Die Politik mit den Massenhysteriewaffen
Bush, der zweite Irak-Krieg und die Aufmerksamkeitsökonomie
Kriege waren stets ein Bestandteil des menschlichen Lebens, sagt man uns immer wieder. Was wir Krieg nennen, nämlich einen militärischen Kampf um die Kontrolle über ein Territorium, ist in Wirklichkeit eine Folge des Aufstiegs der Landwirtschaft und der frühen Industrie gewesen. Land ist zum Anbau von Getreide oder zur Ausbeute von Ressourcen wertvoll. Für diejenigen Menschen, die in den fortgeschrittensten Ländern leben und die primäre Abhängigkeit von diesen Arbeiten verlasen haben, machen diese Kriegsgründe keinen Sinn mehr. Heute haben Kriege im Allgemeinen und der zweite Irak-Krieg im Besonderen für ihre Betreiber den primären Wert als Mittel, Aufmerksamkeit anzulocken und zu lenken.
Für Bush und Co. war die Aufmerksamkeit der Menschen in den Ländern um den Irak wichtig, aber viel wichtiger war die der Menschen in den USA. Manche schauten dem Krieg aufgeregt zu, als würden sie einen Sportwettkampf, oder sie waren beruhigt, weil der Angriff einem Tyrannen galt, der angeblich für die USA gefährlich war. Andere beobachteten wie ich mit wachsender Depression, dass der Krieg unter Verletzung des internationalen Rechts und trotz aller Opposition begonnen hat. Wir waren nicht nur wegen des unnötigen Tötens und Zerstörens krank, sondern auch wegen der Macht, die George W. Bush daraus gewinnen würde, eine Angst übrigens, die selbst wieder für Bush sehr nützlich ist. Unsere größte Angst ist vielleicht, dass dieser Krieg viele Fortsetzungen mit denselben Zielen finden könnte.
Saddam war sicherlich ein gieriger, prahlerischer Tyrann, der wie alle Tyrannen durch Angst herrschte. Zu seinen Untaten gehört, dass er seine Untertanen zwei Mal in tödliche Kriege getrieben hat, die sie nicht gewinnen konnten. In dieser Hinsicht hätte er wahrscheinlich die Invasion vermeiden können, in dem er sich dem Unvermeidlichen gebeugt und seine Macht aufgegeben hätte. Bush benutzte andererseits, auch wenn er nicht wirklich ein Tyrann ist, die ihm zur Verfügung stehenden gewaltigen Kräfte, um einen unverlangten Krieg zu führen, der ihm die Möglichkeit gab, Zuhause die Macht zu behalten und weiter auszuüben, um seine Politik der Ungleichheit gegen einen geringeren Widerstand durchzusetzen und die Wahlen zu gewinnen.
Zentral und paradox bei der Bush-Regierung ist, dass sie die Verwendung von Techniken der Aufmerksamkeitsökonomie perfektioniert hat, um den Angehörigen der "old economy", die ihre Verbündeten sind, zu helfen, ihre Macht und ihren nützlichen Reichtum so lange als möglich zu bewahren. Diese Inkohärenz bedeutet, dass die Regierung auf Messers Schneide steht. Sie hat, um sich dort halten zu können, nur die Möglichkeit, gefährlich und unehrlich zu spielen.
Bush zögert ebenso wenig wie Saddam nicht, wesentlich durch Angst zu herrschen, indem er seine Kriege über leicht durchschaubare Appelle mit dem Terror und dem Wunsch nach Rache rechtfertigt, der durch den al-Qaida-Anschlag vom 11.9. aufgeflammt ist. Die Demokratische Partei ist mittlerweile so durch seinen politischen Erfolg und seine hohen Umfrageergebnisse, die sich seiner Thematisierung des Krieges verdanken, beeindruckt, um noch groß Widerstand zu leisten.
Die demokratischen Politiker haben erst vor kurzem die fünf Jahre anhaltende Mehrheit im Kongress verloren. Sie sind mit der Tatsache konfrontiert, dass die Bevölkerung bald auf 300 Millionen Bürger anwachsen wird, so dass die Abgeordneten noch weiter von denjenigen entfernt sein werden, die sie repräsentieren sollen. Sie stehen einer Generation gegenüber, die in keiner positiven Hinsicht versteht, was die Gemeinschaft und die Regierung für sie macht. Sie sind Teil eines Systems, das wegen der Definition der Staatsgrenzen zunehmend stärker die wenigen Landbewohner über die vielen Stadtbewohner bevorzugt. Sie leben in einer Zeit des zunehmenden Egoismus, in der die Kultivierung einer lässigen unreflektierten Haltung mit einer machohaften moralischen Überlegenheit für diejenigen einhergeht, denen es zufällig gut ergeht. Auf all dies haben die demokratischen Politiker am ehesten mit einer Art Verwirrtheit reagiert und nach medienerfahrenen Beratern Ausschau gehalten, die ihnen sagen, wie sie sich verhalten sollen, was normalerweise darauf hinausläuft, dass sie zu blassen Nachahmungen der Republikaner werden.
In den Jahren ihrer Macht im Kongress wurden überdies viele Demokraten implizit korrupt, was sie noch immer sind, um ihren Spendern, die großen Unternehmen, zu gefallen, die ihnen die benötigte oder vermeintlich benötigte Fernsehwerbung kaufen können, um genug Aufmerksamkeit für den Wahlsieg zu erhalten. Die Republikaner können sie schnell als steuer- und ausgabefreudige Liberale oder als Befürworter einer starken Regierung bezeichnen. Bei Gelegenheit können sie diese bezichtigen, zu wenig für die Verteidigung zu tun, sie können sie als unternehmerfeindlich darstellen, was Arbeitsplätze kostet, oder als Befürworter des Klassenkampfes, sobald sie anmerken, dass die Steuervergünstigungen von Bush die Unternehmen oder die Reichen begünstigt. Anstatt diese Dummheiten zu bekämpfen, in dem sie auf die Notwendigkeit hinweisen, das Allgemeinwohl berücksichtigen, gegen die Klimaerwärmung kämpfen oder gegen exzessive Strafen, die Todesstrafe eingeschlossen, vorgehen zu müssen, scheinen die Berater den Demokraten eher zu sagen, dass sie weniger kontrovers erscheinen sollen. Als Folge kriegen die bestimmter auftretenden Republikaner meist, was sie wollen, abgesehen nur dann, wenn die Wünsche ans Unverschämte grenzen, wie dies zunehmend mehr der Fall ist. In diesem Kontext ist Krieg-gegen-den-Terrorismus-Rhetorik von Bush eine weitere Peitsche, um die Demokraten zu unterwerfen.
Die Ängste der Demokraten haben nicht nur mit dem politischen Verlust zu tun. Das Kapitol in dem der Kongress seinen Sitz hat, war offensichtlich das Ziel des entführten Flugzeugs, das von den Passagieren zum Absturz gebracht wurde. Die Kongressmitglieder in diesem großen Land sind meist gezwungen, viel zwischen ihren Wahlbezirken und Washington hin und her zu fliegen. Und demokratische Abgeordnete waren die ausgewählten Ziele der noch immer unaufgeklärten Anthrax-Anschläge, die kurz nach dem 11. September ausgeführt wurden, aber fast mit Sicherheit vom Inland ausgingen. All dies machte sie ängstlich vor dem Terrorismus und sehr empfänglich gegenüber Behauptungen von Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein und anderen, unbeachtet der wirklichen Drohung, die von Saddam ausging.
Doch weder Saddam noch Bush regierte bzw. regiert allein durch Angst. Saddam ließ wie als eine Karikatur des typischen Tyrannen Statuen und Porträts von sich im ganzen Land anbringen, so dass er eine Art göttlichen Status in den Augen der Bürger erhielt, die ihn überall und immer sahen. Dadurch verletzte er nicht nur ein wichtiges Gebot des Islam: das totale Verbot der Bilder von Menschen, sondern er machte auch den großen Wert dieses Verbots deutlich. George W. Bush muss sich nicht auf fixierte Bilder von ihm stützen. Er steht immer vor den amerikanischen Augen, weil seine Mannschaft die Medien so gut manipulieren kann, so dass die Medienstars wie die Hunderten von Journalisten des Weißen Hauses gutwillige Mitverschwörer sind. Jedes Mal, wenn man Bush sehen und hören kann, kriegen sie das, zumindest kurz, mit. Die Berater von Bush haben die Situation perfektioniert, in der er - normalerweise ohne Fragen zu beantworten - vor einem Publikum spricht, von dem er sicher sein kann, dass er es mit seinen populären, fast kindlichen Äußerungen beeindrucken kann. Das führt zu häufigem Applaus, der dann gesendet wird und zu der Aufmerksamkeit beiträgt, die man Bush und seiner Botschaft widmet. Saddams Berater waren in dieser Hinsicht, auch wenn sie manches ähnlich taten, wesentlich weniger einfallsreich.
Genau wie Saddam, zumindest zwischen 1991 und seinem Sturz, bezog sich Bush unendlich oft auf Gott und die Religion. Wie ernst beide dies auch immer meinten bzw. meinen, so war bzw. ist die Absicht damit verbunden, die Unterstützung des großen religiösen Blocks im jeweiligen Land zu finden. Und das funktionierte wahrscheinlich für beide ganz gut.
Die Parallelen gehen vermutlich noch weiter bis zum Krieg selbst. Patriotismus bleibt das letzte Mittel eines Schurken, oder ist es, wie Ambrose Pierce meinte, sogar das erste? Ein Schurke, der versucht, die Menschen hinter sich zu bringen, kann patriotisch erscheinen, wenn er behauptet, dass er die Nation oder die Ehre der Nation mit einem Krieg verteidigt. Das war sicher ein Grund für die drei zerstörerischen Kriege Saddams und erinnert an sein fortwährendes Bemühen, sich selbst als einen neuen Saladin darzustellen, der wieder einmal die westlichen Eroberer aus dem Herzen des Islam und aus den arabischen Ländern vertreibt.
Relativ früh in seinem zweifelhaft erlangten Amt als Präsident sank die Populrität von Bush ab, bis al-Qaida ihm zufällig die Möglichkeit eröffnete, für uns etwas zu tun, in dem er in einen Krieg oder in mehrere Kriege zieht. Während jeder US-Präsident nur eine bescheidene Überzeugungsmacht in der Innenpolitik hat, so steht ihm doch die jetzt mit weiten Abstand am besten bewaffnete und - zumindest was das Kämpfen anbelangt - die am besten vorbereitete Armee in der Welt zur Verfügung, die allerdings vorsichtiger geworden ist, sich tatsächlich in Kämpfe zu begeben.
Massenhysteriewaffen
Es bleibt weiterhin unklar, was al-Qaida mit dem unerwarteten und unvergleichbaren Angriff auf das World Trade Center erreichen wollte. Aber wie alle Terrorgruppen hoffte man wahrscheinlich, die Effektivität des wirklichen Angriffs durch die Benutzung der Medien, vor allem durch das Fernsehen, zu verstärken, um der amerikanischen Öffentlichkeit Angst zu machen. Seitdem ging der Luftverkehr zurück und ist die amerikanische Wirtschaft wahrscheinlich noch mehr ins Stottern geraten, als dies sonst geschehen wäre, doch al-Qaida erreichte damit eine für ihre Ziele wahrscheinlich nützliche Weise Aufmerksamkeit.
Das Ereignis war allerdings auch ein Aufmerksamkeitsfänger für die amerikanischen Nachrichtenmedien und ein Gottesgeschenk für die Journalisten. Sie verloren kaum Zeit, die Gelegenheit zu nutzen. Innerhalb von 24 Stunden gab es bei den Fernsehsendern Titel für laufende Show wie "Attack on America" oder "America's New War". Das half nicht nur dabei, die Identifikation eines jeden Amerikaners mit den Opfern zu maximieren, sondern gleichzeitig auch die Bühne zu schaffen, die den Medien und den meisten Journalisten mehr Aufmerksamkeit zukommen ließ, als der von ihnen erklärte Krieg sich weiter abspielte. Möglicherweise hätte es ein andere Ergebnis gegeben, wenn der Titel nur korrekterweise Massenmord in Manhattan gelautet hätte.
Auch viele außerhalb der Medien zogen ihren Vorteil aus dem Ereignis, um ihre eigenen Möglichkeiten der Aufmerksamkeitsgewinnung zu steigern. Vor dem Anschlag hatten einige Intellektuelle, die auf die eine oder andere Weise mit den amerikanischen Rüstungskreisen verbunden waren, einen Kampf der Kulturen zwischen dem Islam und dem Westen behauptet. Andere hatten angsterregende Berichte über die Gefahr für die Vereinigten Staaten durch Terroristen vorbereitet, die Massenvernichtungswaffen einsetzen, auch wenn die arabischen Terroristen vom 11.9. wie alle anderen überall in der Welt zuvor keine benutzten hatten (ausgenommen vielleicht den U-Bahn-Anschlag in Japan von Aum Shinrikyo).
Massenvernichtungswaffen ist eine anderer Name für das, was man zuvor ABC-Waffen genannt hat, also atomare, biologische und chemische Waffen. Die Gefahr ist jedoch nicht sehr groß, dass Terroristen, selbst wenn sie auf chemische oder biologische Waffen zugreifen könnten, einen Angriff auf ein technisch fortgeschrittenes Land wie die USA starten, der nicht viel größere Verwüstungen in den Teilen der Welt hervorrufen würde, für die die Terroristen vermutlich kämpfen. Beispielsweise könnten sie versuchen, Pocken in den USA zu verbreiten, aber wahrscheinlich könnte hier eine wirksame Reaktion des Gesundheitssystems gefunden werden. Doch welche Epidemie hier auch immer beginnen sollte, so würde sie sich mit weitaus geringerer Kontrolle in Ländern wie Pakistan oder Ägypten aus breiten können, die nicht über die Mittel verfügen, sie eindämmen zu können. Was Chemikalien angeht, so werden tödliche Substanzen in großen Mengen täglich an vielen Orten in den USA verwendet, wodurch es Terroristen leichter müsste, diese Vorgänge zu sabotieren, als chemische Waffen wie Nervengas herzustellen, einzuführen und irgendwie zu verbreiten.
Nuklearwaffen, die in einem der vielen Tausenden von täglich in den zahlreichen Häfen ankommenden Containern ins Land gebracht werden, würden eine wirkliche Gefahr darstellen. Doch Terroristen müssten erst einmal eine solche Waffe von einem Staat, der sie herstellt, direkt oder indirekt erhalten. Und es gibt viele Gründe auf beiden Seiten, bei einer solchen Transaktion sehr vorsichtig zu sein. Keine Regierung kann sicher sein, dass Terroristen die Waffe nicht gegen sie einsetzen oder dass sie nicht in Wirklichkeit ihre Feinde sind. Terroristen würden kaum in der Lage sein, die Ware zu testen. Sie würden keine Möglichkeit der Überprüfung haben, ob es sich wirklich um eine Bombe handelt, und sie würden sich auf die Genauigkeit der auslösenden Codes verlassen müssen, die man ihnen gegeben hat (diese Codes gibt es, um eine nicht berechtigte oder zufällige Explosion zu verhindern). Ohne diese korrekten Codes würde das Ding nicht in die Luft gehen - und jeder, der es findet, könnte wahrscheinlich die Spuren auf ihre Herkunft zurückverfolgen. Selbst wenn eine von einem Terroristen erworbene Bombe explodieren und zu zahlreichen Toten und Panik führen sollte, könnte die Konfiguration der freigesetzten Isotope auf das Herkunftsland verweisen, das man dann zwingen könnte preiszugeben, wer sie gekauft hat. Zudem bestünde die Gefahr von Gegenschlägen. Die Produktion und der Verkauf von Atomwaffen an Terroristen könnten eine viel bessere Terrorwaffe in der Praxis sein als die wirklichen Bomben in den Händen von staatenlosen Terroristen, wie dies möglicherweise Nordkorea beweist.
Massenvernichtungswaffen sind also, um es anders zu sagen, keine besonders für Terroristen geeignete Waffen. Die Angst vor ihnen kann aber das Ansehen der Intellektuellen, die für stärkere Verteidigung eintreten, vergrößern und eine gute Ausrede anbieten, um Länder wie den Irak anzugreifen. Wie hätten Bush und Co. hoffen können, ohne Behauptungen über solche Waffen zu machen, den Kongress und die UN überzeugen zu können, dass ein Angriff gerechtfertigt ist. Letztlich hat die UN diese Behauptung nicht mit der von Bush erwarteten Geschwindigkeit ernst genug genommen. aber sie verlieh einem Krieg, der aufgrund ziemlich fragwürdiger Gründe geführt wurde, einen ziemlich dünnen Anschein von Rechtmäßigkeit.
Es war auch nicht notwendig, wirklich zu bewiesen, dass das Irak-Regime zum Beginn des Kriegs im Besitz solcher Waffen gewesen ist. Die USA mussten lediglich versichern, dass unsere Geheimdienste sicher waren, dass sie existieren. Während ich dies schreibe, ist noch immer nicht gewiss, ob das mehr als eine pure Lüge war. Wer aber kann jetzt noch glauben, dass die Massenvernichtungswaffen das wirkliche Kriegsziel waren? Nachdem sie nicht sofort nach dem Ende des Krieges gefunden wurden, ließ die Bush-Regierung die Story zirkulieren, sie habe die ganze Zeit gewusst, dass der Irak während der letzten 10 Jahre seine Massenvernichtungswaffen im nicht ganz freundlichen Syrien versteckt habe.
Ein Krieg zur Selbstdarstellung
Die Bush-Regierung hat unter Verwendung von Gründen, die schon lange vor 2001 ausgearbeitet wurden, eine Doktrin verkündet, dass ein präventiver Krieg von nun an gerechtfertigt ist: Ein Land kann angegriffen werden, um es davon abzuhalten, in eine Lage zu kommen, uns anzugreifen. Die Doktrin hat eine lange Geschichte. In den 1940er Jahren hat niemand anders als der Philosoph und Pazifist Bertrand Russell einen Präventionsangriff auf die Sowjetunion gefordert, um diese davon abzuhalten, Nuklearwaffen zu entwickeln, und so zu verhindern, dass sein Atomkrieg jemals geschehen könne. Er wurde jedoch nicht groß beachtet. Die neue Bush-Doktrin ist jedoch charakteristischerweise auf die permanente Aufrechterhaltung der US-Hegemonie ausgerichtet.
Doch selbst, wenn der Irak unter Hussein chemische und biologische Waffen gehabt hatte, wie hätte er die USA mit diesen angreifen sollen? Wenn es dies nicht konnte, warum war dann Prävention notwendig? Die Hauptrechtfertigung, dass der Irak diese Fähigkeit selbst unter der neuen Präventionsdoktrin hatte, war die Verbindung mit al-Qaida, für die allerdings nur die dürftigsten und unsichersten Beweise angeboten wurden. Bush brachte in Äußerungen den Irak und den 11.9. zusammen, ohne groß zu behaupten, dass er von einer Verbindung Kenntnis hat.
Selbst nach dem Krieg wiederholte er, noch immer ohne Beweis, die Behauptung, dass er einen Verbündten von al-Qaida besiegt habe. Ein großer Teil der Amerikaner, bis zu 40 Prozent der Bevölkerung, ging offensichtlich vor der Invasion davon aus, dass es eine solche Verbindung gibt. Ohne diese Überzeugung wäre die öffentliche Unterstützung für den Krieg zu klein gewesen, um ihn zu ermöglichen. Bush, ein Mann mit Scheuklappen und wenig Wissen in allen Bereichen, der allerdings einen Umbau des Ausbildungssystems gefordert hat, verließ sich daher auf die noch weitaus größere Unkenntnis der Öffentlichkeit über andere Länder und deren Standpunkte, was leider zum Kennzeichen dieser Nation von Einwanderern geworden ist.
Amerika ist ein sehr großes Land. Durch Hollywood, Silicon Valley, New York und andere Medienzentren zieht es die Aufmerksamkeit der übrigen Welt auf sich. Aus diesem Grund schenken wir überwiegend nur anderen Amerikanern die Aufmerksamkeit. Wir sind ein Land mit nur zwei wirklichen Nachbarn. Kanada gleicht den USA oberflächlich, hat aber viel weniger Einwohner, stellt keine Gefahr dar und ist von keinem großen Interesse. Mexiko ist hingegen so verschieden und arm, so dass leicht Vorurteile und Unwissen gepflegt werden können. Der Rest der Welt ist für viele von uns ein verschwommener Fleck, an den man kaum denkt und den man nicht versteht, dessen Teile austauschbar erscheinen und wenig zu unterscheiden sind. Nur wenige von uns sehen ausländische Fernsehsender oder Filme oder lesen - mit Ausnahme manchmal von britischen - ausländische Zeitungen oder Bücher, auch sie übersetzt sind. Die meisten College-Schüler konnten nach Monaten von Debatten und Diskussionen kurz vor dem Krieg Irak nicht auf einer Weltkarte ausmachen. Wahrscheinlich hätten sie auch nicht sagen können, wie sich der Irak vom Iran unterscheidet, und schon gar nicht, wie die Araber selbst sich unterscheiden.
Aus dieser Perspektive war der 11.9. nicht nur erschreckend, sondern er stellte auch ein rohes Eindringen in unsere Selbstgenügsamkeit als Nation dar, was uns gegen unseren Willen dazu zwang, an den Rest der Welt zu denken. Es stand ganz außer Frage, dass wir ernsthaft versuchen würden, die tieferen Beweggründe der Terroristen zu verstehen. Natürlich, es musste etwas getan werden, so dass wir uns wieder sicher nach innen konzentrieren können. Geht man davon aus, dass wir ohne erkennbaren Grund seit dem Ende des Kalten Kriegs Billionen von Dollar für das Militär ausgegeben haben, schien eine militärische Reaktion auf der Hand zu liegen. Solange der Krieg nicht zu viele Kosten hinsichtlich des Geldes oder amerikanischer Leben verlangt, konnte man von einem Krieg gegen einen unklar bestimmten Terrorismus ausgehen. Der Afghanistan--Krieg war in dieser Hinsicht erfolgreich, ist aber seit langem aus der Öffentlichkeit verschwunden. Wenn wir davon überzeugt waren, dass Bush etwas für uns macht, dann war nichts einfacher oder wahrscheinlicher als ein weiterer, leicht größerer Krieg.
Die Opposition gegen den letzten Krieg war erstaunlich groß, besonders wenn man bedenkt, wie wenig die Medien davon Notiz nahmen. Nicht alle Kriegsgegner waren viel besser als die Kriegsbefürworter informiert. Manche waren lediglich gegen Krieg im Allgemeinen, manche hatten Angst vor den entstehenden Kosten an Geld oder Menschenleben oder misstrauten Bush. Aber man kann wohl mit großer Sicherheit sagen, dass die meisten der Amerikaner, die mehr über die Welt wussten, sich gegen den Krieg aussprachen als die übrigen.
Das Pentagon arrangierte den Krieg klugerweise als gute Fernsehunterhaltung für das amerikanische Publikum, wobei es kaum einen Grund gab, die Engstirnigkeit in Frage zu stellen oder den Krieg aus der Perspektive von Anderen zu betrachten. Die bei den amerikanischen Truppen "eingebetteten" Journalisten wurden mit Mini-Biographien eines jeden amerikanischen Opfers oder Kriegsgefangenen versorgt. Die Rettung von Jessica Lynch aus der Kriegsgefangenschaft wurde damit schnell, direkt hinter dem Fall von Bagdad, zur zweitgrößten Story des Kriegs. Tägliche Pressekonferenzen von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dem Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, und anderen orientierten die amerikanischen Medien auf heimische Pro-Regierungs-Interpretationen des Kriegs.
Der Krieg wurde auch ein wenig wie ein Computerspiel geführt. Die beeindruckenden Hightech-Waffen waren so in alles integriert, dass es für die technisch weit weniger fortgeschrittenen Truppen Saddams fast unmöglich war in Funktion zu treten. Unsere Medien widmeten sich diesen Einzelheiten gerne.
Vor dem Krieg haben Rumsfeld und andere versprochen, dass wir sehen würden, wie die Iraker in den Straßen tanzen, weil wir sie befreien. (Ursprünglich, so erzählt man, sollte der Krieg - und jeder amerikanische Krieg braucht einen Namen - Operation Iraqi Liberation genannt werden. Dann aber habe man gesehen, dass die Abkürzung OIL heißen würde, was für viele Kriegsgegner der eigentliche Grund war. Daher hat man den Namen schließlich zu Operation Iraqi Freedom umgetauft.) Als man das Tanzen in den Straßen nicht gleich sehen konnte, gab es einige Sorgen, doch dann, als Bagdad eingenommen wurde, gab es da den Fall, dass junge Männer im Hooligan-Alter auf den Straßen mit Freudenrufen herumliefen. Über was freuten sie sich eigentlich? Über das Ende von Saddam Hussein? Über das Ende der Bombardierungen? Über die Möglichkeit, ins Fernsehen zu kommen? Über die Medien haben wir keine Möglichkeit, dies zu erfahren. Große Menschenmengen bejubelten auf beiden Seiten den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Menschenmassen jubelten den deutschen Truppen unter Hitler zu, als sie in Österreich einmarschierten und sie von ihrem eigenen kleineren Diktator befreiten.
Rumsfeld stellte schnell die kurzen Szenen der jubelnden Iraker und des Sturzes der großen Saddam-Statue mit der Hilfe der US-Marines als Äquivalent des Falls der Berliner Mauer 1989 durch friedliche Menschenmengen oder des Sturzes des schrecklichen Diktators Ceaucescu durch die Rumänen, obgleich in beiden Fällen keine Invasoren von außen erforderlich waren. Nur nach geraumer Zeit wird sich herausstellen, ob die Mehrzahl der Iraker sich schließlich dankbar für die Invasion zeigen werden, was auch für die Reaktion der Nachbarn gilt. Doch die Aufmerksamkeit der Amerikaner wird sich, lange bevor wir das wissen können, schon längst wieder anderen Dingen zugewandt haben. Eine Woche nach der Einnahme von Bagdad war die größte Story in den amerikanischen Medien die Entdeckung der Leichen einer Frau und ihres Fötus, die seit Weihnachten vermisst wurden. Offensichtlich wurden sie von einem eifersüchtigen Mann getötet. Das interessiert anscheinend weit mehr als das Schicksal von 25 Millionen Iraker, die jetzt unter unserer Herrschaft stehen.
Während des Vietnamkriegs wurden Millionen von jungen Amerikanern eingezogen, andere hatten Angst, dass sie zum Militär mussten. Eine ganze Reihe wurden eingesperrt, weil sie nicht kämpfen wollten. Dieser Krieg zog sich über 10 Jahre hin. Es gab zwei Millionen Tote, darunter 57.000 Amerikaner. Es ist bedeutsam, dass die USA sich niemals eingesetzt hat, offiziell die Menschen, die für die Tötung vieler Unschuldiger verantwortlich waren, zu finden und vor ein Gericht zu stellen. Jeder, der heute unter 45 Jahre alt ist, kann sich nicht selbst an die Diskussion erinnern, die während dieses Konflikts stattgefunden hat.
Die Kriege in Afghanistan und im Irak haben das amerikanische Gedächtnis vom Vietnam-Debakel weitegehend gesäubert. Jetzt haben wir keine Wehrpflicht mehr. Amerika ist ein solch großes Land, dass nur noch einer von Tausend in die Region um den Irak im letzten Krieg zum Kampf geschickt worden ist. Geht man von unserem riesigen Rüstungsbudget selbst in Friedenszeiten aus, so sind die zusätzlichen Kosten des Kriegs im Irak nicht sonderlich groß.
Der wirkliche Sieg des Krieges war vielleicht, dass jetzt mehr als jemals zuvor ein Krieg eine gute Show für die USA ist, da die getöteten Soldaten zahlenmäßig so gering gehalten werden, dass sie kaum mehr ablenken. Es könnte nun scheinen, dass jeder Präsident, der Angst auslösen kann oder nur eine Ablenkung von schwierigen innenpolitischen Problemen finden will, in aller Ruhe einen ähnlichen Krieg wie im Irak mit einem geeigneten Feind planen und starten kann. Uns wird gesagt, dass das, was im Irak geschehen ist, uns eine Anschauung auf den Krieg des 21. Jahrhunderts gibt, was ein weiterer Hinweis darauf ist, dass unser Militär noch viele solcher Kriege führen könnte.
Die Zukunft von Bush
Bush hat gezeigt, dass er das Militär benutzen kann, um den Terroristen Schlagzeilen abzunehmen. Er ließ die terroristische Bedrohung kläglich aussehen, wie sie tatsächlich ist, auch wenn sie am 11.9. furchtbar erschienen ist. Dieser Anschlag war weitaus schlimmer als alles anderes, was al-Qaida zuvor oder seitdem bewirken oder was man vernünftigerweise erwarten konnte. Er profitierte von den völlig unvorbereiteten USA und trotzdem ging alles nur teilweise nach Plan ab. Auch wenn künftige Angriffe nicht unmöglich sind, werden sie jetzt, nachdem unsere Vorsichtsmaßnahmen sogar viel zu stark in Kraft getreten sind, sehr viel schwerer im selben Maß auszuführen sein. Keine Terrorgruppe, die beabsichtigt, sich in das amerikanische Bewusstsein einzubrennen, wird das ohne eine entsprechende Basis im Ausland machen können. Selbst wenn viel über den Terrorismus als Zukunft des Krieges geschrieben worden ist, so ist er eher eine Form der Vergangenheit als der Zukunft.
Bush kann jetzt, nachdem er die Aufmerksamkeit durch seine Kriege gefunden hat, sie logischerweise nicht aufrechterhalten, indem er weiterhin die Angst vor dem Terrorismus als Rechtfertigung verwendet, sein Versagen in der Innenpolitik zu überspielen, auch wenn er dies natürlich beabsichtigt. Er hat bereits den Irak-Krieg als einen weiter andauernden Krieg gegen den Terrorismus bezeichnet. Er plant, die erneute Nominierung als Präsidentschaftskandidat in New York, vielleicht am Ort des Anschlags kurz vor dem dritten Jahrestags von 11/9 anzunehmen. Aber er steckt in einer Falle. Wenn vor er nächsten Wahl ein anderer großer Terroranschlag irgendwo in den USA geschieht, dann wird ihm dies als zugeschrieben werden, da seine Heimatschutzmaßnahmen dies nicht verhindert haben. Aber wenn dies nicht eintritt, dann wird unsere Bereitschaft, uns permanent in einem Krieg gegen den Terrorismus zu sehen, unweigerlich schwinden.
Wäre der 11. September nicht geschehen, so hätten Bush und seine Gefolgschaft sehr wahrscheinlich mittlerweile eine sehr geringe Popularität erreicht und wäre gefangen in einer Welle von Wirtschaftsskandalen, die mit großer Sicherheit auch seinen Vizepräsident betroffen hätte. Die Unterstützung für den alten Reichtum und älterer Formen des Kapitals wie Landwirtschaft, Öl, Metall und Eisenbahn, die diese Clique vor allem repräsentiert, wäre als reaktionär und als dumm angesehen worden. Die Vorstellungen von einem permanent boomenden, von der Industrie gespeisten marktbasierten Kapitalismus, an dem sie weiter festhalten konnten, wäre immer stärker in Frage gestellt worden.
Der Boom in den 90er Jahren, der angeblich aus dem freigesetzten Kapitalismus stammte, zeigt sich im Rückblick noch viel stärker als Manifestation der Aufmerksamkeitsökonomie, als wir dies vermutet hatten. Der materielle und finanzielle Reichtum ging auf diejenigen über, die Aufmerksamkeit erhalten und bewahren konnten, selbst wenn dies nur durch Vorspiegelung eines kapitalistischen Erfolgs geschah. Unternehmen wie Enron, das seinen Wachstum vor allem einer geschickt verborgenen betrügerischen Buchführung verdankte, waren sehr viel zahlreicher als zuvor angenommen. Ihre Führungskräfte waren weniger Kapitalisten als Stars, die überzeugend spielten, dass sie Profite machten. Die Dotcom-Blase war nur der besonders sichtbare Teil der Verbindung zwischen der Aufmerksamkeitsgewinnung und dem Geld, dass dann in Form von Investitionen hereinströmte.
Das Internet beschleunigte in Wirklichkeit nur den Augenblick der Offenbarung, das Reichtum in Form der Aufmerksamkeit weitaus mächtiger ist als Reichtum in materielleren Formen. Wenn das alte Kapital noch weiter überleben sollte, dann musste es so viele Fesseln von sich wie möglich entfernen - und das ist die allem zugrundeliegende Intention von Bush jun. und seiner Gefolgschaft. Dieser Schritt kann nur, wenn dies überhaupt gelingen sollte, durch den Einsatz von Mitteln der Aufmerksamkeitsgewinnung erreicht werden, die bis zum Extrem ausgereizt werden und sich auf diese Agenda konzentrieren, unabhängig davon, wieweit diese Absicht verborgen werden kann. Eines der Ziele war die Wiederherstellung der Disziplin und der Spannung des Kalten Krieges, da dies die Ausbreitung der amerikanischen Macht legitimierte und die amerikanische Kontrolle der Rohstoffressourcen auf den ganzen Welt unterstützte. Damit lässt sich auch der Patriotismus beispielsweise einsetzen, um Einschränkungen besser der Aufmerksamkeitsökonomie anzupassen. Die Bush-Regierung begann so, Länder wie Nordkorea unter Verdacht zu setzen, während sie sich, wenn irgend möglich, den Einschränkungen von internationalen Abkommen entgegensetzte. Erst der 11.9. schuf eine Gelegenheit, das ganze Programm voranzutreiben.
Das schiere Selbstinteresse der Journalisten, die sich gierig darauf stürzten, Aufmerksamkeit durch Kriegsberichterstattung zu gewinnen, machte es für Bush und Co. leicht, die amerikanischen Medien weitgehend für die Unterstützung des Irak-Kriegs zu gewinnen. Was sie allerdings nicht berücksichtigten, war, dass sich eine internationale Opposition praktisch aus dem Nichts und weitgehend über das Internet ihre eigenen Aufmerksamkeitszentren in eine weltweite Antikriegsbewegung umformen konnte, die sich nicht übersehen ließ. Diese Bewegung wurde teilweise durch den Krieg selbst, durch das Spektakel der Hightech-Militärmaschinerie und die vorübergehende Ehrfurcht, die einem klaren Gewinner zuwächst, übertönt. Gleichwohl könnte sie sich, nachdem sie sich ihrer gerade erst bewusst wurde und nur einen blassen Anblick ihres Potenzials gewinnen konnte, zu einem wirklichen Fundament der Opposition stabilisieren, zu einer grenzenlosen Bewegung zugunsten einer Politik, die im Aufmerksamkeitszeitalter mehr Sinn macht. Um dies zu erreichen, muss sie besser verstehen, wie eine solche Politik aussehen müsste und wie sie am besten zu erzielen sein wird.