghs Haus, sodass dieser auch von dort fliehen musste. Der 28. Februar 1953 war die bedeutendste Vorstufe des Coups. Die Kluft zwischen Schah und Mossadegh wurde tiefer. Der Premier verlor an jenem Tag zudem einige seiner wichtigsten Verbündeten, darunter der genannte Ayatollah Kashani.
Die Auflösung des Parlaments als drittes Ereignis war die letzte wichtige Amtshandlung Mossadeghs. Mossadeghs Fraktion hatte eine schwache Mehrheit und dieser gelang es, Kashani als Vorsitzenden des Parlamentes abzuwählen. Aber Mossadegh fürchtete seit Beginn seiner Amtszeit Verschwörungen seitens der Armee, des königlichen Hofes sowie des Parlamentes.
Er sah ausländische Hände (aus Großbritannien) als Drahtzieher hinter Spannungen im Parlament und befürchtete, Großbritannien und dessen Handlanger könnten Parlamentarier kaufen und somit gegen seine Regierung ein Misstrauensvotum beantragen - somit wären seine ganze Bemühungen um die Nationalisierung der Ölindustrie und die Liberalisierung des politischen Systems dahin.
Eine schicksalhafte Entscheidung
Mossadegh traf eine schicksalhafte Entscheidung und griff zur Auflösung des Parlaments durch einen Volksentscheid, um den vermeintlichen Sturz seiner Regierung zuvorzukommen. Er forderte zunächst den Rücktritt seiner Anhänger im Parlament und beschloss dann, das gesamte Parlament aufzulösen.
Dies sollte durch das Votum des Volkes - das erste Referendum in der iranischen Geschichte - bestätigt vonstattengehen. Sowohl die Auflösung des Parlaments als auch das Abhalten des Referendums durch Mossadegh waren aber verfassungswidrig. Die Annullierung des Parlamentes oblag nicht dem Premier und das Referendum gab es nicht in der Verfassung.
Das Referendum verlief unsauber und undemokratisch, was Mossadegh und seinem Innenministerium sehr viel Kritik auch vonseiten einiger gesetzestreuer Mitstreiter einbrachte. Allein das Ergebnis erschien mit 99,94% "Ja"-Stimmen für die Auflösung des Parlaments sehr unglaubwürdig. Befürworter und Gegner mussten ihre Stimmzettel in getrennten Urnen einwerfen, die sich an zwei verschiedenen Orten befanden. Das Prinzip der geheimen Wahl war missachtet.
Bei der starken Popularität Mossadeghs wurden die Gegner der Auflösung des Parlaments durch die hohe Anzahl der Befürworter eingeschüchtert. In etlichen Wahlkreisen soll es keinen einzigen Stimmzettel mit "Nein" gegeben haben.
So kam das Ergebnis von 99,94% für die Auflösung des Parlaments zustande. Der Premier jedoch akzeptierte dieses Wahlergebnis ohne Bedenken und nahm es zum Anlass, das Parlament aufzulösen. Am 12. August forderte er den Schah auf, das 17. Parlament offiziell für aufgelöst zu erklären sowie die Anordnung zu Neuwahlen für das 18. Parlament zu erteilen.