Die NSU-Untersuchungsausschüsse der Parlamente ...
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… und der Widerstand der Exekutive gegen die Aufklärungsbemühungen - Teil 6 der Telepolis-Serie zum "Nationalsozialistischen Untergrund“
Insgesamt zwölf parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben sich bisher mit den ungeklärten Fragen des NSU-Komplexes befasst. Aktuell laufen sieben Ausschüsse parallel. Eine solche Situation hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht gegeben.
Die Existenz der Ausschüsse dokumentiert, wie ungeklärt der NSU-Skandal ist und wie zweifelhaft die amtliche Version: Der "NSU", das sei ausschließlich das Terror-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe gewesen und habe mit dem Tod der beiden Männer aufgehört zu existieren.
<FR>Teil 5: Außen Ku-Klux-Klan - innen Verfassungsschutz<FR>
Die beiden staatlichen Gewalten - Legislative und Exekutive - sind in der Frage jedoch nicht nur geteilt, sie fallen auf dramatische Weise auseinander. Damit besitzt das Gewaltmonopol des Staates keine Identität mehr, keine Deckungsgleichheit, es ist im wörtlichen Sinne "verrückt". Die Folge ist ein zunehmendes Machtvakuum. Als würde das für eine veritable Krise noch nicht reichen, muss man feststellen: Die exekutive Gewalt bekämpft geradezu die legislative geradezu, indem sie deren Beschlüssen nach Herausgabe von Unterlagen oder Vernehmung von Zeugen nicht oder nur widerwillig nachkommt und die parlamentarische Aufklärung behindert.
Ist Aufklärung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse (PUA) überhaupt möglich?
Eine Auseinandersetzung, die die vergangenen fünf Jahre seit der Aufdeckung des NSU-Trios im November 2011 prägte und die bis in die Gegenwart anhält. Im U-Ausschuss des Bundestages häuft sich im Herbst 2016 die Zahl der Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), die sich vor Zeugenvernehmungen krank melden oder einfach nicht erscheinen.
Ein Beispiel von vielen: Im September 2016 lud der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages fünf Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz als Zeugen, um sie zu verschiedenen V-Leuten aus der rechtsextremen Szene und dem NSU-Umfeld zu befragen. Alle fünf durften nur hinter verschlossenen Türen vernommen werden, ihre Namen waren Decknamen und zusätzlich initialisiert, sprich: anonymisiert.
Ihr Arbeitsbereich wurde verschwiegen, die Beweisbeschlüsse des Ausschusses, auf die die Zeugenladung zurückgingen, werden nicht auf der Bundestagswebseite veröffentlicht, um keine Rückschlüsse zuzulassen oder Zusammenhänge herstellen zu können. Das ist nicht Aufklärung nach dem Willen und den Regeln einer Republik öffentlicher Angelegenheiten. Sondern das sind Aufklärungskorsette, die dem restriktiven Regime der Geheimdienste folgen.
2012 Beginn der politischen Aufarbeitung
Im Januar 2012 begann die politische Aufarbeitung des NSU-Mordserie mit der Einsetzung des ersten Untersuchungsausschusses im Bundestag. Es folgten drei weitere Ausschüsse in Bayern, Sachsen und Thüringen. Vor allem der Bundestagsausschuss unter Leitung von Sebastian Edathy, SPD, wurde zum Schauplatz einiger spektakulärer Enthüllungen - und zugleich eines atemberaubenden Machtkampfes mit Sicherheitsbehörden, die sich den Ansprüchen des Parlaments entgegenstemmten. Doch damit wurde zugleich die Frage aufgeworfen, die inzwischen den Blick auf das NSU-Rätsel grundlegend mitbestimmt, warum sie das tun.
Schnell wurde klar: Es geht nicht mehr nur um die Mordserie des NSU, es geht auch um Vertuschungen durch staatliche Akteure. Der NSU-Komplex bekam eine zweite Ebene und damit eine zusätzliche Dramatik. Aufzuklären ist seither nicht nur die Zeit von Januar 1998 bis November 2011, als das Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe-Trio in der Illegalität lebte und mutmaßlich zehn Morde beging, sondern auch die Zeit danach. Und die reicht bis in die Gegenwart des Jahres 2016.
Bisher haben Untersuchungsausschüsse, wenn sie es mit dem Sicherheitsapparat zu tun hatten, stets den Kürzeren gezogen. Die parlamentarischen Kontrolle ist ungenügend. Im Falle von "NSU" jedoch ist der Machtkampf zwischen Exekutive und Legislative nicht entschieden, sondern hält unvermittelt an. Das ist eine neue Situation mit neuen Möglichkeiten. Die NSU-Untersuchungsausschüsse in der die NSU-Untersuchungsausschüsse offene politische Schauplätze darstellen.
Enthüllungen des ersten Bundestagsausschusses
Der erste Bundestagsausschusses lud die Nomenklatur des Sicherheitsapparates vor: Präsidenten von Nachrichtendiensten und Kriminalämtern, Staatssekretäre und Innenminister, Bundesanwälte, Staatsanwälte, Polizeibeamte. Die Öffentlichkeit gewann Einblicke in das Innerstes dieses Apparates. Strukturen, Arbeitsweisen, Verantwortlichkeiten wurden sichtbar. Der Untersuchungsausschuss sezierte den Komplex wie ein Chirurg im OP-Saal, Bemerkenswertes wurde zu Tage gefördert. Zum Beispiel:
- Die Bundesanwaltschaft war nicht willens, selbst im Jahre 2006 nach dem neunten Mord mit derselben Ceska-Pistole an türkischen und griechischen Männern die Ermittlungen zu übernehmen.
- Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) von Baden-Württemberg soll bereits im Jahre 2003 durch einen Informanten Kenntnis vom NSU bekommen haben.
- Am Anschlag auf die zwei Polizeibeamten in Heilbronn im April 2007 waren laut Ermittler vier bis sechs Personen beteiligt.
- Das Landeskriminalamt Thüringen und das Bundeskriminalamt (BKA) unterschlugen jahrelang eine Namens- und Adressliste von Uwe Mundlos, die im Januar 1998 nach der Flucht des Trios bei einer Garagendurchsuchung in Jena entdeckt worden war. Auf der Liste stehen über 40 Namen, darunter mindestens vier V-Leute.
- Zu den Personen, die der Ausschuss als V-Personen entlarvte, zählten unter anderem Thomas Starke, der in Chemnitz direkten Kontakt zum Trio gehabt hatte, sowie Thomas Richter, V-Mann "Corelli" des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV).
- Das Thüringer Landesamt hatte vorgehabt, Beate Zschäpe als Quelle anzuwerben. Dass darauf verzichtet worden sein soll, ist nicht überzeugend beantwortet.
Regierungshandeln steht über allem
Der Ausschuss ging der Exekutive zu weit, und er war ihr zu öffentlich. Er musste ausgebremst, und seine Regeln mussten verändert werden. Es entzündete sich ein Machtkampf, der im Auftritt des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium, Klaus-Dieter Fritsche, sichtbar wurde. Der Staatssekretär, von 1996 bis 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, griff den Ausschuss unverblümt an: "Nicht nur für die Grundrechte, sondern auch für die Untersuchungsausschüsse gilt der allgemeine Vorbehalt verfassungsrechtlicher Grenzen. Darunter fallen auch die Daten von Mitarbeitern besonders sensibler Bereiche der Sicherheitsbehörden", erklärte er wörtlich.
Das Interesse war klar: Die Sicherheitsbehörden wollen sich der Kontrolle eines Gremiums der Legislative entziehen. Sie wollen autonom einen Bereich definieren, in dem sie autonom sind. Der Vertreter des Sicherheitsapparates ging dann aufs Ganze und reklamierte für die Exekutive das Wohl des Staates: "Auch die Funktionsfähigkeit und das Wohl des Staates und seiner Behörden ist in einem Kernbereich besonders geschützt. Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren.“
Das Handeln der Regierung hat oberste Priorität, ihm wird notfalls auch die Aufklärung von Morden untergeordnet. Der Regierungsvertreter negiert damit auch die Gleichheit der Gewalten. Für ihn steht die Exekutive über der Legislative. Entlarvend ist die Umkehrung des Satzes: Was sind das für Staatsgeheimnisse, die ein Regierungshandeln unterminieren könnten?
Ist der Monopolanspruch der Exekutive vereinbar mit der Demokratie? Bestimmt der Sicherheitsapparat, was das Wohl des Staates und was das beste Regierungshandeln ist? An dieser Frage hängt nicht weniger als die Unabhängigkeit und die Souveränität der Parlamente. Und damit hängen daran gleichzeitig die Rechte von Untersuchungsausschüssen zum Beispiel gegenüber den Verfassungsschutzämtern.
Das Diktum ist wie ein Scheideweg. Folgt man dem Anspruch der Sicherheitsbehörden, bestimmen sie die Arbeit der U-Ausschüsse. Dann jedoch wird ihre eigene Rolle im NSU-Skandal niemals aufgeklärt werden können. Will man das aber, muss man dem Sicherheitsapparat die blinde Gefolgschaft verweigern und die Hoheit der Legislative über die Exekutive postulieren.