Die Raubüberfälle des NSU

Seite 4: Der Verfassungsschutz muss von Überfällen gewusst haben

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Und auch im Zusammenhang mit den Raubüberfällen stößt man auf Spuren des Verfassungsschutzes. Mehrere V-Leute des Brandenburger und Thüringer Landesamtes in der rechtsextremen Szene lieferten Informationen über den Unterschlupf des Jenaer Trios in Chemnitz, wie über mögliche Raubüberfälle. 1999 meldete der V-Mann Marcel Degner, ein Kontaktmann habe ihm erklärt, die drei würden "jobben" und bräuchten kein Geld. "Jobben" steht dabei nicht etwa für "arbeiten". Es ist, wie Vernehmungen von Zeugen aus der Szene in der Hauptverhandlung in München ergaben, eine Art Codewort für die illegale Beschaffung von Geld zum Beispiel mittels Überfällen.

Da die Information von 1999 stammt, kann Mundlos' Baujob in Marschners Firma mit dem Begriff "jobben" nicht gemeint gewesen sein. Den übte er frühestens 2000 nach dem Umzug von Chemnitz nach Zwickau aus.

Jener Kontaktmann, von dem V-Mann Degner sprach und der offenbar mit dem Trio in Verbindung stand, ist Thomas Starke, der sich heute Müller nennt. Starke wurde ein Jahr später, im November 2000, selber V-Person der Behörden. Seit fast fünf Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft auch gegen ihn wegen der möglichen Unterstützung des NSU.

Im Jahr 2001 gab der V-Mann Tino Brandt die Information weiter, die Untergetauchten würden sich selbständig finanzieren durch "eigene Sachen" und bräuchten kein Geld mehr aus der Szene. Zu diesem Zeitpunkt waren in Chemnitz bereits vier bewaffnete Überfälle geschehen, die nicht aufgeklärt waren. Brandt hatte die Information von dem heute angeklagten Ralf Wohlleben. Der bestritt im Januar 2016 vor Gericht, dass damit Überfälle gemeint gewesen seien.

Ein unbekannter 16. Raub?

Und dann gibt es noch die Mitteilung eines dritten V-Mannes, die überhaupt nicht zur amtlichen Erzählung über die Raubdelikte passt. Carsten Szczepanski, bekannt unter dem VS-Decknamen "Piatto", der, obwohl vom Brandenburger Verfassungsschutz geführt, im sächsischen Chemnitz eingesetzt wurde, meldete einen möglichen bisher unbekannten Bankraub. Laut einer sogenannten wichtigen Deckblatt-Meldung des Amtes sei "das Trio dabei, Waffen zu besorgen" und wolle einen "weiteren Überfall begehen".

Die Meldung ist von September 1998, also vor dem ersten registrierten Überfall auf den Edeka-Markt in Chemnitz im Dezember 1998. "Weiterer Überfall" - gab es also einen 16. Raubüberfall, der ebenfalls auf das Konto des NSU geht und im Frühjahr oder Sommer 1998 verübt worden sein müsste? Doch warum wäre der bisher nicht bekannt?

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft seien für 1998 in Chemnitz keine weiteren Raubüberfälle bekannt, die "im Zusammenhang mit dem NSU stehen könnten". Allerdings: Unter "NSU" versteht die Behörde allerdings nur das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, keine anderen Personen. 1998 wurden insgesamt 56 Raubverfahren in der Stadt registriert.

Raubüberfälle hätte das Trio nicht exklusiv verübt. Im Oktober 1999 überfielen mehrere Männer im südthüringischen Pößneck einen Geldboten und erbeuteten 78000 DM. Die Täter wurden erst im September 2012 gefasst. 13 Jahre unentdeckt - eine erstaunliche Parallele zum NSU-Trio. Und noch eine: Die Räuber gehörten zum rechtsextremen Thüringer Heimatschutz (THS) von Saalfeld-Rudolstadt. Einer stand in direktem Kontakt zum THS-Anführer und V-Mann Tino Brandt, ein anderer zum THS-Neonazi und V-Mann Andreas Rachhausen. Zu der Bande zählten auch drei Litauer, einer von ihnen war Mitglied einer Anti-Terror-Spezialeinheit der litauischen Polizei.

In dieser Gruppierung waren gleich mehrere Bestandteile versammelt, auf die man im Komplex NSU immer wieder stößt: Neonazis, OK, Polizei und indirekt auch der Verfassungsschutz.

In Teil 5 der NSU-Serie: Der Ku-Klux-Klan.