Die Sommerzeit ist überflüssiger als ein Kropf

Seite 3: Nur das Herumdoktern an Oberflächensymptomen ist noch möglich

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Was sich bei eher marginalen Problemen wie der Zeitumstellung zeigt, ist bei wirklich wichtigen Großvorhaben wie der Gesundheitsreform oder der Steuerreform unabweisbar. Das politische System sperrt sich gegen einschneidende Reformen.

Die Strukturen der Wege der politischen Entscheidungsfindung sind längst so schwerfällig geworden, dass grundlegende Reformen nicht mehr auf den Weg gebracht und durchgesetzt werden können.

Das Einzige, was wirklich noch funktioniert, ist das oberflächliche Herumdoktern am bestehenden Chaos. Die Prozesse der politischen Willensbildung sind so verstockt in ihren Sackgassen festgefahren, dass kein geordnetes Vor und kein geordnetes Zurück mehr geht. Es bleibt nur, sich in den diversen Sackgassen gemütlich einzurichten.

Reformpolitik in entwickelten Demokratien bastelt nur noch mit ganz kleinen Karos. Das Einzige, was einigermaßen funktioniert, ist die nichtsnutzige Wurstelwirtschaft. Jede tief greifende Reform, die ein Problem an der Wurzel anpackt und grundlegende Veränderungen nach sich ziehen würde, scheitert am allumfassenden Konsensstreben der politischen Parteien und dem Widerstand der in jeder entwickelten Demokratie reichhaltig vorhandenen durchsetzungsstarken Vetogruppen.

Jeder Eingriff in das fragile Gleichgewicht des Status quo gefährdet die Machtbasis und wird daher um jeden Preis vermieden. Doch je mehr das vermieden wird, desto drängender wächst der Reformbedarf. Und desto hartnäckiger wird die Resistenz gegen alle Reformen. Ein Teufelskreis…

Im Vordergrund steht bei der Wurstelei niemals die Verbesserung des Steuersystems, sondern stets nur die Erhöhung des Steueraufkommens. Und das hat einen einfachen Grund: Die politischen Parteien haben in jahrzehntelanger Kärrnerarbeit die öffentlichen Finanzen so gnadenlos heruntergewirtschaftet und durch hohe Verschuldung an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht, dass sie nur noch den Blick darauf richten, wo sie neues Geld abschöpfen können. Ihnen bleibt da ja auch längst überhaupt keine Wahl mehr.

Die totale Resistenz der Politik gegen jede grundlegende Steuerreform hat ihren tieferen Grund darin, dass über die Besteuerung viele Arten von Politik betrieben werden: Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Wohnungspolitik, Vermögensbildungspolitik, Strukturpolitik, Beschäftigungspolitik, Konjunkturpolitik. Die Liste ließe sich endlos verlängern.

Reformen führen unweigerlich zu neuen Be- und seltener auch Entlastungen verschiedener sozialer Schichten, Branchen, Berufs- und Wirtschaftszweige mit der Folge, dass die Politik davor zurückschreckt, den Status quo anders als mit Samthandschuhen anzutasten.

Das fragile Gefüge der Wählerpräferenzen könnte durcheinander geraten und damit der Erhalt der politischen Macht gefährdet werden. Das kann man nicht riskieren. Beim Wursteln ist noch am ehesten gesichert, dass die Grundstrukturen erhalten bleiben. Also wird bis in den Ruin weitergewurstelt.

Die demokratische Politik in den entwickelten repräsentativen Demokratien sucht gar nicht nach kreativen neuen Lösungen, um das Dickicht zu lichten. Kreative Lösungen scheut sie weit mehr als der Teufel das Weihwasser.

Sie sucht mit größter Energie und Anstrengung ständig nach neuen Möglichkeiten und Formen der Wurstelei; denn die ist ihr Lebenselixier. Nur so kann sie die Balance der Vergünstigungen und Sonderregeln für ihre Klienteles am Leben erhalten, von denen nur die Parteipolitiker profitieren. Wie immer auf Kosten der Bevölkerung.

Viele wirtschaftliche Entscheidungen werden auf Grund steuerlicher Regeln verzerrt, beispielsweise Spar-, Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen oder die Wahl der Rechtsform eines Unternehmens.

Die Realeinkommen und der Wohlstand sind kleiner, als es bei einem anderen Steuerrecht möglich wäre. Und das bedeutet: Das von den demokratischen Politikern aufrechterhaltene und geförderte steuerliche Chaos hat Methode. Es nützt den politischen Entscheidern, solange es besteht, und es schadet der Bevölkerung.

Der nämlich könnte es wirtschaftlich wesentlich besser gehen, wenn die politischen Parteien Steuerreformen nicht systematisch blockieren würden. Die Politik der demokratisch gewählten Entscheider richtet sich gegen die Wohlfahrt und den Wohlstand der Bevölkerung.

Von Wolfgang Koschnick ist auf Telepolis das Special "Demokratie am Ende" erschienen. Niedergang der entwickelten parlamentarischen Parteiendemokratien. Koschnick zeigt, dass alle entwickelten Demokratien der Welt in einer Systemkrise gefangen sind, aus der es kein Entrinnen gibt. Das verbreitete Klagen über "die Politiker" und die allgemeine "Politikverdrossenheit" verstellt den Blick dafür, dass alle entwickelten Demokratien in einer fundamentalen Strukturkrise stecken.