Die Schattenkrieger

Seite 2: Rückblick: Der Cheney-Report als Marschbefehl

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Die USA hatten ihr mit dem neuen Millennium wiedererstarkendes Interesse an Afrika mit der wachsenden Terrorgefahr auf dem Kontinent begründet. Doch das zugrunde liegende Kalkül ging über Sicherheitsfragen weit hinaus.

Als George W. Bush Anfang 2001 sein Amt als Präsident antrat, war sein dringlichstes Ziel nicht die Verhinderung von Terrorismus oder die Eindämmung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen: Vielmehr sollte der Ölzufluss aus dem Ausland in die Vereinigten Staaten stabil erhöht werden. Denn unmittelbar vor Bushs Amtsantritt musste zum ersten Mal in der Geschichte der USA mehr als die Hälfte des benötigten Öls importiert werden.

Das Durchbrechen dieser psychologischen Schallmauer hatte große Besorgnis über die Sicherheit der langfristigen Energieversorgung Amerikas ausgelöst, Bush machte die "Energiekrise" des Landes in der Folge zur Chefsache. Eigens dazu rief er die Nationale Energiepolitik-Entwicklungsgruppe (National Energy Policy Development Group - NEPDG) ins Leben, die ihre Empfehlungen in der National Energy Policy zusammenfasste, im Volksmund auch Cheney-Report genannt.

Im Bericht wurde unter anderem auch Westafrika als künftiger Lieferant auserkoren, gerade weil afrikanisches Öl in der Regel von hoher Qualität und schwefelarm ist, so dass es den Autoren besonders geeignet für die Verarbeitung in den Ölraffineriezentren an der Ostküste der Vereinigten Staaten erschien. Trotz der den Report durchziehenden Nachhaltigkeitsrhetorik war die Drosselung des Verbrauchs in den Vereinigten Staaten kein Thema, stattdessen zementierte das Schriftstück eine ständig wachsende Abhängigkeit von ausländischem Öl.

Ein Drittel aller Empfehlungen des Reports befasste sich mit der Erleichterung des amerikanischen Zugangs zu den Erdölquellen aus Übersee. Obwohl viele dieser Vorschläge regional oder länderspezifisch waren, lag der Schwerpunkt auf der Beseitigung von Hindernissen - seien sie politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher oder logistischer Natur.

Der Cheney-Report beschrieb vordergründig wirtschaftliche und diplomatische Gesichtspunkte einer neuen US-Energiepolitik - und suggerierte damit, dass Amerikas Energieprobleme mit diesen Mitteln irgendwie zu überwinden seien. Dabei wussten es seine Autoren besser: Ein Energieplan, der auf eine stärkere Abhängigkeit von unsicheren Kantonisten als Zulieferern setzt, würde irgendwann an die Grenzen von Diplomatie stoßen und nur durch den Einsatz militärischer Gewalt umzusetzen sein.

Kritikern des Cheney-Reports war klar, dass die Verwirklichung der Empfehlungen einschneidende Auswirkungen auf die US-Politik gegenüber allen bedeutenden Förderregionen haben würde, insbesondere am Persischen Golf, in Westafrika und in Lateinamerika, sowie am Kaspischen Meer. Amerikanische Bemühungen, zusätzliches Öl aus fremden Quellen zu beschaffen, würden in vielen wichtigen Fördergebieten auf Widerstand stoßen und zu einer anhaltenden Konfliktspirale führen.

Denn um den Ölnachschub gewährleisten zu können, würden sich die Vereinigten Staaten immer tiefer in die inneren Angelegenheiten der Öl fördernden Nationen einmischen und dabei ein immer höheres Risiko der Beteiligung an lokalen und regionalen Konflikten eingehen müssen.

Das schlug sich in einer neuen US-Militärdoktrin nieder, die auf eine Verstärkung der Fähigkeiten der USA zur Machtprojektion setzte - Truppen, Logistik, Langstreckenbomber, U-Boote, Präzisionswaffen - und Militärbasen in aller Welt. Das hatte Bush bereits als Präsidentschaftskandidat in seiner ersten wichtigen Rede zur Militärpolitik klargemacht. Das war die Antwort der US-Strategen auf die Herausforderungen der Zukunft, die irgendwo auf dem Globus warteten. Zum Beispiel in Westafrika: hier locken die reichen Offshore-Ölvorkommen der Atlantikküste sowie Aussichten auf große Rohölmengen im Taoudenni-Becken, einem riesigen Sedimentbecken, das sich von Algerien über Mali bis nach Mauretanien erstreckt.

Der Nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten ging 2000 noch davon aus, dass 15 Jahre später 25 Prozent der US-Ölimporte aus Westafrika kommen würden. Dieses Szenario ist nicht eingetreten: 2016 kamen aus Gesamt-Afrika knappe 9 Prozent der US-Rohölimporte.

Nach Angaben der EIA, dem Amt für Energiestatistik im Energieministerium der Vereinigten Staaten, ist die Abhängigkeit von Ölimporten seit dem Erreichen ihres vorläufigen Höhepunkts im Jahr 2005 deutlich zurückgegangen. Bei Zuhilfenahme einer besonders geeigneten Statistik fiel sie 2010 zum ersten Mal seit 1997 wieder unter die für die US-amerikanische Psyche heikle 50-Prozent-Marke.

Dieser Trend resultiert aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Da ist zum einen der durch die Wirtschaftskrise bedingte Rückgang des Verbrauchs. Zum anderen erhöhte sich die Rohölproduktion in den USA selber. Die jahrzehntelange Schrumpfung des heimischen Ölsektors wurde durch die Zunahme der Förderung im Golf von Mexiko und in der Bakken-Formation gestoppt. Die Steigerung der Bioethanolproduktion ergänzt das Treibstoffangebot.

Diese Entwicklung ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer Entwarnung für die Sicherheit der Ölversorgung der USA oder gar einem Abebben der militärischen Interventionen in Afrika. Neben der Reservierung von neuen Bezugsquellen für die Zukunft geht es nun auch verstärkt darum, Konkurrenten den Zugang dazu streitig zu machen. Das betrifft auch andere Rohstoffe.

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