Die Rückkehr der Waffen
Darfur - Ethnographie und Geschichte eines Konflikts Teil III
In den Achtziger Jahren wurden in Darfur alle Pazifizierungserfolge der Kolonialverwaltung zunichte gemacht, und eine neue Grenzkriegerschaft entstand. Eine wichtige Rolle spielte dabei das Übergreifens des Bürgerkrieges im Tschad und die Zunahme der Bildung von Milizen unter den Nomaden sowie deren Bewaffnung in Folge des Konflikts im Süden, wo mit einer Unterbrechung von 1972 bis 1983 seit der Unabhängigkeit des Sudan ständig Bürgerkrieg herrschte.
Die beiden größten ethnischen Gruppen im Vielvölkerstaat Tschad sind die Sara (die teilweise dem Christentum und teilweise Stammesreligionen anhängen) mit 20 – 30 % und die Araber mit 10 – 25 % Bevölkerungsanteil. Bis in die 1970er Jahre wurde der Tschad von christlichen Sara-Präsidenten regiert. Libyen, der nördliche Nachbar verfolgte lange eine Politik der eifrigen Einmischung in der ehemaligen französischen Kolonie. Anfangs unterstützte Oberst Gaddafi Tubu-Rebellen, die 1969 das Borku im Norden des Tschad erobern konnten, aber bereits 1970 von der französischen Fremdenlegion von dort vertrieben wurden. 1978 kam im Tschad ein Daza-Tubu, Hissène Habré, an die Macht – allerdings nur für zwei Jahre. Denn schon 1980 wurde er mit Hilfe der libyschen Armee gestürzt, fand aber Zuflucht in Darfur. Seine Truppen, die er dort rekrutierte, bestanden aber weniger aus Tubu, als aus Zaghawa und Bidayat, die ebenfalls beiderseits der Grenze siedeln bzw. umherstreifen. In Gegnerschaft zu Libyen rüsteten die USA und Ägypten Habrés Nomadenarmee auf1, so dass dieser am 7. Juni 1982 wieder in die Hauptstadt N'djamena einziehen konnte. Seinem Widersacher Goukouni Queddei, einem Teda-Tubu, gelang die Flucht in den von Libyen besetzten Aozou-Streifen, wo er eine Gegenregierung bildete.
Als sich eine Machtübernahme Queddeis als illusorisch herauskristallisierte, finanzierte Libyen Scheich Ibn Omar und seine, hauptsächlich aus im Tschad und Darfur rekrutierten Arabern bestehende Islamische Legion (al-Failaq al-Islami), die von Habré mit der Armee des Tschad auch mehrere hundert Kilometer tief auf darfurischem Gelände bekämpft wurde. Die sudanesischen Sicherheitskräfte griffen nicht ein. Mitte der 1980er kam es zu einer Übereinkunft: Libyen lieferte der sudanesischen Regierung, die 1983 auch im christlichen Süden islamisch begründete Gesetzesänderungen2 eingeführt und damit den dortigen Aufstand angefacht hatte, Unterstützung gegen die südsudanesische Rebellenarmee SPLA und erhielt dafür freie Hand im Westen des Sudan.
Im Bürgerkrieg im Südsudan spielten Stammesmilizen eine wichtige Rolle: Das Militär förderte dort Milizen der Mandari, der Fartit, der Murle, der Toposa und der Nuer gegen die von Dinka dominierte SPLA. In Darfur bildeten sich ab Mitte der 1980er bei den Rizeigat-Nomaden Murahilin-Milizen, später auch bei anderen arabischen Stämmen.3 Mitte 1985 erkannten die Armeeführung und die Zentralregierung diese Baggara-Milizen offiziell an und lieferten ihnen Waffen - mit der Begründung, dass sie ihre Herden auf den Migrationsrouten in den Süden damit schützen sollten. Die Murahilin merkten allerdings sehr schnell, dass sich die waffentechnischen Überlegenheit auch zum Raub von Vieh sowie für Überfälle auf Omnibusse und Lastwagen nutzen ließ. Erst raubten sie nur von den Dinka, dann von den Nuba und schließlich auch von den Fur im Dschebel Marra:
"Überall waren [1989] die Grenzritter des 19. Jahrhunderts wieder auferstanden und in die Razzia gezogen. Sie führten wieder ihre Kriege um Wasserstellen und Weiden, um Zugang zu Waffen und Märkten, um Gefangene und Tiere, um lokale Ziele also, aber auf dem großen Schauplatz."
"Al-kalash bijib al-kash"
Ende der 1980er war die Provinz "mit libyschen Waffen überschwemmt"4:
"In Al-Faschir kostet eine Kalaschnikow 40 Dollar, und raketengetriebene Granaten kann man auf dem Markt kaufen. [...] Einheimische Milizen schließen sich mit am Tschad-Konflikt Beteiligten wie den auf der Seite Hissène Habrés stehenden Bidayat oder den von Libyen unterstützten Beni-Halba zusammen. [...] 400 Libyer kampieren außerhalb von Al-Faschir [...] und rekrutieren bei den arabischen Nomaden fleißig Soldaten. [...] Zwischen dem von einheimischen Arabern unterstützten CDR [Conseil Démocratique Révolutionnaire – eine tschadische Rebellengruppe] und dem örtlichen Fur-Stamm finden offene Schlachten statt. [...] Die Leute in Darfur merken, dass sie von Khartum keine Hilfe zu erwarten haben. [...] Die einheimische Ökonomie ist zusammengebrochen, und die Regierung steht einer regelrechten politischen Rebellion gegenüber."
Slogans wie "Al-kalash bijib al-kash" ("Mit der Kalaschnikow kommst du an Geld") wurden im Grenzland zum Motto junger Hirten, die sich mit AK 47 oder G 3 in der Pose eines "Fursan" gefielen. Die Krieger wurden erneut zu Helden und Leitbildern in den Nomadengesellschaften. 5
Polizei und Armee zogen sich entweder zurück oder beteiligten sich auf der Seite ihrer jeweiligen Volksgruppen und Stämme. Seit 1981 hatten Fur und Zaghawa Einfluss in der Verwaltung gewonnen. Ein Machtkampf zwischen dem Gouverneur, einem Fur, und seinem Stellvertreter, einem Zaghawa, hatte den Sicherheitsapparat und die Verwaltung zunehmend anhand ethnischer Trennlinien polarisiert.6 Die ökonomische Grundlage des sich ausweitenden Konflikts war die Dürre, die die Zaghawa mit ihren Herden in den von Fur-Bauern besiedelten nördlichen Dschebel Marra eindringen ließ. Das Vordringen der Wüste hatte bereits seit den frühen 1970er Jahren eine Südwanderung der arabischen Kamelnomaden und der Zaghawa ausgelöst.7 Auch Tubu und Zaghawa aus dem Tschad drangen seit den frühen 1970ern nach Darfur vor. Vor allem, seit das Dürrejahr 1984 eine beständige Abnahme der jährlichen Niederschlagsmenge eingeleitet hatte, wurde aus der Durchwanderung eine Beanspruchung des Landes auf Dauer. Dies, und die Auflösung der Eingeborenenverwaltung führten dazu, dass aus dem gelegentlichen Einsickern einiger Familien eine Invasion werden konnte.
Hinzu kam, dass die Fur-Bauern in den Wadis des Dschebel Marra – angeregt von Entwicklungshelfern - mittlerweile intensivere Landwirtschaft betrieben, so dass die Nomaden häufig nicht mehr abgeerntete Hirsefelder vorfanden, auf deren Stoppeln Sie ihre Tiere weiden lassen konnten, sondern mit Dorngestrüpp eingezäunte ganzjährige Pflanzungen oder sogar "Zaibat al-hawa", "Lufteinhegungen", mit denen ihnen nur der Durchzug versperrt werden sollte. Auch die Privatisierung der Wasserstellen und die Einhegung von Brunnen, mit denen die Viehnomaden gezwungen werden sollten, für den Zugang zum Wasser zu bezahlen, waren wichtige Auslöser von Konflikten.8
Möglich wurden diese Maßnahmen, weil sich das symbiotische Wirtschaftssystem überholt hatte. In früheren Zeiten hatten die Bauern von Durchzug der Nomaden profitiert, weil diese ihre Güter auf die Märkte und von dort her Waren wie Salz in ihre Dörfer brachten. Seit den 1980ern wurden diese Transportaufgaben zunehmend von Toyota-Geländewagen erfüllt.
Ende der 1980er herrschte mehr oder weniger offener Krieg zwischen einer Allianz aus 27 arabischen Stämmen und Fur. Beteiligt am Konflikt waren auch Hissène Habré, der Präsident des Tschad, und sein Konkurrent Idriss Déby, der mit Zaghawa und Bidayat von Darfur aus die Macht im Tschad erobern wollte, sowie Scheich Ibn Omar und die Islamische Legion. Im März 1989 hatten der Bidayat Idriss Déby und mehrere Zaghawa in Habrés Kabinett revoltiert, was dazu führte, dass die Gruppe mit zahlreichen Anhängern aus ihren Stämmen über die Grenze nach Darfur flüchtete. Nun ergab sich folgende Konstellation: Habré wurde von Daza-Tubu, Masalit und Fur unterstützt, die Islamische Legion und die arabischen Stammesmilizen von Libyen, und Déby von Zaghawa und Bidayat.9 Darüber hinaus mischten sich auch überregionale Mächte in den Konflikt ein: Die USA und Ägypten präferierten Habré, Frankreich Déby.
Arabische Milizen verwüsteten die Felder der Fur, überfielen Dörfer, erschossen die Bewohner und verbrannten ihre Häuser. Die Fur-"Milishiyat" wiederum steckten die Weiden der arabischen Nomaden in Brand, raubten ihr Vieh und plünderten ihre Lager. Währenddessen überfielen Zaghawa Masalit-Dörfer und Tubu zerstörten Lager der Zaghawa. Im Mai 1989 hatten nach Angaben der sudanesischen Regierung 2.500 Fur und 500 Araber ihr Leben gelassen, 400 Dörfer waren zerstört.10 1990 griff Habré mit der tschadischen Armee Débys Zaghawa und Bidayat in Norddarfur an. Da diese sich der Armee aber nicht stellten, sondern sich in die Weite der Savanne zurückzogen, verlief die Offensive buchstäblich im Sande. Das gab Déby die Gelegenheit zu einem Gegenstoß, der im November 1990 innerhalb von zwei Monaten zur Einnahme von N'djamena, der Hauptstadt des Tschad, führte.
Omar al-Bashir und der Turabismus
Währenddessen hatte im Sudan am 30. Juni 1989 hatte Generalleutnant Omar al-Bashir geputscht. Er orientierte sich anfangs stark an den Lehren von Hassan al-Turabi. Die von al-Turabis Partei NIF entwickelte spezielle Lehre sollte den Islamismus auch für Afrikaner öffnen. Aus dieser Ideologie heraus regte die Regierung um 1990 auch die Bildung von Milizen in nicht-arabischen Gruppen an – solange sie nur Muslime waren. Im Polizei- oder Militärdienst gewesene Stammesangehörige bildeten für fast alle davon Milizen aus.11
Doch die Ideologie eines Friedens durch möglichst umfassende Bewaffnung aller Beteiligten ging zumindest in Darfur nicht auf. Eine unabhängige Untersuchung zählte von 1994 bis 2000 dreizehn größere Konflikte zwischen Volksgruppen und 856 bewaffnete Raubüberfälle. Die größeren Auseinandersetzungen gab es zwischen Zaghawa und Fur, Rizeigat und Dago, Habbaniya und Abu Daraq, sowie zwischen Mahriya, Fur, Dago, Berti, Zayadiya, Masalit und arabischen Nomaden.12
1999 spaltet sich die islamistische Bewegung in den al-Turabi- und den al-Bashir-Flügel und es wurde versucht, Verwaltung und Militär von Anhängern al-Turabis zu säubern. 13 Nicht ganz ohne Grund, denn tatsächlich hatte der Turabismus vor allem unter den Zaghawa viele militante Anhänger. Im Zuge dieser Säuberungen setzte der nun mächtigste Darfurianer im sudanesischen Sicherheitsapparat, ein Luftwaffengeneral, der von Abbala-Rizeigat abstammt, höhere Ränge der Popular Defence Force, die verdächtigt wurden, der Turabi-Fraktion anzuhängen, in konfliktträchtigen Ortschaften ab und als deren Nachfolger bevorzugt seine Stammesgenossen ein. Insofern entstand, wie Alex der Waal feststellte, der Darfur-Krieg auch aus einem Konflikt um die Trümmer der islamistischen Bewegung im Sudan.
In Teil IV der Serie wird es um die Eskalation des Konflikts gehen
Teil 1: Ethnische Identitäten und ethnogenetische Prozesse
Teil 2: Grenzkrieger, Razzien und die koloniale Ausnahme
Teil 3: Die Rückkehr der Waffen
Teil 5: Lösungen und Konsequenzen