Die Rückkehr des schwarz-weißen Elends
Sieht schlimm aus, ist unpraktischer als ein normaler Schal, erlebt aber trotzdem gerade eine Renaissance: das Palituch
Nachdem das Palituch, von manchen Leuten auch "Arafatwindel" geheißen, nun seinen Stammplatz bei Neonazis gefunden hat, aber durch entsprechende Aufklärungskampagnen bei der Linken nicht mehr so fraglos in war, wirken die deutschen Fußgängerzonen und Schulhöfe aktuell, als seien sie von palästinensischen Freischärlern besetzt worden. Die Frage ist: warum?
Es gab eine Zeit, da kennzeichnete einen das Tragen der "Kufiya" in Deutschland als Linken. Wer so was um den Hals hatte, war in aller Regel auch gegen Atomkraft, mochte Kohl nicht und hörte Cochise oder Ton, Steine, Scherben. Es dauerte ziemlich lange, bis der Linken schwante, dass es sich bei der palästinensischen Sache im Allgemeinen und bei der Kufiya im Besonderen um recht problematische Erbstücke der Vorgängergeneration handeln könnte, und dass es eventuell gerade in Deutschland nicht besonders cool ist, das schwarz-weiße Elend am Hals zu tragen.
Aber das galt nie für die ganze Linke, wie die Nibelungentreue der antiimperialistischen Fraktion zur Sache der Palästinenser immer bewies, und selbst wenn es für die ganze Linke gegolten hätte, hätte es an der aktuellen Modewelle außerhalb der politischen Szenen nichts geändert. Der Textilfachhandel, immer dankbar für den schnellen Euro, den er mit ahnungslosen Kindern machen kann, sah einen Accessoire-Trend und setzt ihn nun mit der üblichen kapitalistischen Gnadenlosigkeit durch, die zur Gnadenlosigkeit der Kalaschniboys in Palästina eigenartig gut passt.
Es entbehrt nicht einer grausigen Ironie, dass zu einem Zeitpunkt, da sich der palästinensische Selbst- und Fremdvernichtungswahn besonders sinnfrei austobt, das Bekenntnistextil für diesen Wahn ganz neue Fans in Deutschland gewinnt. So dass nun also massenhaft Zwölfjährige mit einer Klamotte herumrennen, die sie wie mutierte Truthähne aussehen lässt, oder, im Zustand der Vollumwicklung, wie Schleudertrauma-Betroffene mit seltsamer Halsmanschette.
Ganz zu schweigen davon, dass Geschichte und Symbolik des Palituchs dem vage empfundenen Verlangen seiner neuen Träger nach Freiheit und Rebellion in allen Punkten widersprechen. Alles egal - in bürgerlichen Modehäusern tauchen Modepuppen mit Palituch auf und Jugendzeitschriften diskutieren neue Färbe- und Drapierungsmethoden.
Ist es sinnvoll, diesem Schwachsinn mit dem Arsenal von Antisemitismustheorien zu begegnen, das man auf ihn ansetzen könnte? Den uncoolen Kids entgegen zu halten, dass coole Kids keine Palitücher tragen? Sie zu fragen, ob ihnen nur kalt ist, oder ob sie keine Juden mögen? Wer glaubt, dass auf solche Aufklärungsversuche mehr zurückkäme als ein blödes Glotzen und ein Gestammel à la "Der Kevin aus der 7b hat auch eins", der pflegt wahrscheinlich auch noch andere Illusionen.
Bloßes Schulterzucken über die Marotten der Mode ist allerdings auch nicht die richtige Reaktion. Walter Benjamin schreibt in seinem berühmten Essay "Zum Begriff der Geschichte":
Die Mode hat die Witterung für das Aktuelle, wo immer es sich im Dickicht des Einst bewegt. Sie ist der Tigersprung ins Vergangene. Nur findet er in einer Arena statt, in der die herrschende Klasse kommandiert.
Das ist eine sehr geistvolle Bemerkung, sie belässt aber im Unkonkreten, was mit der aktualisierten Geschichte geschieht, vor allem mit aktualisierten historischen Symbolen. Richtig, sie verwandeln sich in Waren, aber verglichen mit dem ideologischen Dienstverhältnis gegenüber den herrschenden Zuständen verblasst ihre Relevanz fürs Merchandising komplett. Sie können bis zum Rand mit jedem beliebigen Nonsens angefüllt werden, der gerade opportun ist. Auf diese Weise machte die CDU 2005 mit einem guevaristisch verfremdeten Konterfei Angela Merkels für die "Revolution" Werbung.
Die Medien sind immer noch dabei, den Deutschen 2006 als das Jahr zu verkaufen, in der die Welt bei Freunden zu Gast war. Auf typisch deutsche Weise soll dadurch verdrängt werden, dass der innere Zusammenhang zwischen dem schwarz-rot-goldenen Spaßnationalismus und einer ansteigenden Ausländerfeindlichkeit gut belegbar ist (vgl. Deutsche Zustände 2006).
Das Palituch könnte in dieser Hinsicht das gefährlichste der drei Beispielsymbole sein. Es müsste für eine giftig ideologische Aktualisierung gar nicht "umgedeutet" oder "missbraucht" werden, denn es hat spätestens seit den 1930ern den militanten Judenhass gemeint. Daher ist es witzig, wenn Linke den angeblichen Missbrauch des Palituchs durch Rechte beklagen, denn Nazis tragen es seiner historisch ungebrochenen Bestimmung nach - es ist bei ihnen gut und gern zu Hause. Wenn allerdings dieses Verständnis des schwarz-weißen Elends bei all den Zwölfjährigen ankäme, die es jetzt noch bloß tragen, weil der Kevin aus der 7b auch eins hat, dann wäre das nicht mehr komisch.