Lösungen und Konsequenzen
Darfur - Ethnographie und Geschichte eines Konflikts Teil V
Eine Entwaffnung der Dschandschawid durch eine Interventionsarmee ist ähnlich illusorisch wie eine Entwaffnung durch die sudanesische Regierung. Stammesmilizionäre in Darfur hegen zum Thema freiwillige Waffenabgabe ungefähr die gleichen Vorstellungen wie ihre Kollegen in Montana. Aber sie haben viele tausend Quadratkilometer trockenes Land zur Verfügung, wo sie Waffen und Munition jederzeit ein- und wieder ausgraben können.
Zur erfolgreichen Befriedung während der britischen Kolonialzeit besteht ein entscheidender Unterschied: Der wichtigste Verbündete der Kolonialverwaltung war die technische Entwicklung. Die Waffen der Grenzkrieger waren nach dem Ersten Weltkrieg denen der Verwaltung so klar unterlegen, dass so etwas wie intertribale Konferenzen erst möglich wurden. Man müsste deshalb nicht nur ein effektives Waffenembargo durchsetzen, sondern auch warten, bis die derzeit vorhandenen Waffen veraltet sind. Das ist bei AK 47 und G 3 nicht in Sicht - weshalb es mehr als fraglich ist, ob die Rezepte aus der Kolonialzeit heute funktionieren würden.
Hinzu kommt, dass in Darfur nicht nur eine höchst komplexere Identitäts- und Bündnisgemengelage vorliegt, sondern dass diese Gemengelage auch auf das engste mit dem Nachbarstaat Tschad verwoben ist - weshalb ein umfassender militärischer Eingriff in Darfur ohne eine gleichzeitige Intervention im Tschad ebenso sinnlos wäre, wie der Einbau einer halben Haustür.
Wer eine wirksame militärische Intervention über das derzeitige Engagement hinaus will, der muss zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weitere erzwungene Bevölkerungsverschiebungen in Kauf nehmen – ob er will oder nicht. Darauf deuten unter anderem die Erfahrungen im Kosovo und im Irak hin. Dort kam es zu massiven Vertreibungen, die auch in Darfur zu befürchten wären: Im Kosovo wurden nach dem Einmarsch der NATO Serben, Ashkali und Roma fast vollständig vertrieben und im Irak dauert die Vertreibung von Arabern und Trukmenen aus Mossul und Kirkuk, von Sunniten aus schiitisch dominierten Gebieten und umgekehrt sowie die Vertreibung von Chaldäern aus dem gesamten Staatsgebiet an.
Die Interventionstruppen konnten in all diesen Fällen die Vertreibung nicht unterbinden. Im Gegenteil: sie ermöglichten im Endeffekt erst jene "ethnischen Säuberungen", die sie eigentlich verhindern sollten. Vor weitergehenden militärischen Eingriffen in Darfur müssten deshalb auch die möglichen Auswirkungen auf Araber dort und anderswo bedacht werden. Eine großflächige Vertreibung von arabischen Nomaden durch Fur, Zaghawa oder Masalit als Folge einer Intervention hätte sehr wahrscheinlich massive Auswirkungen auf die gesamte arabische Welt: Bereits zu Anfang des Konflikts warnte man im Sudan vor der Gefahr der Vertreibung der Araber und beschwor dazu die Geschichte Spaniens herauf.1
Räumliche Trennung
Die technischen und klimatischen Veränderungen haben ein symbiotisches Zusammenleben von Nomaden und Ackerbauern zu einem Anachronismus gemacht. Ein Ausbrechen von weiteren Konflikten ist deshalb - aber auch angesichts der vielen "offenen Rechnungen" aus dem Bürgerkrieg - auf Dauer eher wahrscheinlich. Anstatt auf Siedlungsmuster zu bestehen, die nur mit massiver Truppenpräsenz aufrechterhalten werden können, wäre es für die Betroffenen wahrscheinlich vorteilhafter, wenn sie von den Profiteuren der Vertreibungen angemessene Entschädigungen erhielten, die jedoch auch konsequent eingezogen werden müssten.
Wenn sich Identitäten einmal verfestigt haben und kein realistischer Plan für deren Änderung in Sicht ist - wenn also keine realistische Chance besteht, Vertreibungen zu verhindern - dann ist es möglicherweise für die Betroffenen das beste, den Vertreibungen einen rechtlichen Rahmen zu geben, anstatt, wie derzeit im Irak, die Augen davor zu verschließen – nach dem Motto, dass nicht sein kann was nicht sein darf. Solch ein rechtlicher Rahmen, der aus wilden Vertreibungen kontrollierte Umsiedlungen macht, ist mit Sicherheit nicht das Mittel der Wahl - aber als Ultima Ratio sollte er vielleicht nicht vollständig tabuisiert werden: Absehbaren und relativ "unvermeidlichen" wilden Vertreibungen sind kontrollierte räumliche Trennungen mit garantierten Eigentums- bzw. Entschädigungsrechten allemal vorzuziehen.
Ein rechtlicher Rahmen für eine Trennung der konfligierenden Gruppen hätte auch den Vorteil, dass er möglicherweise ohne größeren Truppeneinsatz durchgeführt werden könnte – vor allem dann, wenn Entschädigungen dadurch eingezogen und bezahlt würden, dass man zukünftige Einnahmen aus Öl und anderen Bodenschätzen dazu heranzieht. Dann hätte ein Nomadenvolk, das neue Gebiete besetzt hält, zwar Weide- und Brunnenrechte - die Lizenzeinnahmen aus den Bodenschätzen würden dagegen direkt in einen Entschädigungsfond fließen, der allein den Vertriebenen in den Städten und Flüchtlingslagern zugute käme.
Fraglich ist allerdings, ob sich so etwas gerecht durchführen lässt. Dass eine räumliche Trennung auch geregelt ablaufen kann, ist bislang nämlich eher Theorie, als nachgewiesene Praxis. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der gegenseitige Bevölkerungsaustausch von Politikern euphorisch aufgenommen – die praktische Durchführung der Umsiedlungen disqualifizierte die Methode jedoch. Eigentums- und Entschädigungsrechte wurden nicht ausreichend oder sogar gar nicht berücksichtigt. Der Vertrag von Lausanne etwa, sollte griechische und türkische Gebiete entmischen. Doch Griechenland musste mehr als vier mal so viele Flüchtlinge aus türkischen Gebieten aufnehmen wie die Türkei aus griechischen: Eine Bevölkerung von fünf Millionen sollte auf einen Schlag 1,5 Millionen Zuwanderer integrieren. Viele davon waren ein mildes Küstenklima gewohnt und starben in den thrakischen Bergen, weil weder rechtzeitig für Behausungen, Heizmaterial und Lebensmittelvorräte, noch für wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten gesorgt worden war – die Sterberate lag im ersten Jahr bei 20%.
Trotzdem wurde der Bevölkerungsaustausch vom Völkerbund als Erfolg gefeiert.2 Im Dezember 1944 berief sich Winston Churchill vor dem Unterhaus darauf und argumentierte, dass der Vertrag von Lausanne gezeigt hätte, dass Umsiedlungen die befriedigendste und dauerhafteste Methode der Beilegung ethnischer Konflikte seien.3
Teil 1: Ethnische Identitäten und ethnogenetische Prozesse
Teil 2: Grenzkrieger, Razzien und die koloniale Ausnahme
Teil 3: Die Rückkehr der Waffen
Teil 5: Lösungen und Konsequenzen