Die Seilschaften der Gentech-Industrie
Update: EU-Parlament spricht sich für das Recht der Mitgliedsstaaten aus, den Anbau genveränderter Pflanzen verbieten zu können
Es ist mal wieder ein Lehrbeispiel, das die EU gerade aufführt, ein Lehrbeispiel für Lobbymacht versus Demokratie, für die Kraft der Industriefürsten, die sich mit der Bürokratie verschwägern, gegen den Volkswillen. Es geht um die agrarische Gentechnik, um genmanipulierte Pflanzen und ihre möglichen Schadfolgen, um Gifte und Pestizide und um die Gesundheit der Verbraucher.
Die entscheidenden Kräfte in der Europäischen Union sind für die agrarische Gentechnik. Entscheidenden Kräfte insofern, als die EU-Kommission, die ungewählte Regierung, regelmäßig für die Förderung und Durchsetzung der Biotechnologie auf dem Acker eintritt. Sie stützt sich dabei auf eine noch rabiatere Befürworterin der umstrittenen Technologie, die EFSA, die European Food Safety Authority, zu deutsch: Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Diese Institution urteilt über die Zulassung neuer genmanipulierter Organismen, die in Tier- oder Menschenmägen landen; also auch darüber, ob genverändertes Saatgut der Umwelt und der Gesundheit keine Schäden zufügt.
Die EFSA wurde 2002 eingerichtet, nachdem immer wieder Skandale über Lebensmittelverunreinigungen die EU erschüttert hatten, die BSE-Tier- und Fleischseuche war einer von ihnen. Die Saatgut-, Lebens- und Futtermittel- Industrie muss der EFSA neue Produkte zur Prüfung vorlegen. Das Grundproblem: die EFSA untersucht nicht selber oder gestützt auf unabhängige Labore die Produkte und Organismen, sondern prüft nur, ob die Studien der Antragsteller plausibel sind und ob die Untersuchungskriterien eingehalten wurden. Bislang war das Gentechnik-Gremium der EFSA immer sehr angetan von den Anträgen der Industrie. Kein einziges Mal hat es Neuerungen aus den agrarischen Gentech-Schmieden abgewiesen.
Die EU zieht bekanntlich immer mehr Entscheidungen über die Art und Weise, wie die Bürger der Union leben, an sich. Das ist bestimmt auch sinnvoll. Warum brauchen wir 27 unterschiedliche nationale Klassifizierungen von Gurkengrößen? Es reicht doch ein Regelwerk, das uns sagt, wo die Bauerngurke aufhört und die Schlangengurke anfängt. Doch die Führung aus Brüssel will auch darüber entscheiden, ob die Gurken, die wir essen, genmanipuliert sein dürfen oder nicht. Dagegen richtet sich Widerstand aus vielen EU-Mitgliedsländern. Auf ihre Initiative ist deshalb vom Umweltausschuss des EU-Parlaments ein Gesetzentwurf eingebracht worden. Er will, dass künftig nicht mehr das gentechnikfreundliche Machtwort aus Brüssel alleinseligmachend sein soll; die EU-Länder sollen selber entscheiden können, ob sie auf ihrem Territorium genmanipulierte Pflanzen haben wollen oder nicht.
Die Begründung des Gesetzentwurfs: Nur vor Ort können die unterschiedlichen natürlichen und Umweltbedingungen korrekt eingeschätzt werden, unter denen genmanipulierte Pflanzen ihrmöglicherweise gefährliches Potential entfalten. Deshalb müsse jedes einzelne Mitgliedsland der EU selbst entscheiden. Die EU-Kommission will bislang nur "ethische Gründe" akzeptieren, mit denen Mitgliedsländer die Aussaat EU-weit zugelassener genmanipulierter Pflanzen auf ihren heimischen Äckern untersagen können. Eine Gummiregelung, wie die Kritiker meinen. Gegen ein solcherart begründetes nationales Verbot könnten die Gentechnikfirmen in jedem Einzelfall mit guten Erfolgschancen klagen. Stattdessen müsse ein juristisch einwandfreies souveränes Entscheidungsrecht der Mitgliedsstaaten her, argumentiert der Umweltausschuss. Außerdem müsse endlich gesichert werden, dass die gesundheitliche Unbedenklichkeit und Umweltverträglichkeit von genmanipulierten Organismen vor ihrer Zulassung in langfristig angelegten Untersuchungen geprüft worden sei.
Genau das verhindern bis heute die Zulassungsregelungen der EU und die für die Prüfverfahren zuständige EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Zwei führende Mitarbeiter von EFSA stehen, wie Testbiotech moniert, in enger Verbindung zur Gentechnik-Industrie, nämlich der Leiter des GMO-Zulassungsgremiums der EFSA, Harry Kuiper, und ein weiteres Mitglied dieser EU-Prüfinstanz für genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel, Gijs Kleter.
Die EFSA hat z.B. im November 2010 die Zulassung einer weiteren Maissorte empfohlen, SmartStax, die durch Genmanipulation sechs verschiedene Insektengifte selber produziert und die außerdem gegen zwei Unkrautvernichtungsmittel genetisch resistent gemacht wurde. Die einzige der EFSA vorgelegte Prüfung zur Verträglichkeit dieser mit Giften vollgestopften Maissorte war ein 42 Tage dauernder Fütterungsversuch an Masthähnchen. Allerdings wurde nur geprüft, ob sie genügend Fett und Fleisch bis zur Schlachtreife angesetzt hatten. Auch stammten diese Untersuchungen nicht etwa aus unabhängigen Laboren, sondern von den Antragstellern selbst, den Agrarindustriegiganten Monsanto und Dow AgroSciences.
Was genkritische Wissenschaftler mittlerweile zur Verzweiflung treibt: Wieder einmal wurde nicht untersucht, welche Auswirkungen der Verzehr dieser Genpflanzen auf die Gesundheit bei Menschen und Tieren haben könnte, z.B. wie sich auf längere Sicht die Darmflora durch SmartStax verändert. Und obwohl einige der in den Mais implantierten Insektengifte im Verdacht stehen, das menschliche Immunsystem zu beeinträchtigen, wurde auch dies Problem nicht weiter untersucht.
Die EFSA schert derlei Kritik nicht. Sie verweist darauf, dass ihre eigenen Richtlinien keine unabhängigen Prüfungen und auch keine langfristigen Studien vorsehen. Punkt und fertig.
Vor wenigen Tagen nun hat der Verein TestBiotech geheime Untersuchungsunterlagen über die neue multitoxische Maissorte SmartStax veröffentlicht, die ihm im Januar 2011 zugespielt worden waren. Sie zeigen z.B., dass der Gehalt an Insektengiften in den Pflanzen um das bis zu Zwanzigfache schwankt und dass nur bei Insekten geprüft wurde, wie sich die unterschiedlichen Gifte im Mais gegenseitig verstärken. Heraus kam: Es gibt nicht einmal ein nachvollziehbares Messverfahren für derlei Untersuchungen. Die antragstellenden Firmen haben ohnehin ihre Testunterlagen und Auswertungsmethoden der EFSA nicht weitergereicht. Die hat nur die Ergebnisse bzw. Interpretationen erhalten. Auch das ein Grund für den EU-Umweltausschuss zu fordern, dass künftig unabhängige Prüfungen zu erfolgen haben und die Industrie zu etwas verpflichtet wird, was sie bislang strikt verweigert: nämlich ihr Material, also das noch nicht zugelassene genmanipulierte Saatgut, zu Forschungszwecken an unabhängige Labore herauszugeben.
Die erste Abstimmung über den Gesetzentwurf im EU-Parlament stand auf der Kippe. Mit großer Mehrheit wurde nun im Umweltausschuss der Gesetzesantrag angenommen, der das Recht der Mitgliedsländer stärkt, den Anbau von genveränderten Pflanzen zu verbieten, auch aus Gründen des Umweltschutzes oder nicht ausreichender Daten zur Bewertung. Die grüne Abgeordnete Margrete Auken gibt allerdings zu bedenken, dass diese "teilweise Renationalisierung" dazu führen könne, dass auf EU-Ebene leichter Anbaugenehmigungen erteilt werden könnten.
Da das EU-Parlament keine eigene Gesetzgebungskompetenz, sondern nur ein Zustimmungsrecht besitzt, landet der Entwurf demnächst beim EU-Ministerrat. Der hat bislang die gentechnikfreundliche Linie der Kommission und der EFSA gestützt. Und die deutsche Bundesregierung signalisiert auch weiterhin, dass sie lieber Brüssel entscheiden lassen will, anstatt selber vors deutsche Wahlvolk zu treten, um ihm die vermeintlichen Segnungen der agrarischen Gentechnik zu verkünden.
66 Prozent der Europäer sind nach einer Umfrage für den Eurobarometer im letzten Jahr besorgt wegen gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln oder Getränken. Die Skepsis wird auch daran deutlich, dass sich nach einer Forsa-Umfrage im Mai 2011 68 Prozent der Deutschen nicht gut über Gentechnik informiert fühlen und 82 Prozent eine Kennzeichnung "ohne Gentechnik" wünschen. 75 Prozent würden sich daran orientieren und wohl keine Produkte kaufen, die mit genveränderten Organismen hergestellt wurden. Aber im fernen Brüssel scheint Volkes Stimme im lauten Lobbylamento von Monsanto und anderen unterzugehen oder manchmal nur mühsam Gehör zu finden.