Die Renaissance der Atomenergie
Frankreich: Massive Exportoffensive der Nuklearindustrie und ungelöste Fragen
Ein neues Allheilmittel scheint gefunden, um den Hunger auf der Welt und andere Krisen oder Probleme zu überwinden – glaubt man denen, die mit ihm hausieren gehen, um es Interessierten anzubieten. Das kleine Problem dabei ist nur, dass dasselbe Allheilmittel bereits vor 40 Jahren angeboten wurde, und man in den meisten Ländern des Planeten inzwischen aus guten Gründen von ihm abgerückt ist, da wachsende Teile der öffentlichen Meinung weltweit nicht länger von seinen positiven Wirkungen überzeugt sind. Und wenn es sich um Quacksalberei handelte? Das Allheilmittel heißt Atomenergie.
Der lautstärkste Anbieter heißt Frankreich, obwohl Russland sich anschickt, ihm auf diesem Terrain Konkurrenz machen zu wollen, und auch die US-amerikanische Industrie in den Startlöchern zu sitzen scheint. Die wichtigsten Interessenten sind im Moment die nordafrikanischen Länder, mit denen der französische Präsident Nicolas Sarkozy engere zwischenstaatliche und ökonomische Bindungen zu flechten versucht, im Namen der Begründung einer „Mittelmeer-Union“. Im Rahmen der Europäischen Union führen diese französischen Bestrebungen unterdessen zu offenem Zoff.
Das Thema taucht auch in der Abschlusserklärung des Gipfels der Europäischen Union mit den Ländern Afrikas, der am gestrigen Sonntag in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon zu Ende ging (siehe Mugabe, das Unwort und die Chinesen), auf: Darin wird unter den - in einem anhängenden „Aktionsplan“ aufgelisteten - Maßnahmen, die angeblich oder tatsächlich der Entwicklung des Kontinents dienen sollen, auch die „Untersuchung der Mittel und Wege, um einen Dialog zur friedlichen Nutzung von Nuklearenergie zu beginnen“, genannt.
Dialog mit wem?
Ursprünglich hatte die Formulierung nur einen „Dialog“ mit jenen afrikanischen Staaten, die bereits über Nukleartechnologie verfügen, beinhaltet. Das hätte dem Wortlaut nach einzig und allein die Republik Südafrika betroffen, deren Vorgängerstaat, also das vor 1990 bestehende Apartheid-Regime, in den frühen siebziger Jahren vor allem in Westdeutschland und Frankreich eine Reihe von Atomanlagen erworben hatte. Unter anderem auch, um über die technologische Fähigkeit zum Erwerb von Atomwaffen zu verfügen.
Der damalige Nukleardeal mit Apartheid-Südafrika, der unter Bundeskanzler Willy Brandt eingefädelt wurde und jenem Helmut Schmidts mit dem Brasilien der Generäle im Jahr 1975 vorausging, hatte zu einem heftigen Zerwürfnis mit Teilen der SPD und etwa dem damaligen Entwicklungshilfeminister Erhard Eppler geführt. Der letzte Präsident Apartheid-Südafrikas vor dem Übergang zur Demokratie unter Einschluss der schwarzen Mehrheit, Frederik Willem de Klerk, erklärte gegen Ende seiner Amtszeit, Südafrika habe in der Zwischenzeit tatsächlich eine Atombombe gebaut, diese sei aber nun zerstört worden.
Ausnahme Südafrika
Mit Ausnahme Südafrikas verfügt bislang kein Staat Afrikas über eine funktionierende Atomanlage. In der Republik am Kap selbst läuft ein einziges Atomkraftwerk, da der frühere Apartheid-Staat zwar mehrere „Forschungsanlagen“ und kleinere Reaktoren zur militärischen Nutzung in Betrieb nahm, aber letztlich nur diese eine Anlage zur „zivilen Nutzung“ errichtete.
Das Atomkraftwerk in Koeberg gilt als schlecht gesichert und sein Weiterbetrieb hat wiederholt zu Protesten etwa von Greenpeace geführt.
Frankreich drängt auf allgemeinere Formel
Die ursprünglich ausgewählte Formulierung hätte also in der Praxis nur geringe Konsequenzen gehabt. Aber im Laufe der vorletzten Novemberwoche, während derer ein Außenministertreffen der Europäischen Union das Papier für den EU-Afrika-Gipfel vorab billigte, wurde die bisherige Formulierung durch eine wesentlich allgemeiner gehaltene ausgetauscht. Die Financial Times Deutschland behauptete zunächst, die neue Formel sei auf Betreiben afrikanischer Staaten hin, aber „mit Unterstützung Frankreichs und Italiens“ in den Text der geplanten Abschlusserklärung aufgenommen worden. Hingegen berichtete die Berliner Zeitung am vergangenen Wochenende:
Der Satz wurde nach Angaben europäischer Diplomaten auf Drängen Frankreichs in das Dokument aufgenommen. "Wir waren davon gar nicht begeistert, konnten das aber nicht herauskegeln", hieß es am Freitag aus deutschen Diplomatenkreisen. (..) Die Verallgemeinerung setzten dann die französischen Unterhändler durch.
"Bau von Nuklearanlagen den Bedürfnissen der afrikanischen Entwicklung nicht angemessen"
Auch im Bereich der Entwicklungspolitik aktive Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kritisierten dieses Vorgehen heftig. Aus ihrer Sicht ist der Bau von Nuklearanlagen den Bedürfnissen der afrikanischen Entwicklung nicht angemessen, da die Atomindustrie lediglich große und zentralisierte Anlagen – die für Großabnehmer von Strom, wie Industrieparks mit hohem und räumlich konzentriertem Energiebedarf – zur Verfügung stellen könne.
Um die Energieversorgung von bislang „unterentwickelten“ Zonen, etwa in afrikanischen Dörfern, sicherstellen zu können, taugt dieser Typus von Anlagen jedoch nicht - da der Energieverlust beim Transport zu hoch ist und im übrigen ohnehin erst noch Hochspannungsmasten errichtet, Kabel verlegt und eine ganze Infrastruktur dafür aufgepflanzt werden müssten.
Die ganze Angelegenheit würde also zunächst einen derartigen Aufwand erfordern, dass sie kurz- und mittelfristig mehr Energie verschlingen als den unmittelbar betroffenen Menschen etwas bringen würde. Ihren Bedürfnissen sind kleinere, dezentral strukturierte Anlagen zur Energieerzeugung ungleich angemessener, die jedoch von ihrer Natur her keine Atomanlagen sein können. Zudem ist unklar, welches afrikanische Land mit Ausnahme der Republik Südafrika gegebenenfalls aufwendige Sicherheitsmaßnahmen und –vorrichtungen garantieren und auf Dauer die Mittel für eine angemessene Instandhaltung bereitstellen könnte.
Massive Exportoffensive
Vor diesem Hintergrund zitiert etwa die Financial Times Deutschland in ihrem Artikel den NGO-Vertreter (und früheren grünen Politiker) Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung mit den Worten: „Am Ende finanziert die EU den französischen Atomkomplex, dem die Märkte ausgehen." Diese Einschätzung trifft zweifellos tendenziell zu, wobei noch nicht ausgemacht ist, ob die französische Nuklearindustrie – die zur Zeit eine massive Exportoffensive zu entfesseln versucht und Abnehmer für den neuen Reaktor „der dritten Generation“ EPR zu finden trachtet – wirklich keine Absatzmärkte findet (Frankreich setzt trotz steigenden Widerstands auf Atom).
Auch wenn der Absatz auf dem europäischen Kontinent bislang stockt und allein Finnland Interesse am EPR zeigte, wo der Bau des neuen Reaktortyps derzeit jedoch nur langsam vorankommt, so setzt die französische Atomindustrie doch gleichzeitig auf eine Expansion in anderen Teilen der Welt.
Lieferverträge mit China über zwei neue Atomkraftwerke
So konnte der französische Atomkonzern Areva (früher COGEMA, Compagnie générale des matières nucléaires) jüngst in China punkten. Dorthin begleitete die Areva-Chefin Anne Lauvergeon in der vorletzten Woche den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf Staatsbesuch.
In Peking konnte die Vorstandsvorsitzende Lieferverträge über zwei neue Atomkraftwerke vom Typ EPR und den dazugehörigen Brennstoff, über eine Gesamtsumme von acht Milliarden Euro, unter Dach und Fach bringen. Das war am 26. November. Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos titelte dazu am darauf folgenden Tag: „Areva angelt sich endlich seinen großen China-Vertrag“.
In Asien bereitet unterdessen der US-amerikanische Konzern Westinghouse den Franzosen Konkurrenz, aber der französische Nuklearproduzent Areva versucht nun seinerseits, auf den US-amerikanischen Markt vorzustoßen. Vor dem Hintergrund der Klimadebatte um den CO2-Ausstoß, aber auch des derzeitigen hohen Rohölpreises rechnet Anne Lauvergeon mit einer Renaissance der Atomenergie und einem „neuen nuklearen Zeitalter“ - was etwa in Nordamerika die Errichtung von „30 bis 35 Atomkraftwerken“ der nächsten Generation ab 2010 und innerhalb von fünfzehn Jahren bedeuten werde.
Chancen in den USA
Jüngst hielt die Dame, die am 7. November in New York einen Preis der French-American Foundation entgegen nahm, sich deshalb zu einer Werbetour in den USA auf. Sie hofft fest darauf, dass dieses Land, das den mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Energiekonsum des Planeten aufweist, ihrer Branche eine Zukunft sichern werde. Und dass es Areva als erster ausländischer Firma gelingen werde, einen Reaktor in den USA abzusetzen. Obwohl die Pariser Abendzeitung Le Monde ihren Optimismus noch etwas dämpft, da u.a. auch auf die öffentliche Meinung in Nordamerika Rücksicht genommen werden müsse und die Nuklearenergie nicht ausschließlich nur Freunde habe, prognostiziert sie doch auch gewisse Chancen für die Areva-Pläne.
Missionarismus in Afrika
In weiten Teilen Afrikas betreibt die französische Nuklearindustrie im Moment eher reinen Missionarismus, um den dortigen Ländern ihre Technologie als vermeintliches Patentmittel gegen die Übel der Unterentwicklung anzudrehen. Allerdings muss sie wiederum auch nicht allen Staaten des Erdteils ihre Produkte mühselig aufschwätzen. Denn in den arabischen oder arabischsprachigen (in Wirklichkeit, im Falle der Länder Nordafrikas, oft eher berberisch geprägten) Staaten des Kontinents herrscht bei den ortsansässigen Regimes tatsächlich eine gewisse Nachfrage nach dem technologischen Klimbim der Atomindustrie.
Dabei kommen mehrere Faktoren zusammen. Einer davon ist, dass jedenfalls die Erdöl produzierenden Länder (Algerien, Libyen, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate) aufgrund des seit 2000 anhaltend hohen und in diesem Jahr neue Rekorde aufstellenden Rohölpreises ziemlich prallvolle Devisenkassen aufweisen. Einiges von diesen Devisen haben sie auf die hohe Kante gelegt, um damit neues technologisches Spielzeug zu erwerben, das ihren Ländern verstärktes „nationales Prestige“ bescheren soll.
Um einen höheren Platz in der internationalen Hierarchie – der Hackordnung unter den Staaten – zu erwerben, ist aber kaum eine Technologie geeigneter als die Nuklearenergie. Bedeutet doch der Erwerb dieser Schlüsseltechnik vermeintlich, allein durch den Effekt der potenziellen Verfügung über einige (noch nicht alle) materielle Voraussetzungen der Atomwaffenfähigkeit, den Rang des jeweiligen Staates gleich um eine Punkte aufzubessern.
Hinzu kommt, dass die arabischen oder arabischsprachigen Länder nun nicht mehr nur damit konfrontiert sind, dass in ihrer Region allein Israel über eine demonstrative Atomwaffenfähigkeit verfügt, sondern inzwischen auch noch der Iran – der große persisch-schiitische Konkurrent – nach dem Erwerb dieser Technologie strebt. Im arabischen Raum wächst darum das Bestreben, ebenfalls eigene Ambitionen an den Tag zu legen, um nicht Gefahr zu laufen, in der internationalen Hackordnung nach unten zu fallen.
Frankreich, dessen Präsident Nicolas Sarkozy vor dem Hintergrund eigener machtpolitischer und geostrategischer Hegemoniebestrebungen das Ziel einer „Mittelmeer-Union“ ausgerufen hat, schwingt sich in den letzten Monaten zunehmend zum Verbündeten solcher Bestrebungen auf. Und zeigt sich bemüht, die neu erwachsende Nachfrage schnellstmöglich zu befriedigen, bevor potenzielle Konkurrenten auf diesen Markt nachdrängen können.
Kooperationsabkommen mit Libyen, Marokko und Algerien
So schloss Präsident Nicolas Sarkozy im Juli dieses Jahres mit Libyen – dessen Staats- und „Revolutionsführer" Muammar Kadhafi just an diesem Montag zu einem höchst umstrittenen, und durch die sozialdemokratische Opposition im Parlament boykottierten Staatsempfang in Paris eintrifft -, im Oktober mit Marokko und vergangene Woche mit Algerien Kooperationsabkommen „zur zivilen Nutzung der Nuklearenergie“ ab.
Bis im Jahr 2020 sollen die ersten Atomkraftwerke in Nordafrika entstehen, die insbesondere mit dem Energiebedarf zur Messerwasserentsalzung gerechtfertigt werden. Ein Bedürfnis, das in diesen Ländern sehr real ist und mit dem begonnenen Klimawandel – und der dadurch drohenden weiteren Austrocknung der Region – sogar noch weiter wachsen dürfte. Das allerdings auf energiesparendere und damit effizientere Weise abgedeckt werden könnte, etwa durch Membranen, durch welche hindurch man das Meerwasser leiten und dabei schrittweise von den in ihm enthaltenen Substanzen befreien könnte.
Stattdessen kann man das Meerwasser freilich auch unter hohem Energieeinsatz verdampfen lassen, wobei das Salz ebenfalls abgetrennt wird und unten zurück bleibt. Die Ressourcen schonendste Vorgehensweise ist dies freilich nicht wirklich.
Die Interessen der USA
Anders sieht die Lage für die Franzosen in Ägypten aus, dessen Präsident Hosni Mubarak ebenfalls angekündigt hat, sich bzw. sein Land in stärkerem Ausmaß in die „zivile Nutzung der Atomkraft“ stürzen zu wollen. Vier Reaktoren sollen so im früheren Land der Pharaonen entstehen. Doch scheinen hier die US-Amerikaner auf den vorderen Rängen zu stehen, was den zu erwartenden Zuschlag für die Lieferung der Anlagen betrifft. US-Präsident George W. Bush unterstützt seinerseits - auf politischer Ebene – das indische und das noch nicht begonnene ägyptische Atomprogramm. Zumal es sich bei Mubarak um einen engen Verbündeten und stark von den US-Amerikanern und ihrer „Hilfe“ abhängenden, befreundeten Autokraten handelt.
Hingegen zeigt sich die US-Regierung skeptischer, was die Lieferung von Atomkraftwerken an sonstige arabische Länder und ihre politischen Implikationen betrifft. Traditionell lautet das politische Credo in Washington, dass arabische Staaten möglichst nicht an diese Technologie herankommen sollten, um Israel ein Monopol auf die Nuklearwaffenfähigkeit in der Region zu sichern. Zu Anfang des Jahres 1991, im Kontext des unmittelbar bevorstehenden ersten Angriffskrieges einer US-amerikanisch geführten Koalition gegen den Irak unter Saddam Hussein, hatte die damalige US-Administration unter Präsident Bush senior eine Pressekampagne gegen damalige Pläne für zwei in Algerien zu errichtende Atomkraftwerke lanciert. Daraufhin wurden diese Pläne, zu deren Verwirklichung das ab 1992 in den Bürgerkrieg abgleitende Algerien ohnehin nicht in der Lage gewesen wäre, für längere Zeit auf Eis gelegt.
Profitable Verträge
Die jüngsten Staatsbesuche Sarkozys in Nordafrika haben die Situation jedoch gewandelt. Am 25. Juli unterzeichnete der französische Präsident in Tripolis ein Abkommen zur französisch-libyschen Kooperation, das die Errichtung einer Nuklearanlage einschließt (Buhlen um Libyen). Am 22. Oktober folgte ein Abkommen mit Marokko, dem zufolge an der Atlantikküste in der Nähe von Essaouira ein Atomkraftwerk errichtet werden soll (Kernkraftwerk, Waffen, TGV - Marokko kauft ein). Die marokkanische Regierung hatte bereits im März dieses Jahres mit Russland Gespräche und Verhandlungen über die eventuelle Lieferung eines Reaktors geführt.
Darüber hatte die spanische Tageszeitung ‚El-Pais’ in ihrer Ausgabe vom 19. März berichtet. Am Dienstag vergangener Woche nun folgte die Vereinbarung zur Errichtung eines Atomkraftwerks und zur Zusammenarbeit bei der „zivilen Nutzung der Atomenergie“ mit Algerien. Bei beiden Staatsbesuchen Sarkozys wurden gleichzeitig eine Serie weiterer, für die französische Industrie profitabler Verträge abgeschlossen, im Gesamtwert von zwei Milliarden (Marokko) bzw. fünf Milliarden Euro (im algerischen Falle). Dabei geht es u.a. um den Bau einer Hochgeschwindigkeits-Zugstrecke zwischen Rabat und Casablance in Marokko, um eine U-Bahn für die Hauptstadt Algier sowie Nahverkehrsmittel in anderen algerischen Städten wie Oran und Constantine.
Wie die Pariser investigative Wochenzeitung Le Canard enchaîne am 23. August enthüllte, hatte der französische Außenminister Bernard Kouchner – anlässlich seines dreitägigen Aufenthalts in Bagdad Mitte des Monats – sogar dem im Bürgerkrieg befindlichen Irak eine Zusammenarbeit „auch im Bereich der zivilen Atomenergienutzung“ aufschwätzen wollen. Dieses Thema ist freilich inzwischen in der Versenkung verschwunden.
Und die Kontrolle?
Direkt oder indirekt stellt sich dabei auch die Frage der potenziellen Verfügung über die Schlüsseltechnologie zum Bau einer Atombombe. Schon als Präsidentschaftskandidat im Frühjahr dieses Jahres hatte Nicolas Sarkozy dazu Stellung genommen. Tatsächlich hatte Sarkozys Wahlprogramm in Aussicht gestellt, sowohl „Schwellenländern“ den Zugriff auf die A-Bombe zu verweigern, als auch parallel dazu eine Zusammenarbeit mit ihnen „zum Zwecke der zivilen Nutzung der Atomenergie“ zu entwickeln. Just, um die Kontrolle über die Entwicklung in diesen Ländern zu behalten, solle man ihnen bei der Entwicklung dieser Technologie helfen und den dazu notwendigen Transfer von Know-how vornehmen – aber zugleich stets darüber wachen, was in diesen Staaten und den entsprechenden Anlagen vor sich geht.
In seinen seit Februar 2007 ausgebreiteten Plänen zur Bildung einer "Union méditerranée" rund um das Mittelmeer, als einer Art Vorhofstruktur der EU, spricht Sarkozy ebenfalls von einer Beihilfe beim Aufbau eines „zivilen“ Atomprogramms. Hingegen hatte seine aussichtsreichste Gegenkandidatin, die Rechtssozialdemokratin Ségolène Royal, davon gesprochen, dem Iran sowohl den Zugang zu Atomwaffen als auch zur „zivilen“ Nuklearindustrie zu versperren.
Was freilich mit dem internationalen Recht, das insbesondere auf der Fiktion einer klaren Trennbarkeit zwischen zu fördernder „ziviler“ und abzulehnender „militärischer Nutzung“ der Atomkraft aufbaut, kaum zu vereinbaren wäre. Und ferner hätte ein Land, das selbst 80 Prozent seiner Stromerzeugung auf Atomanlagen basieren lässt und seit 1960 die A-Bombe besitzt, nicht wirklich die Legitimität, dies auf internationaler Ebene von anderen Staaten zu fordern...
Ein Ausschaltknopf?
Nachdem in Frankreich Kritik an seinem Atomdeal mit Libyens Oberst Kadhafi laut geworden war, antwortete Nicolas Sarkozy Anfang August darauf, „im Notfall gäbe es eine Vorrichtung, mit der sich ein Atomkraftwerk auch von außen abschalten lässt“. Das bedeutet so viel wie, dass man ein AKW zuerst an ein Land wie Libyen – das man irgendwie doch verdächtigt, ein „Schurkenstaat“ zu sein – verkauft, dann aber hinterher, falls es nötig sein sollte, doch noch vom Westen her auf den Ausschaltknopf drücken könnte.
Technisch ist das im Prinzip eine pure Fiktion, da das Interessante am Atomkraftwerk aus Sicht von Militärs und Diktatoren sich innen drin bildet: das Plutonium-239, das durch fortlaufenden Neutronenbeschuss von Uran-238-Atomen während des Kernspaltungsprozess im Inneren der Brennstäbe entsteht. Ob man die Anlage später abschaltet, ist insofern uninteressant, als der Stoff, aus dem A-Bomben und so manche Politikerträume gemacht sind, zu dem Zeitpunkt bereits anfällt.
Allerdings muss das Plutonium danach noch durch einen schwierigen chemischen Prozess, den man im Deutschen als „Wiederaufbereitung“ bezeichnet, aus der radioaktiven Masse des Gesamts-Atommülls, der innerhalb der abgebrannten Brennstäbe steckt, herausgelöst und abgetrennt werden. Einschränkend sei hinzugefügt: Dieses Verfahren hat, heute und auch in näherer Zukunft, weder Libyen noch der Iran (der deshalb auf das technisch einfachere Verfahren der Uran-Anreicherung zu setzen schien) noch ein anderer vergleichbarer Staat auch nur annähernd im Griff.
Das nationale Prestige
Generell geht es auch bei diesen Regimes wohl auch weniger um den unmittelbaren Erwerb oder gar tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen, der (angesichts der Präsenz US-amerikanischer und israelischer Atomwaffen in ihrer geographischen Umgebung) für sie erkennbar Selbstmord wäre. Sondern vielmehr geht es ihnen um den Zuwachs an Macht und „nationalem Prestige“, den sie sich von der Demonstration ihrer „technischen Fähigkeit, zum Bau von Atomwaffen prinzipiell in der Lage zu sein“ auf internationaler Bühne erhoffen.
Haben doch die derzeitigen ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats, alle fünf, ihre dortige Position unzweideutig ihrer Verfügung über die A-Bombe (zu einem historisch frühen Zeitpunkt) zu verdanken. Dieses Monopol würde so mancher „aufstrebende“ Staat bzw. Möchtegern, zwecks Aufwertung der eigenen machtpolitischen Position, am liebsten angeknackst sehen.
Nicolas Sarkozys Position hat dabei insofern eine gewisse innere Logik, als es zumindest beim aktuellen Stand der Verteilung der technologischen Fähigkeiten denkbar erscheint, dass seine Rechnung aufgeht: „Wir liefern die Technologie, behalten aber eine ständige Kontrolle über ihre Verwendung und achten genaustens darauf, was in den Reaktoren später geschieht.“
Dies setzt aber wiederum voraus, dass die betreffenden Ländern nicht selbst in die Lage versetzt werden, solche Atomanlagen zu errichten, sondern dass französische Firmen oder Staatsagenturen sie errichten – und später den Atommüll einsammeln und zu Hause, wo etwa die „Wiederaufbereitungsanlage“ (WAA) in La Hague für solche Zwecke zur Verfügung steht, behandeln. Und dass die „Partnerländer" nicht den gesamten nuklearen „Brennstoffkreislauf“ auf ihrem Boden beherrschen werden, sondern dass die Anreicherung des Urans sowie die eventuelle Abtrennung von Plutonium aus dem nuklearen Abfall außerhalb der Reichweite ihrer Regimes geschieht.
Neokoloniales Projekt
Dieses Konzept wiederum hat einen Namen: Man kann es als paternalistisch oder auch als „neokolonial“ bezeichnen. Nicht zu Unrecht bezeichnete die Umweltorganisation Greenpeace in einem jüngsten Kommuniqué die Förderung der Atomenergie durch Frankreich am Südrand des Mittelmeers als industriellen Neokolonialismus.
Die Umweltorganisation hatte dabei allerdings vor allem einen anderen – und ebenfalls zutreffenden - Aspekt im Blick, nämlich dass der Export der Atomtechnologie an diese Länder bzw. ihre Regime eine vorrangige Nutzung der dort überreichlich vorhandenen „sauberen“ oder „erneuerbaren Energiequellen“ (insbesondere in Gestalt der Solarenergie) verhindere. Das ist richtig. Aber auch der Anspruch, eine Technologie zu exportieren und dann die genaue Kontrolle über ihre Nutzung zu behalten, ist ebenfalls „neokolonialistisch“.
Daran ändert nichts, dass die vermeintliche Alternative – die grundsätzliche Weichenstellung zugunsten eines Einstiegs in ein Atomprogramm einmal fraglos vorausgesetzt -, eine vollständige Verfügungsgewalt aller Regimes über alle Etappen des nuklearen „Brennstoffkreislaufs“, auch nicht wirklich positiv erscheint. Eine andere Möglichkeit wäre es freilich, von vornherein auf diese Technologie zu verzichten. Aber das wiederum kann man von anderen Staaten nur dann auf legitime und glaubwürdige Weise fördern, wenn das eigene Land nicht selbst dabei ist, die Nutzung dieser Technologie fortzusetzen oder gar ihren Ausbau vorzunehmen.