Die Raubüberfälle des NSU
Seite 2: Aufgeregte Bankräuber - kaltblütige Killer
- Die Raubüberfälle des NSU
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- Der Verfassungsschutz muss von Überfällen gewusst haben
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Und noch etwas ist auffällig: Die NSU-Täter in Ost und West verhielten sich vollkommen unterschiedlich. Die Bankräuber agierten nervös und aufgeregt - die Mörder dagegen müssen ruhig und kaltblütig gewesen sein. Am helllichten Tag und in aller Öffentlichkeit brachten sie zehn Menschen um. Waren das wirklich dieselben Personen?
Zu den Merkwürdigkeiten zählen die Waffen. Ob sie tatsächlich identifiziert sind, ist fraglich. Bei den Überfällen wurden insgesamt vier bis fünf verschiedene Schusswaffen benutzt. Sie seien alle in der Habe des Trios gefunden worden, steht in der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Eingeräumt wird aber, dass jene Waffe fehlt, mit der beim ersten Raub im Edeka-Markt geschossen wurde.
Doch die Ermittler in Chemnitz sehen das noch anders. Im Bundestag erklärte der verantwortliche Kriminaloberkommissar Jens M. 2012 den Mitgliedern des NSU-Ausschusses: "Ich kann nur sagen, zu meiner Ermittlungszeit haben wir nie eine Waffe typmäßig konkretisieren können." Wenn aber nicht klar ist, welche Waffen bei den Überfällen benutzt wurden, woher will man dann wissen, dass es die waren, die bei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gefunden wurden?
Verschwundene Beweismittel und Akten
Zu den Merkwürdigkeiten des Komplexes Raubüberfälle gehört eine Reihe verschwundener Beweismittel und Asservate. Bei einem Überfall in Chemnitz im Oktober 1999 wurde ein Haar sichergestellt, mit sieben Zentimeter Länge nebenbei für Naziskinheads überraschend lang. Dieses Haar wurde zunächst aufbewahrt und Jahre später, 2005, zur DNA-Bestimmung verschickt.
Als 2011 die NSU-Gruppe aufflog, erkundigten sich die Chemnitzer Ermittler beim Landeskriminalamt Sachsen nach diesem Haar und erfuhren, dass es nicht mehr da ist und auch keine DNA vorliegt. Ein Abgleich mit der DNA von Böhnhardt und Mundlos konnte nicht gemacht werden. Herausgefunden hat das der erste NSU-Ausschuss des Bundestages.
Es ist nicht der einzige Schwund, höchstens der kleinste. Im November 2006 und im Januar 2007 stürmten zwei Männer in Stralsund zweimal dieselbe Sparkasse und erbeuteten insgesamt über 250 000 Euro. Nachdem die Bundesanwaltschaft im November 2011 die NSU-Ermittlungen übernahm, schickte die Staatsanwaltschaft Stralsund die Originalakten zu den zwei Raubüberfällen nach Karlsruhe - insgesamt zehn Ordner.
Die Bundesanwaltschaft will sie an das Bundeskriminalamt (BKA) nach Meckenheim weitergeleitet haben. Doch dort soll die Fracht nie angekommen sein. Nachforschungen des BKA ergaben, so steht es zumindest in den Akten, dass die Bundesanwaltschaft die Ordner nicht, wie üblich, per Kurier versandte, sondern mit der Post. Aufgrund der fehlenden Originale kann nicht mehr verifiziert werden, ob die vorliegenden Kopien vollständig sind.
Zu allem Überfluss: Das BKA stieß bei seinen Nachforschungen zu Aktenüberstellungen aus Karlsruhe noch auf etliche weitere Aktenverluste. Behörden, die aufgrund der Dimension der NSU-Verbrechen überfordert sind - oder organisiertes Chaos?
Über vier Jahre lang keine Überfälle - dann das Ende
Nach den beiden Überfällen in Stralsund wurden über viereinhalb Jahre lang keine mehr verübt. Auch die Tötungsserie endete im Jahr 2007 mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Warum, kann bisher niemand schlüssig erklären.
Doch im Herbst 2011 wurden die Täter wieder aktiv: Anfang September ein Überfall auf eine Sparkasse im thüringischen Arnstadt, schließlich der finale Bankraub in Eisenach am 4. November 2011. Am Ende jenes Tages waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot, ihre Wohnung in Zwickau war abgebrannt, Beate Zschäpe auf der Flucht. Und die Öffentlichkeit erfuhr zum ersten Mal etwas von einer Gruppierung namens "Nationalsozialistischer Untergrund". Das große Rätsel begann.
Viereinhalb Jahre lang hatte sich das NSU-Trio nicht geregt, sein Ende kam ausgerechnet, als es wieder mit dem Rauben begann. Hat es lediglich Fehler begangen und stand vor seiner Festnahme oder hatte sich etwas in seinem Umfeld in der Zwischenzeit verändert?
Im Zusammenhang mit dem letzten Banküberfall in Eisenach gibt es Zeugenaussagen, die gleichfalls nicht zur offiziellen Version von den zwei Bankräubern passen. In ersten Zeitungsberichten wird beispielsweise ein Augenzeuge zitiert, der drei Personen aus der beraubten Sparkasse herauskommen sah.
Ein Widerspruch, der zu den Widersprüchen am Tatort Eisenach-Stregda führt, wo Böhnhardt und Mundlos erschossen in ihrem gemieteten Wohnmobil aufgefunden wurden. Hergang und Umstände können bis heute nicht als aufgeklärt bezeichnet werden. Ob es einen dritten Mann in Stregda gab, ist bisher weder belegt noch widerlegt. Mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse mühen sich mit den Vorkommnissen von Eisenach und Zwickau ab, ohne bisher gesicherte Aussagen treffen zu können.