Die Schlacht der Netzgiganten
Die AOL-Tochter Netscape verklagt Microsoft
Der eigentlich schon zu den Akten gelegte Browserkrieg geht in die entscheidende Runde - als Frontalangriff des Medienimperiums AOL Time Warner gegen den auch gern im Mediengeschäft mitmischenden Softwarekrösus Bill Gates
"Browserkriege sind eine Sache der Vergangenheit", sagte der Chef von Netscape Communications gegenüber der Washington Post im Sommer vergangenen Jahres. Doch anscheinend hatte der 32 Jahre junge Elitestudent die Rechnung ohne die Mutterfirma AOL gemacht: Auf ihr Geheiß hin hat Netscape am gestrigen Dienstag mit Microsoft den größten Konkurrenten im Internetmarkt verklagt. Vordergründig geht es dabei um Schäden, die der Redmonder Softwarekonzern dem langjährigen Konkurrenten durch die Bündelung seines über 90 Prozent der Desktops beherrschenden Windows-Betriebssystems mit dem hauseigenen Internet Explorer während des "Browserkriegs" Mitte der Neunziger zufügte. Dahinter steckt aber letztlich das Bestreben AOLs, im Kampf um die Informationsarterien der digitalen Gesellschaft die Führungsrolle zu übernehmen.
Es war einmal ein böser Goliath Microsoft, der den kleinen David Netscape aus dem Internetparadies vertreiben wollte. So beginnt die Geschichte des legendären und in zahlreichen Büchern beschriebenen Browserkriegs, der aus der Sicht des Microsoft-Königs Bill Gates mit der Erringung eines über 85-prozentigen Marktanteils des Internet Explorers hätte erledigt sein sollen. Doch wie John Heilemann in seinem etwas frühreifen Werk "Der Angriff - Bill Gates und die Zerschlagung von Microsoft" (im Original: Pride Before The Fall) darlegt, nutzte der damalige Chef von Netscape, Jim Barksdale, zusammen mit seinen Managerfreunden einzelner Microsoft ebenfalls nicht gerade nahe stehenden Unternehmen wie Sun Microsystems aus dem Silicon Valley das kämpferische Verhalten der harten Microsofties zur Anstrengung eines jahrelangen Kartellverfahrens gegen die Gates-Firma.
Kern des vom amerikanischen Justizministerium und zahlreichen US-Bundesstaaten 1998 gestarteten Gerichtsdramas war die Integration des Netzbrowsers von Microsoft in das Betriebssystem Windows 95. Im April befand der Bundesrichter Thomas Penfield Jackson in Washington in einem Aufsehen erregenden Urteilsspruch, dass der von Gates geführte Konzern seine Monopolstellung im Betriebssystembereich entgegen aller Wettbewerbsregeln missbraucht hatte, um den Platzhirschen Netscape und seinen Internet-Navigator vom Thron zu stoßen. Microsoft legte natürlich Revision ein und verhinderte damit zumindest die von Jackson im Juni 2000 angeordnete Firmenzerschlagung (Monopolist Microsoft darf weiter leben, wird aber angeblich in Ketten gelegt). Aber auch die sieben Berufungsrichter sprachen den weltgrößten Softwarekonzern der Verletzung von acht einzelnen Antitrust-Bestimmungen für schuldig.
Auf den beiden Gerichtsentscheidungen baut die ihr Kerngeschäft seit mehreren Jahren im Portalgeschäft sehende Firma Netscape, die AOL 1999 für rund 10 Milliarden Dollar in Aktien aufkaufte, nun ihre 20-seitige Klageschrift gegen Microsoft auf. Der Chefjurist des sich nach dem Aufkauf von Time Warner zum Internet- und Medien-Powerhouse wandelnden Konzerns, Randall Boe, bezeichnete den Fall in einer Mitteilung als eine "logische Erweiterung" der Richtersprüche.
Nachdem auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler die Schuld Microsofts erwiesen ist, will AOL mit Hilfe des Tochterunternehmens nun aus dem vollen Schöpfen: Netscape strebt nicht nur eine Verfügung an, die Microsoft zum Verkauf eines um den Internet Explorer reduzierten Betriebssystems zwingen soll. Darüber hinaus klagt die Firma auf Schadensersatz, der ihr durch die monopolistischen Praktiken der Redmonder seit 1995 entgangen sei. Eine genaue Summe hat die Anklage zwar nicht beziffert - klar ist nur, dass die Entschädigung nach amerikanischen Bundesrecht verdreifacht werden könnte. Die genaue Schadensbezifferung dürfte den Rechtsanwälten von AOL aber noch so manche Nuss zu knacken geben, da Netscape Browser nur an Firmenkunden verkauft und ansonsten größtenteils verschenkt hat. Aber vor sieben Jahren standen die Aktien von Internetfirmen wie Netscape ja bekanntlich sehr hoch, sodass AOL über diese Schiene reich(er) werden könnte.
Das Begehren des einstigen Onlinedienstes AOL klingt zunächst zumindest skurril. Statt im Markt gegen Microsoft um die von beiden Konzernen ins Auge gefassten Geschäftsfelder Breitband-Internet-Zugang, Webservices und den Verkauf digitaler Güter über alle Mediengrenzen hinweg zu kämpfen, verlegt sich die in Virginia beheimatete Firma auf den Gang vor Gericht. Doch dahinter steckt eine sich spätestens seit dem überraschenden Aufkauf von Netscape abzeichnende Strategie: Da der einstige Softwareproduzent, der für seine jüngste Browsergeneration der Sechserreihe auf das ausgelagerte Open-Source-Projekt Mozilla zurückgreift, an sich auch 1999 wohl kaum noch 10 Milliarden wert war, vermuten amerikanische Kartellrechtsexperten seit längerem, dass AOL bei der "Anlage" schon immer Microsoft im Blickfeld hatte und sich von Anfang einen guten Return-on-Investment erhoffte.
In Netscape habe AOL einen "potenziellen Schläger, falls sie ihn denn verwenden wollen", erläuterte Robert Litan, Direktor für Wirtschaftsstudien der Brookings Institution bereits im August vergangenen Jahres. Schon damals mutmaßte der Experte, dass die Internetfirma zum offenen Kampf gegen Microsoft übergehen würde. Ein AOL-Sprecher wollte das weitere Vorgehen zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht kommentieren.
Nun hat AOL also die Kriegserklärung in der Schlacht um den Verbraucher in der digitalen Informationswelt eingereicht - und mit Spannung wird der Rückschlag Microsofts erwartet. Ein Sprecher des Gates-Konzerns erinnerte zunächst nur daran, dass "AOL Time Warner das politische System und den Rechtsweg seit Jahren im Wettbewerb gegen Microsoft nutzt." Während man im eigenen Hause Geld in neue Produkte investiere, finanziere AOL Rechtsanwälte und Lobbyisten, um Microsoft Steine in den Weg zu legen.
Amerikanische Rechtsprofessoren messen dem Streitfall von Beginn an höchste Priorität bei. Die von AOL angestrebte Entscheidung "könnte die Gestalt des Hightech-Markts und die Wettbewerbsnatur entscheidend verändern", sagte Bob Lande von der Baltimore Law School dem Internetdienst Cnet. Der Ausgang des Streitfalls sei anders als bei den restlichen, in die Hunderte gehenden Privatklagen gegen Microsoft von "höchstem öffentlichen Interesse."
Bill Gates, der sich kürzlich bereits über Gewinneinbußen ärgern musste, hat neben dem neuen Verfahren auch noch groß angelegte Streitigkeiten mit der Europäischen Kommission sowie neun amerikanischen Bundesstaaten am Hals, die im März vor einem Washingtoner Gericht Microsoft zur Offenlegung der Innereien von Windows sowie dem Anbieten eines Explorer-freien Betriebssystems zwingen wollen.
Punkten könnte der bislang von vielen seiner Feinde mit einer regelrechten Teufelsfratze gezeichnete Softwarekönig allerdings beim Image, da sich AOL mit dem jüngsten Vorstoß selbst bei eingefleischten Gates-Hassern wohl nicht nur Freunde machen wird. So spekulierte die sonst nicht gerade Microsoft-freundliche Zeitschrift Interaktive Week bereits im Juli vergangenen Jahres darüber, ob AOL Time Warner der Redmonder Firma den Rang des "Evil Empire" streitig mache.
Cool geeks hate this company with a passion, so it qualifies on that account. It's the biggest, baddest media conglomerate in history. It's as rich as God, and - most importantly - AOL has demonstrated it's no longer afraid of mixing it up with Microsoft.
Rob Fixmer in Interactive Week
Die genannten Kriterien erfüllt AOL Time Warner seit dem gestrigen Dienstag jedenfalls "besser" als je zuvor. Aber Microsoft wird sich sicher einiges einfallen lassen, um den Titel des "bösen Imperiums" noch eine Weile weiter führen zu können.