Die New Economy braucht neue Deutsche

Die Auseinandersetzung um die Green Card in Deutschland mutet wie eine schlechte Kopie der Einwanderungsdebatte in den USA an.

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Eigentlich ist eine "Green Card" eine heiß begehrte Sache: Die US-Regierung verlost seit 1990 jedes Jahr 55.000 dieser besonderen Einwanderungsvisa, die ein zeitlich unbegrenztes Aufenthaltsrecht und eine unbeschränkte Arbeitsgenehmigung bedeuten. Wer will, kann schon nach fünf Jahren amerikanischer Staatsbürger werden. Die deutsche Variante ist allenfalls heiß diskutiert. Wer hierzulande eine "Green Card" erhält, muß nach fünf Jahren Deutschland wieder verlassen. So sehen es jedenfalls zwei Verordnungen vor, die das Bundeskabinett kurz vor Pfingsten verabschiedet hat. Trotzdem mutet die Auseinandersetzung hierzulande wie eine schlechte Kopie der aktuellen Einwanderungsdebatte in den USA an.

"Wir müssen dafür sorgen, dass in der Zeit der Globalisierung, Deutschland nicht mit einem Mangel an Internationalität zurecht kommen muss", sagte Bundeskanzler Schröder zur Verbschiedung der "Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie" ebenso wie der "Verordnung über ausländeraufenthaltsrechtliche Genehmigungen" durch das Bundeskabinett. Nichts ist also aus einer wie auch immer gearteten Liberalisierung oder Deregulierung der arbeitsmarktrechtlichen Verordnungen geworden, stattdessen wurden dem Wust der Ausländergesetze und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen zwei weitere, zeitlich begrenzte Ausnahmeregelungen angefügt.

In den nächsten drei Jahren werden stufenweise bis zu 20.000 Fachkräfte für IT Sektor auf dem deutschen Arbeitsmarkt zugelassen. Fachkraft ist, wer entweder ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit Schwerpunkt auf Informations- und Kommunikationstechnologien oder eine Arbeitsstelle mit mindest 100.000 Mark vereinbartem Jahreseinkommen nachweisen kann. Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis sind auf fünf Jahre befristet, in denen allerdings der Arbeitgeber gewechselt werden kann. Die Arbeitsämter sind angehalten, die Genehmigung binnen einer Woche zu erteilen, wenn die Unterlagen vollständig sind. Die Verordnung gilt auch für ausländische Studenten, die in Deutschland ein Studium mit dem Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologie abgeschlossen haben. Sie können im Anschluss an das Studium eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten und so in Deutschland bleiben.

Green Card ist nicht gleich Green Card

Obwohl "Green Card" genannt, ähneln die IT-Verordnungen dem, was in den USA ein "H-B1"-Visum ist. 1998 erhöhte der US-Kongress nach einer wochenlangen Auseinandersetzung mit dem Weißen Haus die Zahl der auf maximal sechs Jahre befristeten Arbeitsgenehmigungen für hochqualifizierte Arbeitskräfte von jährlich 65.000 auf 115.000. Die Debatte und der Kompromiss, der damals dabei herauskam, gleicht dem, was in diesem Frühjahr in Deutschland diskutiert wurde, wie ein Ei dem anderen: Eine spezielle Antragsgebühr von 500 US Dollar soll für Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb der USA verwendet werden. Zuvor hatten die Konzerne einen dramatischen Arbeitskräftemangel beklagt, Gewerkschaften vor Lohn-Dumping gewarnt, nationalistische Kreise auf den heimischen Nachwuchs verwiesen.

Weil sich aber sowohl Demokraten wie Republikaner eifersüchtig beäugen, wer die Interessen der High-Tech-Industrie besser zu vertreten im Stande sei, ist in den USA inzwischen ein richtiggehender Wettlauf um die Erhöhung der Visa-Kontigente entbrannt: Abgeordnete überbieten sich mit großzügigen Offerten gegenseitig, und Präsident Clinton schlug Mitte Mai gar vor, in den nächsten drei Jahren zusätzlich 362.500 "H-B1"-Visa anzubieten sowie die vom Arbeitgeber zu entrichtende Gebühr auf 2000 Dollar zu erhöhen.

Kritik am befristeten Arbeitsvisum

Sprecher der indischen Programmierer-Community, die fast die Hälfte all derer ausmacht, die mit "H-B1"-Visum in den USA arbeiten, fordern indessen, die Zahl der tatsächlichen "Green Cards" zu erhöhen, um den Computerspezialisten, die bereits im Land sind, einen gesicherten, längerfristigen Aufenthalt zu ermöglichen anstatt permanent neue Arbeitskräfte für vorübergehende Zeiträume anzuwerben. Im Gegensatz zu den Nicht-Einwanderungs-Visa gelten für Green Cards strikte Länder-Quoten, die es für Menschen aus Indien nahezu unmöglich machen, bei der hohen Zahl von Bewerbern berücksichtigt zu werden.

Ähnliche Vorschläge hat nun plötzlich auch das "Institute of Electronics and Electrical Engineers (IEEE)", das bis vor kurzem noch heftig gegen die Beschäftigung von immer mehr Ausländern in der IT-Branche wetterte, ins Spiel gebracht. Ende Mai schlug der führende Interesssensverband der Beschäftigten in der Computerbranche vor, die befristeten Nicht-Einwanderungs-Visa durch eine "Conditional Green Card" zu ersetzen, um den Beschäftigten so zu erlauben, den Arbeitgeber zu wechseln oder sich selbständig zu machen.

"The New Economy needs new Americans"

"The New Economy needs new Americans" ist der Slogan eines Offenen Briefes, den Linus Thorvalds, Steve Wozniak und Esther Dyson am 1. Mai an den US- Kongress geschrieben haben. Im Rahmen der "Immigration Reform Coalition" treten sie dafür ein, den "Gastarbeiter"-Status der IT-Spezialisten mit "H-B1"-Visa in einen abgesicherten, langfristigen Aufenthalt ähnlich der tatsächlichen "Green Card" umzuwandeln. Auf diese Weise könne der riesige Antragstau abgebaut werden und sowohl den Interessen der Unternehmer, die auf eine schnelle und unbürokratische Anstellung der Arbeitskräfte drängen, als auch den Ansinnen der Beschäftigten, die in der Regel dauerhaft in den USA leben möchten, entgegen gekommen werden. Eine "Win-Win-Situation" beschwören die Unterzeichner des Offenen Briefes, unter dem die Namen von CEO's führender High-Tech-Unternehmen stehen: Schließlich würden auch die einheimischen Arbeitnehmer von den verbesserten arbeitsrechtlichen Standards bei einer regulären Beschäftigung profitieren.

Viele Einwanderungs-Experten vermuten hinter diesem unerwarteten Vorstoß allerdings ein abgekartetes Spiel: Die IEEE, die offenbar hinter der "Immigration Reform Coalition" steckt, wolle auf diesem Wege lediglich die absehbare Erhöhung der "H-B1"-Visa torpedieren. Judy Mark, Communications Director des "National Immigration Forum", und Dan Griswold, vom libertär angehauchten "Cato Institute", äußerten sich in Wired News reichlich skeptisch, was die tatsächlichen Intentionen der Koalition und ihres Sprechers Paul Donnelly anlangt. Letzterer habe sich schließlich in den 90-er Jahren als glühender Verfechter einer Anti-Einwanderungspolitik profiliert.

Bewegung im Migrations-Diskurs

Eine solche Wendung vom Saulus zum Paulus kann aber auch als Indiz dafür gewertet werden, dass der gesamte Migrations-Diskurs momentan einer gewaltigen Verschiebung unterworfen ist. Vordenkern in den USA geht es offensichtlich nicht nur um die kurzfristige Behebung eines ohnehin kaum verifizierbaren Arbeitskräftemangels, sondern um eine komplette Neuausrichtung des Migrationsregimes. Die kleinkarierten Auseinandersetzungen um ein deutsches "Einwanderungsgesetz", wie sie im Zusammenhang mit der Green-Card-Debatte und der "Berliner Rede" von Bundespräsident Rau kurz anklangen, haben die ganze Dimension der Problematik aber allenfalls angerissen.

Wie lange jedoch die deutsche Öffentlichkeit einige grundlegende Einsichten in die Zusammenhänge von "New Economy" und globalen Arbeitsmärkten ignorieren kann, ist äußerst fraglich. Weltweit operierende Konzerne verlangen immer vehementer nach der weltweiten Verfügbarkeit der wertvollsten Ware: "Human Resources", menschliche Arbeitskraft, die im Zeitalter "immaterieller Arbeit" zum allein entscheidenden Produktionsfaktor wird. Gleichzeitig gelten Kenntnisse im Programmieren in vielen Ländern Asiens und Osteuropas heutzutage als eine der verbliebenen Möglichkeiten, die immer schärfer bewachten Grenzen Westeuropas und Nordamerikas zu überwinden. Da gehört nicht viel dazu, die Kämpfe um Freizügigkeit, Bleiberecht und gegen Überausbeutung vor dem Hintergrund eines ungesicherten Aufenthaltsstatus als die sozialen Auseinandersetzungen vorherzusagen, die das 21. Jahrhunderts bestimmen werden.

Schröders "Green Card" wirkt vor diesem Hintergrund wie die etwas überstürzte Intervention einer Regierung, die nach dem Debakel mit der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes in erster Linie auf "Kampagnenfähigkeit" als Maxime politischen Handelns setzt. Falsch wäre es aber nun, die auf eine kleine Elite zugeschnittene Öffnung des nationalen Arbeitsmarktes als bloße Augenwischerei zu verstehen. Sicherlich, die letzten Jahre waren geprägt von einer Kette systematischer Verschärfungen des Arbeits- und Aufenthaltsrechts für alle Nicht-EU-Ausländer; und noch klingen die Beschwörungen von Innenminister Schily nach, der vor ein paar Monaten mit nationalem Pathos der sogenannten "Nullmigration" das Wort geredet hat. Oder die ewiggestrigen Parolen von Teilen der CDU, der SPD und der Gewerkschaften, die im Chor mit den Neonazis "Arbeit zuerst für Deutsche" winseln.

Auch wenn sich offenbar zu Beginn nicht besonders viele der "IT-Spezialisten" für eine Arbeitsaufnahme ausgerechnet in Deutschland interessieren - die neue deutsche Migrationsdebatte rund um die "Green Card" bloß zu dekonstruieren oder als Triumph des Utilitarismus über die nationalistische Dumpfheit abzutun, verkennt die politische Brisanz, die die gegenwärtigen Transformationen der "Globalisierung" und "New Economy" bergen. Die Forderungen nach "offenen Grenzen", "Global Citizenship" und Freizügigkeit für alle können sich als weit weniger utopisch entpuppen, als noch bis vor kurzem angenommen. Schließlich ist es schon immer das Kapital gewesen, das ständig wachsende Mobilität und die globale Verfügbarkeit der Arbeitskräfte eingeklagt hat. Dass sich aus ökonomischen Veränderungen auch politische Konsequenzen ableiten lassen, bedeutet aber nicht, gleiche Rechte würden plötzlich verschenkt werden; offenbar müssen diese erbitterter denn je erkämpft werden.

Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Initiativen wie die des US-amerikanischen "National Immigration Forum": Politiker verschiedener Couleur und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens intervenierten in die hitzige Debatte um hochqualifizierte Arbeitskräfte mit einem Aufruf zur Legalisierung von MigrantInnen ohne regulären Aufenthaltsstatus, egal auf welchem Feld diese sich spezialisiert haben. Gefordert wurde außerdem ein Programm zur Familienzusammenführung. Für eine Amnestie aller "illegalen" Einwanderer setzt sich seit neuem auch der über Jahrzehnte als richtiggehend ausländerfeindlich bekannte US-Gewerkschaftsbund AFL/CIO ein. Motiv für die Kehrtwendung dürfte der rapide Mitgliederschwund der Mitgliedsverbände in traditionellen Industriezweigen sein. Daraus scheint nun wenigstens eine programmatische Hinwendung zu Arbeitsverhältnissen in informellen oder illegalen Sektoren zu resultieren.

Nicht nur die deutschen Gewerkschaften könnten sich von solchem Opportunismus durchaus eine Scheibe abschneiden. Die Fixierung auf das Volksdeutsche, wie sie in ersten Stellungnahmen zur "Green Card" oder der anfänglichen Blockadepolitik von Arbeitsminister Riester durchschimmerte, wirkt gelinde gesagt wenig zeitgemäß.