Die Sarrazin der Linkspartei

Seite 3: Die Linke als "Wir auch"-Partei

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Diese ressentimentgeladene "schweigende Mehrheit" in der Linkspartei meldete sich während der jüngsten (und sicherlich nicht letzten) Wagenknecht-Affäre zu Wort (Wagenknecht-Kritik deleted), als Petitionen, die sich mit der um Flüchtlingsströme besorgten Fraktionsvorsitzenden solidarisierten, Zehntausende von Unterschriften sammeln konnten. Plötzlich wurde offensichtlich, wie weitverbreitet rechtspopulistische Ressentiments in der Linken sind - und wie groß das Bedürfnis der Parteimitglieder ist, diese auch öffentlich zu äußern. Die Populisten in der Linkspartei betätigen sich somit mal wieder als Nachgeburten bürgerlicher Krisenideologie: "Wir auch!" Wir wollen nun auch den "Zuzug begrenzen", wie AfD, CSU, CDU und SPD. Hier wird eine reaktionäre "Linke" propagiert, die mit zeitlicher Verzögerung den ideologischen Zerfallsprozess in der Mitte der spätkapitalistischen Gesellschaft nachvollzieht, anstatt progressiv nach Alternativen zur Dauerkrise zu suchen.

Die Verlaufsform dieses Sturms im linken Wasserglas erinnerte frappierend an die Sarrazin-Debatte 2010, in deren Verlauf die öffentliche Artikulierung von Ressentiments enttabuisiert wurde. Mittels des üblichen rechtspopulistischen Neusprechs inszenierte Wagenknecht ihre kalkulierte und wohldosierte Ressentimentproduktion - die Verknüpfung von Flüchtlingskrise und Terrorismus - als einen Akt mutiger Kritik, als eine Art Tabubruch: "Es ist nicht links, Probleme zu verschweigen", sagte die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, die sich somit als mutige Klartextrednerin selbst darstellte.

Die mutige Tabubrecherin wurde von den zahlreichen Wagenknecht-Verstehern in den Massenmedien als die berüchtigte verfolgte Unschuld dargestellt, die von einer entfesselten Medienmeute gejagt werde. Selbst Medien wie Spiegel-Online warnten davor, die Populistin in die rechte Ecke zu drängen, da ja berechtigte Kritik mal erlaubt sein müsse. Der Freitag verglich gar die Politik Wagenknechts ausgerechnet mit der nationalen Linie der KPD in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, mit der die Kommunisten den Nazis das Wasser abgraben wollten, um Wagenknechts Wilderei im rechten Milieu zu legitimieren. Wieso dies ein Erfolgsrezept sein soll, bleibt wohl ein Geheimnis des Autors. Die Taz wiederum brach ganz offen eine Lanze für die mutige Provokateurin, indem sie das Lob des Populismus sang.

Die Selbstdarstellung der kalkulierend mit Ressentiments spielenden Wagenknecht als "mutige Kritikerin", die von betonköpfigen Tabuwahrern verfolgt werde, wirkt übrigens geradezu lächerlich auf alle jene Beobachter, die genau wissen, wie in diesem national-sozialen Milieu mit Kritik umgegangen wird (ein Blick in die Foren genügt). Auch hier gibt es Parallelen zu Sarrazin, der sich immer als unterdrückter Klartextredner inszenierte, während er gegen Kritik zumeist rabiat vorging.

Es ist evident: Hier wird von den populistischen Kräften innerhalb der Linken eine Schmierenkomödie aufgeführt, die letztendlich Wagenknecht zum Sarrazin der Linkspartei macht: zu der großen "Tabubrecherin", in deren Windschatten die Verrohung des Diskurses auch in der Linkspartei etabliert wird. Nun sollen auch in der Linken öffentlich Ressentiments geäußert werden können, was einfach dem Bedürfnis eines großen Teils der Basis dieser Partei entspricht. Unfähig oder unwillig, den überlebensnotwendigen, radikalen Bruch zu kapitalistischen Dauerkrise auch nur zu denken, bleibt nichts anders, als sich in Reaktion auf die zunehmenden Krisenverwerfungen dem Ressentiment hinzugeben.

Damit aber betreibt die Linke ihre Selbstauflösung, sie wird zu einer "Wir auch"-Partei, zu einer reinen Attrappe, hinter der national-soziale Kräfte mobilmachen. Die massenhafte Abwanderung von Linke-Wählern zur Rechten wird dieser Populismus nicht stoppen, sondern weiter befördern. Das Beispiel der "nationalen" KPD der 30er Jahre ist hier tatsächlich angebracht.

Selbstabschaffung der Linkspartei

Die bescheidenen Wahlergebnisse Wagenknechts machen deutlich, dass die ressentimentgeladenen Wählerschichten, die die Populisten in der Linkspartei ansprechen wollen, im Zweifel eher das rechte Original anstelle der linken Kopie wählen.

Diese Tendenz zur Selbstabschaffung der Linkspartei kann aber nicht durch bloßes Ignorieren dieser Umtriebe revidiert werden - sondern nur in klarer, konfrontativer Auseinandersetzung mit diesem populistischen national-sozialen Milieu in der Partei, das gerade dabei ist, einen Gutteil der Parteibasis der neuen deutschen Rechten zuzuführen.

Und selbstverständlich dient diese populistische Mobilisierung auch der eigenen Karriereplanung, indem parteiinterne Konkurrenzen, die nicht rücksichtslos genug sind, um Ressentiments zu instrumentalisieren, unter Druck gesetzt werden. In der Führungsriege der Linkspartei dürfte eine ähnliche Angst vor Stimmverlusten bei einer Konfrontation mit Wagenknecht herrschen, wie sie die SPD-Führung dazu veranlasste, den nationalen "Sozialdemokraten" Sarrazin 2010 doch nicht aus der Partei zu werfen.

Bei den Grünen sind übrigens ähnliche Tendenzen festzustellen - was vielleicht das Lob populistischer Politik durch die Taz erklären könnte. Der Sarrazin der Grünen heißt Boris Palmer, ist Tübingens Bürgermeister und will syrische Flüchtlinge direkt ins Bürgerkriegsland Syrien abschieben. So weit ist selbst Sahra Wagenknecht noch nicht.