"Die Reichen müssen zahlen"
Ein Bündnis stellt auch in der Coronakrise wieder die soziale Frage. Es ist zu hoffen, dass es keine Eintagsfliege bleibt
Es ist schon fast 15 Jahre her, da merkte auch die akademische Mittelschicht, dass sie oft aus den ewigen Zustand der Praktika nicht herausfindet. Der Begriff der prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse setzte sich durch. Die Berliner Band Britta brachte einen Song von Christine Rösinger heraus, der das Gefühl der prekären Mittelschicht im Refrain gut auf den Punkt brachte.
Wer schon hat, dem wird gegeben
Britta, Das schöne Leben
Und für uns bleibt nur das schöne Leben
Ja so läuft's, und so wird's weiter laufen
Denn der Teufel scheißt auf den größten Haufen
In einer weiteren Strophe des Songs persifliert Rösinger auch die Haltung vieler Angehöriger aus der prekären Mittelschicht, die bloß nicht gegen den Stachel löcken wollen. Schließlich könnte es ja doch noch was werden mit der Festanstellung.
Die reichen Leute, die gewinnt
Britta, Das schöne Leben
Man nur durch platte Schmeichelei
Das Geld ist platt, mein liebes Kind
Das Geld ist platt und will auch platt geschmeichelt sein
Im Jahr 2020 sind bei manchen die Illusionen zerplatzt, dass das Kapital für Schmeicheleien empfänglich ist und den Menschen ein schönes Leben garantiert.
Schon seit mehreren Monaten haben sich soziale Bündnisse in verschiedenen Städten zu dem Bündnis "Wer hat, der gibt" zusammengetan. Am 19. September rief das Bündnis zu einem bundesweiten Aktionstag in 5 Städten auf. In Berlin versammelten sich prekär Beschäftigte, Mieter und Erwerbslose in der Nähe des Kurfürstendamms und zogen an den am Samstagabend natürlich leeren, aber gut bewachten Büro von Pears Globale, der schwedischen Skjerven-Gruppe und der Padovicz-Unternehmergruppe vorbei.
Das sind nur drei der Investoren, gegen die sich in Berlin Mieter koordinieren und zusammenschließen. Auch die Industrie- und Handelskammer, die in der Corona-Krise für noch mehr Wirtschaftsliberalismus steht, wurde in den Redebeiträgen klar als Akteur einer Politik benannt, die dem Kapital nützt.
Die Legende von den philanthropischen Reichen
Die Stoßrichtung des Bündnisses ist klar beschreiben:
Die Reichen müssen für die Krise bezahlen! Die Corona-Gesundheitskrise ist in vollem Gange, doch der finanzielle und soziale Notstand steht uns erst noch bevor. Durch Rettungsaktionen vor allem für die Wirtschaft, höhere Arbeitslosigkeit und Steuerausfälle muss der Staat viel mehr finanzieren, während er gleichzeitig Einnahmen verliert. Forderungen nach einem ausgeglichenen Staatshaushalt werden bald jene nach Corona-Soforthilfen und Konjunkturprogrammen überlagern. Wo kann gespart werden und wo gibt es Geld zu holen? Das werden die umkämpften Fragen der nächsten Zeit sein.
Aus der Erklärung des Bündnisses: Wer hat, der gibt
Es hatten auch Millionäre die Möglichkeit, sich an der Demonstration zu beteiligen. Es gab ein eigenes Anmeldeprozedere und auch ein Transparent, hinter das sie sich hätten stellen können. Doch es hat sich niemand gemeldet und das Transparent wurde stattdessen von Organisatoren der Demo mitgeführt. Hier wird auch wieder mal die Legende von den philanthropischen Millionären entlarvt.
Sicher mag es einige geben, die mehr eine Vermögenssteuer fordern. Aber auch die sich selbst als sozial darstellenden Kapitalisten wollen doch am Ende selber entscheiden, an wen sie spenden und das auch gerne mit ihren Namen verbinden.
Das Sozialbündnis aber setzt nicht auf soziales Unternehmertum, sondern auf "Umverteilung". Unter diesem Begriff können sich auch die Sozialaktivisten vom anarchistischen Blog stellen, die darunter eine Selbstorganisation von unten verstehen, wie auch linke Sozialdemokraten, die eine Umverteilung per Gesetz fordern.
Dass diese unterschiedlichen Zugänge nebeneinanderstehen bleiben konnten, ohne dass es zu ideologischem Streit kam, ist ein Pluspunkt der Demonstration vom letzten Samstag. Auch die Abwehr aller Spaltungsversuche, als die Polizei in Coronazeiten Menschen aus dem anarchistischen Block ziehen wollte, weil sie in Coronazeiten Masken trugen, gehört dazu.
Vom Grunewald zum Kurfürstendamm
Die Teilnehmerzahlen waren nicht besonders hoch. Der Journalist Philipp Möller hat zurecht darauf hingewiesen, dass auch in linken Zusammenhängen Hartz IV-Betroffene oder Alleinerziehende nicht stark vertreten sind und der Verankerung in den Betrieben oder Stadtteilen gering ist.
Aber es waren auf der Demonstration Menschen anwesend, die in konkreten sozialen Auseinandersetzungen stehen, die sich dort präsentierten und zu Wort meldeten. Dazu gehörten neben Mietern der von berüchtigten Investoren gekauften Häuser auch die Mitarbeiterinnen des von Verdrängung bedrohten Geburtshaus Maja oder Beschäftigte des von Schließung bedrohten Kinos Colosseum.
Die Frage wird jetzt sein, ob die Proteste eine Eintagsfliege bleiben. Schließlich gab es vor mehr als 10 Jahren mehrere bundesweite Demonstrationen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für Eure Krise", die allerdings keine längerfristige Bewegung erzeugten.
Nun ist das aktuelle Motto schon konkreter, weil benannt wird, wer für die Krise zahlen soll. Der Aktionstag steht auch in Zusammenhang mit anderen Initiativen, die ebenfalls die Reichen zur Kasse bitten wollen und auch dort hingehen, wo sie arbeiten und wohnen. Erst vor einigen Wochen führte das Quartiersmanagement Grunewald eine Enteignungsoper in dem Villenviertel am Rande von Berlin auf.
Schon im Mai legte die Stadtteilinitiative Hände weg vom Wedding ein Programm für einen sozialen Wedding vor, der ebenfalls die Umverteilung im Mittelpunkt hatte. Auch das Bündnis "Nicht auf unseren Rücken" stellt die Frage nach denen, die in der Krise profitieren und die darunter leiden.
Nun beginnt eine Wirtschaftskrise los zu rollen, welche auch hier in Deutschland große Teile der lohnabhängigen Menschen unter sich begraben wird. Konnten nach der Krise 2008 die meisten Krisenfolgen noch in die südlichen Ränder der europäischen Union abgeschoben werden, wird dieses Mal auch in Deutschland gewütet und auch die letzten Reste von Sozialstaat und erkämpften Arbeiter*innen-Rechte beschnitten werden."
Aus der Erklärung des Bündnisses: Nicht auf unseren Rücken
Dort wird auch der Zusammenhang zu den massiven Einschränkungen der Grundrechte in Zeiten von Corona angesprochen:
Auch Freiheitsrechte, wie Versammlungsfreiheit, Streiks und das simple Recht über eine Straße laufen zu dürfen, ohne von der Polizei kontrolliert zu werden, sind schon jetzt massiv eingeschränkt. Mögen manche Maßnahmen in Zeiten einer Pandemie durchaus Sinn ergeben, sind sie aktuell vor allem eines: Eine Vorbereitung auf kommende Proteste und Bewegungen, die sich gegen die Herrschaft der Reichen und Mächtigen auflehnen!
Aus der Erklärung des Bündnisses: Nicht auf unseren Rücken
Auch verschiedene transnationale Portale wie Coview 19 verbinden den Kampf gegen die soziale Abwälzung der Krisenlasten mit dem Kampf gegen die Einschränkung der Grundrechte. Hier wird ein anderer Freiheitsbegriff verwendet als bei den sogenannten Hygienedemos, wo sich deshalb auch Rechte wohlfühlen, weil von sozialen Fragen dort nicht die Rede ist. Die sozialen Proteste könnten ein Antidot zu diesen rechtsoffenen Protesten sein.
Wann ist Kapitalismuskritik antisemitisch?
Allerdings sollte man dabei nicht hinter die Diskussionen über verkürzte Kapitalismuskritik zurückfallen, die sich linke Gruppen in den letzten Jahren erarbeitet haben. Slogans wie "Spekulanten raus" zumindest sorgen für eine Desorientierung. Denn es muss darum gehen, diese Investoren als Teilnehmer an einem Spiel, das Kapitalismus heißt, zu kennzeichnen.
So richtig es ist, sie auch als Profiteure des Systems zu markieren, so falsch ist es aber, die Struktur, die Kapitalismus heißt, da rauszulassen. Schon nach der Enteignungsoper im Grunewald begann eine Debatte, ob die Aktion latent antisemitisch sei.
Ausgelöst hatte die Debatte ein Tweet des erklärten Wirtschaftsliberalen Ulf Poschardt, der die Forderung nach Enteignung in die Nähe von Arisierungen brachte. Meron Mendel konterte, dass Poschardt selbst das Ressentiment vom reichen Juden bediene, der bevorzugt in Villenviertel wohne.
Tatsächlich ist es Geschichtsrevisionismus, wenn sich jetzt deutsche Unternehmen, die wie Deutsche Wohnen nach einem rechtsstaatlichen Verfahren gegen hohe Entschädigung enteignet werden sollen, mit arisierten Juden gleichsetzen. Trotzdem sollte die Debatte um eine Kapitalismuskritik, die das Klischee vom reichen Spekulanten vermeidet, nicht abgewehrt, sondern als Beitrag für eine emanzipatorische Theorie und Praxis verstanden werden.