"Die Nullzinspolitik der EZB ist unverantwortlich"

Volker Handon über das Innenleben des Finanzsystems - Teil 2

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Ökonomen wie Jörg Huffschmid haben bereits 1999, also gut zehn Jahre vor der Lehman-Krise auf die Gefahren des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus hingewiesen und selbst dem Investment-Banker konnten die Risiken seines Geschäfts kaum verborgen geblieben sein. Trotzdem wurde bis 2008 ohne Rücksicht auf Verluste spekuliert. Als die Krise ausbrach, rettete man Banken in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, deren Insolvenz die deutsche Wirtschaft problemlos verschmerzen hätte können.

Die Banker konnten weiter machen wie bisher, ohne dass sie zur Rechenschaft gezogen und ohne dass die unmittelbaren Ursachen der Krise behoben wurden, deren Ausläufer sich trotz (beziehungsweise wegen) der Nullzinspolitik der Zentralbanken immer weiter in Wirtschaft und Gesellschaft fressen werden. Teil 2 unserses Gesprächs mit dem Day-Trader Volker Handom, der mit seinem Buch Der Psycho-Trader eine Innensicht des Gewerbes liefert.

Teil 1

Herr Handon, was halten Sie von der aktuellen Nullzinspolitik der EZB?
Volker Handon: Die Nullzinspolitik der EZB ist in meinen Augen unverantwortlich und nicht durch ihr Mandat gedeckt. Die Manipulation langfristiger Zinsen, die von der EZB faktisch betrieben, aber regelmäßig verleugnet wird, ist Staatsfinanzierung reinster Art. Die Aufkäufe von Unternehmensanleihen, welche inzwischen ebenfalls zum Repertoire der EZB gehören, ist pure Wirtschaftspolitik. Nutznießer sind Staaten und Unternehmen, die sich billigst verschulden können, und zwar ohne jede Gegenleistung wie zum Beispiel Reformen oder Produktivitätssteigerungen erbringen zu müssen.
Diese Ziele zu erreichen, sollte nie Aufgabe einer Notenbank oder der EZB sein. Hier hat sich eine Behörde verselbstständigt und vor den Karren einiger Interessensgruppen spannen lassen. Es ist offensichtlich, dass der lange Arm der Politik wie der Finanzwirtschaft in der Notenbankpolitik angekommen ist und dort das Zepter schwingt. Exit-Strategien aus der Nullzinspolitik sowie eine Darstellung möglicher Konsequenzen und Fehlentwicklungen sind von der EZB nie öffentlich zur Diskussion gestellt worden. Sie werden einfach negiert beziehungsweise totgeschwiegen.

"Dieses Lügenmärchen stürzt in sich zusammen"

Halten Sie die Agenda-2010-Politik unserer Volksparteien für sinnvoll?
Volker Handon: Was die Arbeitmarktreformen betrifft, wird mit trügerischen Statistiken gearbeitet. Jeder Politiker, der dazu befragt wird, verkündet die stereotype Botschaft vom märchenhaften Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Was die meisten zu erwähnen vergessen, ist eine Aussage über deren Qualität. In Deutschland wurden nämlich ganz bewusst viele Niedriglohnjobs geschaffen.
Überprüft man das Jobwunder Agenda 2010 anhand der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden aller Arbeitnehmer pro Jahr, stürzt dieses Lügenmärchen in sich zusammen: In den letzten fünfundzwanzig Jahren sind die geleisteten Arbeitsstunden insgesamt um zirka 10 Prozent gestiegen - das heißt um lächerliche 0,4 Prozent pro Jahr. Es wurde also nicht mehr Arbeit geschaffen, die geleistete Arbeit, gemessen in Arbeitsstunden, blieb gleich hoch oder gleich niedrig. Sie wurde im Laufe der Zeit lediglich auf mehr Köpfe verteilt und als Jobwunder verkauft.
Gleichzeitig haben viele Unternehmen den demografischen Faktor genutzt, um Mitarbeiter, die sich in die Rente verabschieden, durch billige Arbeitskräfte zu ersetzen, die die gleiche Arbeit für 20, 30 oder gar 40 Prozent weniger Lohn verrichten. Das soziale an unserer Marktwirtschaft wurde schon immer klein geschrieben und ist nun endgültig eliminiert.
Der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Ausprägung kommt hier ganz klar an einen Scheideweg, an dem sich einige grundlegende Fragen stellen: Wie können wir die Arbeit neu und gerecht verteilen? Wie können an der Gewinnsteigerung der Unternehmen, die durch Automatisierung erzielt wird, auch die dadurch arbeitslos gewordenen Menschen partizipieren?

"Hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, wird niemals Vertrauen in die Ergebnisse herstellen"

Mit TTIP wird Privatunternehmen das Recht eingeräumt, Staaten zu verklagen, sobald diese ihre Interessen stören. Ist das nicht eine Szenario von dem jeder größenwahnsinnige Banker träumen müsste?
Volker Handon: Dass Privatunternehmen vor der gesetzgeberischen Willkür von Staaten geschützt werden müssen, ist sicher konsensfähig. Unternehmen brauchen Planungs- und Rechtssicherheit. Klärungsbedürftig ist dagegen die Frage, wer in einem Streitfall bindende Entscheidungen und Urteile fällen darf. Ob hier nun nationale oder internationale Gerichte verantwortlich sein sollen, ist für mich von eher zweitrangiger Bedeutung. Wichtig ist allerdings, dass auf keinen Fall private organisierte Schlichtungsstellen das letzte Sagen haben dürfen.
Das Hauptproblem mit TTIP ist doch, dass die Verhandlungen für die Bevölkerung nicht öffentlich, transparent und nachvollziehbar gestaltet und diskutiert werden. Hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, wird niemals Vertrauen in die Ergebnisse herstellen. Sollte ein Abkommen unter den hier genannten Vorraussetzungen ratifiziert werden, sehe ich für Banken und ihre Führung keine bedenklichen Vorteile.
Halten Sie es für möglich, dass am 11.9.2001 im Vorauswissen auf die Attentate Finanzgeschäfte getätigt wurden und falls ja, warum hört man nichts darüber?
Volker Handon: Wenn ein Täter, sei er nun Terrorist oder schlicht ein Krimineller, ein Ereignis herbeiführen kann, dass einen garantierten Einfluss auf Kapitalmärkte, zum Beispiel Aktienmärkte hat und dieser Täter über das Wissen verfügt, um diesen Einfluss, also den Anstieg oder Absturz von Aktienkursen mit Sicherheit beurteilen zu können, dann hat er eigentlich leichtes Spiel.
Er wäre sogar ziemlich dumm, sich diese einmalige Gelegenheit, einen großen Profit ohne Risiko zu erzielen, entgehen zu lassen. Insofern ist es durchaus denkbar, dass die 11.09.-Drahtzieher von ihrem Anschlag profitierten, beziehungsweise die sicher nicht unerheblichen Kosten für die Vorbereitung über die Börse refinanzieren konnten.
Die amerikanische Börsenaufsicht ist bestimmten Geschäften, die von dem Terrorakt am 11.09.2001 profitiert hatten, nachgegangen. Sie hat aber laut ihren eigenen Aussagen keine weiteren Indizien entdecken können, die einen solchen Verdacht bestätigen konnten. Allerdings wurden die Untersuchungsergebnisse nie komplett veröffentlicht.
Ob solche möglichen Hintermänner als Täter überführbar sind, hängt von der Fähigkeit und dem Willen der Ermittler ab, die gesamte Auftragskette dieser Transaktionen zu ermitteln, die notwendig wäre, um die Nutznießer einer solchen Tat zu verschleiern.
Ich hätte mir hier mehr Transparenz und Engagement gewünscht, bin mir aber andererseits nicht sicher, ob die Aufsichtsbehörden damals in der Lage waren, mögliche Auftraggeber dieser Finanzgeschäfte wirklich zu ermitteln, zumal wenn es sich dabei um OTC-Geschäfte gehandelt hat, die nicht über die Börse abgewickelt werden.
Letzte Frage: Sind die Börsennachrichten im Anschluss an die "Tagesschau" und "Heute" sinnvoll oder soll dergleichen der Gehirnwäsche der Fernsehzuschauer dienen?
Volker Handon: Börsensendungen wie die "Börse vor acht" vor den großen Nachrichtensendungen sind vollkommen überflüssig und haben weder inhaltlichen Wert noch dienen sie der Unterhaltung. Sie sind ein schönes Beispiel für die Lobbyarbeit der Finanzwirtschaft, die hier jeden Abend zur besten Sendezeit drei kostenlose Werbeminuten geschenkt bekommt, was für jeden Zwangsgebührenzahler im öffentlich-rechtlichen TV ein echtes Ärgernis sein sollte.
Als Kursinformation sind sie unzureichend und als Erklärungsveranstaltung für das Tagesgeschehen an der Börse eine Farce. Hier wird zur besten, teuersten Werbesendezeit eine Marketingveranstaltung für die Börsen, Banken und anderen Kapitalsammelstellen gesendet, mit dem Zweck, viele neue Börsenschafe zu gewinnen, die man mit netten Zocker-Produkten über den Schlachttisch ziehen kann.

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