Die Sommerzeit ist überflüssiger als ein Kropf
Seite 2: Die Sommerzeit schadet der Bevölkerung. Na und?
- Die Sommerzeit ist überflüssiger als ein Kropf
- Die Sommerzeit schadet der Bevölkerung. Na und?
- Nur das Herumdoktern an Oberflächensymptomen ist noch möglich
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Auch in Deutschland wurde die angeblich angestrebte Energieeinsparung nicht erreicht. Das bestätigte am 18. Mai 2005 sogar die Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion. Das Umweltbundesamt stellte keine positiven Energiespareffekte fest, da die Einsparung an Strom für Beleuchtung durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch die Vorverlegung der Hauptheizzeit "überkompensiert" wird. Der zunehmende Einsatz von Energiesparlampen würde diesen Effekt in Zukunft auch noch weiter verstärken. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
Mediziner haben negative Auswirkungen der Zeitumstellung festgestellt, da sich der Organismus mit der Anpassung seines Rhythmus schwer tut. Physiologische Studien ergaben, dass einige zirkadian schwankende Hormonspiegel, ähnlich dem des Stresshormons Kortisol, bei einstündiger Zeitumstellung gegen die natürliche Rhythmik, also nach Art der gängigen Sommerzeit, bis zu viereinhalb Monate brauchen, um sich vollständig den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wenn also gerademal so die Umstellung "gelungen" ist, bricht wieder die Winterzeit ein.
Besonders Menschen mit Schlafstörungen oder organischen Erkrankungen haben größere Probleme. Auch kommt es in der Umstellungsphase messbar zu mehr Autounfällen, meist durch Übermüdung oder durch Wild, das sich natürlich auch nicht an die früher einsetzenden Stoßzeiten gewöhnt.
Kinder gewöhnen sich so gut wie überhaupt nicht an die Umstellung. Wie sollen sie auch? Aus der Landwirtschaft ist bekannt, dass die Milchkühe ein bis zwei Wochen benötigen, um sich an die neuen Melkzeiten anzupassen. Bei der Frühjahrsumstellung ist sogar ihre Milchleistung einige Tage lang geringer.
Die Zeitumstellung stellt viele öffentliche Einrichtungen vor große Probleme. Bei der Deutschen Bahn erfolgt der Wechsel am Ende der Sommerzeit, indem die Nachtzüge eine Stunde an Bahnhöfen halten. Politisch verordneter Leerlauf ohne Sinn und Vernunft. Auch Einrichtungen mit nächtlichem Bereitschaftsdienst haben mit dem Problem zu kämpfen, dass entweder der Dienst eine Stunde länger, oder aber die Ruhezeit eine Stunde verkürzt ist und somit eventuell nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen genügt.
Es spräche also überhaupt nichts dagegen, die zweimalige Zeitumstellung im Jahr wieder abzuschaffen. Im Gegenteil: Es spricht überhaupt nichts dafür, sie weiterhin beizubehalten. Auf jeden Fall spricht kein einziges vernünftiges Argument dafür. Ja, ein rational denkender Mensch könnte geneigt sein zu mutmaßen, dass die demokratischen Repräsentanten der Politik überhaupt nichts Eiligeres im Schilde führen, als diesen Riesenfehler zum Wohle der Völker Europas wiedergutzumachen.
Doch genau das wird nicht geschehen. Und das hat einen einfachen Grund: Die umständliche Gesetzgebungsapparatur und der aufwändige parlamentarische Diskussionsapparat müssten sich in Bewegung setzen, um Schaden von den Europäern abzuwehren. Und das allein reicht nicht aus, um den Politapparat in Bewegung zu setzen.
Man kann in einem derart schwerfälligen System der politischen Willensbildung einen Fehler nicht einfach wieder gutmachen. Man kann wahrscheinlich noch nicht einmal zugeben, dass man einen Fehler gemacht hat. Wahrscheinlich würden die Parteien streiten. Und wenn die Regierungsfraktionen dafür wären, wären die Oppositionsfraktionen dagegen. Schon aus Prinzip. So verlaufen die meisten Kontroversen zwischen Opposition und Regierung.
Endlose Debatten wären die Folge. An dem Thema würden sich Politiker und "Experten" wochenlang in Talkshows im Fernsehen die Köpfe heiß reden. Und wie üblich bei dem bombastischen Gequatsche wären viele dafür, sich dagegen auszusprechen, und manche wohl auch dagegen, sich dafür zu äußern. Sicherlich gäbe es auch viele, die weder dafür noch dagegen sprechen mögen…
Und dann haben die europäischen Nationen sich ja überhaupt erst 1996 darauf geeinigt, die Sommer- und die Winterzeit zu synchronisieren. Das ist ja noch gar nicht so lange her. Da kann doch Deutschland nicht einfach aus der Reihe tanzen - nur weil es sich ausnahmsweise mal für das Wohlsein der eigenen Bevölkerung entscheiden möchte. Ja, wo kämen wir da hin?
Also wird alles beim Alten bleiben, obwohl schon seit vielen Jahren bekannt ist, dass die Sommerzeit nur schadet und nichts nützt. Der parlamentarisch-bürokratisch-politische Aufwand wäre einfach viel zu hoch.
Die Abschaffung der Sommerzeit hätte den unabweisbaren Vorteil, dass wenigsten der Akt der Abschaffung keine weiteren Kosten nach sich zieht. Man müsste nur den tapferen Beschluss fassen, einigen Schaden für die Bevölkerung zu minimieren. Doch dazu ist der Apparat längst viel zu schwerfällig geworden.
Das Parlament und einige Ausschüsse müssten tagen und darüber beraten: 631 Mandatsträger allein im Bundestag, 751 Abgeordnete im Europäischen Parlament müssten wahrscheinlich auch noch ihren Senf dazu geben, mehrere tausende Abgeordnete in den 28 Parlamenten der Europäischen Union. Kurz: Ein großer Haufen von mehreren tausend Leuten, die unterschiedliche politische Richtungen und Meinungen zu jedem nur denkbaren politischen Pups vertreten, müsste sich in mehreren Monaten der Diskussion und der Kontroverse auf eine gemeinsame Linie einigen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Das geht nicht. Die können sich auf großen Unsinn einigen. In quälend langwierigen Prozessen. Aber sie können sich nie im Leben darauf einigen, den Unsinn wieder aus der Welt zu schaffen.
Ein endloses Palaver würde einsetzen, und am Ende käme doch nichts dabei heraus. Und in allen europäischen Demokratien müssten alle Parlamente und die in ihnen agierenden politischen Parteien auch noch gleichzeitig und gleichsinnig die gleichen Beschlüsse fassen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein einfacher Akt, der nur den harmlosen Zweck hätte, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden, würde hoffungslos im parlamentarischen Diskussionsdickicht versacken. Wenn es den politischen Repräsentanten um nicht mehr als darum geht, Schaden abzuwenden, ist ihnen der Aufwand viel zu hoch. So viel ist ihnen die Bevölkerung denn doch nicht wert.
Ja, wenn man damit Wahlen gewinnen könnte, dann wäre das vielleicht eine Überlegung wert. Aber dazu ist das Thema denn doch wieder nicht gewichtig genug. Wenigstens kann man das nicht verlässlich kalkulieren. Damals, als die Sommerzeit eingeführt wurde, schwamm man auf der Welle des eifernden Umweltbewusstseins. Aber ob die Bevölkerung heutzutage ausgerechnet für das Gegenteil so zu begeistern ist, dass man damit womöglich sogar Wählerstimmen gewinnt? Wer kann das schon sagen?
Es ist relativ einfach, einen Fehler zu begehen und ihn zu institutionalisieren. Aber es ist in den entwickelten repräsentativen Demokratien so gut wie unmöglich, ihn einzugestehen und dann auch noch zu korrigieren.
Dazu müsste ein höchst umständlich agierender Apparat in Gang gesetzt werden, der überhaupt nur schwer in die Gänge kommt. Und außerdem wäre es höchst ungewiss, wie die Leute darauf reagieren: Man würde damit keine Klientele bedienen, und womöglich kann man dabei sogar Wähler verlieren. Denn bei allen politischen Themen gibt es immer welche, die dagegen sind. Und möglicherweise sind ausgerechnet unter den eigenen Wählern welche, die dagegen sind. Wer kann schon ahnen, wie viele das sind?
Das Risiko, dass vielleicht sogar wahlentscheidend viele dagegen sind, ist viel zu groß und vor allem viel zu unkalkulierbar. Am besten also lässt man alles so, wie es gerade ist. Dann ist man auf der sicheren Seite. Das ist das heilige Urprinzip der Politik in den entwickelten repräsentativen Demokratien: unter lautem Geschwafel auf der Stelle zu treten und entschlossene Aktivität vorzutäuschen, ohne dass sich etwas ändert, aber alle denken, es herrsche heftige Bewegung.
Das System der entwickelten repräsentativen Demokratien ist selbst zu einfachen Reformen nicht mehr fähig. Und das macht das politisch ja vielleicht nicht so wirklich wichtige Thema "Sommerzeit" so wichtig: Es zeigt, dass die Gremien der repräsentativen Demokratie eine Menge groben Unfugs anrichten, aber aus strukturellen Gründen ihn niemals wieder korrigieren können.